Christa Kern
 
  "Auf zur Jagd" (Beitrag zum Litertrupreiswettbewerb von Interfemme 2003) 

Meine Hormone spielen verrückt. Schon beim Erwachen spüre ich: „Das ist mein Tag!“
Ein Blick in den Spiegel: Die Gesichtszüge sind entspannt. Weiche Linien sind sichtbar, an nicht so guten Tagen würde ich sie vielleicht als Falten bezeichnen. Meine Augen strahlen. Ein liebevolles Lächeln umspielt meinen Mund. Ich berühre mit meinen Fingerspitzen die Haut, streiche darüber. Sie fühlt sich an, wie Samt.
Beim Auftragen der Tagescreme massiere ich sie zärtlich.
Mit dem Kajal noch schnell die Konturen der Augen nachgezogen, Wimpertusche aufgetragen, nun noch etwas Rouge – fertig.
Auch meine Haare sind heute besonders schön. Nicht gestylt, aber auch nicht struppig, man könnte vielleicht sagen, etwas verwegen ...
Ob das heute mein Tag wird? Es wird mein Tag werden! Ich fühle es!

Beim Blick in den Kasten macht sich ein kleines Problem bemerkbar. Was ziehe ich an? Wie viele Frauen sich in diesem Moment wohl die selbe Frage stellen?
Ziehe ich den Minirock an, bei dem meine gebräunte Haut so richtig zur Geltung kommt und meine Beine noch schlanker wirken? Aber was dazu?
Das hautenge, weiße, kurze T-Shirt? Oder nehme ich doch lieber das schwarze?
Vielleicht sollte ich die Dreiviertel-Hose anziehen?
Oder doch besser das dunkelgrüne lange Trägerkleid?

Heute ist es wieder mal besonders schwer. Schließlich entscheide ich mich doch für den weißen Minirock und das schwarze T-Shirt.
Nun noch die Unterwäsche. Schwarzer BH und weißes Höschen.
Ein kurzer, prüfender Blick in den Spiegel: Alles zu meiner Zufriedenheit.
Noch ein wenig Parfum, und ich bin salonfähig.

Geschmeidig bewege ich mich aus meiner Wohnung, aus dem Haus.
Schon bei der Haltestelle der Straßenbahn spüre ich die bewundernden Blicke der Umstehenden. Es sind nicht nur Männer, nein, auch Frauen drehen sich nach mir um.
Was für ein Tag!

Kurz lasse ich meinen Blick über die Wartenden schweifen. Nichts dabei!
Auf einer Seite steht der dunkle, jüngere Mann mit seiner Gel-Frisur. Irgendwie sieht er komisch aus damit, aber ansonsten wirkt er ganz nett. Er trägt einen Ring, von dem man nicht sagen kann, ob es ein Ehe- oder Modering ist. Aber ein Mann mit einem Modering?
Nein! Der nicht.
Neben ihm steht ein älterer Fettleibiger mit wuscheligen, blonden Haaren, die an der Seite wuchern und abstehen – dafür fehlen sie oben fast ganz.
Nein! Schnell weg mit den unangenehmen Gedanken.
Eine kleine dicke Frau steht neben ihm, mit eng anliegenden Leggings und einem zu kurzes T-Shirt, bei dem man genau sieht, wie ihr Fett vergeblich versucht, sich Platz zu machen. Naja, jedem das Seine.
Daneben stehen zwei junge Mädchen, sehr süß gekleidet mit Hüfthosen und Top, bloß bei dem Mädchen mit den langen, dunklen Haaren hängt zwischen Top und Hose ein kleines Bäuchlein heraus.
Also, ich würde ihr ein längeres Top empfehlen, aber es geht mich ja nichts an. Sie unterhalten sich angeregt und gut hörbar für die Umstehenden über ihre letzten Liebhaber.
Auf der anderen Seite steht ein älterer Mann mit Brille und Halbglatze. Sein lüsterner, gieriger Blick lässt mich erschauern. Ekel macht sich in mir breit. Aber nicht weiter darüber nachdenken.
Der Tag hat ja erst begonnen.
*
Auch beim Einsteigen in die Straßenbahn genieße ich die bewundernden Blicke.

Gelassen schlendere ich zu einem Platz, der frei ist. Heute werde ich nicht lesen wie sonst. Heute werde ich meine Umgebung beobachten, damit ich den Mann meiner Träume nicht vielleicht durch Unachtsamkeit übersehe.
Ja, heute habe ich so ein Gefühl ...

Es befinden sich viele Menschen in der Straßenbahn, hauptsächlich Schüler, nur wenige Erwachsene.
Da ist die Frau mit dem kleinen Mädchen, das sie jeden Tag in den Kindergarten bringt.
Etwas weiter vorne sitzen ein Mann und eine Frau. Es hat den Anschein, als würden sie zusammengehören. Nach kurzem habe ich Gewissheit. Sie streiten sich.
Die Frau mit ihrem strähnigen, fetten, halblangem Haar, bei dem der dunkle Nachwuchs der blonden Färbung bereits fünf Zentimeter beträgt, und das noch Reste einer Dauerwelle erkennen lässt, redet auf den Mann neben ihr ein.
Ihr schmieriges Trägerleibchen, das bestimmt schon schönere Tage erlebt hat, gibt die große Tätowierung am linken Arm Preis. Der viel zu kurze Rock, legt ihre unschönen Oberschenkel frei.
Ihr Begleiter ist mit Trainingshose und Leibchen bekleidet. Sein großer Umfang lässt auf zu viel Bier schließen. Mein Blick schweift weiter, aber ich sehe niemanden mehr, der interessant scheint, da der Waggon durch die Schüler zu voll ist.
*
Auch beim Umsteigen am Schottentor sind zu viele Menschen und ich kann mich auf niemanden konzentrieren. Alle laufen blindlings hin und her, ohne zu schauen, sodass ich meine ganze Aufmerksamkeit aufs Durchkommen richte.
Aber der Tag ist ja noch lang.
*
Endlich beim Bus angekommen, hoffe ich, dass mein „Stammplatz“ leer sein möge. Und – er ist es! Hier habe ich es wieder leichter mit dem Überblick. Es befinden sind zwar auch hier viele Leute, aber man sieht doch ein wenig.

Neben einer elegant gekleideten Frau steht ein Mann mittleren Alters, der gerade versucht, sie in ein seiner Meinung nach wohl interessantes Gespräch zu verwickeln. Ihrem müden Lächeln sieht man aber an, dass er sie langweilt.
Und da ist auch wieder der elegant gekleidete ältere Herr, der mich jeden Morgen mit seinem durchdringenden Blick mustert.
Was will er nur von mir? Ich mag das nicht. Immer starrt er mich so an! Heute werde ich seinen Blick erwidern!

Siegessicher blicke ich ihn an. Na?! Damit hast du wohl nicht gerechnet mein Freund. Innerlich lache ich und spüre, wie ein Lächeln auch über mein Gesicht huscht, als er meinem Blick nicht stand hält und sich verunsichert wegdreht.
Jetzt merkst du wohl, wie das ist! Wie unangenehm es sein kann, von jemandem so aufdringlich angestarrt zu werden!

Mein Blick schweift weiter und bleibt an einem jungen, großen und schlanken Mann hängen. Er sieht interessant aus.
Jetzt kann das Spiel beginnen! Bist du vielleicht schüchtern? Ich schaue zu ihm hin, aber sofort wieder weg, wenn er hersieht.
Langsam leert sich der Bus. Hinsehen und wegsehen gefällt mir und ich betreibe es, bis ich an meinem Ziel ankomme und aussteigen muss.

Der Tag ist noch jung und ich fühle mich wohl!
*
Von den Männern die an meinem Arbeitsplatz sind, kommt keiner in Frage. Sie sind größtenteils Langweiler, ob verheiratet oder nicht. So richtig trockene Schreibtisch-Typen. Nichts für mich! Ich brauche Leben um mich!
Bis mittags bin ich ganz versunken in meine Arbeit und mache mir keine weiteren Gedanken.
*
Dann, in einem Lokal, in das meine Kollegen und ich zweimal die Woche essen gehen, wandert mein Blick wieder durch die Runde.
Bereit zu flirten, sollte ich ein „Opfer“ finden.
Am Nebentisch sitzen drei Männer. Der eine dünn mit Schnurrbart, der zweite raucht wie ein Schlot. Eine Gänsehaut breitet sich bei dem Gedanken aus, ihn zu küssen, das wäre ja als wenn ich einen Aschenbecher ausschlecken würde und der dritte – oh mein Gott, bevor ich den nehme ...
Ich unterbreche meinen Gedankenfluss.
Am nächsten Tisch sitzen zwei Frauen und zwei Männer. Sie könnten Arbeitskollegen sein oder Pärchen. Na ja, egal! Denn bei näherer Betrachtung stelle ich fest, nichts für mich; die haben sich gesucht und gefunden.
Und so schweift mein Blick von einem Tisch zum anderen und immer wieder gibt es etwas an den Männern auszusetzen. Sei es, dass sie nicht mein Typ, oder unattraktiv sind, unappetitlich oder sonst etwas.
Mein Gott, was würden diese Leute von mir denken, könnten sie meine Gedanken lesen? Würden sie mich als oberflächlich einstufen?
Na ja eigentlich bin ich bei der Betrachtung der Menschen die mir begegnen im Moment oberflächlich, denn bei mir lief gerade das für jede Frau, für jeden Mann vorgesehenes Aussortierungsprogramm, Frau / Man(n) paart sich schließlich nicht mit jedem / jeder. Ich wende mich wieder der Speisekarte zu. Langsam wird mir klar, es wird nicht ganz so einfach werden.
Aber ... der Tag ist noch lang und meine Ansprüche noch sehr hoch.
*
Der Nachmittag gestaltet sich wie der Vormittag, eher langweilig. Nicht, weil ich zu wenig Arbeit habe, nein, es ist die Routine, die mich lähmt. Aber bald werde ich dieses ganze Theater hier hinter mir lassen und ein anderes Leben beginnen.

Endlich ist es 17:00! Schnell noch ein paar Kleinigkeiten erledigen, und dann raus hier.
Schlendernd überquere ich den Stephansplatz, und bin mir bewundernden Blicke der Menschen wieder bewusst.
Ja, heute ist mein Tag! Ich spüre es!

Die Sonne scheint mir ins Gesicht. Ich hole die Sonnenbrille aus meiner Tasche. Plötzlich werde ich von der Seite her angesprochen: „Sie sind eine sehr schöne Frau.“ Ich sehe hoch und mein Blick verfängt sich in ein schönes Paar blaue Augen. Ich spüre wie mir die Gesichtsröte hochsteigt. Da höre ich wie jemand einen Männernamen ruft, worauf er sofort reagiert und einer schlanken Brünetten zuwinkt. Schade denke ich während ich die Sonnenbrille aufsetze, und meinen Weg fortsetze. Nun betone ich meinen Schritt, durch bewusstes schwingen meiner Hüften, noch mehr.

Und abermals wandert mein Blick herum.
Von einem, der zu dick ist, zu einem mit Vollbart, und der nächste fällt sowieso nicht in die Kategorie, die man ein zweites Mal ansieht.
Da endlich sehe ich ein „Opfer!“
Er ist groß, schlank, gut gekleidet, tolle Frisur, alles was sich ein Frauenherz so vorstellt. Doch je näher er kommt, desto mehr verwandelt sich der vermeintliche Prinz in einen Frosch. Man sieht ihm an, dass er sehr genau weiß, wie er auf Frauen wirkt. Igitt!

Der Nächste den ich sehe, hat Turnschuhe zu einer schönen Hose an, und einer kommt in dunkler, kurzer Hose daher und seine weißen Füße stechen hervor wie Straßenrandbegrenzungen im Winter.

Da sitzt einer im Gastgarten eines Restaurants, schaut nicht schlecht aus, doch als ich ihm beim Essen zusehe, vergeht mir der Appetit auf ihn.

Der da, der gerade in meinen Blickwinkel kommt, macht ganz auf frisch verheiratet. Seine Frau redet auf ihn ein und er stimmt ihr zu, hält aber bereits Ausschau nach anderen Frauen.

Hier ein Pärchen, das verliebt auf der Bank sitzt und sich tief in die Augen schaut, dort
ein zweites, das händchenhaltend dahinschlendert, lassen mich ein leichtes Ziehen in meiner Brust spüren, doch mein Blick schweift weiter.

An vielen der sogenannten Herren, die mit 30 schon wie 60 aussehen, die mit Bügelfalten in ihren Hosen und dunkelblauem Doppelreiher, natürlich mit goldfarbenen Knöpfen besetzt, gehe ich vorbei. Sie wirken wie richtige Spießer!

Als ich beim Schottentor ankomme, steige ich erschöpft in die Straßenbahn. Der Zauber ist verloren gegangen.
Kein Gedanke mehr an so etwas wie Jagd. Keine Sorge mehr, den Abend allein verbringen zu müssen. Im Gegenteil, es macht mir nichts mehr aus! Ich bin sogar froh darüber. Denn wenn ich daran denke, was mir heute begegnet ist.....

Zu Hause angekommen, lasse ich den Tag noch einmal Revue passieren. Müde, und ein wenig ausgelaugt gehe ich ins Bad und betrachte mein Gesicht im Spiegel. Mein Lächeln, welches jetzt schon ein wenig maskenhaft wirkt, hellt sich plötzlich wieder auf.

Heute ist mir etwas klar geworden, nämlich:
Das Beste für mich ist, allein zu bleiben. Ich fasse den Entschluss, mich ganz auf mein Selbst zu konzentrieren.
Wie heißt es so schön? „Selbst ist die Frau“
Dieser Vorsatz wird wohl bis zu meinem nächsten Eisprung halten.
Denn, wenn dann meine Hormone wieder anfangen, verrückt zu spielen, werde ich wieder dieses Gefühl, auf die Jagd zu gehen in mir spüren, und werde vergessen haben, was ich heute gesehen und erlebt habe.

 
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