Ludwig Zehetner

Bairisches Deutsch.

Lexikon der deutschen Sprache in Altbayern.

Regensburg, edition vulpes 2005, 488 S., € 29.-, ISBN 3-9807028-7-1

 

Für den Freund bairischer Mundart und süddeutscher Sprache ist diese neu überarbeitete Lizenzausgabe des gleichnamigen, 1997 (1) erschienenen Werkes ein Grund zu großer Freude, liegt doch dieses Wörterbuch jetzt in einer erweiterten und auf den neuesten Stand gebrachten Fassung vor. Ich hatte schon die Ehre, die erste Auflage zu rezensieren (2); zur neuen Ausgabe ist zunächst festzustellen, dass gegenüber der alten insgesamt ca. 2500 Ergänzungen eingearbeitet worden sind und sich die Zahl der Stichwörter um ca. 300 vermehrt hat, was schon an der Vermehrung der Anzahl der Seiten (488 gegenüber 392) erkennbar ist. Doch es wäre ungerecht, nur dies hervorzuheben, auch sonst gibt es Erweiterungen, so ist das Umkehrwörterbuch vollkommen neu erstellt worden, ganz neu ist ein Leitfaden zur bairischen Grammatik (Grammatik-Wegweiser). Die Neuerungen bzw. Erweiterungen werden weiter unten anhand des Buchstaben N aufgezeigt.

In den Vorbemerkungen beschreibt der Verfasser (3) ein wenig die Entstehungsgeschichte des Buches und die weitere Entwicklung, mit Zitaten aus Rezensionen. Auf S. 8 stellt er die berechtigte Frage „Ist es sinnvoll, dieses Lexikon der deutschen Sprache in Altbayern erneut auf den Markt zu bringen?“, um sie mit einem klaren „Ja“ zu beantworten, dies erscheint ihm notwendiger als vor zehn Jahren, zumal der Fortbestand der altbayerischen Varietät der deutschen Sprache gefährdeter denn je sei – ich sehe dies auch so, auch in Bezug auf das österreichische Deutsch. So schrieb ich in einer Besprechung zu einem Buch über das österreichische Deutsch (4): „Die Umgangssprachen im deutschen Sprachraum ändern sich derzeit massiv. In Österreich ist vor allem das Eindringen norddeutscher Sprachgewohnheiten zu beobachten, …(5). Ist es in (Alt-) Bayern anders? Eben nicht, und dies stellt Vf. deutlich fest, betroffen sei nicht nur der Dialekt, sondern auch die süddeutsche Hochsprache. Das bairische und österreichische Hochdeutsch ist in der Tat gefährdet, nicht wegen der „Vereinnahmung“ durch die nördlichen Nachbarn (wie man dies in Österreich gerne sieht) oder deren „Stärke“, sondern durch das Sprachverhalten vieler Bayern und Österreicher selbst. Offensichtlich wird die regionale Sprache als minderwertig(er) angesehen, und was davon abweicht, wird für „richtiger, besser“ gehalten (6). Das Zurückdrängen der Mundart aus dem öffentlichen Leben fördert dann das Überhandnehmen der binnen-/norddeutsch geprägten Standardsprache (bzw. das, was man dafür hält (7). All dies zeigt, wie notwendig es ist, dass Bücher vorliegen, die den regionalen, der Heimat angemessenen Sprachgebrauch aufzeigen und so zum Erhalt der Vielfalt der deutschen Sprache beitragen, denn es geht ja nicht darum, das „andere“ Deutsch zu verdrängen, sondern es als gleichberechtigten Partner zu sehen, wie man dies für die eigene Varietät ebenfalls einfordert.

Das Umkehrwörterbuch (S. 397-479) erschließt den bairischen Wortschatz für Jedermann – „als Lernangebot für alle, die nicht mehr wissen, wie es in Altbayern heißt (oder geheißen hat) – oder noch nicht wissen, wie es heißen kann, darf – und soll“ (S. 397), also eine Art Standarddeutsch-Bairisches Wörterbuch (8), bestens durchdacht. Unbezeichnet sind verkehrssprachliche Wörter, die zwar nicht immer typisch bairisch, aber doch in Bayern üblich sind (z.B. Kahn, Scheune statt Zille u. Schifferl bzw. Stadel u. Schupfen), mit einem hochgestellten römischen Einser ( I ) bezeichnete Wörter sind Grenzfälle (z.B. -chen, kosen statt -lein usw. bzw. schmusen –  üblich, aber ohne dialektale Deckung), mit II gekennzeichnete Einträge gehören eindeutig nicht zum bairischen Bestand (z.B. Sahne, Schornstein, Schnürsenkel, kucken statt Rahm, Kamin/Rauchfang, Schuhband, schauen, weiters einige Aussprache- und grammatikalische Besonderheiten), mit III gekennzeichnete Wörter sind fremd bzw. werden oft nicht richtig verstanden (z.B. Feim(en) ‘Heuschober’), darunter auch viele österreichische Wörter, die dann den Zusatz ö erhalten (z.B. Obers, Beiried statt Rahm, Roastbeef). Sprachgeographisch sind einige der Austriazismen eher für den Osten Österreichs typisch (z.B. törisch ‘schwerhörig’, Obers s.o.), der Westen geht oft mit Bayern – zumindest teilweise – konform (torert, Rahm) (9). Viele Wörter sind es ja nicht, einige sind neu gegenüber der 1. Auflage, z.B. ballestern ‘kicken, bolzen’,  Stelze ‘Schweinshaxe’.

Um den Unterschied zur ersten Fassung aufzuzeigen, erfolgte eine vergleichende Durchsicht des Buchstaben N. Neu aufgenommen wurden Nachschweibe (ma.) ‘Umtrunk usw.’, nacht(en) (ma. †) ‘gestern’, Nadelkissen ‘kl. Polster zur Aufbewahrung von Nadeln’, Nagelwurz ‘Nagelansatz an Finger und Zehen’, Nauferg(er) ‘Fährmann, Flößer’, Neger (uspr.) ‘Mischgetränk mit Cola’, netter (ma. †) ‘nur, bloß’, Nickel (†) ‘Münze von geringem Wert’, nieder ‘niedrig’, Niete(n) ‘Los ohne Gewinn; Versager’, Nietenhosen (†) ‘Jeans’, Nilla (ein Name), no zu [notsúo] (ma.) ‘nur zu, nur weiter’, nuckeln ‘saugen’.

Neue Varianten z. B.: nàmmeln neben nàmeln (ma.) ‘mit Schimpf- oder Spottnamen belegen, lästern’, Nasenspitzl, -tröpferl, neiden, Nibelúngen (Betonung), nicht (mit Hinweis auf doppelte Verneinung), niederhocken, Nirschl/Nirscherl (neben Nüeschl zu Nusch, ma. Nuosch), Nórdamerika (Betonung), Notari (†) ‘Notar’, nótgedrungen (Betonung), nudeldick, Nut.

Im (den gesamten bairischen Wortschatz erschließenden) Umkehrwörterbuch sind neu: na klar II, nach (bei Ortsangaben, z.B. nach München, ma. auf Minga usw.), nach und nach, nachbleiben III (Schule) ‘zurück-, sitzen bleiben’, (Uhr) ‘nachgehen’, Nachkomme ‘Fechser’, Nachmíttag II (Betonung, in Bayern u. Österreich Náchmittag oder Nachmittág), Nachtkästchen I, nachtrauern, nachts ‘bei der Nacht’, nackt, Nadelstreuäste ‘(ma.) Daxen’,  Näherin, nanu, naschhaft, Nasenschleim, nennen/genannt ‘(ma.) gnennt’, Nerven verlieren ‘ausrasten’, neulich, zu neunen II ‘zu neunt’, …ng (am Wortende im Bairischen ohne -k), nichtig, sich niederlassen, niederträchtig, niedrig, niemand, nieseln, Nieselpriem III, nieseln, Niete, nippen, nirgends, nobel, Nordhang ‘Winterleiten’, notgedrúngen (Betonung, in Bayern u. Österreich nótgedrungen), nötig sein, nötigen, Notiz (in Bayern u. Österreich mit kurzem i), notwéndig/Notwéndigkeit (in Bayern u. Österreich Betonung nót-), nur zu!, nuscheln, Nuss/Nüsse (in Bayern u. Österreich ma. Plural Nussen), Nute II, nütze II, nützlich. – Hiebei handelt sich in manchen Fällen nur um Details oder es werden ergänzende Hinweise gebracht.

Diese Beispiele zeigen, wie das Wörterbuch gewachsen ist. Es sollte in keiner Bibliothek fehlen und es möge dazu beitragen, dass die sprachlichen Verhältnisse im Großraum München, die Bernhard Stör beschrieben hat (10), sich nicht auf den ganzen Freistaat ausdehnen. Dies ist dem ausgezeichneten Buch und seinem Vf. aus ganzem Herzen zu wünschen!

Dem Verlag edition vulpes ist zu danken, dass er ganze Reihe sprachlicher Bavarica herausgebracht hat, insgesamt 6 Bände der Reihe Regensburger Dialektforum, herausgegeben von Rupert Hochholzer und Ludwig Zehetner, darunter als Band 5 die Festschrift zum 65. Geburtstag für den Verfasser des vorliegenden Buches Bairisches Deutsch, Ludwig Zehetner, hg. v. Albrecht Greule / Rupert Hochholzer / Alfred Wildfeuer: Die bairische Sprache. Studien zu ihrer Geographie, Grammatik, Lexik und Pragmatik (24 Beiträge, 407 S.).

 

© Heinz Dieter Pohl, Universität Klagenfurt

 

Abkürzungen: ma. = mundartlich, uspr. = umgangssprachlich, † = veraltet

(1)      in München, beim Verlag Hugendubel (1998 erschien eine leicht überarbeitete 2. Auflage ohne Veränderung des Seitenumbruches). 

(2)      im Rundbrief (des Fördervereines Bairische Sprache und Dialekte) Nr. 24, S. 9-15, gemeinsam mit der 38. Auflage des „Österreichischen Wörterbuches“ (Wien 1997); inzwischen ist von diesem die 39. Auflage erschienen.

(3)      im Folgenden „Vf.“

(4)      Robert Sedlaczek, Das österreichische Deutsch, siehe oben

(5)      vorgesehen in: Klagenfurter Beiträge zur Sprachwissenschaft 31 (2005), derzeit im Internet siehe oben

(6)      mir wurde berichtet, dass österreichische Übersetzer/innen (in Österreich!) angehalten werden, binnendeutsche Ausdrucksweisen zu bevorzugen, wie z.B. die e-Mail bzw. SMS statt – wie in Österreich sonst eher üblich – das, weiters Januar statt Jänner (fehlt bemerkenswerter Weise im Buch, der Feber ist aber als „veraltet“ auf S. 23 angeführt), Treppe statt Stiege (im Buch auf S. 328 u. 476) usw. – Dazu s.a. Jutta RANSMAYR.

(7)      was man im eher „norddeutsch“ geprägten bundesdeutschen Fernsehen zu hören bekommt, ist ja nicht unbedingt in jeder Hinsicht als „Standard“ zu bezeichnen…

(8)      so etwas wäre auch für Österreich von Nöten! (s.o. Anm. 6).

(9)      allerdings ist der Hinweis ö manchmal ungenau, z.B. Ass, Schas ist nur für Wien und Kärnten typisch, sonst hat es keine mundartliche Deckung (z.B. Tirol Schoas, Oaß). Mit dem Buch an sich hat das wenig zu tun

(10)   mit seinen „Kassandrarufen“, wie dies Zehetner auf S. 9 feststellt, die auf die fortschreitende Standardisierung der Umgangssprache bzw. die „BRDigung“ des Bairischen (wie Stör sarkastisch feststellt) aufmerksam machen sollen.

 

Diese Rezension ist erschienen in: Klagenfurter Beiträge zur Sprach­wissenschaft, Jg. 31-32 (2005-2006), S. 179-182.

 

Zurück