1.1 Einführung

 
 

"With information from these citizen participation projects, we approach
the twenty-first century with new knowledge and capabilities that offer radically
new possibilities for effective means to involve citizens directly in all phases of governance,
even in nations comprised of hundreds of millions of people... Televote and
town meetings on a national (or state) scale were not possible prior to this century.
Now they are."

Christa Daryl Slaton,
Televote: Expanding Citizen Participation in the Quantum Age, 1992, S. 4, S. 206
Professorin für Politikwissenschaft, Auburn University.
 

"Die virtuelle Gesellschaft, die mit dem Vordringen
computer-vermittelter Kommunikationstechnologien entsteht,
wird auch den politischen Prozeß verändern, und zwar auf allen Ebenen,
von der Grundinformation über die Meinungs- und Willensbildung
bis zur kollektiv bindenden Mehrheitsentscheidung."

Claus Leggewie,
Demokratie auf der Datenautobahn, Internet und Politik, 1998, S. 47
Professor für politische Wissenschaften, Universität Gießen,
Inhaber des Max Weber-Lehrstuhls,
Center for European Studies der NYU.
 

"Die Zukunft der Demokratie liegt in der starken Demokratie – in der Wiederbelebung
einer Form von Gemeinschaft, die nicht kollektivistisch, einer Form des öffentlichen Argumentierens,
die nicht konformistisch ist, und einer Reihe bürgerlicher Institutionen, die mit einer modernen Gesellschaft
vereinbar sind. Starke Demokratie ist durch eine Politik der Bürgerbeteiligung definiert: sie ist buchstäblich die Selbstregierung
der Bürger,keine stellvertretende Regierung, die im Namen der Bürger handelt. Tätige Bürger regieren sich unmittelbar selbst, nicht notwendigerweise
auf jeder Ebene und jederzeit, aber ausreichend häufig und insbesondere dann, wenn über grundlegende Maßnahmen entschieden und bedeutende
Macht entfaltet wird. Selbstregierung wird durch Institutionen betrieben, die eine dauerhafte Beteiligung der Bürger an der Festlegung der
Tagesordnung, der Beratung, Gesetzgebung und Durchführung von Maßnahmen (in Form "gemeinsamer Arbeit") erleichtern.. Die entscheidenden
Begriffe in dieser starken Formulierung sind: Tätigkeit, Prozeß, Selbstgesetzgebung, Schaffung
einer Gemeinschaft und Transformation."

Benjamin Barber
Starke Demokratie, 1994, S. 146-147
Professor für Politische Wissenschaft, Rutgers University.
 

"And what will be the long-range consequences of this
future splurge of teledemocracy? First, the forces of rampant,
market-based globalization will be tempered as a much broader base
of citizens of industrialized nations regain a substantial measure of influence over
their national, state, provincial, and municipal governments. The very same modern
ICT (Information and Communication Technology) that drives the current
dominance of global financial and corporate power at the expense
of traditional national sovereignty will provide the wherewithal
to construct a countervailing, truly democratic
source of power."

Ted Becker
Christa Slaton
The Future of Teledemocracy, 2000, S. 212
 

"If you take the game of life seriously, if you take your nervous system seriously,
if you take your sense organs seriously,if you take the energy process seriously,you must
turn on, tune in, and drop out...The wise person devotes his life exclusively to the religious
search-for therein is found the only ecstasy, the only meaning... Anything else is a competitive quarrel over
(or Hollywood-love sharing of) television studio props... To turn on is to detach from the rigid addictive focus
on the fake-prop TV studio set and to focus on the natural energies within the body... To turn on, you need a
sacrament. A sacrament is a visible external thing which turns the key to inner doors. A sacrament must bring about bodily
changes. A sacrament flips you out of the TV-studio game and harnesses you to the 2-billion-year-old flow inside...
A sacrament which works is dangerous to the establishment which runs the fake-prop TV studio-and to that part of your mind
which is hooked to the studio game. Each TV-prop society produces exactly that body-changing sacrament which will flip
out the mind of the society". 

Timothy Leary
The Politics of Ecstasy, 1968, 1998,  S. 223-224, ch. 21







Die Demokratieformen der griechischen Stadtstaaten, der Israelischen Kibbuzim oder der Stadtversammlungen der Neu-England-Staaten (US) erlaubten dem Bürger direkt an politischen Entscheidungsfindungen teilzunehmen. Die Idealvorstellung, daß alle Bürger einer politischen Gemeinschaft an Entscheidungsprozessen mitwirken können, wurde bisher in den westlichen Zuschauerdemokratien - damit sind die in der westlichen Welt vorherrschenden repräsentativen Demokratien gemeint, in denen Politiker den politischen Prozeß ohne direkte Beteiligung einer großen Anzahl von Bürgern regeln - u.a. mit dem Hauptargument der Gruppengröße zurückgewiesen (Größenproblem).

Idee und Begriff der Demokratie sind griechischen Ursprungs (demos = das Volk, kratein = herrschen). Eine dauerhafte und unmittelbare "Herrschaft des Volkes" als Vorstellung der politischen Ideengeschichte hat es aber in der soziohistorischen Realität uns bekannter Organisationsformen von Herrschaft niemals gegebenen, so daß der Demokratiebegriff immer etwas Normatives umschließt, das umgesetzt werden soll.

Für den Demokratietheoretiker Robert Dahl (Dahl, 1989) ist die Geschichte der Demokratie durch zwei grundlegende institutionelle Umwälzungen geprägt. Die erste historisch bedeutende Demokratiebewegung hat ihren Ursprung in der Antike (5. Jh. v.u.Z.). Die griechischen Stadtstaaten institutionalisierten systematisch demokratische Ideen in direkten Formen des Regierens. Durch diese erste Transformation entstand die Versammlungsdemokratie im antiken Griechenland, die auf der praktischen Identität von Herrscher und Beherrschten beruhte. Einige tausend Bürger versammelten sich an einer zu Fuß erreichbaren öffentlichen Örtlichkeit. Die Bürger Athens trafen sich 40mal im Jahr zu einer souveränen Volksversammlung. In der Bürgerversammlung wurden politische Entscheidungen nach ausreichender Diskussion mittels Abstimmungen getroffen. Sie verabschiedete Gesetze, wählte Beamte, entschied über Krieg wie Frieden und befaßte sich mit den Geschäften der Politik. Die Abstimmungen erfolgten durch das Handheben. Eine geheime Abstimmung mit Stimmsteinen war nur dann üblich, wenn das persönliche Interesse eines Bürgers berührt war. Die Möglichkeit der Einleitung einer Gesetzesinitiative bestand auch in der Bürgerversammlung. Vorschläge wurden in den Bürgerversammlungen im Rahmen von Diskussionen und Reden eingebracht. Durch Losentscheidungen wurde der Rat der Fünfhundert aus der Menge der politisch berechtigten Bürger Athens, die sich meldeten, bestimmt. Dieser formulierte politische Gesetzesanträge, die dem Volk zur Entscheidung vorgelegt wurden. Seine primäre politische Funktion lag darin, den Souverän entscheidungsfähig zu machen. Ein Zehntel des Rates der Fünfhundert führte im Rat der Fünfzig jeweils für ein Zehntel des Jahres die Amtsgeschäfte. Zwischen den Volksversammlungen regierte also der Rat der Fünfzig, in dem jedes Mitglied einen Tag lang Vorsitzender war. Es gab zehn nach Territorien definierte "Stämme". Jeder davon entsendete 50 Räte. Der Rat war nicht direkt von der Volksversammlung gewählt. Die gleiche Partizipation aller Bürger an der Versammlungsdemokratie wurde durch Losentscheid und Ämterrotation realisiert.

"Das Gewicht lag auf aktiver Partizipation und darauf, daß jeder die Rolle des Regierenden und Regierten einnahm. Von den Bürgern wurde erwartet, daß sie sich allgemeinen Belangen widmeten. Politik war keine armselige Angelegenheit zum Schutz persönlicher Interessen oder Anliegen" (Phillips, 1995, S. 43).

Die Entwicklung moderner Flächenstaaten verstreute die Menschen über ausgedehnte Gebiete und löste die zweite Transformation der Demokratie aus. Größe wurde zu einem zentralen Bestimmungsfaktor von Demokratie, die seit Ende des 18. Jahrhunderts als repräsentative Demokratie entstand (Dahl/Tufte, 1973). Der in der direkten Demokratie notwendige Informations- und Kommunikationsfluß und die Durchführung häufiger Abstimmungen erforderte einen unleistbaren Aufwand. Somit beschränkte sich die Bürgerbeteiligung weitgehend auf die Auswahl konkurrierender Eliten, die im Parlament Debatten und Verhandlungen über Themen führten und über diese Entscheidungen trafen.

Nach vorherrschender und seit Aristoteles bekannter Prämisse ist die Größe eines Volkes eine natürliche Barriere für die direkte Demokratie (vgl. Hagen, 1999). Dieser Behauptung wurde die Antithese gegenübergestellt, daß die Relevanz des Größenfaktors für die Demokratieform vom Entwicklungstand der Informations- u. Kommunikationstechnologien (IKT) abhängt. Die Annahme, daß räumliche Expansion und direkte Demokratie unvereinbar seien, gilt aus dieser Sichtweise nur für ein unterentwickeltes politisches Kommunikationssystem (vgl. Dahl/Tufte, 1973, S. 28). Die Prämisse der Undurchführbarkeit der Organisation einer direkteren Demokratieform läßt sich durch die Raum und Zeit überwindende Eigenschaft der neuen IKT im 3. Jahrtausend immer schwerer aufrechterhalten. So wies das International Institute For Democracy and Electoral Assistance (International IDEA) darauf hin, daß elektronische Wahlen nicht mehr ein Science-Fiction-Szenario darstellen (Brigham, 1998). Die technischen Grundbedingungen und Möglichkeiten der CMC (Computer Mediated Communication) über das Internet stehen bereit, damit Millionen Bürger untereinander sowie mit ihren Repräsentanten in politische Diskussionen eintreten, einen Konsens gemeinsam bilden und Mehrheitsentscheidungen treffen können - die ganze Nation im virtuellen Raum. Eine elektronische Bürgerversammlung für Österreich, Deutschland oder für die EU wird durch die Möglichkeiten der IKT theoretisch durchführbar. Somit würden die Bürger sich über öffentliche Themen informieren und nach ausreichender Diskussionzeit darüber elektronisch votieren.

Seit den Pionierzeiten der Telekommunikation formulierten Wissenschaftler und Visionäre solche Demokratievorstellungen. Die Nutzung der neuen IKT durch emanzipatorische Akteure wurde schon in den 60er Jahren als Chance einer dritten Transformation der Demokratie begriffen (Miller, 1969). Das erste E-Demokratie-Experiment fand Becker und Scarce zufolge 1956 in St. Louis (Missouri, USA) statt:

Teledemocratic Roots
"The St. Louis Metroplex Assembly project, begun in 1956, has been credited as being the first to use television in a deliberately interactive way with a massive audience. Metroplex has also been credited as being the first production which asked the citizenry for its input into programming, much along the lines that Groombridge proposed in Television and the People (1972). Eugene I. Johnson (the originator of Metroplex) and his staff recognized that what was needed was "quality T.V. programming if they were to get people to listen" (Johnson, 1965, p. 20).

His concept of "quality" translated into asking the public what its major concerns were, and producing television programs which responded directly to what they said. They also relied on citizen feedback to their programs as the series developed.
This response was facilitated by "viewing posts" which were established in communities throughout greater St. Louis. Their primary purpose was to facilitate discussion of a given program among groups with diverse interests.

Ultimately, a broad cross-section of St. Louis was represented by the viewing posts. Johnson (1965, p. 20) writes, "When the base of a program is a television broadcast, studies have pointed to the need not only to draw the attention of individuals to the mass media offerings, but also to find some way to make clear their importance and meaning for the individual."

The results of such intensive, citywide involvement were primarily educative. Misunderstandings about issues were corrected, priorities were established, and areawide concern over issues served to draw together the people of St. Louis. Several important pieces of legislation were influenced by Metroplex. Johnson (1965, p. 48) writes, "One of the chief values of Metroplex lay in the fact that agencies or organizations wishing to take constructive social action found it more possible to do so following a Metroplex series" (Becker/Scarce, 1986, S. 271-272).

Johnson E. I., Metroplex assembly: An experiment in community education, Boston, MA: Center of the Study of Liberal Education for Adults, Boston University, 1965.

Groombridge B., Television and the People, Harmondsworth, Penguin, England, 1972.
 

In den 70er und 80er Jahren führten Wissenschaftler Experimente durch, bei denen das Kabelfernsehen in Willens- und Entscheidungsfindungsprozessen integriert wurde.

Erich Fromm (1900-1980), der berühmte amerikanische Psychoanalytiker deutscher Herkunft, gilt als einer der frühen Advokaten der elektronischen Demokratie (Slaton, 1992, S. 94). Fromm diskutierte in seinem Werk "The Sane Society" (Fromm, 1955) viele Krankheiten moderner Industriegesellschaften. Die Leiden waren von sozial-psychologischen Entfremdungssymptomen sowie der Hilflosigkeit des Einzelnen gegenüber der Kontrolle von Entscheidungsprozessen und von wichtigen Ereignissen seines Lebens, soweit diese ihn unmittelbar materiell betrafen, geprägt. Diese die Gesellschaft durchdringende psychologische Misere brachte nach seiner Lehrmeinung einen relativ "geisteskranken" gesellschaftlichen Zustand hervor (Insane Society). Zum Abbau politischer Entfremdung, welche die Moderne charakterisiere, schlug Fromm zur Therapie u.a. ein direktdemokratisches Verfahren auf nationaler Ebene vor. Die Bevölkerung sollte abhängig vom Wohnsitz oder Arbeitsplatz in Gruppen zu je 500 Personen eingeteilt werden, die in regelmäßigen Abständen über lokale und nationale politische Themen diskutieren. Ein unabhängiges Expertenkomitee macht den Diskussionsgruppen sachliche, neutrale Informationen zugänglich. Nach dem Abschluß der Diskussionsphase wird elektronisch abgestimmt. Sein Verfahren zielt darauf ab, eine Machtteilung zwischen der Bevölkerung und den Repräsentanten zu etablieren.

"One of the first conceptions of an "electronic town meeting" dates back to 1955, when psychologist Erich Fromm published The Sane Society, an account of modern society's psychologically alienating impact on the individual. He wrote, "the modern, alienated individual has opinions and prejudices, but no convictions, likes and dislikes, but no will." The process of alienation, in which the citizen "surrenders his political will" by registering a vote of agreement or disagreement with a powerful political machine, can only be offset by direct participation in the life of the community. Engagement was for  Fromm the only means of reversing apathy and estrangement from public life. He proposed a return to the town meeting model whereby the whole  population could be organized into groups of a few hundred people who would meet regularly to choose officials and committees and to discuss the main political issues - local and national - of the day" (London, 1994).

"After the small face-to-face groups have ... discussed matters, they will vote; with the help of the technical devices we have today, it
would be very easy to register the over-all result of these votes in a short time, and then the problem would be how decisions arrived at in this way could be channeled into the level of the central government and made effective in the field of decision making.... The decision of the face-to-face groups would constitute the true "House of Commons," which would share power with the house of universally elected representatives and a universally elected executive. In this way, decision making would constantly flow, not only from above to below, but from below to above, and it would be based on an active and responsible thinking of the individual citizen" (Fromm in: London, 1994, http://www.scottlondon.com/reports/ed.html).

Der amerikanische Futurist und Erfinder Buckminster Fuller brachte in den 40er Jahren die Idee elektronischer Bürgerversammlungen in die Diskussion. Er definierte 1963 den Ausdruck "elektronische Demokratie" als ein System, das nach einer elektronisch vermittelten Diskussion den Bürgern ermöglicht, per E-Abstimmung ("E-" bezeichnet die Abkürzung von "elektronisch") ihren Repräsentanten Handlungsalternativen vorzugeben (Fuller, 1963). Er forderte sogar einen täglichen elektronischen Entscheidungsfindungsprozeß über alle relevanten sozialen Themen, wobei Fernsehen, Computer und weitere elektronische Medien zur Stimmenauswertung benützt werden sollten. Für Fuller ist ein elektronisches Wahlsystem ein Produkt von Jahrhunderten des menschlichen Fortschritts und der Entwicklung, das nachstehende Vorteile mit sich bringen würde:

Falls der Vorschlag der Etablierung einer direkteren elektronischen Demokratie von seiner Generation nicht realisiert werden kann, dann werden Fuller zufolge zukünftige Generationen weiterhin für dieses Konzept eintreten, bis nach heftigen Auseinandersetzungen ein elektronisches Wahlsystem in der Praxis den Durchbruch schaffen wird.

Die amerikanische Zukunftsforscherin Hazel Henderson publizierte 1970 (Henderson, 1970) ein detailliertes elektronisches Wahl-Szenario, das im Zeichen der elektronischen Demokratisierung stand. Schon in den frühen siebziger Jahren testete der deutsche Sozialwissenschaftler Krauch ein aus Berkeley importiertes Konzept des organisierten Konfliktes. Fernsehen und Telephon wurden bei der Orakel-Methode (Krauch, 1972) miteinander verknüpft und im WDR eine Expertendiskussion einschließlich elektronischer Abstimmung abgehalten. Bei der Diskussion berieten Experten über ein politisches Problem, wobei wissenschaftlicher Sachverstand, Wissen und die Meinung der Zuschauer in die Diskussion integriert wurden.

Etzioni, ehemaliger technologischer Berater der US-Präsidenten Carter und Clinton, legte 1972 ein detailliertes theoretisches Konzept - das Minerva-Verfahren - zur Abhaltung elektronischer Versammlungen (Electronic Town Meetings, ETM) auf allen Ebenen des Regierens mit E-Wahl vor (Etzioni, 1972). Das praktische Funktionieren seiner weiterentwickelten Methode haben mehrere erfolgreiche Modellversuche u.a. in New Jersey (Etzioni/Laudon/Lipson, 1975, Etzioni, 1992, 1997) demonstriert. Ted Becker und Christa Slaton unterlegten ihren Televote-Experimenten (1978-85) die These, daß elektronische Entscheidungsprozesse die repräsentativen Demokratien einmal radikal verändern werden (Becker 1981, Slaton, 1992). Das QUBE-Wahlsystem (Becker, 1981), das über Kabelfernsehen funktionierte, stellte die erste technische Vorstufe der Entwicklung eines Internet-Wahlsystems dar. Elektronische Stadtversammlungen finden in den USA seit den Siebzigern vereinzelt statt. Die Durchführung von E-Wahlen ist seit damals ein Leitparadigma der Diskussion über die elektronische Demokratie.

Alvin Toffler vertrat in "The Third Wave" die These (Toffler, 1980), daß durch elektronische Versammlungen (EVen) und Abstimmungen eine "Semi-Direct-Democracy" als zukünftige Regierungsform hervorgehen würde, bei der Hauptelemente der repräsentativen Verfassung durch direktdemokratische Elemente substituiert werden. Auch John Naisbitt prognostizierte eine grundlegende soziale Transformation von der repräsentativen hin zur direkten Demokratie (Naisbitt, 1982). Der Fernsehjournalist Richard Hollander betonte die Vorteile der direkten elektronischen Abstimmung und sprach über die "Vote-From-Home-Revolution" (Hollander, 1985).

Damals haben sich diese Konzepte und Ideen u.a. wegen technischer Barrieren praktisch nicht umsetzen lassen, doch das Internet bringt eine völlig neue Qualität hervor. Die explosionsartige Expansion des Internets, die Geschwindigkeit und Volumen der politischen Kommunikation massiv erhöhen und gleichzeitig die Zugänglichkeit zur politischen Information vereinfachen, machen eine elektronische Beteiligungsdemokratie - darunter wird hier die Partizipation der Bürger sowohl am Meinungs- und Willensbildungsprozeß als auch am Entscheidungsfindungsprozeß verstanden -  mit zunehmenden Vernetzungsgrad realer den je. Die Thesen von Toffler sind Mitte der 90er Jahre von großem Einfluß auf die Internet-Euphorie gewesen. Toffler´s scharfe Kritik richtete sich gegen demokratische Funktionsdefizite der Repräsentation (Kubicek/Hagen, 1999).

"Den klassischen intermediären Instanzen wie Parteien und Interessenverbände, aber ebensowenig den elektronischen Printmedien und sozialen Bewegungen und Bürgerinitiativen gelingt es immer weniger, gesellschaftliche Strömungen und Ansprüche adäquat in das politisch-administrative System zu übersetzen. Demokratische Lebenswelt und repräsentative Institutionen driften auseinander" (Leggewie, 1996, S. 4).

Amitai Etzioni hat auf seinem empirisch verifizierten Modell aufbauend vorgerechnet (Etzioni, 1997), daß eine pyramidenartige Kommunikationsstruktur von ETMs (jeweils 18er-Gruppen entsenden ihren Repräsentanten in die nächste höhere virtuelle Diskussionsebene) innerhalb eines Tages (bei jeweils einer Stunde Diskussionszeit pro Ebene) 110 Millionen Menschen an der Diskussion teilnehmen können. Die Entscheidung trifft die letzte 18er-Gruppe an der Spitze dieses Minerva-Kommunikationsbaumes (Etzioni, 1972).

Eine Gleichsetzung von elektronischer Demokratie und direkter Demokratie ist aber weder zwingend noch notwendig. Die elektronische Demokratisierung verliert allerdings an Attraktivität, wenn davon elektronische Wahlen bzw. Abstimmungen ausgenommen bleiben und diese sich nur auf das politische Räsonnement des Bürgers reduziert, aber nicht zum Fundament bzw. Kern des demokratischen Prozesses vordringt: der kollektiv bindenden elektronischen Mehrheitsentscheidung (vgl. Leggewie, 1998).

"Jenseits des Informationsraumes läßt sich von einer substantiellen, elektronisch vermittelten Demokratisierung des politischen Systems einer zukünftigen Informationsgesellschaft erst dann sprechen, wenn die staatsbürgerlichen Entscheidungsprozesse (Wahl, Abstimmungen) über Personen und Sachen tangiert werden. Die normativen Anforderungen an solche Prozesse sind durchaus technisch umsetzbar. Damit solche Entscheidungsakte nicht nur direkt, frei und geheim, sondern auch gleich und allgemein vor sich gehen, müssen alle Wahl und Abstimmungsberechtigten eine entsprechende elektronische Infrastruktur zur Verfügung haben (Universaldienst) und mit ihr umgehen können (Zugangs- und Verschaffungsrecht für elektronische Informationen und Qualifikationen). Weder die bundesdeutschen Regierungskonzepte noch die EU-Programmpapiere und Planungen zur Informationsgesellschaft entwickeln Utopien oder Szenarien einer technikgestützten politischen Demokratie der zukünftigen Informationsgesellschaft" (Rilling, 1998, S. 373).

Die Synergie zwischen aktiven bürgerlichen Veränderungswünschen und den Möglichkeiten der Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) hat das Potential, die gegenwärtigen repräsentativen Demokratien zu verändern (Becker/Slaton, 1997, Slaton, 1998, Slaton, 1999, Becker/Slaton, 2000). Angesichts der politischen Herausforderungen, die diese möglichen Veränderungen im dritten Jahrtausend bewirken, eröffnen sich Chancen, den Bürger stärker mit Entscheidungsmacht auszustatten. Wegen der gegenwärtigen Entscheidungsverlagerung auf supranationale Ebenen (EU) und der Einschränkung der Handlungsfähigkeit des Nationalstaates erscheint gerade neben der Stärkung der lokalen Ebene die Weiterentwicklung der Demokratie auf supranationaler Ebene als anzustrebendes Ziel (Hagen, 1997).

Der deutsche Ausdruck "elektronische Demokratie" ging aus der wörtlichen Übersetzung des in den USA geprägten Begriffes "Electronic Democracy" hervor. Unter diesem Begriff lassen sich im allgemeinen Diskussionen zusammenfassen, wie IKT in Kombination mit Infrastrukturen genützt werden können, um politische Kommunikation und Bürgerbeteiligung, insbesondere Diskussions-, Lern-, Erziehungs- und Selbstorganisationprozesse zu fördern. Im speziellen bedeutet der Begriff "E-Demokratie", wie durch elektronische Wahlen verfassungsrechtliche Entscheidungsverfahren rationalisiert und die Bevölkerung direkt in politische Entscheidungsprozesse eingebunden werden kann. Dafür steht der Begriff "elektronische Wahlen" oder "Telewahlen" (Electronic Voting, Televoting).

Der deutsche Politologe Hagen unterscheidet drei Formen elektronischer Demokratie (Hagen, 1997):

Teledemocracy gilt als ältestes Konzept elektronischer Demokratie (schon seit Anfang der siebziger Jahre entwickelt). Es versteht sich als Reformprogramm für ein defizitär funktionierendes Repräsentationssystem. Das Teledemocracy-Konzept macht die Struktur der repräsentativen Demokratie für Frustration, Apathie und Entfremdung verantwortlich und fordert öffentliche Informations- und Diskussionssysteme und die Einführung direkt-demokratischer Elemente.

Cyberdemocracy stellt eine Reaktion auf die Expansion großer Rechnernetze dar. Die Netzanwender des Wissenschaftssektors prägten jene Konzeption. Durch den Einsatz von IKT will das Cyberdemocracy-Konzept den Nationalstaat durch eine plurale Anordnung unabhängiger virtueller Gemeinschaften substituieren bzw. ergänzen. Diese Gemeinschaften sollen von autonomen und freien Netzbürgern bevölkert werden, die eine Balance zwischen individueller Nutzenmaximierung und gemeinwohlorientiertem Handeln anstreben (vgl. Rheingold, 1994).

Im Gegensatz zum Teledemocracy- und Cyberdemocracy-Konzept setzt das Electronic-Democratization-Konzept auf repräsentative Elemente. Die Ursachen der politischen Motivationslosigkeit sind mangelnde Flexibilität und Abkoppelung repräsentativer Institutionen von der Bevölkerung sowie eine kontraproduktive Rolle der Massenmedien. Electronic Democratization setzt auf Information und Diskussion im Rahmen elektronischer Stadtversammlungen (Electronic Town Meetings), um die Distanz zwischen Repräsentant und Repräsentierten zu verringern und Gemeinschaftsgefühle wiederzubeleben, während direktdemokratische Elemente nach der Klassifikation von Hagen unberücksichtigt bleiben.