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Präsentation ohne Namen

 

Bricolage

Bricolage: Nichtsichtbare magische Systeme wie Aberglaube, Hexerei oder Mythos gestatten es den Angehörigen dieser Kulturen das konkret in der Natur Vorfindbare in systematisch gedachte Zusammenhänge zu bringen, die sich endlos erweitern lassen, da ihre Grundelemente in einer Vielzahl improvisierter Kombinationen verwendet werden können, die ihnen neue Bedeutungen eingeben (Dick Hebdige). Das Denken hat hierbei handwerklichen Charakter: das Vorgefundene wird nach dem Prinzip das kann man immer noch brauchen (Lévi-Strauss) aufgehoben und eventuell neu kombiniert. Der Zweck der Mittel steht nicht vorneherein fest. Er ergibt sich daraus, dass der Bastler sie in einen neuen Zusammenhang stellt. 1



Will man mit Gewinn über Grundbegriffe und Hintergründe von Präsentationen nachdenken, so beginnen alle Reflexionen in der Küche. Irgendwann sieht sich jeder mit der Aufgabe konfrontiert vor anderen etwas präsentieren zu müssen, heißt es in so manchem Standardtext einzelner Präsentationsratgeber, vielleicht, weil man einen Vortrag halten müsse, weil man jemanden einen sündteuren Computer verkaufen wolle, weil eine Prüfung ins Haus stehe etc. Effektive Vorbereitungen seien da vonnöten, Hilfsmittel von Flipchart bis Multimedia überlebensnotwendig. Lesen Sie aufmerksam diesen Ratgeber, heißt es da, studieren Sie diesen mit Inbrunst, besser noch lernen Sie diesen auswendig, damit Sie die Situation souverän und professionell meistern können. Am besten: Besuchen Sie ein Seminar! Zahlen Sie für neue Erkenntnisse, deren Relevanz Sie schon an ihrem Preis ablesen können.
Die Anweisungen für den Koch 2, der für das leibliche Wohl sorgen soll, stehen im Vordergrund. Es kommt auf die Mischung der Zutaten an, auf die verwendeten Materialien, die scheibchenweise oder in Streifen, in Würfel, in große oder kleine Stücke geschnitten, gesalzen, mariniert, aromatisiert, gewürzt auf die richtigen Plätze gelegt werden müssen, bevor sie einer weiteren Verarbeitung unterzogen werden. Und offen bleibt dann immer noch die Frage, die, wie es scheint, nur ein Zen-Schüler beantworten kann: Wie kommt man weiter, wenn man am obersten Punkt eines dreißig Meter hohen Pfahls angelangt ist? Denn das ist wichtig in unserer Zeit, in der Optimierung als oberstes Ziel gilt, in der alles unter dem Aspekt der Wirtschaftlichkeit gesehen wird. 

Hier zeigt sich auch, dass unsere Kultur, wie Jean Dubuffet schon Anfang der 50iger Jahre anmerkte, ein Kleid sei, dass nicht mehr zu passen scheint. Dubuffet beobachtete ein Abrücken vom abendländischen Anthropozentrismus. Er spricht hier von einer Enthumanisierung, die da stattfindet, die er als Künstler aber damals noch positiv empfindet. Postmodernes Denken ziele, wie Welsch 3 sich auf Lyotard berufend ausführt, auf eine Überwindung der humanistischen Konzeption des Menschen. Der Ausdruck Postmoderne signalisiert hier unter anderem den Abschied vom modernen, menschenbezogenen Fortschrittskonzept bei einer gleichzeitigen Zuwendung zum Inhumanen. 

Wo bleibt da der Mensch, wenn sich die Welt auflöst in Bilanzen, Kennzahlen, Daten und Fakten, wenn sich alles nur noch um Geld dreht und käuflich ist, wenn alles verwandelt wird in tote Materie, wenn Wirtschaftswachstum als oberstes Ziel angesehen wird, wenn mindestens zwei, drei, vier und mehr Prozent als Notwendigkeit erkannt werden. Überträgt man diese Überlegungen analog auf den menschlichen Körper, wie Eugen Drewermann 4 dies ausführte, und gehe davon aus, irgend ein Organ müsse im Jahr mindestens zwei, drei, vier wenn nicht mehr Prozente wachsen, so bliebe diesem Menschen nur noch der Weg zum Onkologen und die Diagnose wäre wohl eindeutig. Wohin steuern wir mit so einem System? Welche Werte sind da noch übrig, welche weiteren Anweisungen erhält nun der Koch? 


Die Küche ist ein geordnetes Universum, ein geschlossenes System. Regeln müssen eingehalten werden, die ausgiebiges Studium voraussetzen. Rezepte eröffnen Möglichkeiten, wie dem Sprecher oder Schreiber die Kenntnisse der Redekunst.Theorie und Praxis antiker Rhetorik haben in der gesamten europäischen Bildungs- und Wissenschaftstradition ihre Spuren hinterlassen. Sie beeinflussen heute noch die Analyseverfahren moderner Textwissenschaften, Ästhetik und Poetik, Musik- und Kunstwissenschaften, Homiletik, Forensik, Kommunikations- und Medienwissenschaften. Die Allgegenwärtigkeit der Rhetorik ist unübersehbar und ein Erbteil unserer Geschichte, der die beginnende Neuzeit ebenso begünstigte, wie die Bedürfnisse einer sich zunehmend versprachlichenden Gesellschaft, in der Kommunikationsfähigkeit, Textproduktion und Textanalyse, d.h. die pragmatischen Aspekte der Redekunst immer wichtiger geworden sind. Die praktischen Bedürfnisse der Rhetorik stehen im Vordergrund in der Postmoderne, in der der Begriff Design wirklichkeitsbestimmend geworden ist. Und so sprechen wir in jeder Lebenslage von Design, vom Design einer Lehrveranstaltung, vom Seminardesign, Lebensdesign, Briefdesign, Baudesign, von Designermöbel, vom Präsentationsdesign usw. Vom Sein zum Design würde die polemisch aufgestellte Formel lauten. Pessimistisch könnten wir da ein Zurücktreten des Inhalts zugunsten seiner Form feststellen und dabei den Niedergang der westlichen Kultur festmachen. Modernes Denken hat sich seit Kant zunehmend auf die Einsicht zu bewegt, dass die Grundlagen dessen, was wir Wirklichkeit nennen, fiktionaler Natur seien, was eigentlich bedeutet, Wirklichkeit erweise sich immer mehr als nicht realistisch, sondern als ästhetisch konstituiert. Heißt das nicht im weitesten Sinne, Wirklichkeit sei von ihrer Präsentation abhängig, von einem kunstvollen von wem auch immer gewebten verhüllenden Schleier? In der Architektur ist das postmoderne Gebäude so konzipiert, dass es verschiedene Bevölkerungsschichten gleichzeitig ansprechen kann. Das geschieht über die Faktoren Form und Funktion. Eine engagierte Minderheit etwa kümmert sich um spezifisch architektonische Probleme, die breite Öffentlichkeit oder die Bewohner am Ort befassen sich mit Fragen des Komforts, der traditionellen Bauweise und ihrer Art in dem Gebäude zu leben etc. Eine solche Postmoderne schließt Modernes ein, geht aber darüber hinaus, wobei die postmoderne Formel nicht nur Funktion, sondern auch Fiktion heißt. Nicht mehr form follows function sondern form produces visions lautet das Credo der Gestaltung und erweist sich einmal mehr als Leerformel, als Methode des schönen Scheins, die es allen recht machen will, was selten gelingt.


Die Fähigkeit Denken in Sprache auszudrücken und auch zu kommunizieren, ist für jemanden, der sich in seinem Job durchsetzten will und sich in seiner Branche einen Namen machen will, unumgänglich. Sprache dient als Werkzeug, um Emotionen und Erkenntnisse zu transportieren. Aber wie kann ich, wenn ich Weizen bei mir habe, Gerste verkaufen, fragte schon der antike Philosoph Bion in einer Anekdote des Diogenes Laertios, als ihm von Athenern, die in Rhodos Rhetorik studierten, vorgehalten wurde, dass er Philosophie lehre. Der Weizen der Philosophie sei zweifellos das edlere Getreide, das der edleren Disziplin der Philosophie entspräche, die den Prinzipien der Redekunst weit überlegen sei. 5 Wortschatz und Redekunst machen allein nicht einen guten Vortrag aus. Dennoch gibt es einige wenige Regeln, die es zu beachten gilt, um standing ovations für einen Vortrag zu erhalten. Der Stoffsammlung (inventio) folgt die Gliederung (dispositio), wie der sprachliche Formulierung (elocutio) das Einprägen der Rede (memoria) folgt, bis schließlich der Vortrag (pronuntiation) selbst gehalten wird. Jedes Schulreferat folgt dieser Vorgangsweise, jede Präsentation ist davon beeinflusst. Durch Erkenntnisse der Psychologie und der Linguistik wissen wir, dass der Kommunikationsinhalt nur den geringsten Teil der positiven Wirkung einer Rede hat, etwa 7 Prozent, der Tonfall hingegen mache 38 Prozent aus, das Aussehen 55 Prozent. Genügt es da nicht überhaupt nur noch aufzutreten, ohne etwas zu sagen, ohne Folienapparaturen und elektronische Prothesen? Und blättert man in neueren Rhetorikratgebern, bestätigen sich diese Beobachtungen. Am besten ohne Folien, ohne elektronisches Brimborium, ohne Hilfsmittel einfach auf die Bühne ohne Laptop und reden Sie gefälligst! Gerade die Geschichte der Sophisten macht sichtbar, dass bloße Technik, ohne Bezug zum Menschen, losgelöst vom ethischen Bereich schnell zur Manipulation, zur Propaganda und zur Demagogie führt. Die Form beherrscht den Inhalt, der immer weiter zu Gunsten der Emotionalität zurücktritt. Daraus entwickelt sich eine Mischung aus Ideologie und Entertainment, die der Kulturpessimisten Neil Postman pauschalierend in der inhaltsleeren Sprechblasenwelt des Fernsehens auszumachen glaubt. Dabei amüsieren wir uns schon lange nicht mehr, hier irrt nämlich Postmann, vielmehr kommunizieren wir uns bald zu Tode – zumindest vor Langeweile!


Roh oder gekocht? Der strukturelle Gegensatz zwischen Natürlichkeit und Gesellschaftlichkeit weist auf den kulturellen Faktor Küche. Der Koch wird zum Repräsentanten der Zivilisation. Die Kochkunst selbst hat die Menschheit aus ihren primitiven Urzuständen befreit, inspiriert durch die Wirkung der Sonne und die Entdeckung des Feuers, mit dessen Hilfe die Menschen lernten Nahrung zuzubereiten durch Konzentration. So bewirkte auch die Elektrifizierung der Sprache 6 zahlreiche Veränderungen und Transformationen. Was geschrieben ist, steht nicht mehr nur geschrieben. Durch Variationen in den Bildschirmansichten, in den verschiedene Druckansichten eines Textes kann der Schreibende einen größeren Abstand zum Geschriebenen erreichen, der vor der Digitalisierung erst nach der Drucklegung möglich war. Auch wird das Geschriebenen bei der Bildschirmarbeit anders wahrgenommen als auf dem Papier, zeigen doch die meisten Monitore nur rund die lesbare Hälfte einer A4-Seite. Das Erfassen globaler Strukturen wird so erschwert, der lokale Zusammenhang aber verbessert. Die Verformbarkeit des Textes hat durch die damit verbundene Bequemlichkeit den stärksten Einfluss auf den Schreibenden hinterlassen hat, kurz, die Maschine erspart es einem, sich um das Mechanische des Schreibens zu kümmern. Der Weg vom Kopf in die Schriftform wird kürzer, direkter. Einfügungen und Anmerkungen sind kein Problem mehr. Das Gedruckte selbst wird als etwas Unfertiges empfunden. So verflüchtigt sich der alte Respekt vor dem Geschriebenen. Änderungen während des Basteln am Text bleiben spurlos und die so entstandene PC-spezifische Ergonomie begünstigt gewagte Inhalte, Geschwätzigkeit und Fantasie. Mögliche Korrektive verlieren sich ebenso, wie die Verantwortung für das Geschriebene. Diese Momente erscheinen jedoch nicht beunruhigend, denn das Internet als Publikationsort ist ein anarchistisches Medium, das den einzelnen fordert und sich gleichzeitig direkten Herrschaftseinflüssen entzieht. Fragen und Antworten nach möglichen Wahrheiten sind so nur noch individuell möglich.


Das äußere Erscheinungsbild des Textes mutiert zur Modeschau des Gedachten, des auf den Bildschirm Gebrachten. Einfache Ideen und Überlegungen glänzen aufpoliert und aufgebläht. Wirkliches Wissen jedoch ist kompliziert und passt nicht auf ein paar Folien oder in eine bunte Powerpoint-Präsentation. Zur Vermittlung sind Anstrengung und Aufmerksamkeit vonnöten und so manche Exel-Tortengrafik lenkt vom Eigentlichen ab. Ändern Sie auch manchmal den Text, weil er zu lang für die Grafik, für die Tabelle ist? Ersetzten sie auch manchmal den Begriff Komplexität durch den des Chaos, weil sie hier sechs Buchstaben weniger zu schreiben haben und der Satz nun in die Zeile passt? Um der Vielfalt wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Anforderungen gerecht zu werden muss der Inhalt genau verstanden werden, denn das Was bestimmt den Diskurs und nicht das Wie. Ist Ihnen auch aufgefallen, dass sich die Formen der Darstellungen äußerlich immer mehr gleichen, dass Typografie und Grafik bereits gleichgeschaltet sind durch einheitliche Anwenderprogramme, dass mögliche Vielfalt bereits verloren wurde? Natürlich lautet der Grundsatz für typographische Gestaltung noch immer – und nicht nur erst seit Jan Tschichold, jenem flammenden Vertreter des Elementarismus, der von der zeitlosen Eleganz der Antiqua-Schriften beeindruckt war – : Weniger ist mehr! Eine Schrift muss gut lesbar sein und Bilder und grafische Elemente wie Linien, Rahmen Zierleisten u.ä. dienen der Aufbereitung der Information, um diese mit dem geringsten Aufwand rezipieren zu können. Ein Schriftensalat verhindert den schnellen Fluss des Lesens. Auffällig ist dennoch die eklatante Ähnlichkeit der produzierten digitalen Schriftstücke und Präsentationen, die sich gerade im Design der Microsoft Office-Anwendungen spiegeln, hergestellt durch copy and paste. Hier hat sich tatsächlich eine weltweit einheitliche Benutzeroberfläche etabliert, maßgeschneidert für eine zukünftige Einheitsgesellschaft, für eine synthetische Monokultur. Die wohlbekannte Fehlermeldung aus der Windowswelt Systemfehler in Anwendung hat längst eine zusätzliche Interpretationsmöglichkeit erhalten, die weit über Maschinelles hinausgeht.


Unsere Zeit sammle viele Zeiten ein, heißt es spätestens seit Ende der 50iger Jahre als sich der Nebel der Postmoderne gesenkt hatte. Modernes scheint zwar seit damals nicht überwunden, aber die Denker am Puls der Zeit distanzierten sich von Fortschrittgläubigkeit und dem Hang nach immer Neuem. Dieses Streben sei automatisiert und etabliert, stellten sie lapidar fest. Prinzipiell sei aber doch alles offen, nichts fest umrissen. Es gäbe viele Stile, Möglichkeiten, die sich zur Vermischung eignen, zur Bricolage, zum Pasticco, zum Mischmasch aus dem Neues wie der Phoenix aus der Asche entstehen sollte. Allerdings erscheint alles beliebig, in dieser dunstigen Waschküche der Zeit, alles hat sich geändert, alles passiert simultan, wird schneller. Ein neuer Sozialtyp taucht auf, der Simultant 7, der alles gleichzeitig haben will, um so der eigenen Begrenztheit und der des Lebens zu entfliehen. Sein Zauberwort heißt Multitasking in der Non-Stop-Gesellschaft, in der das Immer, Sofort, Jetzt und Überall regiert, in der alles gleich wichtig erscheint. Da steigt die Fähigkeit zur Ignoranz.

Heute ist es die Frage nach der Legitimation, die den Arbeitnehmer unter Druck hält. In der schönen, neuen Arbeitswelt spiele der Mitarbeiter die Hauptrolle, heißt es. Human Recources werden als first Value eines Unternehmens angegeben. Das menschliche Kapital des Unternehmens gehöre gepflegt, gefördert und verwöhnt, hört man immer wieder und liest dies in verwegenen Management-Ratgebern. Die Wirklichkeit sieht anders aus. Das immer wieder geforderte Mehr an Selbstbestimmung erweist sich als Sackgasse, denn der ehemalige direkte Zwang zur Arbeit, der nun abgeschafft wurde, entpuppt sich als motivationstaktische Spielart, die den neuen Aggregatzustand sichtbar macht, den subtilen Zwang. Der nun selbständige Mitarbeiter, der zur Freiheit gezwungene, muss heute nicht nur allzeit bereit und flexibel sein, sondern darf auch das in ihn gesetzte Vertrauen nicht enttäuschen. Flexible Arbeitszeiten, keine unmittelbare Anwesenheitspflicht entwickeln sich zum Bumerang, denn wir haben keinen Stundenplan, wir haben Deadlines. Ein flexibler Mensch im Wandel ist der neue Mitarbeiter eines Unternehmens und der Wandlungswahn transformiert auch seinen Arbeitsplatz. Der Koch übt zu Hause. Er ist Heimwerker und produziert dort sein Mahl, das erst angerichtet Interessen weckt. Hier kommen ästhetische Kriterien zu tragen und die Frage, welches Ergebnis wohl das schönste sei? Wer hat seine eigene individuelle Homepage aus Familienfotos, wer hat das originellste flashgetriebene Willkommen, das feuerwerksgleich im Bild explodiert. Die in der Form des neuzeitlichen Heimwerkens erworbenen Kenntnisse werden problemlos in den Beruf übernommen und die Arbeiten mittels Laptop nach Hause geschleppt. Wird nun im Büro gelebt und zuhause gearbeitet? Wie geht es Ihnen, wenn Sie bei einer Präsentation sitzen? Erinnern Sie sich da manchmal wehmütig an vordigitale Diaabende. Nach wie vielen Dia kippte die Stimmung von wohlwollend sanft auf aggressiv?

Sprache zerrinne langsam, zerfalle allmählich, heißt es in dem mit Ein Brief überschriebenen Prosatext aus dem Jahre 1902. Der Briefsteller, Hugo von Hoffmansthal in der Maske des jungen Renaissanceschriftstellers Lord Chandos, teilt seinem Freund, dem Staatsmann und Philosophen Francis Bacon mit, dass sich mit Sprache keine Beziehung zur Wirklichkeit mehr herstellen  lasse. Sie versage in ihrer begrifflich ordnenden und durch Benennung ergreifenden Funktion. Gemachte Erfahrungen in der Außenwelt seien sprachlich nicht mehr fassbar. Sprache sei nur noch Chiffre und vermittle von Gegenständen losgelöste Bilder. Der semantische Ballast bis heute hat sich vervielfacht. Und in diesem Eldorado dehnbarer Worthülsen bleibt Gesagtes vage, eröffnet durch Offenheit viele Möglichkeiten zur Interpretation, denn eine Konzentration auf Wesentliches ist nicht gefragt. Verfolgen Sie nur die Karriere des Wortes Vision und die nicht enden wollende Begeisterung für hochtrabende Metaphern und marketingtechnisches Kauderwelsch. Verpackung statt Inhalt bestimmt die Palette der immer gleichen Worte: kreativ, flexibel, Benefit, Transparenz, Meeting und Briefing, Community, High-Performer, Involment, Leader, Empowerment, Commitment, Brainstorming, Mindmappingskizze, kreativer Input, Get-Together, Bestpractise, um nur einige zu nennen. Kann man diesen Begriffen noch eine präzise und verständliche Wortwahl entgegensetzen, wenn Präsentainment alles bestimmt? Ein perfekt gekochtes einfaches Gericht ist in der Regel den Produkten der so genannten Kunstköche überlegen, tönt es da aus der Küche.8

Wenn Sie nichts zu tun haben, warum gehen Sie nicht zu einer Besprechung? Besser noch, wenn Sie sich langweilen, warum fertigen Sie nicht eine Präsentation an? Ein Präsentation, die das von der Firmenleitung in Sie gesetzte Vertrauen rechtfertigt, Ihre Verantwortung demonstriert, Ihre Selbständigkeit beweist. Eine Präsentation, die durchgestylt erscheint und sprechen Sie ja nicht über wesentliche Tatsachen und Vorgänge, die Ihre Arbeit betreffen. Bleiben Sie positiv! Legen Sie eine Präsentation vor, die Ihre Arbeit ins rechte Licht rückt, zurecht biegt, die zeigt, wer Sie sind, wie aufwändig Sie arbeiten. Verwenden Sie dafür bewährte Worte: Seien Sie reißerisch, aufdringlich, schlagkräftig, nie um eine Antwort verlegen. Sortieren Sie alle Begriffe aus, die Substanz vermitteln, Eindeutigkeit haben, Verbindlichkeit zeigen, Klarheit und Festlegungen erzwingen. Präsentieren Sie mit Kraft und Kreativität. Lassen Sie Pfeile herumschwirren, Comic-Ferkel ins Bild torkeln, gifanimierte Engel Zungen vorstrecken. Beweisen Sie, dass Sie Ihr Honorar wert sind. Bedenken Sie, Mindmapping ist in, Diaprojektoren sind out, Folien nur noch mit Farbe akzeptiert, und Grafikkuchen müssen mit nachlässiger Eleganz ins Bild schweben. Dolby-surround ist Minimum und kleine Filmchen unumgänglich. Verwenden Sie die neueste Hard- und Software, halten Sie sich fern von elektronischem Sperrmüll. Seien Sie multimedial, beamen Sie mit einem speicherkräftigen Computer! Informieren Sie in Wort, Bild und Ton! Transparenz ist wichtig! Nur so gewinnen Sie den Kampf um die Aufmerksamkeit! Willkommen in der Informationsgesellschaft, am Laufband der Kommunikation.

Nachlässiges Literaturverzeichnis

Bernard Glassman und Rick Fields: Anweisungen für den Koch. Lebensentwurf eines Zen-Meisters. Hamburg: Hoffmann und Campe 1997

Judith Mair: Schluss mit lustig. Warum Leistung und Disziplin mehr bringen als emotionale Intelligenz, Teamgeist und Softskills. Franfurt/Main: Eichborn 2002

Kursbuch Jugendkultur. Stile, Szenen und Identitäten vor der Jahrtausendwende. Hrsg. von SPoKK. Mannheim: Bollmann 1997

Timothy Leary: Chaos & Cyber-Kultur. Solothurn: Nachtschatten 1997

Francesca Rigotti: Philosophie in der Küche. Kleine Kritik der kulinarischen Vernunft. München: Beck 2002

Gert Ueding: Rhetorik des Schreibens. Eine Einführung. Frankfurt/Main: Athenäum 1985

Richard Sennett: Der flexible Mensch. Die Kultur des neuen Kapitalismus. Berlin: Berlin 1998

Wolfgang Welsch: Ästhetisches Denken. Stuttgart Reclam 1990. (=Universal-Bibliothek Nr. 8681 [3])

Dieter E. Zimmer: Die Elektrifizierung der Sprache. Über Sprechen, Schreiben, Computer, Gehirne und Geist. Zürich: Haffmans 1991. (=Haffmans Taschenbuch 99)

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1 Christof Meueler: Pop und Bricolage. In: SPoKK(Hg.). Kursbuch Jugendkultur. Stile, Szenen und Identitäten vor der Jahrtausend-wende. Mannheim: Bollmann 1997. S.35

 

 

 

 

 

 

 

 

2 Eine mögliche Lösung dieses Problems präsentieren Bernard Glassman und Rick Fields: Anweisungen für den Koch. Lebensentwurf eines Zen-Meisters. Hamburg: Hoffmann und Campe 1997

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

3 Vgl. auch in der Folge Wolfgang Welsch: Ästhetisches Denken. Stuttgart: Reclam 1990. (=Universal-Bibliothek Nr. 8681 [3]) S.80ff

 

 

 

 

 

4 Vgl. Ö1-Essay 6.-27.9.2002 Wozu Krieg? Von Eugen Drewermann. Es liest der Autor.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

5 Vgl. dazu Francesca Rigotti: Philosophie in der Küche. Kleine Kritik der kulinarischen Vernunft. München: Beck 2002. S.92

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

6 Dieter E. Zimmer: Die Elektrifizierung der Sprache. Über Sprechen, Schreiben, Computer, Gehirn und Geist. Zürich: Haffmans 1991. (=Haffmans Taschenbuch 99) S.44

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

7 Vgl. Karlheinz A. Geißler: Der Simultant. In: Psychologie heute. 29. Jg.11 (2002) S.30-35

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

8 Vgl. Peter Kubelka: Der verlorene Gaumen. ORF-CD. Collection Diagonal 1999. Kubelka wurde 1980 zum Professor an der Staatlichen Kunsthochschule (Städlschule) in Frankfurt am Main ernannt. Sein Lehrstuhl für Film wurde umgewandelt in eine Klasse für Film und Kochen als Kunstgattung.

Vgl. dazu auch T.rex: I drive a rolls-royce, 'cause it's good for my voice