Österreichisches
Deutsch
(Auszüge
aus den Artikeln Nr. 152,170, 180, 198, 298, 457, 358, 364, 367, 391, 392 im
Schriftenverzeichnis http://members.chello.at/heinz.pohl/SchriftenVerzeichnis.htm )
© H.D. Pohl, zuletzt bearbeitet und ergänzt am 10.12.2018.
Zu einer neuen Broschüre
des BMUKK
Ein zusammenfassender Artikel (in pdf) zum österreichischen Deutsch (aus
KBS [Schriftenverzeichnis Nr. 358])
Zum Begriff Muttersprache
Überlegungen zur österreichischen
Identität
Kritik an einem Zeitungsartikel zum österreichischen
Deutsch: „Piefkinesisch“
Zum Vergleich (und einige allgemeine Bemerkungen): Serbokroatisch / BKS
Zum Einfluss des Englischen
Allgemeines zum österreichischen Deutsch
Unter „österreichischem Deutsch“ kann man alle Sprachgewohnheiten innerhalb
der Grenzen Österreichs verstehen − unbeschadet des Umstandes, um welche
Sprachebene es sich handelt und unbeschadet des Umstandes, dass ein Teil dieser
Sprachgewohnheiten auch in Bayern bzw. Süddeutschland anzutreffen ist. Der
Begriff „österreichisches Deutsch“ umfasst demnach auch alle Mundarten
Österreichs.
Der für Österreich charakteristische Wortschatz bzw. die „Austriazismen“
lassen sich (nach P. Wiesinger
2006, 414 bzw. 2014, 17f.
u. 55f. sowie 497f.) in 6 Punkte zusammenfassen:
1.
Oberdeutscher
Wortschatz, der Österreich, die Schweiz und Süddeutschland (also Bayern und
Baden-Württemberg) gegenüber Mittel- und Norddeutschland verbindet;
2.
bairisch-österreichischer
Wortschatz, der Österreich und Altbayern verbindet;
3.
spezifisch-österreichischer
Wortschatz als Verwaltungs- und Verkehrswortschatz;
4.
ostösterreichischer
Wortschatz;
5.
regionaler
österreichischer Wortschatz;
6.
Wortschatz mit
zusätzlichen spezifischen Bedeutungen, der verbreitungsmäßig einer der
vorgenannten Gruppen zugehört.
Beispiele dazu aus dem
Bereich Lebensmittel und Gastronomie:
1. Eierschwammerl, Erdäpfel, Gugelhupf, Knödel, Schlögel, Weichseln;
2. Geselchtes, Grammeln, Ribisel, Semmel, Topfen;
3. Beiried, Buschenschank, Faschiertes, Heuriger, Jause, Lungenraten, Marillen;
4. Obers, Paradeiser, Powidl, Vogerlsalat;
5. Schübling (eine Wurstsorte, Vorarlberg), Strankerl
‘Fisolen’ (Kärnten), Potitze (eine
Mehlspeise, Kärnten und Steiermark), Klobasse
(eine Brühwurst, v.a. im Osten und Süden);
6. Krapfen (für Teigtaschen, v.a. Tirol), Nudeln
(gefüllte Teigtaschen, v.a. Kärnten), Stelze
(stattdessen in Bayern Schweinshachse,
sonst Eisbein; gemeindeutsch ist die
Bedeutung ‘Holzstütze für die Beine’), Krügel
(nicht nur ‘kleiner Krug’ sondern auch ‘Halbliter Bier’).
Die Gruppen 1 und 2 bilden „unspezifische“ österreichische Varianten, da
sie auch außerhalb Österreichs vorkommen, hingegen bilden die Gruppen 3-5
„spezifische“ österreichische Varianten, dazu kommt noch ein Teil der Gruppe 6.
Das österreichische Deutsch weist keine Einheitlichkeit auf, sondern ist
umgekehrt als Resultat bzw.
Summe der zwar unterschiedlich verbreiteten, aber insgesamt für Österreich
charakteristischen sprachlichen Erscheinungen zu sehen, die man eben als „Austriazismen“ bezeichnet (in einem ähnlichen Sinne auch Jakob EBNER). Diese lassen sich auf etwa
7-8000 berechnen (oder ca. 3% von insgesamt über 220.000 Worteinträgen in den
großen deutschen Wörterbüchern). Wirklich spürbar ist dies allerdings nur in
spezifisch auf österreichische Verhältnisse bezogenen Texten wie z.B.
juristische Kommentare oder Kochbücher.
Dies alles lässt sich nun verschieden beurteilen. In der
österreichischen Sprachwissenschaft haben sich hier mehrere – wie ich das
nennen möchte – Denkschulen herausgebildet. Zwar besteht bezüglich der arealen
Vielfalt des Deutschen in der Fachwelt bis zu einem gewissen Grad Konsens und
dieser ist dadurch geprägt, dass die deutsche Sprache in verschiedenen Staaten
gesprochen wird und somit mehreren Nationen bzw. staatlichen Gemeinschaften als
Kommunikationsmittel dient. Darüber hinaus stimmen die politischen Grenzen
zwischen den einzelnen deutschsprachigen Ländern nicht mit den Arealen der
Großdialekte überein, daher ergeben sich für das Deutsche zunächst drei
Einteilungskriterien: ein „plurinationales“ nach den Nationen („mindestens trinational“), ein „pluriareales“ nach den Hauptmundarten und ein „plurizentrisches“ nach den Zentren der einzelnen
Staaten (bis hinunter zu den Verwaltungszentren der einzelnen Länder).
Allerdings vermengen die meisten Vertreter des plurizentrischen Ansatzes diesen
mit dem plurinationalen oder setzen beide gar gleich. Dies trifft v.a. auf den
österreichischen Germanisten Rudolf Muhr
zu, der eine „österreichische Varietät“ der „deutschländischen“ gegenüberstellt
und dabei einer Auseinandersetzung mit der österreichischen und
bundesdeutschen sprachlichen inneren Gliederung weitestgehend aus dem Wege geht.
Eine Kombination des pluriarealen mit dem plurizentrischen Konzept hingegen
(von mir bevorzugt) unterstreicht einerseits die österreichischen
Besonderheiten und andererseits die zahlreichen Gemeinsamkeiten mit dem ganzen
süddeutschen bzw. altbayerischen Sprachraum; beide sind nicht isoliert zu
sehen, sondern erst deren Summe macht das aus, was man „österreichisches
Deutsch“ nennen kann. Daher sehe ich das österreichische Deutsch als eine
historisch durch Eigenstaatlichkeit erwachsene nationale Varietät auf Grund des
plurizentrischen bzw. pluriarealen Standpunkts, da weder das österreichische
noch das bundesdeutsche Deutsch als homogen zu betrachten sind, vielmehr bin
ich der Ansicht, dass die areale Gliederung, wie sie für die BR Deutschland im
großen besteht, sich im kleinen in Österreich fortsetzt, wobei unbestritten
bleibt, dass manche Erscheinungen nur auf österreichischem Boden vorkommen,
diese aber nur selten im ganzen Bundesgebiet (gilt v.a. für die Gruppen 4 u. 5
nach Peter WIESINGER). Näheres siehe weiter unter „Zur Sprachgeographie“.
Was sind nun
„Austriazismen“? Wie kann man sie weiter klassifizieren?
(A) staatsräumliche Austriazismen: v.a. Verwaltungs-,
Rechts- und Mediensprache wie z.B. Landesgericht (vs. Landgericht),
Bezirksgericht (vs. Amtsgericht), Landeshauptmann (vs. Ministerpräsident),
Katastralgemeinde, Landesrat (vs. „Minister“ [eines Bundeslandes
in der BRD]), Erlagschein (vs. Zahlkarte), Tischler (vs. Schreiner,
so auch in Vorarlberg), Jause (vs. Brotzeit), weiters Kundmachung,
Wachzimmer, Matura (vs. Abitur), Ruhensbestimmungen,
Vorrang (vs. Vorfahrt) usw. – diese Wörter „enden“ an der
Staatsgrenze, es ist gerechtfertigt hier von „einem stark staatsräumlich
bestimmten Bereich“ zu sprechen, daher auch der von mir gewählte Terminus. Dazu
kommt noch der von Wien ausgehende gesellschaftsgebundene Verkehrswortschatz
wie z.B. Energieferien (umgangssprachlich für „Schulsemesterferien“),
oder Allfälliges (statt binnendeutsch Verschiedenes auf der
Tagesordnung) sowie Produktbezeichnungen (z.B. Obers-/Apfelkren, Heuriger,
Sturm, Most) und einige Berufstitel (z.B. Primarius) usw.
(B) süddeutsche
Austriazismen: der österreichische Wortschatz auf
Grund der Zugehörigkeit des Landes zum süddeutschen Sprachraum) wie z.B. Bub
(vs. Junge), heuer (vs. dieses Jahr), kehren (vs. fegen),
Maut „Zoll“, Brösel „Paniermehl“ usw.
(C) bairische
Austriazismen: der mit (Alt-) Bayern gemeinsame
Wortschatz des größten Teils von Österreichs auf Grund der Zugehörigkeit beider
Länder zum bairischen Großdialekt, z.B. Kren (vs. Meerrettich), Scherzel,
Einbrenn(e) usw., auch in der Alltagskultur, wie viele Speisen beweisen:
Beuge(r)l, Blaukraut, Blunzen, Bries, Brösel, Dampfl, Einbrenn(e), Erdäpfel-
(Kartoffel-) püree, -fleck (in Kuttelfleck usw.), Geröstete („Bratkartoffeln“),
Geselchtes, Gugelhupf, Häuptel (-salat), Hendl, -junge (in Hühner-,
Enten- usw. statt -klein), Kipfe(r)l, Kletzen, Knödel, Krapfen,
Kraut(-kopf, -wickel), Kutteln, Leberknödel, -käse, Laib (Brot),
Marmelade, Nockerl, Orange, (der) Petersil, Porree, Radi, Rahm, Rindsbraten,
Ripperl, rote Rübe, Sauerkraut, Scherzel, Schweinsbraten, Schmarren,
Schwammerl, Semmel, Sur (-fleisch, -braten), Tafelspitz, Tellerfleisch,
Truthahn, Wecken (Brot), Weißwurst, Wurzelwerk, Zipf (z.B. Polsterzipf
„mit Marmelade gefülltes Gebäck“) usw. − Den tiefgreifenden
Gemeinsamkeiten zwischen dem bayerischen und österreichischen Bairischen stehen
allerdings auch Unterschiede gegenüber, z.B. (Bavarismus /
Austriazismus): Schweishaxe(n) / -stelze, Hackbraten / Faschierter Braten,
Feldsalat / Rapunzel oder Vogerlsalat, Fleischpf(l)anzel /
Fleischlaibchen, Reiberdatschi / Kartoffelpuffer, Obatzter / (abgemachter
Topfenkäse ähnlich wie z.B. Liptauer o.ä), gelbe Rübe / Karotte
oder Möhre, Radieserl / Radieschen. Doch solche Unterschiede gibt
es auch innerhalb Österreichs, z.B. (Tirol) Fleischkäse, (sonst
meist) Leberkäse oder Karotte neben Möhre und (gelbe)
Rübe, (Westösterr.) Lüngerl, (der/die) Sellerie /
(Ostösterr.) Beuschel, (der) Zeller, (Kärnten) Strankerl /
(sonst meist) Fisole usw.
(D)
regionale Austriazismen (Untergruppen zu A/B/C):
ost-/west-/südösterreichische Besonderheiten und solche einzelner Bundesländer,
z.B. großräumig (Ost) Obers, Nachtmahl vs. (West/Süd) Rahm
bzw. (West) Abend- / Nachtessen, kleinräumig z.B. Strankerl „Fisole,
grüne Bohne“ (Kärnten) oder Fraktion „Gemeindeteil“ (v.a. Tirol) oder Hotter
„Gemeindegrenze“ (Burgenland).
Daher sollte bei jeder Beschreibung des
österreichischen Deutsch der Punkt (A) im Mittelpunkt stehen sowie
juridisch Relevantes aus (D), alles übrige ist mehr von
folkloristischer/mundartkundlicher (usw.) Bedeutung. Eine gute Übersicht finden
Sie unter http://www.das-oesterreichische-deutsch.at/ (den Abschnitt „Wortschatz und Grammatik“ anklicken). Eine Liste der
gängigen Küchenausdrücke finden Sie unter http://members.chello.at/heinz.pohl/KuecheDeutschOesterr.htm.
Worin und wie
unterscheidet sich das „österreichische“ Deutsch vom „deutschländischen“
Deutsch?
(A) Auf Ebene des Standards (bis auf einige Aussprachegewohnheiten und
lexikalische Besonderheiten) kaum.
(B) Auf Ebene der täglichen Verkehrs- und Umgangssprache wenig
vom süddeutschen Raum, stärker vom binnen-bzw.
norddeutschen.
(C) Auf Ebene der Verwaltungs- und Rechtssprache sowie in der Gastronomie
erheblich.
(D) Auf Ebene der Wirtschafts- und (Print-) Mediensprache mehr oder
weniger erheblich, abhängig von
den Themen der Berichterstattung, international weniger, im Lokalteil
mehr.
(E) Auf Ebene von Rundfunk und Fernsehen kaum − abgesehen
von bestimmten Nachrichtenthemen (wie D) und von landes- bzw.
regionalspezifischen Sendungen (wie F).
(F) Auf Ebene der Alltagskultur wenig vom süddeutschen
Raum, stark vom binnen- und norddeutschen.
(G) Auf Ebene der Mundarten überhaupt nicht (d.h. fließend entlang der
Staatsgrenze).
(H) Auf Grund des pragmatischen Sprachverhaltens stark.
(I) Auf Ebene der Schulsprache nach Bundesländern verschieden mehr oder
weniger stark, doch hier bestehen
auch deutliche Unterschiede zu Bayern.
Zur Terminologie:
„Austriazismus“ und „Helvetismus“ sind klar, „Teutonismus“
und/oder „Deutschlandismus“ aber unscharf. Wie die Rep. Österreich (West-/Ost-
und Ost-/Südost-Gefälle) ist auch die BR Deutschland sprachlich in sich
gegliedert (Nord-/Süd- und West-/Ost-Gefälle). Weder „binnendeutsch“ noch die
„Teutonismen“ in ihrer Gesamtheit erfassen die ganze BR Deutschland, „bundesdeutsch“
aber ist zumindest die Rechts- und Verwaltungsterminologie und sollte daher auf
dieser Ebene der entsprechenden „österreichischen“ (und ggf. „schweizerischen“)
gegenübergestellt werden. Überall sonst sind die Grenzen fließend.
„Bundesdeutsch“ ist also für die Rechts- und
Verwaltungssprache klar verwendbar (im Sinne von C, das wären also dann
die „Deutschlandismen“ im konkreten Sinn des Wortes). „Binnendeutsch“ ist
hingegen ein rein sprachgeographischer Begriff; „Teutonismus“ als unscharfer
Begriff, der noch dazu bei Nicht-Fachleuten falsche Vorstellungen erwecken
könnte, sollte tunlichst vermieden werden (wenn er auch in der Fachliteratur
vorkommt).
Zur Geschichte:
Bis ins 18. Jahrhundert war in den habsburgischen
Territorien sowie im katholischen Süddeutschland die „Oberdeutsche
Schreibsprache“ vorherrschend. Zunächst stand man in Österreich – wie
überhaupt im deutschen Süden (v.a. in Bayern und in der Schweiz) – der auf
ostmitteldeutscher Grundlage beruhenden (noch dazu „protestantischen“)
deutschen Schriftsprache eher ablehnend gegenüber und es kam darüber in den österreichischen Kronländern zu einem heftigen Gelehrtenstreit. Zu dieser Zeit erforschte Johann Siegmund Popowitsch die Unterschiede
zwischen dem in den Österreichischen Erblanden und anderen Teilen des „Heiligen
Römischen Reichs deutscher Nation“ gesprochenen und geschriebenen Deutsch. Er
stammte aus der Untersteiermark und war von 1753 bis 1766 Professor für
Deutsche Sprache an der Universität Wien und stand dem die deutsche Sprache
nach dem Meißnischen Sprachgebrauch
normierenden Gottsched ablehnend gegenüber. Bei seinem Tod 1774
hinterließ Popowitsch einen umfangreichen Zettelkasten, aus dem das erste
österreichisch-deutsche Wörterbuch hervorgehen hätte sollen: Vocabula
Austriaca et Stiriaca (Nach der
Abschrift von Anton Wasserthal herausgegeben und eingeleitet von R. Reutner.
2 Teile, Frankfurt a.M. u.a. 2004). Zu seinen Lebzeiten erschienen sind u.a. Die
nothwendigsten Anfangsgründe der teutschen Sprachkunst, zum Gebrauche der
oesterreichischen Schulen ausgefertigt (Wien 1754).
Doch in Österreich
erkannte man bald, dass ein oberdeutscher Sonderweg keine Zukunft hat und mit Einführung der allgemeinen Schulpflicht (1774 unter Maria Theresia und
Joseph II.) wurde auch in Österreich das Gottschedsche Deutsch als offizieller
Standard festgelegt (in der Verwaltung verbindlich ab 1780). Zur Zeit Maria
Theresias und Josephs II. trat der österreichische Aufklärer, Verwaltungsreformer,
Schriftsteller und Professor für politische Wissenschaften an der Universität
Wien, Joseph von Sonnenfels (1732-1817), für die Vereinheitlichung der Sprache
ein. Er befürwortete auch die Reduktion der Sprachenvielfalt in der Verwaltung
des vielsprachigen Habsburgerreichs und verfasste 1784, als Joseph II. die
deutsche Sprache als allgemeine Amtssprache durchsetzen wollte, das Lehrbuch Über
den Geschäftsstil: die ersten Grundlinien für angehende österreichische
Kanzleybeamten, das bis 1848 das Standardwerk an den österreichischen
Universitäten (insbesondere an den juridischen Fakultäten) war. Erklärtes Ziel dieses Lehrbuchs war, die
Sprache der Verwaltung so zu normieren, dass sie überall im Vielvölkerstaat
einheitlich verwendet werden konnte. Dabei stand weniger eine einheitliche
deutsche Standardsprache im Vordergrund, vielmehr war die allgemeine
Verständlichkeit des Sprachgebrauchs der staatlichen Verwaltung sein Anliegen.
Somit bedeutete sein Lehrbuch den Beginn der Entstehung einer österreichischen
Standardvarietät der deutschen Sprache. Durch die gemeinsame Verwaltung
des Vielvölkerstaates und den dadurch bedingten kulturellen Austausch im
Kaisertum Österreich und (ab 1867) in der Doppelmonarchie Österreich-Ungarn
sind zahlreiche Lehnwörter aus dem Tschechischen, Ungarischen, Italienischen,
Slowenischen, Kroatischen, Serbischen usw. ins österreichische Deutsch gelangt.
Zur Sprachgeographie:
Die Eingebundenheit
Österreichs in den ganzen deutschen Sprachraum unterstreichen auch die Daten
des Wortatlas der deutschen
Umgangssprachen (von Jürgen EICHHOFF, Bd. 1-2 Francke Verlag Bern-München
1977-1978, Bd. 3-4 K.G. Saur Verlag, München-Bern 1993-2000). Von insgesamt 266 kartographisch dargestellten
sprachlichen Erscheinungen ist rund ein Drittel (oder 94) in Bezug auf
Österreich irrelevant, da es sich bei diesem zwar um
(überwiegend) im süddeutschen Raum vorkommendes Sprachmaterial
handelt, dieses aber auch anderswo üblich ist, jedoch nicht
im gesamten deutschen Sprachgebiet. Exklusiv österreichisch
sind insgesamt 71 Erscheinungen, davon sind 39 (mehr oder weniger) in
ganz Österreich und 32 weitere nur im Osten und/oder Südosten üblich (also
nicht in ganz Österreich). In 49 Fällen stimmt Österreich nur mit Bayern
überein, in 55 weiteren Fällen mit dem gesamten süddeutschen Raum. Immerhin
unterscheidet sich Österreich in 7 Fällen vom Freistaat Bayern und stimmt dabei
mit anderen Regionen überein. Die beiden größten Gruppen sind also die
süddeutsche und die erstgenannte mit jenen 94 sprachlichen Erscheinungen,
die über den süddeutschen Raum deutlich hinausgehen. Manche Karten mussten
doppelt gezählt werden, da dort zwei (oder mehr) "österreichische"
Wörter genannt sind, von denen eines und mitunter auch beide (und mehr)
unterschiedlich innerhalb und außerhalb Österreichs verteilt sind. Zum Vergleich:
exklusiv schweizerisch sind 80 erhobene Daten (gegenüber 71 österreichische),
davon sind nicht alle in der ganzen Schweiz üblich (analog zu Österreich);
unter diesen Helvetismen sind über 30 % mundartlich (unter den erhobenen
Austriazismen sind Dialektismen eher gering). Die ehemalige DDR schlägt sich in
nur 8 Wörtern nieder.
Seit 2003 besteht der Atlas zur deutschen Alltagssprache im Internet mit
zahlreichen Karten (Näheres unter http://www.atlas-alltagssprache.de/).
„Was
den Österreicher vom Deutschen trennt, ist die gemeinsame Sprache.“
Weit
verbreitete und häufig kolportierte Ansicht in Österreich, die vielfach Karl Kraus zugeschrieben wird, aber auf Karl
Farkas zurückgeht, der George
Bernhard Shaws Ausspruch „England and America are
two countries divided by a common language“ auf
Österreich und Deutschland umgemünzt und nachweislich in seinen
Kabarett-Programmen verwendet hat (vgl. Sedlaczek
2004:17 [s.u.])
Wie weit das österreichische Deutsch durch Sprachkontakt
geprägt ist, siehe unter:
http://members.chello.at/heinz.pohl/Sprachkontakt.htm
Unten geht’s weiter, zunächst einige
wichtige Bücher zum Thema:
Variantenwörterbuch des Deutschen.
Die Standardsprache in Österreich, der Schweiz
und Deutschland sowie in Liechtenstein, Luxemburg, Ostbelgien und Südtirol. Von
Ammon, Ulrich / Bickel, Hans / Ebner, Jakob / Esterhammer,
Ruth / Gasser, Markus / Hofer, Lorenz / Kellermeier-Rehbein, Birte / Löffler, Heinrich / Mangott,
Doris / Moser, Hans / Schläpfer, Robert / Schloßmacher, Michael / Schmidlin, Regula / Vallaster, Günter (unter Mitarb. v. Kyvelos,
Rhea / Nyffenegger, Regula / Oehler, Thomas). Berlin − New York, de
Gruyter 2004, LXXV, 954 S., ISBN 978-3-11-016575-3, € 68,-
Jutta RANSMAYR, Der Status des Österreichischen Deutsch an
nicht-deutschsprachigen Universitäten. Eine empirische Untersuchung. Frankfurt
am Main, Peter Lang 2006, 326 S., ISBN 978-3-361-55242-1, € 58,10
(Österreichisches Deutsch – Sprache der Gegenwart, hg. v. R. Muhr u. R.
Schrodt,
Bd. 8)
Robert Sedlaczek,
Das österreichische Deutsch (Wie wir uns von unserem großen Nachbarn
unterscheiden). Ein illustriertes Handbuch. Wien, Ueberreuter
2004, 496 S., 150 farbige Abbildungen, ISBN:
978-3-8000-7075-6
€ 34,95 (im Internet unter: www.das-oesterreichische-deutsch.at)
Robert Sedlaczek,
Wörterbuch der Alltagssprache Österreichs. In Zusammenarbeit mit Melita Sedlaczek.
Innsbruck-Wien, Haymon Taschenbuch (haymon
tb73), Innsbruck-Wien 2011.
ISBN 978-3-85218-873-7, € 12,95
Ludwig Zehetner,
Bairisches Deutsch. Lexikon der deutschen
Sprache in Altbayern. Regensburg, edition vulpes 2005, 488 S., ISBN 3-9807028-7-1, € 29,00
Jakob Ebner, DUDEN – Wie sagt
man in Österreich? Wörterbuch des österreichischen Deutsch. 4., neu bearbeitete
Auflage. Mannheim - Wien -
Zürich, Dudenverlag 2009, 480 S., ISBN: 978-3-411-04984-4, € 15,40 [3. Auflage 1998, 382 S. (Duden-Taschenbücher Band 8); 1969 erstmals
erschienen].
(Rezension
der Neuauflage folgt hier)
Herbert Fussy, Auf gut
Österreichisch. Wien, öbv&hpt 2003, 144 S., ISBN
978-3-209-04348-1, € 12,90.
Ioan Lăzărescu − Hermann Scheuringer, Limba germană din
Austria. Un dicţionar German-Român / Österreichisches Deutsch. Ein
deutsch-rumänisches Wörterbuch. Bucureşti,
Editura Niculescu 2007 – Passau, Karl Stutz 2007, ISBN 973-3-88849-982-1,
978-973-748-180-1
Heidemarie Markhardt, Das
österreichische Deutsch im Rahmen der EU. Frankfurt am Main, Peter Lang 2005,
376 S., ISBN 3-361-53084-6, € 56,50 (Österreichisches Deutsch – Sprache der
Gegenwart, hg. v. R. Muhr u. R. Schrodt, Bd. 3)
Heidemarie Markhardt,
Wörterbuch der österreichischen Rechts-, Wirtschafts- und Verwaltungsterminologie.
Frankfurt am Main, Peter Lang 2006, 134 S., ISBN 978-3-361-55247-6, € 28,30
(Österreichisches Deutsch − Sprache der Gegenwart, hg. v. R. Muhr u. R.
Schrodt, Bd. 7)
Rezension
zu beiden Werken in KBS
Bd. 33 (2007 [2009]
Rudolf Muhr − Manfred
B. Sellner (Hg.), Zehn Jahre Forschung zum Österreichischen
Deutsch: 1995-2005. Eine Bilanz. Frankfurt am Main, Peter Lang 2006, 292 S., 16
Beiträge, ISBN 978-3-631-55450-0, € 52,90 (Österreichisches Deutsch −
Sprache der Gegenwart, hg. v. R. Muhr u. R. Schrodt, Bd. 10)
Rudolf Muhr, Österreichisches Aussprachewörterbuch.
Österreichische Aussprachedatenbank. Frankfurt am Main – Berlin – Bern –
Bruxelles – New York – Oxford – Wien, Peter Lang 2007, 524 S., zahlr. Abb. und Tab., 1 CD, ISBN
978-3-631-55414-2, geb. DE € 68,00, AT € 70,00
Rezension in KBS Bd. 33 (2007 [2009]
Robert Sedlaczek, Kleines Handbuch der bedrohten Wörter Österreichs. Wien, Ueberreuter 2007,128
S.,
ISBN: 978-3-8000-7320-7, € 9,95 (s.a. http://www.unsere-sprache.at/)
Peter Wiesinger, Das
österreichische Deutsch in Gegenwart und Geschichte. Wien-Berlin, Lit Verlag 2006, 440 S., ISBN
3-8258-9143-7, € 29.90; 2. erweiterte Auflage 2008, 464 S., ISBN
978-3-8258-9143-5, € 29,90; 3., aktualisierte und neuerlich erweiterte
Auflage. Wien-Berlin, Lit Verlag
2014, 512 S. (Austria: Forschung und Wissenschaft – Literatur- und Sprachwissenschaft, Bd. 2) € 29.90 EUR, br., ISBN
978-3-8258-9143-5.
Rezension zur 3. Auflage hier (als
pdf-Datei), zur 2. Auflage in KBS Bd. 33 (2007 [2009],
Zum „Österreichischen Wörterbuch“: http://www.oebv.at (>
Wörterbücher)
Zur Sprache der österreichischen Küche: http://members.chello.at/heinz.pohl/Kueche1.htm
Zu den österreichischen Mundarten: http://members.chello.at/heinz.pohl/Mundarten.htm
Zum Sprachkontakt allgemein hier, zu Wien (Tschechisch) und Kärnten (Slowenisch)
Einige
Gedanken zum österreichischen Deutsch
Der Österreicher spricht (wenn man von den Minderheiten absieht) durchwegs oberdeutsch, größtenteils (aus
historischer Sicht) bairisch, genauer: bairisch-österreichisch (rund 7
Mill. Personen), zu einem kleinen Teil alemannisch (rund 300.000 Personen, v.a.
Vorarlberg). Wahrscheinlich sprechen mehr Österreicher bairisch als Angehörige
des Freistaates Bayern (insgesamt ca. 12 Mill. Einwohner), der ja − wie
auch Österreich − im Westen von Alemannischsprachigen (Schwaben) und
darüber hinaus im Norden von Ostfränkischsprachigen bewohnt wird. Mit anderen
Worten, ein Bayer ist zwar ein Einwohner des Freistaates, aber nicht
unbedingt ein Baier in sprachlicher Hinsicht. Insgesamt wird es wohl
rund 13-14 Mill. bairisch-österreichisch sprechende Personen geben, verteilt
auf die drei Staaten Österreich, Deutschland und Italien. Österreich ist (mit
Südtirol) zwar „mehr bairisch“ als Bayern, aber in bairisch-österreichischen
Regionen nimmt heute der nord- bzw. binnendeutsche Sprachgebrauch zu, auch in
österreichischen Zeitungen sind Worte wie Junge für Knabe bzw. Bub
und Bursche, Treppe für Stiege, Kartoffel für Erdäpfel
usw., Plurale wie Jungs, Mädels usw., Wendungen wie er ist gut
drauf, es macht keinen Sinn (letzteres kommt eigentlich aus dem
Englischen), guck mal usw. heute gang und gäbe; er/sie/es hat
gestanden/gelegen/gesessen kann man heute auch in Bayern und Österreich oft
hören. Auch der ORF (Österr. Rundfunk) bedient sich zunehmend norddeutscher
Wörter und Wendungen sowie Aussprachegewohnheiten (wenn z.B. bei einer
Lottoziehung 20 „die Zwanzich“ gezogen worden ist).
Das für Pflichtschulen verbindliche „Österreichische
Wörterbuch“ http://www.oebv.at > Wörterbücher) versteht sich als ein „Wörterbuch der guten, richtigen deutschen
Gemeinsprache“; es weist keine wie immer geartete Tendenz zum sprachlichen Separatismus
auf, denn das österreichische Deutsch ist in vielfacher Hinsicht mit dem ganzen
oberdeutschen Raum verbunden, wobei es in Österreich selbst ein Nord/Süd- bzw.
Ost/West-Gefälle gibt und eben dies wird im „Österreichischen Wörterbuch“
festgehalten und dokumentiert und bleibt – sofern zum Standard gehörig –
unmarkiert, während im „Duden“ die österreichischen Abweichungen vom
„Bundesdeutschen“ als solche markiert werden
In der Zeit nach 1945 erfolgte die Abkehr vom großdeutschen Gedanken und
man vermied jeden Bezug aufs Deutschtum. Im Bildungswesen zeigte sich dies u.a.
in der (vorübergehenden) Umbenennung des Schulfaches „Deutsch“ in
„Unterrichtssprache“ (bis 1954/56). Die weit verbreitete, aber einer kritischen
Überprüfung nicht standhaltende Ansicht, das österreichische Deutsch sei eine
einheitliche Sprachform vom Bodensee (oder zumindest vom Arlberg) bis zum
Neusiedler See, entspringt z.T. dem Wiener zentralistischem Denken nach der
Formel „Wien = Österreich“ − somit besteht eine gewisse Neigung, ostösterreichische
und Wiener Ausdrucksweisen für das ganze Bundesgebiet zu verallgemeinern,
welcher Ansicht – wie oben erwähnt – das „Österreichische Wörterbuch“ nicht folgt, indem es west- und
südösterreichische Besonderheiten, die auch in Deutschland üblich sind,
gebührend berücksichtigt, z.B. Schreiner, Metzger, Schlagrahm usw. Trotzdem
darf man sich nicht der Realität verschließen, dass die deutsche
Standardsprache in Österreich stark von Wien und vom Osten her geprägt ist und
das Sprachverhalten der Bundeshauptstadt einen gewissen, wenn auch nicht
allgemeinen Vorbildcharakter hat. Dies zeigt sich u.a. auch darin, dass viele,
dem Bairisch-Österreichischen ursprünglich fremde Wörter, über Wien
„eingebürgert“ worden sind, wie z.B. Tischler statt Schreiner,
Fleischer amtlich neben Fleischhauer/Metzger oder derzeit schwul
‘homosexuell’ (neben warm, so
umgangssprachlich bzw. abfällig) und tschüs (oder tschüss) statt servus. Auch der Österreichische
Rundfunk (ORF) trägt zur Verbreitung ursprünglich ganz und gar
unösterreichischer Wörter und Wortformen bei, z.B. Sahne (statt Rahm oder Obers), Jungs (statt Buben bzw. Burschen),
Mädels (statt Mädel(n)), die Zwei/Drei (statt der Zweier/Dreier) usw.
Zahlreiche „österreichische“ Wörter und Wendungen
(abgesehen von den oben unter Punkt 3-5 genannten) werden auch von den
(meisten) Bayern als hochsprachlich betrachtet. Nur rund 2-3 % des
„österreichischen“ Wortschatzes (also des in Österreich gesprochenen
Standarddeutschen) sind „Austriazismen“ im engeren Sinn des Wortes. Eine exakte
landschaftliche Abgrenzung des Wort- und Sprachmaterials ist meist nur schwer
möglich. Die meisten „echten“ Austriazismen sind vornehmlich in der
eigenstaatlichen Tradition Österreichs und nur in geringem Ausmaß in der
mundartlichen österreichischen Sprachlandschaft begründet, wie z.B. Nationalrat (gegenüber Bundestag), Landesgericht (gegenüber Landgericht), Bezirksgericht
(gegenüber Amtsgericht), Landeshauptmann (gegenüber Ministerpräsident),
Erlagschein (gegenüber Zahlkarte), Tischler (gegenüber Schreiner,
so auch in Vorarlberg), Jause (gegenüber Brotzeit, Vesper); diese Wörter
„enden“ an der Staatsgrenze, es handelt sich also in diesem Zusammenhang um
einen stark staatsräumlich bestimmten Bereich. Der ganz überwiegende Teil des
österreichischen Wortschatzes jedoch ist süddeutsch, wie z.B. Bub
(gegenüber Junge), heuer (gegenüber dieses Jahr), kehren
(gegenüber fegen), Maut ‘Gebühr für Straßen- bzw.
Brückenbenützung’, (alt) Zoll’, Brösel ‘Paniermehl’ usw. Im Wörterbuch Bairisches Deutsch (Lexikon der deutschen
Sprache in Altbayern) von Ludwig ZEHETNER fand ich nur rund 4-6% Wörter, die (zumindest meinem subjektiven Empfinden
nach) in Österreich (auch regional) unüblich sind. Daher sollte man
hinsichtlich der Definition, was „österreichisches Deutsch“ im engeren Sinne
ist, sehr behutsam vorgehen.
Was man unter österreichischem Deutsch versteht, ist jene
Sprachform, die in Österreich als Standard empfunden wird, wozu zunächst einige
Aussprachegewohnheiten zu zählen sind, so wird die Endung -ig als [-ik]
(und meist nicht [-iç]) gesprochen, z.B. dreißig
[´draisik], König [´kø:nik]. Die
Gruppen che-/chi- werden in Österreich ausschließlich als [ke-/ki-]
gesprochen, nicht [çe-/çi-], z.B. China
[´ki:na]. Während in Deutschland die offene Aussprache [ε:] für langes
geschriebenes ä als Norm gilt, wird
dieser Laut in Österreich meist geschlossen, also [e:] gesprochen. Auch kurzes i, u
und ü sind geschlossen, und nicht [ɪ], [ʊ] und [ʏ]. In mit Vokal
beginnenden Wörtern und Silben fehlt in Österreich in der Regel der „harte
Stimmeinsatz“ [ʔ]. Außerdem wird in den
auslautenden unbetonten Silben mit -el,
-en, -em das e nicht als [ə]
gesprochen, sondern fällt meist weg, z.B. Hebel
[´he:bl], kühlen [´ky:ln]. Wörter wie
Husten, Erde, Wert usw. werden mit Kurzvokal gesprochen, oft weicht die
Betonung ab, z.B. Kaffée, Mathemátik, Platín, Ánis, ábsichtlich, nótwendig
(und nicht Káffee, Mathematík, Plátin,
Anís, absíchtlich, notwéndig neben ábsichtlich, nótwendig)
usw. Typisch für die österreichische Aussprache ist die im Süddeutschen
allgemein übliche Aufgabe der Stimmhaftigkeitskorrelation zugunsten der
Opposition Lenis ‘Lindlaut’: Fortis ‘Starklaut’. Dies betrifft die
Phoneme /p/, /t/, /k/, /z/ und /b/, /d/, /g/, /s/; /p/ usw. wird als
Fortisplosiv, /b/ usw. als Lenisplosiv (ohne Stimmton) gesprochen. /z/ klingt
im Anlaut immer [s], intervokalisch unterscheidet es sich von ss bzw. ß dadurch, dass diese beiden als Fortis-s („stark“) ausgesprochen werden; daher heißt der Buchstabe ß in der österreichischen (und
bayerischen) Schulsprache „scharfes s“
(und nicht SZ „Eszett“ wie meist in
Deutschland). Die phonologische Opposition an sich bleibt also erhalten. Die
Buchstabennamen für J und Q lauten in Österreich meist [je:] und
[kwe:]; [jot] und [ku:] gelten als gehoben.
Aus der Grammatik sei erwähnt, dass in der täglichen
Umgangssprache – wie auch sonst im Süddeutschen – das Präteritum vermieden und
durch das Perfekt ersetzt wird. Wie im Süddeutschen wird der Genitiv in der
täglichen Umgangssprache wenig verwendet und durch die Präposition von (z.B. die Freundin von meiner Tochter) oder durch Possessivpronomen + Dativ
(z.B. meinem Vater sein Haus ‘Vaters
Haus’, meiner Mutter ihr Auto ‘das
Auto meiner Mutter’) ersetzt; in der geschriebenen Sprache folgt man freilich
den gemeindeutschen Regeln. Bis in die geschriebene Standardsprache reichen
aber Abweichungen beim Genus (z.B. das
Eck statt die Ecke, der Spitz statt die Spitze, der Akt statt
die Akte, der Gehalt statt das Gehalt)
und in der Pluralbildung (z.B. Kästen,
Wägen, Pölster mit Umlaut, Hirschen
neben Hirsche, Risken statt Risiken).
Die Ziffern, Schulnoten sowie Bus- und Straßenbahnlinien heißen in Österreich
(wie auch in Bayern und der Schweiz) der
Zweier/Dreier usw. (und nicht die
Zwei/Drei). Auch ich bin
gelegen/gesessen (statt habe)
usw. gilt in Österreich als Standard.
Wie schon erwähnt sind die „echten“ Austriazismen in der Eigenstaatlichkeit
Österreichs begründet. Diese ist viel älter als das erst nach 1945 einsetzende
österreichische Nationalbewusstsein, das heute sehr ausgeprägt ist, bekennen
sich doch heute mindestens 82 % der Österreicher zur Österreichischen Nation
und nur 7 % halten die Österreicher für keine
selbständige Nation. Dies aber widerspiegelt sich nur wenig im
Sprachverhalten des offiziellen Österreich, denn der österreichischen
Gesellschaft fehlt weitgehend das Bewusstsein, eine „nationale Varietät des
Deutschen“ zu sprechen, obwohl man sich politisch (und z.T. auch
ethnographisch) klar von Deutschland abgrenzt (diesem Verhalten kommt ja die
Legende eines einheitlichen österreichischen Deutsch, das an den Staatsgrenzen
endet, entgegen), richtet man sich vorwiegend nach dem (im Duden festgehaltenen) bundesdeutschen
Sprachgebrauch. Daher ist der Stellenwert des österreichischen Deutsch im
Ausland eher gering (dazu s. Jutta RANSMAYR).
Bei den Verhandlungen zwischen Österreich und der EU wurde auf sprachliche
Besonderheiten Österreichs zunächst Rücksicht genommen. Insbesondere
österreichische Produktbezeichnungen (in der Regel Lebensmittel) sollten
bundesdeutschen gegenüber gleichberechtigt sein. Diese sind im „Protokoll Nr.
10 über die Verwendung spezifischer österreichischer Ausdrücke der deutschen
Sprache im Rahmen der Europäischen Union“ aufgelistet. Dieses Protokoll wurde
in der Tagespresse als „nationale Großtat“ bejubelt, in Wirklichkeit haben
jedoch nur 23 (sic!) Austriazismen Berücksichtigung gefunden, und zwar:
Beiried / Roastbeef; Eierschwammerl / Pfifferlinge;
Erdäpfel / Kartoffeln; Faschiertes / Hackfleisch; Fisolen / Grüne Bohnen;
Grammeln / Grieben; Hüferl / Hüfte; Karfiol / Blumenkohl; Kohlsprossen /
Rosenkohl; Kren / Meerrettich; Lungenbraten / Filet; Marillen / Aprikosen;
Melanzani / Auberginen; Nuss / Kugel; Obers / Sahne; Paradeiser / Tomaten;
Powidl / Pflaumenmus; Ribisel / Johannisbeeren; Rostbraten / Hochrippe;
Schlögel / Keule; Topfen / Quark; Vogerlsalat / Feldsalat; Weichseln / Sauerkirschen.
Diese Liste ist weder patriotisch noch sonst wie verdienstvoll und darüber
hinaus aus sprachwissenschaftlicher Sicht ungenau (s. die Tabelle unter: http://members.chello.at/heinz.pohl/EU-Liste.htm) − sie ist eben
eine typisch österreichische Lösung. Je größer die Anzahl der Austriazismen
gewesen wäre, desto mehr wäre das österreichische Deutsch aufgewertet worden
(und das Süddeutsche ganz allgemein gestärkt worden − auch in Bayern!)
Gerade im Hinblick auf die Regionen in der EU hätte die Vielfalt der regionalen
Alltagskultur ihren sprachlichen Reflex finden sollen.
Wenn es auch eindeutig und klar zu definierende Austriazismen
gibt, sie reichen nicht aus, um eine in Österreich mehr oder weniger
einheitliche und von Deutschland abgrenzbare Varietät des Deutschen für
Österreich zu festzuschreiben (s.o.). Auch das österreichische Sprachverhalten
entspricht kaum einem „nationalen“. Die Definition des Begriffes
„Austriazismus“ ist darüber hinaus schwierig zu definieren, denn Speisen wie Apfelstrudel,
Vanillekipferl und Germknödel sind zwar österreichischer
Provenienz, aber die einzigen (gemein-) deutschen Bezeichnungen für diese
Gerichte (auch das Hamburger Labskaus − ein traditionelles
Seemannsgericht − ist zwar norddeutsch, aber es gibt kein anderes
Wort dafür, auch für die schwäbischen Spätzle
nicht). Es betreffen zwar die für Österreich typischen Ausdrücke alle
Lebensbereiche, häufen sich aber auf dem Gebiet der Verwaltung und Gastronomie.
Daher möchte ich mit der lapidaren Feststellung schließen: es gibt sehr wohl
eine österreichische „nationale Varietät“ des Deutschen, sie ist aber
gleichzeitig eine durch die Eigenstaatlichkeit Österreichs bedingte süddeutsche
Varietät, „national“ in der Hinsicht, dass die staatlich-kulturellen
Rahmenbedingungen das Festhalten am süddeutschen Sprachgut fördern, aber „nicht
national“ hinsichtlich des Sprachverhaltens weiter Teile der österreichischen
Gesellschaft.
Diese Beobachtungen zeigen, dass das Verhältnis zwischen
dem Deutschen in Österreich und in Deutschland (einschließlich des Freistaates
Bayern) ein sehr verwickeltes ist. Die innerstaatlich verlaufende
Kommunikation, bedingt durch die Eigenstaatlichkeit (spätestens seit 1866/71,
aber realiter seit dem 18. Jhdt.) ließ einerseits die „staatsräumlichen
Austriazismen“ der Amts- und Verwaltungs- bzw. Küchen- und Mediensprache
entstehen und lieferte andererseits den Rahmen dazu, dass süddeutsche und
bairische Besonderheiten in unserem Lande ihre Position gegenüber binnen- und
bundesdeutschen Varianten besser behaupten konnten als etwa im Freistaat
Bayern. Dazu kommt die Randlage Österreichs im Süden des deutschen
Sprachgebietes und Randgebiete sind bekanntlich konservativer als Binnenräume.
Entscheidend war für Österreich die Einbindung in die einheitliche
gesamtdeutsche Standardsprache seit dem 18. Jhdt., die einerseits die areale
Gliederung des pluriarealen deutschen Sprachgebietes reflektiert, in
Österreich im kleinen, in Deutschland im großen, andererseits die deutschen
Großdialekte überdacht und damit die Kommunikation sicherstellt. Die plurizentrische
Gliederung des deutschen Sprachgebietes ist sekundär sowie historisch
jünger und reflektiert die neuzeitliche politische Entwicklung, hat aber bisher
keine einheitlichen Sprachräume nach den Staatsgrenzen schaffen können,
zumindest nicht auf der Ebene der Alltagssprache. − Inwieweit das
österreichische Deutsch seine spezifischen Besonderheiten bewahren wird und
dort, wo es eigene Ausdrücke besitzt, dem Einfluss aus dem Norden über die
Massenmedien und die Wirtschaft widerstehen kann, hängt vom Sprachwollen der
österreichischen Bevölkerung ab. Es gilt daher ein ausreichendes Bewusstsein
über die Eigenarten der österreichischen Varietät der deutschen Standardsprache
zu schaffen. Ein ausgeprägtes österreichisches Nationalbewusstsein ist
offensichtlich zu wenig, wie die neuere Entwicklung zeigt. Den eigenstaatlich
geprägten Österreicher formte nämlich seine Alltagskultur, die wiederum auf die
Sprache zurückwirkt und in dieser Wechselbeziehung drückt sich das eigentliche
Österreichertum im Rahmen des deutschen Sprachraumes unter zahlreichen
Einflüssen aus der vielsprachigen alpinen, mittel- bzw. südosteuropäischen
Region aus. Daher sollte die
österreichische Identität sprachlich in einem zwanglosen Gebrauch der
süddeutschen Standardvarietät einschließlich des zum Standard gehörenden
spezifisch österreichischen Wortschatzes aus Amt und Alltagskultur zum Ausdruck
kommen.
Es
steht also um die österreichische Varietät des Deutschen nicht zum besten, da –
hauptsächlich bedingt durch die Massenmedien wie Rundfunk und Fernsehen – immer
mehr der eher nördlich geprägte Sprachgebrauch (oft in Form des Substandards)
auch in Österreich Platz greift. Dazu siehe u.a. Robert SEDLACZEKs Artikel http://www.weltbund.at/pdf/rwr022009.pdf
(unter
dem Titel „Mit Sahne schmeckt es lecker! Das österreichische
Deutsch ist in arger Bedrängnis“ auf S. 10f.). Die Jugendsprache ist damit bereits durchsetzt (z.B. lecker, poppen, reinziehen),
viele in Österreich bisher übliche Wörter und Ausdrucksweisen gehen verloren –
das Material reicht für ein „Kleines Handbuch der bedrohten Wörter Österreichs“
(von Robert SEDLACZEK, s. http://www.unsere-sprache.at/index.html), nicht nur auf
Grund des bundesdeutschen Einflusses (wie z.B. Januar statt ‘Jänner’ oder Tüte
statt ‘Stanitzel’), sondern auch des englischen (z.B. Flyer statt ‘Flugzettel bzw. -blatt’ oder Ticket statt ‘(Eintritts-/Fahr-) Karte’). Damit wird man wohl leben
müssen, denn taugliche Rezepte dagegen gibt es nicht. Es sei denn, es gelingt
die Bevölkerung davon zu überzeugen, dass die regionale Ausprägung ihrer
Sprache als bewahrenswertes Kulturgut zu betrachten ist und dass die typisch
österreichische Kultur eben nur mit einem entsprechenden österreichischen
Sprachgebrauch abgebildet und wiedergeben werden kann. Die Sprache des
Österreichers ist ein Teil des so genannten „immateriellen Kulturerbes“ wie
auch das Namengut. Wie die Flur- und Ortsnamen eine Kulturlandschaft prägen,
sind auch bestimmte sprachliche Erscheinungen in Wortschatz und Grammatik ein
unverwechselbares Merkmal der Bewohner dieser Kulturlandschaft, die das
österreichische Deutsch widerspiegelt. Nur eine bewusste Pflege des
österreichischen „immateriellen Kulturerbes“ stellt sein Über- und Weiterleben
sicher. Mit anderen Worten: es liegt an uns selbst, wie wir mit unserem Kulturgut
„österreichisches Deutsch“ umgehen!
Aus
allgemein-sprachwissenschaftlicher Sicht sei festgestellt: Sprachen ändern sich
stetig, Sprachen stehen in Kontakt. Dies gilt sowohl für „Abstandsprachen“ als
auch für Varietäten und „Kulturdialekte“.
Das Vordringen des nördlich gefärbten „Bundesdeutschen“ ist die Folge
von Sprachkontakt; ich habe dies an anderer Stelle einmal
„Varietätenkontakt“ bezeichnet. Diese Entwicklung ist nicht aufzuhalten –
ebenso wenig wie die weltweite Dominanz des Englischen und das Aussterben
vieler kleinerer Sprachen (meist „Minderheiten“). Es ist eben so, die
Wissenschaft kann und soll dies beschreiben, aber nicht
beurteilen und schon gar
nicht verurteilen. Manche werden es bedauern, anderen wiederum ist
es gleichgültig – wie viel anderes auch.
Das österreichische Deutsch ist kein besseres und kein schlechteres,
sondern einfach ein in gewissen Bereichen anderes Deutsch; es ist
kein „liebenswürdigeres“, „weicheres“, „runderes“ und auch kein „schlampigeres“
Deutsch − dies sind oft zu hörende subjektive Einschätzungen. Es gibt
auch nicht sehr viele österreichische Wörter, die in Deutschland nicht
verstanden werden, sondern bestenfalls ein paar Dutzend, das meiste findet sich
auch in den anderen süddeutschen Regionen, v.a. in Bayern. Die österreichische
Staatsgrenze zu den anderen deutschsprachigen Regionen ist keine Sprach- oder
Mundartgrenze, sondern bloß eine politische, die sich nur auf sprachliche
Erscheinungen des öffentlichen Lebens beschränkt, also österreichisch Matura,
schweizerisch Matur gegenüber deutsch Abitur, deutsch und
österreichisch Führerschein gegenüber schweizerisch Führerausweis
usw. Sonst trinkt man seine Maß Bier in München wie in Salzburg und
sammelt Schwammerln in Bayern wie in Österreich.
©
H.D. POHL
Siehe auch: http://members.chello.at/heinz.pohl/Kueche1.htm
Zum Beginn: http://members.chello.at/heinz.pohl/Startseite.htm