Aus dem Kapitel DELPHI  (S. 41)

Erich Fitzbauer: Windrad Mond und magischer Kreis 

... Aber die Stätten von einst, die Tempelbezirke liegen woanders. Und dort, hoch über der Straße, an dem locker mit Bäumen bewachsenen Hang des Parnaß, ist man weit aus der Zeit, aus der Welt. Von den obersten seitlichen Sitzen des halbrunden Zuschauerraumes des Theaters geht unser Blick hinein in die ölbaumbestandene Senke, streift drei einsame schlanke Säulen mit einem Rest Architrav, gleitet hangaufwärts, den Schatzhäusern zu und sammelt sich dann auf der weiten Terrasse um die verstreuten, verwitterten Trümmer des Tempels, welcher Apollo geweiht, war, dem Gott dieser Stätte, der, wie es heißt, die läuternden Kräfte verteilte, den bitteren Weg der Sühne gebot und das heilende Bad nach der Krankheit gewährte. Sechs von den dorischen  Säulen, teilweise wiedererrichtet, stehen einsame Wächterschar, in der südöstlichen Ecke und künden von des Heiligtums einstiger Schönheit

Hierher kam man vor tausenden Jahren, zu Fuß und zu Pferd und zu Wagen, aus allen Teilen des Landes, um das Orakel zu fragen, kam voll Hoffnung und Furcht. Und hier gab die Gottheit dunkel gehaltene Antwort durch Pythias, der aus den Dünsten der Erde Erleuchteten, Mund. Hier wurde Herakles der Tod auf dem Berge verkündet. Hier vernahm der gequälte, gehetzte Orestes den Ruf mit dem Auftrag, in das barbarische Tauris zu eilen, wo er nach Zeiten der Prüfung zur Schwester und in den lange verlorenen inneren Frieden zurückfand. Hier wurde Ödipus Rat, seine Eltern zu fliehen, damit er den Vater im Streit nicht erschlage, die Mutter zur Gattin nicht nehme. Und noch viele andere kamen, kamen als Fragende, gingen sodann, die meisten verwirrt und zweifelnd und immer noch fragend, die unklare Deutung der Priester im Ohr, manche voll Hoffnung, manche voll Furcht vor Erfüllung des Spruchs, der über Glück und Verzweiflung, Leben und Sterben entschied.  ...

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Der blinde Ödipus (S.43)

Karlheinz Pilcz

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