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Publikationen - Rezensionen zu
Bildung und Migration - Merle Hummrich
Hummrich Merle: Bildungserfolg und Migration - Biographien junger Frauen in der Einwanderungsgesellschaft.
Leske und Budrich, Opladen 2002. 354 Seiten, ISBN 3-810 0-3429-0,Preis: 37,10 €
Thema des Buches, das die Dissertation der Autorin ist, ist die Subjektkonstruktion junger studierender Migrantinnen vor dem Hintergrund ihrer "Transformations- und Sozialisationserfahrungen". Transformation wird hier einerseits als "extern", im Sinne der Veränderung des materiellen bzw. gesellschaftlichen Status, andererseits als "intern" im Sinne der Veränderung von Handlungs- und Verhaltensstrategien einer Person verstanden.
Im Rahmen einer empirischen Studie wurden unter Rücksichtnahme auf das Konzept der so genannten "dreifachen Vergesellschaftung" durch die sozialstrukturierenden Kategorien Geschlecht, Ethnizität und Klasse die Biographien junger Migrantinnen rekonstruiert und ausgewertet. Hauptfragestellung dabei war, wie sich die Erfahrungen der bildungsorientierten Frauen der zweiten bis dritten MigrantInnengeneration auf die Konstruktion des eigenen Subjekts und damit auf die Möglichkeit auswirken, selbstbestimmt den eigenen Bildungsweg zu bestreiten. Die Erfahrungen bezogen sich auf ihren familiären und sozialen Hintergrund, die Migrationsgeschichte und (Bildungs-) Aspirationen der Eltern, den eigenen Migrantinnenstatus oder Erlebnisse in der Schule.
Die Autorin führte sechs biographische Interviews mit jungen studierenden Migrantinnen, deren Eltern aus verschiedenen Ländern und mit unterschiedlicher Motivation (Arbeitsmigration, Flucht) nach Deutschland gekommen waren. Die Interviews wurden nach den Verfahren der Objektiven Hermeneutik bzw. Biographieanalyse ausgewertet und in einer abschließenden Typologie drei Grundtypen der Transformation isoliert, die den Umgang und die Strategien der jungen Frauen in Bezug auf ihre Subjetkonstruktion und weitere Bildungsbiographie aufzeigen sollen.
Der erste Typ der Aktiven Transformation ist gekennzeichnet durch aktive Handlungsschemata als Folge einer schrittweise Individuierung im Laufe der Sozialisation bei gleichzeitiger Rückbeziehung auf den Herkunftskontext. Die Migrantinnen wählen ihren Bildungsweg selbst, greifen jedoch laufend auf Unterstützung ihrer Familien zurück und gestehen ihnen auch einen gewissen Einfluss ein. Der zweite Typus ist jener der Reproduktiven Transformation bzw. Transformativen Reproduktion. Die Bindungen an die Familie sind stark ebenso wie ihr Einfluss auf Leben und Studienwahl, es besteht ein grundlegender Widerspruch zwischen der Aufstiegsmotivation und den Bindungsansprüchen der Eltern. In diesem Spannungsfeld kann die interne Transformation nur schwer vollzogen werden. Der dritte Typus der Ambivalenten Transformation zeichnet sich durch ein hohes Maß an Offenheit gegenüber Transformation und Reproduktion, den eigenen und familiären Aspirationen und Strategien aus und wird vonseiten der Migrantinnen durch flexible und ambivalente Handlungsstrategien in einer gefühlten Zwischenstellung beantwortet.
Kurz sei hier auf einige der Hauptthemen der Erhebung, d.h. dominante Einflüsse auf die Migrantinnen in Bezug auf ihre Bildungsbiographien eingegangen. Wesentlich für die studentischen Laufbahnen ist vor allem die Motivation bzw. Unterstützung durch die Eltern, die ihre eigenen gescheiterten Aufstiegs- und Bildungsaspirationen an ihre Töchter weitergeben, wobei typisch "weibliche" Studienrichtungen wie Pädagogik oder Medizin dominieren und die Väter eine bestimmende wenn auch unterstützende Rolle einnehmen. Wesentlich ist hier hinsichtlich der freien Wahl des Studienfaches die Rolle älterer Schwestern, die entweder durch ihre eigene Geschichte den Weg für ein Studium der Befragten bereits geebnet haben, was die Entscheidungsfreiheit positiv beeinflusst, oder im Gegenteil im Studium gescheitert waren, infolgedessen auf der Jüngeren in demselben Fach ein starker Druck liegt. Alle Interviewten - und das ist wichtig in Bezug auf die Rezeption des Buches durch LehrerInnen - äußerten sich ambivalent bis negativ über die Rolle ihrer LehrerInnen in der Grund- bzw. Mittelschule. Bis auf wenige Ausnahmen standen die LehrerInnen dem Wunsch nach höherer Bildung der Migrantinnen negativ gegenüber, versuchten ihnen vom Studium abzuraten bzw. zu vermitteln, dass sie für dieses aufgrund ihres Migrationshintergrundes nicht geeignet wären. In dieser Hinsicht äußerten die Befragten die eindeutigsten Diskriminierungserfahrungen und den Eindruck, dass nach Ansicht vieler PädagogInnen die meisten MigrantInnenkinder noch immer in Haupt- oder Sonderschulen gehören. Auf diesbezügliche Erfahrungen der jungen Frauen an der Universität bzw. Erfolg im Studium allgemein wird bedauerlicherweise nur wenig eingegangen.
Die Tatsache, dass es sich bei vorliegendem Buch um die Publikation einer Dissertation handelt, die offensichtlich für die Veröffentlichung nur wenig abgeändert wurde, wirkt sich leider negativ auf die Lesbarkeit aus. So wird etwa die Methodologie sehr ausführlich erklärt und, meiner Meinung nach völlig überflüssig, die hermeneutische Auswertung genauestens dokumentiert und rekonstruiert. Interessante Aussagen bzw. Rückschlüsse werden infolge "totgeschrieben" und es ist schwierig, den Faden zu behalten. Erst im Zuge der Typenbildung bzw. Theorienreflexion ist die Darstellung knapp, exakt und interessant. Für LeserInnen, die keine einschlägige sozialwissenschaftliche Bildung haben, ist das Buch sowohl aufgrund der verwendeten Fachsprache, als auch wegen erwähnter Struktur der Darstellung wenig zu empfehlen. Für PädagogInnen könnten die Abschnitte über den (negativen) Einfluss der LehrerInnen auf die Interviewten bzw. einige theoretische Überlegungen zu Bildungserfolg von Migrantinnen und sozialer Ungleichheit an Schulen interessant sein.
Zur Rezensentin:
Mag.a Ruth Krcmar ist als Tochter tschechischer EmigrantInnen in Wien aufgewachsen. Sie studierte Soziologie mit Schwerpunkt Migration. Studienaufenthalten in Kanada und Tschechien. Lebt derzeit in Prag, wo sie an einer Kulturinstitution arbeitet.
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