Publikationen - Rezensionen zu
Bildung und Migration - Monika Höglinger


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Monika Höglinger: Verschleierte Lebenswelten. Zur Bedeutung des Kopftuchs für muslimische Frauen. Ethnologische Studie.
Edition Roesner, Maria Enzersdorf ²2003. 146 Seiten, ISBN: 3-902300-03-5, Preis: 24,20 €



"Ich habe die Möglichkeit und die Macht, Mythen zu konstruieren, aber auch, sie zu dekonstruieren."
Monika Höglinger, S. 27

Das "islamische" Kopftuch - Ort kontroverser Gefühle und Phantasien: Wir empfinden Zorn wegen der (scheinbar) offen zur Schau getragenen Frauenunterdrückung. Wir empfinden Unbehagen wegen der Unergründlichkeit hinter der Verschleierung. Und wir empfinden neugierige Anziehung wegen des Stolzes, den wir aus den Augen der Frauen abzulesen meinen, die als einziges unter dem Schleier für uns sichtbar sind. Aber was empfinden die Betroffenen? Welche Beweggründe veranlassen muslimische Frauen und Mädchen, das Kopftuch zu tragen? Wie fühlen sie sich damit? Welche Faktoren beeinflussten diese Entscheidung?

Nach einer Einführung in den Islam im österreichischen Kontext präsentiert Monika Höglinger Lebensgeschichten, Entscheidungsprozesse und Selbstinterpretationen ihrer Interviewpartnerinnen, die sie im Anschluss in einen theoretischen Kontext stellt. Die Autorin führt uns vor Augen, wie gefangen wir sind in unseren Bewertungsschemata, ohne sich dabei selbst auszunehmen.

Offen bekennt sie sich zu ihren Vorurteilen, die sie letztlich dazu bewogen, keine Fragen zu beantworten, sondern Fragen zu stellen. Ihre Interviewpartnerinnen eröffnen uns dabei eine Welt von Sichtweisen und Erklärungen, von Gefühlen und Erfahrungen, die die Leserin zwingt, unbekannte Blickwinkel einzunehmen.

Dieses Buch zu lesen bedeutet, ständige innere Kämpfe zwischen einfachem Zuhören und Auflehnung gegen das Gesagte auf sich zu nehmen, sich mit der eigenen Voreingenommenheit auseinander zu setzen und einfach einmal zuzuhören. Zum Beispiel finden sich viele Frauen mit einem Kopftuch ausgesprochen schön. Manche besitzen - für jede Kleidung und jeden Anlass passend - eine Unzahl von Kopftüchern.

Der Entscheidung voran geht ein langer, schwieriger Prozess, der mit inneren, aber auch äußeren Widerständen und Widersprüchen verbunden ist. Leicht machen die Frauen es sich nicht. "Man lernt zunächst einmal", erzählt zum Beispiel Lale, die als kleines Mädchen aus Anatolien nach Österreich kam. "Man hat ein ästhetisches Bild eingeprägt, zum Beispiel, dass enge Kleidung schön ist, oder offene Haare. Und am Anfang kommt man sich ziemlich hässlich vor in weiten Kleidern und die Haare sieht man nicht. Aber mit der Zeit lernt man, dass das auch sehr schön ist. Und das ästhetische Bild im Kopf ändert sich. Und da habe ich gesehen, wie viel eintrainiert ist." (S. 75)

Nach dieser Phase des Reflektierens griffen die Frauen – einige bereits in sehr jungen Jahren – oft gegen den Willen ihrer Familie oder des Ehemannes zum Kopftuch. Sie haben diese Entscheidung selbstbestimmt und aus Überzeugung getroffen. Ihre Motive sind jedoch vielfältig.

Zum einen ist das Tragen des Kopftuches eine Reaktion auf die Forderungen der Mehrheitsgesellschaft, MigrantInnen hätten möglichst unauffällig aufzutreten – diese Frauen halten der Assimilationsforderung selbstbewusst das Kopftuch entgegen: "Wir sind anders. Und ihr habt das zu akzeptieren!"

Andere empfanden körperliche Übergriffe gegen sie als Frau derart belästigend, dass sie nun das Kopftuch als Schutzhülle gegen ein sexistisches Umfeld tragen. Auch religiöse Motive sind von Bedeutung: wenn ich Hilfe und Schutz von Gott erbitte, so muss ich auch eine Gegenleistung erbringen. Oder die Frauen fühlen sich in einem Ambiente des alltäglichen Schönheitswettbewerbs erst durch den Schleier als Mensch wahrgenommen. Nicht mehr ihr Aussehen ist nun entscheidend, sondern ihre Persönlichkeit weckt Interesse.

Aber haben diese Frauen nicht einfach eine patriarchale Logik internalisiert? Sind die Erklärungen der Frauen nicht schlicht Rechtfertigungsdiskurse, um sich als Akteurinnen ein Selbstwertgefühl zu erhalten? Die Erzählungen widersprechen dem vielfach. Frauen, die Kopftücher tragen sind keine einheitliche Masse von unterdrückten Musliminnen. Sie sind Frauen, die sich mit dem Leben auseinander setzen, über ihre Religion reflektieren und auf dieser Basis ihre Entscheidungen treffen. Allgemeingültige Antworten und Interpretationen gibt es keine. Viele Fragen bleiben offen. Und das ist gut so.

Denn die Irritationen, das Staunen, das die interviewten Frauen auslösen, führen zum neugierigen Blick hinter den Schleier, um noch mehr Fragen zu stellen, und sich derart irgendwann vielleicht einer Wahrheit anzunähern. Denn natürlich gibt es auch Mädchen und Frauen, die keinesfalls freiwillig das Kopftuch tragen – das zu verleugnen ist Höglingers Intention sicher nicht. Es gilt jedoch, das Kopftuch nicht als einheitliches Symbol wahrzunehmen, sondern sich mit den Frauen dahinter auseinander zu setzen, sie als Akteurinnen zu begreifen.

Für einen wichtigen Schritt in diese Richtung erhielt Monika Höglinger sehr verdient den Bruno Kreisky-Preis für das politische Buch 2003.

Zur Rezensentin:
Mag.a Karin Eckert, Kulturanthropologin, Schwerpunkt Gender Studies, Migration, Rassismen. Redakteurin der an.schläge.


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