Die Wiener Stephanskirche ist das Herz von Wien
Im Jahr 1137 im Zusammenwirken zwischen dem Babenbergermarkgraf Leopold IV. und dem Passauer Bischof Reginmar durch den Vertrag von Mautern begründet, wurde die erste romanische Kirche im Jahr 1147 geweiht. Im 13. Jahrhundert von Grund auf umgestaltet, wurde der zweite, spätromanische Bau von St. Stephan im Jahr 1263 wiederum feierlich geweiht. Einige Jahre danach, um 1267 , gründete der damalige Pfarrer bei St. Stephan, Magister Gerhard, die bis auf den heutigen Tag bestehende Priestergemeinschaft der Cur.
Der Besucher, der die Kirche von Westen her, durch das aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts stammende Riesentor betritt, sieht sich zuerst dem "Hausherrn" gegenüber, - dem in der Mandorla thronenden Christus. Im Kircheninnern entfaltet sich klar und eindringlich das gewachsene Konzept von St. Stephan. Der älteste Teil, die Westwand, mit der altehrwürdigen romanischen Westempore, blieb durch die Jahrhunderte hindurch nahezu unverändert erhalten. Die Kirche aber wuchs und veränderte sich.
Zu Beginn des 14. Jahrhunderts wurde der gotische Neubau von St. Stephan mit der Errichtung einer weiten, lichten, dreischiffigen Chorhalle begonnen. Als Auftraggeber trat in besonderer Weise das Wiener Bürgertum hervor, welches den Fortgang des Baues mit Legaten, frommen Stiftungen und Testamenten unterstützte. Am 23. April 1340 wurde der vollendete Chor durch den Passauer Bischof Albert, zu dessen Diözesangebiet Wien damals noch gehörte, feierlich eingeweiht. Jede der drei Chorhallen hat ihre eigene Bestimmung, die sich in den Altären, im Figurenschmuck, früher auch in den Fenstern, verdeutlichte: so wurde der Mittelchor dem hl. Stephanus als Kirchenpatron und allen Heiligen, der Nordchor der Muttergottes und der Südchor den zwölf Aposteln zugedacht.
Im Jahr 1359 legte der junge Habsburgerherzog Rudolf IV., der Stifter, in der Nähe des heutigen hohen Südturmes, den Grundstein zur gotischen Erweiterung "seiner" Kirche, an welcher er mit Datum vom 16. März 1365 in einem komplizierten Gründungsvorgang ein von Passau unabhängiges Kollegiatkapitel mit einem gefürsteten Propst an der Spitze, mit 24 Kanonikern und 26 Kaplänen errichtete, eine wichtige Vorstufe des späteren Bistums. Damals wandelte sich St. Stephan von der einfachen Pfarrkirche des Bistums Passau zur Kollegiatkirche.
In den folgenden hundert Jahren ging das Baugeschehen bei
St. Stephan langsam, aber stetig voran: beginnend von Westen, mit je zwei Doppelkapellen zu beiden Seiten des romanischen Westbaues, wuchsen um das alte romanische Langhaus die gotischen Mauern empor, unterbrochen von den beiden Langhausportalen (Singer- und Bischofstor); 1433 war der hohe Turm vollendet, ab 1440 wurde, noch vor Einwölbung des dreischiffigen Raumes, der mächtige Dachstuhl aus Lärchenholz geschaffen. Die Pfeiler des Langhauses mit ihren in Dreiergrup-pen angeordneten Baldachinnischen wurden zu Trägern eines reichen Bildprogrammes: Die Bürger Wiens stifteten Heiligenfiguren in ihre Kirche hinein und machten sie so zu einem Ort der Katechese und der Erbauung.
Auf dem Regensburger Bauhüttentag von 1459 wurde die Wiener Dombauhütte als die bedeutendste im südöstlichen Mitteleuropa bezeichnet.
Im Jahr 1450 , in der Regierungszeit Kaiser Friedrichs III., erfolgte die Grundsteinlegung zum Bau des Nordturmes,
der aber nicht mehr vollendet wurde.
Im Jahre 1511 wurden die Arbeiten eingestellt, die große Idee mittelalterlichen Bauens war zu Ende.
So waren um die Mitte des 15. Jahrhunderts alle Voraussetzungen geschaffen, die einen Bischofssitz bedingten. Als nun im Jahr 1469 das Bistum Wien errichtet wurde, wandelte sich die zu dieser Zeit bereits prächtig ausgebaute Kollegiatkirche zur Bischofskirche. Dieses Ereignis hat auch Spuren hinterlassen: Gegen Ende des 15. Jahrhunderts (1476-87 wurde durch den Bildschnitzer und Leiter der Passionsspiele Wilhelm Rollinger das spätgotische Chorgestühl geschaffen, ebenfalls 1476 wurde mit der Arbeit an dem vierzehneckigen Taufbecken aus rotem Salzburger Marmor begonnen; eine neue steinerne Kanzel löste den alten Predigstuhl ab, ein Orgelfuß aus der Hand Meister Pilgrams rundete 1513 das Bild.
Das 16. und 17. Jahrhundert war geprägt durch Türkennot und Religionskämpfe im Zuge der Reformation. Nach der Wiederherstellung des - in der damaligen Denkweise - "rechten Glaubens" in den österreichischen Ländern entfaltete sich die habsburgische "Pietas Austriaca" auch in der barocken Ausstattung von St. Stephan, das zu Beginn des 18. Jahrhunderts ( 1722 ) Erzbistum geworden war.
Das Barock zog gleichsam in zwei Wellen in die Kirche ein: am 19. Mai 1647 wurde der von Johann Jakob und Tobias Pock geschaffene neue, dem hl. Stephanus gewidmete Hochaltar geweiht, ab dem Jahr 1700 wurden, ausgehend vom alten Frauen- und Josephsaltar, die Altäre des Langhauses feinfühlig an die Langhauspfeiler angepaßt. Zu Ende des 17. Jahrhunderts kamen in zwei großen marianischen Triumphzügen zwei Gnadenbilder in die Kirche: 1693 das heute am östlichsten linken Pfeileraltar befindliche Bild "Maria in der Sonne" und 1697 die heute unter dem Südwestbaldachin aufgestellte, durch ein Tränenwunder ausgezeichnete Ikone "Maria Pötsch".
Die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts war zunehmend erfüllt vom Gedankengut der Aufklärung, in deren Gefolge die Geschichte als entscheindende Instanz neben die Religion trat. Für St. Stephan, dessen Baukörper, in der Barockzeit vernachlässigt, mit dem Beginn des 19. Jahrhunderts seine großen Schäden kaum mehr verbergen konnte, begann nun eine Epoche der Erneuerung durch Sicherung der Bausubstanz in denkmalpflegerisch hervorragender Weise.
Es ist der unbestrittene Verdienst der Dombaumeister dieses Jahrhunderts, allen voran Friedrich von Schmidts, die sich, trotz wiederholter Projekte mit dem Ziel der Stilreinheit, schließlich ganz den Bedürfnissen des Domes unterordneten.
In einem Vortrag bekannte sich Dombaumeister Schmidt dann auch ausdrücklich zur "Konservierung all dessen, was künstlerische Bedeutung hat, als ein Dokument, als ein aufgeschlagenes Buch der Geschichte, das wir verpflichtet sind, unseren Nachkommen unverändert zu überliefern".
So hatte der Stephansdom als steinerner Zeuge des Unvergänglichen durch über 800 Jahre hinweg allen Widrigkeiten getrotzt, hatte Feuersbrünste, Türkenbelagerungen und Franzosenkriege überstanden.
Doch in den letzten Wochen des zweiten Weltkrieges, zwischen dem 11. und 13. April 1945 blieb auch St. Stephan nicht mehr verschont vor der Wut der Vernichtung.
Einheimische Plünderer legten Feuer in den gegenüber
der Westfassade befindlichen Geschäften, ein ungünstiger Wind trieb den Funkenflug über das Dach und setzte
den eingerüsteten Nordturm in Brand.
Nun nahm die Katastrophe ihren Lauf: Dachstuhl, Pummerin und Riesenorgel wurden ein Raub der Flammen. Eine einbrechende Stützmauer durchschlug das Gewölbe des südlichen Seitenchores, das in den Dom eindringende Feuer zerstörte Chorgestühl und Chororgel, Kaiseroratorium und Lettnerkreuz.
Der Dom schien verloren. Doch die Entscheidung der Wienerinnen und Wiener fiel für den Dom. Unmittelbar nach Kriegsende begann das Wunder des Wiederaufbaues. Die Menschen, die selbst nichts besaßen, machten es durch tätige Mithilfe, wie auch durch private Zuwendungen möglich, daß nur drei Jahre danach, am 19. Dezember 1948 , das Langhaus und weitere vier Jahre später, am 23. April 1952 , der ganze Dom feierlich wiedereröffnet werden konnte.
So ist St. Stephan heute Haus Gottes, Zeuge des Glaubens, darüber hinaus aber auch ein eindrucksvolles Zeugnis der Liebe der Menschen dieser Stadt zu ihrer Hauptkirche. |