Ihagee und Exakta
Kurze Geschichte der Fa. Ihagee - Teil 1

                                                                                  Peter LAUSCH

 

 

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Das wechselvolle Schicksal der Ihagee in Dresden - Teil 1  

Vorgeschichte

   Am 7. Dezember 1886 wurde in Meppel in Holland Johan Steenbergen als Sohn des Textilhändlers Jan Steenbergen geboren. An sich sollte der kleine Johan das Geschäft des Vaters übernehmen und wurde daher 1908 zur Lehre nach Dresden geschickt, wo er sich indessen nicht der Ausbildung zum Schneider unterzog, sondern statt dessen für die Fa. Ernemann KG., einen damals bedeutenden Hersteller von Photoapparaten arbeitete, die in der Fachwelt einen guten Ruf besaßen.

   Steenbergen erwies sich als technisch interessiert; schon 1910 wurde eine seiner Erfindungen patentiert.

Die Firmengründung

   Daraufhin gründete er Anfang 1912 die “Industrie- und Handelsgesellschaft m. b. H mit Kraftbetrieb”; Zweck der Gesellschaft war der Großhandel mit photographischen Erzeugnissen und die Erzeugung von Kameras; man nimmt an, dass dabei weniger an die Konstruktion eigener Kameras gedacht war sondern eher an den Zukauf von Teilen und deren Zusammensetzung zu den damals üblichen eher einfachen Kameras (so wie das in ähnlicher Form nach dem 2. Weltkrieg sehr viele kleine Fabrikanten in der Bundesrepublik auch getan haben). Indessen wurde primär die Erzeugung und der Verkauf von Fotokameras betrieben – der Firmenname wurde auf Ihagee Kamerawerk G. m. b. H. verkürzt. Ihagee ist ein Kunstwort aus den Anfangsbuchstaben der ursprünglichen Firma.

   Während des 1. Weltkrieges wurde ein Großteil der Arbeiter zum Heer eingezogen, die ohnehin unbedeutende Produktion kam zeitweise zum Stillstand.

   Nach dem Krieg nahm die Firma die eigentliche Entwicklung und Produktion von Plattenkameras mit Holzrahmen auf; Verschluss und Objektive wurden nach wie vor zugekauft. Zu diesem Zweck tat sich Steenbergen mit einer Reihe von Fachleuten zusammen, die in die Firma eintraten; die Firma wurde dementsprechend in die "offene Handelsgesellschaft Ihagee Kamerawerk Steenbergen & Co" umgewandelt.

   Neben den damals üblichen “Reisekameras”, eher unhandlichen und für Reisen denkbar ungeeigneten Kästen, erzeugte die Firma u. a. die PAFF und die Corona neben einer Vielzahl von Klappkameras für diverse Plattenformate, später auch für Planfilme und für die damals üblichen großformatigen Rollfilmformate. 

Rollfilm-Exakta Modell A, 1933
© Leicashop Wien, 2002

   1933 wurde die in der Folge als Vest Pocket Exakta  oder als Exakta Modell A bezeichnete Kamera vorgestellt, die von Steenbergens Chefkonstrukteur Karl Nüchterlein konstruiert worden war. Dabei handelt es sich um eine einäugige Spiegelreflexkamera in charakteristischer Form, gebaut für die Verwendung von Rollfilm im Format 127 – siehe Abbildung. Dieser Film lieferte bei der Vest Pocket Negative im Format 4x6,5 cm im Querformat. Die heute üblichen 4,5x6 cm-Kameras verwenden hingegen den 6 cm breiten Rollfilm 120 oder 220 und produzieren bei der üblichen Bauart der dafür konstruierten Sucherkameras meist Bilder im Hochformat – siehe beispielsweise die Bronica RF645.

   Obgleich sie den damaligen Gepflogenheiten entsprechend als “Miniaturkamera” (gemessen an den Abmessungen einer 9x12 cm Plattenkamera) bezeichnet wurde, klein war die Kamera nicht: 15x6,5x5 cm. Eine Besonderheit war der an der Gehäusevorderseite links vom Objektiv angebrachte Auslöser – alle Exaktas von Ihagee haben diese Eigenart übernommen. Die Kamera funktionierte, ausgestattet mit einem aufklappbaren Lichtschachtsucher, wie die viele Jahre lang üblichen SLRs auch: vor der Aufnahme klappte der Spiegel aus dem Strahlengang nach oben, nach der Aufnahme blieb er oben – er klappte erst wieder herunter und gab damit den Blick durchs Objektiv frei, sobald der Verschluss wieder aufgezogen wurde. Hell war das Bild auf der Mattscheibe leider nicht, denn Springblendenobjektive waren noch nicht erfunden.

   Diese Kamera wurde zwischen 1933 und 1938 in mehreren Versionen, mit unterschiedlichen Schlitzverschlüssen und mit unterschiedlichen Standardobjektiven von Meyer, Görlitz, aber in der Folge auch von Carl Zeiss und von Schneider, Kreuznach, mit opt. Daten: 3,5/75 mm bis 2,7/75 mm angeboten. Nach Zählung mancher werden bis 1938 insgesamt 7 Versionen unterschieden, die so genannte Nacht-Exakta gar nicht mitgerechnet. Den Namen hatte dieses ebenfalls in mehreren Versionen angebotene Modell, das ansonsten aber mit der <normalen> Exakta baugleich war, durch die besonders lichtstarken Objektive, etwa dem Meyer Primoplan 1,9/80 mm. Es gibt aber auch Nacht-Exaktas mit dem britischen Dallmeyer Super-Six 1,9 mit 3 in. Brennweite und anderen lichtstarken Objektiven. Im Übrigen hatten alle Rollfilmexaktas einen Bajonettanschluss für Wechselobjektive - bei längeren oder kürzeren Brennweiten wirkten sich die Vorteile des Spiegelreflexprinzips besonders aus. Allerdings mussten die Wechselobjektive von Ihagee an die einzelnen Kameras speziell angepasst werden – das kennt man ja von der Leica auch, ehe die Leicafassung auf Null abgeglichen wurde. Von Anfang an wurden in der Werbung auch die Vorzüge der Kamera bei Nahaufnahmen mittels Zwischenringen und Verlängerungstuben hervorgehoben und naturgemäß die – relative – Handlichkeit der Kamera.

Die erste Exakta für Kleinbildfilm

   Nach dem Erfolg der EXAKTA für Rollfilm 127 konstruierte Nüchterlein (der in den Kriegsjahren zur Wehrmacht eingezogen wurde und seit den letzten Wochen des 2. Weltkrieges als in Jugoslawien vermisst gilt) eine einäugige Spiegelreflexkamera nach dem Vorbild der Rollfilmkamera für echten Kleinbildfilm von 35 mm Breite und einem Aufnahmeformat 24x36 mm – dem Format der erfolgreichen ersten Kleinbildsucherkamera Leica.

   1936 wurde sodann bei der Frühjahrsmesse in Leipzig die erste Kleinbild-SLR vorgestellt, die Kine-Exakta. Kleingeister mäkeln, in der Sowjetunion sei schon vorher die wirklich erste Kleinbild-SLR gezeigt worden, die Sport  von GOMZ. Sagen wir, so wie die Leica nicht die erste Kleinbildkamera für den 35 mm breiten Kinofilm gewesen ist, ist auch die Kine-Exakta nicht die wirklich erste KB-SLR. So wie die Leica jedoch die erste erfolgreiche Sucherkamera für das Aufnahmeformat 24x36 mm war, so war die Kine-Exakta die erste erfolgreiche SLR für dieses Format. Dazu kommt im Falle der Kamera von GOMZ, dass die Sport nach der Vorstellung noch fertigkonstruiert werden musste und tatsächlich erst 1937 erhältlich war. Insofern war die Kine-Exakta tatsächlich die erste Kleinbild-SLR, die auf dem Markt erhältlich war.

   Diese Kine-Exakta besaß einen horizontal ablaufenden Tuch-Schlitzverschluss mit Belichtungszeiten von 12 (!) bis 1/1000 Sekunde, B und Z (dem nachmaligen T), einen fest eingebauten Lichtschacht mit aufklappbarer, anfangs runder, später eckiger Sucherlupe zur leichteren Scharfeinstellung und eine Bajonettfassung für Wechselobjektive. Als längste Brennweite stand ein Zeiss Fernobjektiv mit 500 mm zur Verfügung. Bei den Weitwinkelobjektiven betrug die kürzeste Brennweite 40 mm, das Zeiss Tessar 4,5/40 mm und das Meyer Helioplan mit den gleichen optischen Daten. Kürzere Brennweiten waren systembedingt nicht möglich, weil ja die Bewegung des Spiegels bei der Aufnahme durch den Objektivtubus nicht beeinträchtigt werden durfte. Die heute üblichen und in den Nachkriegsjahren erstmals von Angenieux präsentierten Retrofocus-Weitwinkelobjektive waren damals noch nicht erfunden.

   Auch während des 2. Weltkrieges wurde, unbeachtlich der rechtlichen Änderungen in der Firmenleitung, die Kine-Exakta erzeugt – das Deutsche Reich brauchte Devisen. 1940 wurde jedoch die Produktion der Kamera eingestellt, im Werk wurden optische Geräte für die Wehrmacht hergestellt.

Zum Teil 2 der Firmengeschichte

 

 

Geändert am 18. März 2003

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