Festschrift zur Vortragsserie 1918-1920

Kriegsende – Abwehrkampf – Volksabstimmung.

Erschienen in: KulturLandMenschen

Zeitschrift der Kärntner Landsmannschaft  09–10/2020, 64–71

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Heinz-Dieter Pohl

Sprache und ethnisches Bewusstsein – gezeigt an den Begriffen Deutsch/Windisch/Slowenisch

1.     Zu den Begriffen Ethnie, Nation, Volk, ethnische/nationale Identität

Die Begriffe Ethnie, Nation, Volk, ethnische/nationale Identität bedeuten alle etwas Ähnliches, wobei in der Regel sprachlich-kulturelle Gemeinsamkeiten im Vordergrund stehen, die besonders betont werden, seit dem 19. Jhdt. insbesondere durch die Sprache. Betrachten wir zunächst die einzelnen Begriffe:[1]

(1)     Die Ethnie[2] wird traditionell als Gruppe von Menschen definiert, für die eindeutig soziokulturelle Charaktermerkmale im Vordergrund stehen, die also der gleichen Kultur angehören, die hier im weitesten Sinn als ein wechselseitiger in sich verflochtener Komplex aus Sprache, Religion, Wertnormen und Bräuchen zu verstehen ist, an denen die Angehörigen einer solchen gesellschaftlichen Großgruppe gemeinsam teilhaben.

(2)     Der Begriff Volk ist dagegen ein vielschichtiger, sehr unterschiedlich definierter Begriff:

(2a)   Historisch gesehen (und heute veraltet) war dieses das „Kriegsvolk“, also die Angehörigen eines Heeres. Diese Bedeutung hatte ursprünglich auch das Lehnwort Pulk aus dem Slawischen, das seinerseits aus dem Germanischen entlehnt ist.

(2b)   Die „breite Masse“ der „einfachen“ Mitglieder einer Gesellschaft, also die Grundschicht, nicht die Oberschicht.

(2c)   Die ethnisch-spezifische Einheit einer Gruppe von Menschen im Sinne von Ethnie.

(2d)   Eine Gruppe von Menschen, die sich als ideelle Einheit begreift sowie als durch gemeinsame Herkunft, Geschichte, Kultur und Sprache, zum Teil auch Religion verbundene Gemeinschaft. Im allgemeinen Sprachgebrauch ist dieses Verständnis des Begriffes Volk nicht klar abgrenzbar von dem der Nation; beide Begriffe können insofern voneinander abgehoben werden, als Nation mehr Elemente der politischen Willensbildung enthält und Volk stärker emotionale Erfahrungen anspricht (Nationalbewusstsein). Die Unbestimmtheit beider Begriffe förderte aber und fördert noch immer deren demagogischen Gebrauch, was zur Diskreditierung des Begriffs Volk (und besonders des Adjektivs völkisch) nach der nationalsozialistischen Zeit geführt hat, sodass er in der Wissenschaft kaum noch verwendbar ist, außer im staatsrechtlichen Sinn, eben 

(2e)   als Träger der Staatsgewalt (Staatsvolk), in einer Demokratie Inhaber der Souveränität (Volkssouveränität), die in Abstimmungen und Wahlen ausgeübt wird.

(3)     Das der Nation zugrundeliegende lateinische Wort natio[3] bezeichnete ursprünglich eine Gemein­schaft von Menschen gleicher Herkunft, daran anschließend eine durch gemeinsame Sprache, Sitten und Bräuche kenntliche Gemeinschaft. Doch die Betrachtung der „Nation“ im historischen Sinn als eine auf gemeinsame Abstammung, gemeinsame Geschichte und Tradition, Religion etc. zurückgehende „Schicksalsgemeinschaft“ ist in der Regel Fiktion, denn sie ist eher eine vorgestellte politisch gewachsene Gemeinschaft, ein ideologisches Konstrukt, während die „Ethnie“ (früher „Volk“) eine historisch gewachsene Realität ist, an der auch immer sowohl Nachbarn als auch Ein-/Zuwanderer beteiligt waren. Der moderne Begriff der „Nation“ ist eine staatliche Gemeinschaft, die nicht unbedingt mit der entsprechenden „Ethnie“ deckungsgleich sein muss, wie uns dies u.a. die Schweiz zeigt. Zu sehr war der Nationsbegriff im 19. und auch noch im 20. Jhdt. mit Sprache und Kultur verknüpft wie davor mit Religion und Herrschaftsgebieten.[4]

(4)     Der Nationsbegriff ist aber vom Begriff der Nationalität zu trennen:

(4a)   Im Staatsrecht bedeutet Nationalität die Zugehörigkeit zu einer Nation, im Rechtssinn die Zugehörigkeit zu einem Staat, also die Staatsangehörigkeit bzw. Staatsbürgerschaft. 

(4b)   Volksgruppen, die über keinen eigenen Staat verfügen, sind daher eigentlich keine Nationen, sondern einerseits als Ethnie und andererseits als Nationalität zu bezeichnen. So sind z.B. die Rätoromanen und/oder Ladiner der Schweiz und Südtirols bzw. die Basken in Spanien und Frankreich nur ethnisch gesehen solche, aber staatsrechtlich Schweizer oder italienischer bzw. spanischer oder französischer Nationalität. Das trifft auch auf zahlenmäßig große Ethnien zu wie z.B. die Kurden, die auf mindestens fünf (65) Staaten verteilt sind.[5] Oder die arabische Welt mit mehr als einem Dutzend Staaten.[6]

(4c)   Andererseits wird (v.a. im Deutschen) Nationalität auch für die Zugehörigkeit zu einem ethnisch definierten Volk über den Begriff der Volkszugehörigkeit verwendet.

(4d)   Allerdings ist zwischen Staatsbürgerschaft und Nationalität zu differenzieren und dies wird in vielen Staaten auch in den amtlichen Dokumenten ihrer Staatsbürger vermerkt. So konnte man in der DDR beispielsweise ein „deutscher Staatsangehöriger sorbischer Nationalität“ sein. In multinationalen Staaten wie Russland und der VR China wird bis heute sprachlich eindeutig zwischen Staatsbürgerschaft einerseits und Nationalität andererseits unterschieden. So bezieht sich das Wort россиянин[7] „Russländer“ auf alle Staatsbürger der Russischen Föderation ungeachtet ihrer ethnischen Zugehörigkeit, während das Adjektiv русский  (russkij) als Ethnonym ausschließlich für ethnische Russen verwendet wird. Daher ist die deutsche Bezeichnung für Russland „Russische Föderation“ nicht korrekt, denn auf Russisch heißt sie Российская Федерация „Russländische Föderation“ und nicht Рyсская Федерация.[8] In China werden chinesische Staatsbürger Zhōng­guórén „Menschen aus den Mittellanden“ bzw. „Menschen aus dem Reich der Mitte“ genannt, während ethnische Chinesen als Hànrén  „Menschen des Han-Volkes“ bezeichnet werden.

(5)     Bleibt als letzter zu erläuternder Begriff ethnische und/oder nationale Identität. Diese bezeichnet die individuelle bzw. subjektive Zugehörigkeit zu einer bestimmten Ethnie und Nation, also Selbstdefinition – wie sich jedes Individuum selbst sieht, wobei es auch mehrere Identitäten geben kann: So kann sich ein Kärntner Slowene selbst ethnisch gesehen als Slowene, ein Deutschkärntner als Deutscher definieren, aber beide sind nach der Nationalität dennoch Österreicher.

2. Kärnten als Heimat zweier ethnischer Gruppen

Für eine Volksgruppe bzw. für ein Volk, in der Wissenschaft Ethnie oder Ethnos  stehen also als wichtigste Charaktermerkmale nicht anthropologische, sondern eindeutig soziokulturelle im Vordergrund (s.o. 1 (1)). Eine solche Definition entzieht romantischen Vorstellungen jede Grundlage, erst die Politisierung der Sprache, ausgehend vom nicht immer richtig verstandenen Herder’schen Nationsbegriff „Volk gleicher Zunge, daher Volk gleicher Kultur“, hat die modernen (Sprach- bzw. Kultur-) Nationen hervorgebracht und mit der gemeinsamen Hochsprache zu einem national- und kulturpolitischen Zusammen­schluss recht heterogener Teile eines größeren Sprachgebietes zu einer Sprach- bzw. Kulturnation geführt (s.o. 1 (2d) u. (3)), begründet in der Vorstellung, es bestehe ein direkter Zusam­menhang zwischen der Muttersprache und der ethnischen Identität,[9] und dass man in einem bestimmten Sprachsystem denkt.[10]

2.1. Historischer Rückblick

Die Ursprünge Kärntens reichen bis in die älteste Zeit zurück, in der Antike war das Gebiet des heutigen österreichischen Bundeslandes Bestandteil des keltischen Königreichs Regnum Noricum, das später in der römischen Provinz Noricum aufging. Zunächst auf dem Magdalensberg, dann in Virunum auf dem Zollfeld sowie in Teurnia auf dem Lurnfeld befanden sich damals die Zentren des Gebietes. Nach dem Zusammenbruch des Weströmischen Reiches wanderten ab dem 6. Jhdt. Slawen (und Awaren) ein; in der Folge kam es zur Gründung des slawischen Fürstentums Karantanien, das nach und nach unter bairische bzw. fränkische Vorherrschaft kam. Von 743 bis 907 herrschten fränkische Könige und Kaiser über das Gebiet, anschließend wurde Kärnten ein Teil des Herzogtums Baiern. Mit der Errichtung des Herzogtums Kärnten im Jahre 976 beginnt die Eigenständigkeit des Landes, die bis 1335 andauerte; anschließend wurde Kärnten habsburgisch und somit gemeinsam mit Österreich, der Steiermark und Krain verwaltet. In Kärnten gibt es seit seiner Begründung als Herzogtum zwei Sprachen, damals Althochdeutsch und Karantanisch; letzteres ist ein Dialekt des Altslowenischen (früher auch oft „Alpenslawisch“ genannt), wie er uns auch in den „Freisinger Denkmälern“ entgegentritt, dem ältesten slawischen Sprachdenkmal in lateinischer Schrift überhaupt.[11]

Kärnten war also immer schon zweisprachig, allerdings ist der Personenkreis der zweisprachigen Einwohner im Laufe der Zeit kontinuierlich und seit rund 100 Jahren (66) sprunghaft kleiner geworden. Schon vor 400 Jahren stellte im Zeitalter des Humanismus M.G. Christalnick fest: „es haben sich die die windischen Khärndter mit den deutschen Khärndtern also gewaltiglich vereinigt, das aus ihnen beyden einerley volck ist worden“. Dieses „einerlei Volk“ hörte in der zweiten Hälfte des 19. Jhdts. auf zu existieren und man könnte in Anlehnung an Genesis 3,7 (nachdem Adam und Eva vom Baum die verbotene Frucht gegessen hatten: „dann wurde ihnen beiden die Augen aufgetan und sie wurden gewahr, dass sie nackt waren“) feststellen: im 19. Jhdt. wurde den neuzeitlichen Karantanen plötzlich klar, dass sie zwei Sprachen sprechen und folglich zwei verschiedenen Völkern angehören. Damit hatte auch in Kärnten der sprachorientierte Nationalismus mit all seinen unangenehmen Begleiterscheinungen Einzug gehalten; dieser lieferte schließlich den ideologischen Rahmen zum deut­schen „Kärntner Abwehrkampf“ bzw. zum slowenischen „Kampf um die Nordgrenze“. Eine Spätfolge davon – allerdings in abgeschwächter Form – war dann der „Kärntner Ortstafelkonflikt“.[12]

Zeittafel

↓Zeit / Sprache→

Slowenisch

Deutsch

bis ca. 1050

Alpenslawisch  > Altslowenisch

Freisinger Denkmäler     („Karantanisch“)

Alpenslawische > Altslowenische („karantanische“) Ortsnamen und Personennamen

Namen aus Krain usw.

Althochdeutsch

Merseburger Zaubersprüche („Ostfränkisch“)

Abrogans, Notker („Alemannisch“)

Muspilli („Bairisch“)

usw.

Hoch- u. Spät­mittelalter (mit fließenden Über­gängen)

Frühslowenisch

Klagenfurter Handschrift

Stiški rokopis

Starogorski rokopis usw.

Mittelhochdeutsch

Nibelungenlied

Walter von der Vogelweide usw.

(etwa bis 1350)

seit ca. 1500

Slowenisch

Trubar, Dalmatin, Kopitar usw.

Neuhochdeutsch

Luther, Gottsched usw.

 

Es ist wenig bekannt, dass die Wiege der slowenischen Sprache eigentlich im alten Karantanien, also in Kärnten liegt. Dies steht in einem fundamentalen Widerspruch zum weit verbreiteten Stereotyp, das man auch heute noch immer zu hören bekommt: dass man früher in Kärnten „windisch“ sprach und nicht „slowenisch“, das erst durch die Schule gleichsam von Krain aus „importiert“ worden sei. Tatsache ist hingegen, dass die sogenannten „Freisinger Denkmäler“ zwischen 972 und 1039 (vermutlich) in Ober­kärnten entstanden sind und nicht nur das älteste Zeugnis der slowenischen Sprache darstellen, sondern überhaupt einer slawischen Sprache in lateinischer Schrift. Deren „Orthographie“ entspricht weitgehend der in den urkundlich bezeugten Ortsnamen slowenischer („karantanischer“) Herkunft verwendeten Schreibung und lässt vermuten, dass man – so gut es eben ging – die einzelnen Buchstaben für slawische Laute nach (ober-) deutschem Vorbild verwendet hat. Auch die Lautformen der ältesten urkundlichen Belege lassen erkennen, dass es sich um die gleiche Sprache handelt.[13] Jüngere Lautformen in manchen erst spät bezeugten Namen zeigen, dass in vielen heute rein deutschsprachigen Gegenden die slowenische Sprache sich noch lange gehalten haben muss.[14] Dass diese im Mittelalter (also noch vor der Reformation) gelegentlich auch im Schrifttum verwendet wurde, bezeugt die sogenannte „Klagenfurter Handschrift“.[15] Die Übersicht („Zeittafel“, s.o.) soll dies veranschaulichen: die Freisinger Denkmäler sind zusammen mit den früh belegten „alpenslawischen“ Orts- und Personennamen so „slowenisch“ wie die Sprache Notkers oder die Merseburger Zaubersprüche „deutsch“ sind.

2.2. Slowenisch und „Windisch“ - Slowenisch oder „Windisch“

Im Laufe des 19. Jhdts. entwickelte sich ein slowenisches Nationalbewusstsein und es entstand der Gedanke, alle slowenisch(sprachig)en Länder verwaltungsmäßig zusammen­zufassen, freilich im Rahmen der Mon­archie, was aber eine Teilung des Lan­des Kärnten bedeutet hätte, der sich selbst auch führende Kärntner Slowenen widersetzt haben (z.B. der Abgeordnete zum Kärntner Landtag Dr. Matthias Rulitz). Unter den Kärntner Slowenen kam es somit gegen Ende des 19. Jhdts. zur Heraus­bildung zweier Lager: eines (slowenisch-) nationalen und eines eher neutralen (und somit deutschfreundli­chen). Ersteres stimmte am 10. Oktober zu einem großen Teil für Jugo­slawien, letzteres für Österreich – so die weit verbreitete, vorherrschende Ansicht. Doch das Abstimmungs­verhalten ist keineswegs nur als „national(bewusst)“ zu interpretieren, so haben viele Slowenen, die im SHS-Kö­nigreich ihre nationalen Träume nicht verwirklicht sahen oder republikanisch gesinnt waren, für die Republik Österreich gestimmt. Dazu kamen sowohl emotionale Motive (Landes- und Heimatbewusstsein) als auch wirtschaftliche Überlegungen, denn viele Bauern wären (67) durch die neue Grenzziehung von den Märkten in Klagenfurt und Villach abgeschnitten gewesen.[16] Wie dem auch sei – beide Lager zusammen machen die slowe­nischsprachige Minderheit aus. Die neutralen (also nicht nationalbewussten) und daher als „deutsch­freundlich“ bzw. „Kärnten-treu“ oder „Österreich-bewusst“ geltenden Slowenen wurden schon vor dem Ersten Weltkrieg „Windische“ genannt und bezeichneten sich z.T. auch selbst so; zu einem Politikum wurden diese „Windi­schen“ dann in den 1920er Jahren. Sie sind aber eindeutig (sprachlich gesehen) Slowenen („Sprach­slowenen“), bekennen sich aber nicht ausdrücklich zum slowenischen Volks­tum, v.a. politisch nicht. Die Mundarten dieser beiden Gruppen unterscheiden sich nicht voneinander; Unterschiede zwischen beiden Gruppen ergeben sich u.a. durch den bewussten Gebrauch der slowenischen Schriftsprache durch jene Personen, die einen entsprechenden Schulunterricht erhalten und durch ihre Muttersprache höhere Bildung vermittelt bekommen haben, was in der utraquistischen Schule gar nicht möglich war (Prinzip: Elementarunterricht in slowenischer Sprache und schrittweises Erlernen der deutschen Sprache, bis diese so gut beherrscht wird, dass der Unterricht überwiegend deutsch erfolgen kann). Diese Umstände muss man wissen, um die Hintergründe richtig verstehen zu können, wenn es um die sogenannte „Windischen-Theorie“ geht.[17] Diese wurde (spätestens) in der nationalpolitischen Ausein­andersetzung der 1920er Jahre geboren, indem man bei der Erklärung des Verhal­tens von rund 40% der ab­stimmungsberechtigten Kärntner Slowenen am 10. Oktober 1920 ethnische, sprachli­che, bewusstseinsbildende und soziologische Kriterien miteinander vermengte – vor allem in der Tagespolitik.

Mit der „Windischen-Theorie“ ist automatisch auch die Frage ver­knüpft, ob das „Windi­sche“ etwa eine vom Slowenischen verschiedene Sprache sei. Weit verbreitet ist die Ansicht, die Sprache der „Windi­schen“, Windisch, sei eine deutsch-slowenische Mischsprache, die mit der „landfremden“ slowenischen Schriftsprache nichts zu tun habe – eine kühne Behauptung, ist es doch in zweisprachigen Regionen und Gesell­schaften die Regel, dass die bodenständige Volkssprache von der überregionalen Staats- und/oder Verkehrs- bzw. Bildungssprache massenhaft Lehnwörter und Einflüsse bezieht.[18] Entscheidend ist aber die Gramma­tik: die Grammatik des „Windischen“ ist die slowenische, identisch sind auch Hilfswörter und Grundwortschatz. Aus sprach­planerischen und      -ästhetischen Gründen mag man Fremdein­flüsse als etwas Negatives betrachten[19] – linguistisch gesehen sind sie normal und natürlich. Eine zwei­sprachige Gesellschaft wäre arm, wenn es keine Sprachgrenzen überschreitende Kommunikation gäbe, die einmal zu Lasten der einen (dem Slowenischen in Kärnten bis heute), ein anderes Mal zu Lasten der anderen (dem Deutschen in Krain bis 1945) ge­hen  kann. Eine solche linguisti­sche Feststellung darf aber nicht dazu verleiten, die eine Sprache, weil größer und mächtiger, als „wichtig“ oder „höherwertig“ einzuschätzen, die andere Sprache, weil kleiner und weniger durchschlagskräftig, als „unbedeutend, regional“ zu betrachten, denn jede Sprache, egal ob „klein“, ob „groß“, ist ein Stück Menschheits­geschichte und Teil des kulturellen Erbes, das zu bewahren lohnt. Ein einmal eingetre­tener Sprachwechsel ist (leider) unumkehrbar, er ist mit einem Verlust an kultureller Identität verbunden und führt nicht sofort zum Aufgehen in einer neuen Identität: dies dauert meist eine Generation. Personen im status assimilationis wären noch in der Lage, unter entsprechenden Bedin­gungen ihrer Muttersprache treu zu bleiben. Wenn in zweisprachi­gen Gebieten Ver­schiebungen von der einen zur anderen Sprache zu beobachten sind, zeigt dies ganz besonders deutlich, wie verbunden beide Sprachen sind, gehören sie doch zum historischen Erbe der Region. Hier ist im Falle Kärnten für „Windisch“ als eigene Sprache, auch als „Mischsprache“, kein Platz: das Erbe kann nur „deutsch“ oder „slowe­nisch“ sein, beide sind konstitutiv und historisch gewachsen. „Windisch“ er­scheint als ein soziologisch und linguistisch nur schwer fassbarer vorübergehender Zustand, der an Einzelpersonen oder einzelne Fa­milien (die sich im status assimilationis befinden) gebunden ist, nicht aber an gefühlsmäßig zusammengehörige (ethnische) Gruppen.

2.3. Das Schlüsseldatum der jüngeren Kärntner Geschichte: der 10. Oktober 1920

Am 10. Oktober 1920 stimmte man in Kärnten über ein gemeinsames Zusammenleben zweier Sprachgemein­schaften oder über die Trennung nach nationalen Gesichtspunkten ab. Ein großer Teil derer, die bei der Volkszählung 1910 Slowenisch als Umgangs­sprache angegeben hatten, sprach sich damals für eine gemeinsame Heimat (slowenisch: skupna domovina) aus. Dieser Volksabstimmung sind fast zwei Jahre Besetzung (ab Ende 1918) durch die SHS-Truppen (Jugoslawen) und kriegerische Auseinandersetzungen (Höhepunkt der „Kärntner Abwehr­kampf“ im April/Mai 1919) vorausgegangen und sie war daher im Zuge der Friedens­verhandlungen von St. Germain (bei Paris) für das slowenische bzw. gemischtsprachige Gebiet Unterkärntens unter dem Eindruck der Kämpfe und nach dem Besuch des späteren Abstimmungs­gebietes durch eine Kommission („Miles-Mission“) im Sinne des von Präsident Wilson zur Grundlage seiner Friedenspläne erhobenen „Selbstbestimmungsrechtes der Völker“ vereinbart worden. Im südöst­lichen Kärnten (v.a. Rosen- und Jauntal, Klagenfurter Becken) wurden zwei Abstimmungszonen eingerichtet. In der Zone I wurde zuerst abgestimmt; wäre das Ergebnis zugunsten des SHS-Staates (Jugoslawien) ausgefallen, hätte man anschließend auch in der Zone II (v.a. Klagenfurt, Maria Saal, Pörtschach, Velden) abgestimmt, doch dazu kam es bekanntlich nicht.                                         (68)

Rein formal war die Abstimmung am 10. Oktober 1920 nicht zwischen „deutsch“ und „slowenisch“, sondern zwischen „Öster­reich“ und „Jugo­slawien“ (offiziell: Kraljevi­na Srba, Hrvata i Slovenaca – SHS bzw. Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen) und untrennbar damit verknüpft die Frage der Landeseinheit: die Stimme für Österreich bedeutete deren Erhaltung, die Stimme für Jugo­slawien den Vollzug der Teilung des Landes Kärnten (daher hieß es immer wieder, u.a. auf einem Flugblatt vom 28.9.1920: Für ein freies und ungeteiltes Kärnten). Einer solchen Teilung versagte jedoch nicht ganz die Hälfte derer, die bei der Volkszählung 1910 Slowenisch als Um­gangssprache angegeben hatten, ihre Zustimmung:

Zone I 

Volkszählung 1910:           68,6 % slowenische / 31,4 % deutsche „Umgangssprache“

10. Oktober 1920:             59 % gültige Stimmen für Österreich / 41 % für Jugoslawien

Rein rechnerisch müssen (um auf 59 % für Österreich zu kommen) neben den 31,4 % Deutschsprachigen rund 27,6 % Slowenischsprachige für Österreich gestimmt haben, das sind rund 40 % von ihnen laut Volks­zählung 1910 – also nahezu jeder zweite. Ein solches Ergebnis lässt viele Deutungen zu, sie füllen ganze Bücherschränke und können hier nicht wiederholt werden. Aber eine Erklärung verdient es, hervor­gehoben zu werden (sie wird sonst nur am Rande erwähnt): das Volksabstimmungs­ergebnis war bei einem Teil der Kärntner Slowenen ein pragmatischer Sieg über die nationalen Leiden­schaften im Zuge des Auseinanderbrechens des „Völker­kerkers“ Österreich-Ungarn: für einen großen Teil der slowenischen bäuerlichen Bevölkerung des Kärntner Unterlandes war der Verbleib in einem ungeteilten Land Kärnten mit freiem Zugang zu den Wirtschafts­zentren Klagenfurt und Villach eben attraktiver als das Grenzgebiet eines unter serbischer Vorherrschaft stehenden Jugoslawien zu werden.

So gesehen war der 10. Oktober 1920 ein bemerkenswertes Datum – an den historischen Fakten sowie an den sprachlichen und kulturhistorischen Gegebenheiten hat er zunächst nichts geändert, denn in Kärnten gab es immer schon, bereits vor seiner Errichtung als Herzogtum im Jahre 976, beide Sprachen, wobei das Alpenslawische oder „Karantanische“ (Vorläufer der modernen slowenischen Sprache) sogar früher da war als das Althochdeutsche, auf dem die modernen (südbairischen) Kärntner Mundarten beruhen. Einst nannte man im Deutschen die slowenische Sprache „windisch“, diese Bezeichnung ist zwar heute obsolet geworden, sie ist aber als solche sowohl in den Beschreibungen der Herzogseinsetzung beim Fürstenstein in Karnburg bezeugt als auch in der Bezeichnung „Windisches Herzogtum“ im 16. Jhdt., mit der sich Kärnten im Zeitalter der Reformation selbstbewusst benannte.[20] Der slowenische Bezug zur Herzogseinsetzung ist heute noch im Ortsnamen Blasendorf, dem Wohnsitz des „Herzogbauern“, erkennbar, der bei dieser Zeremonie eine bedeutende Rolle spielte, enthält doch dieser Name ein altes slowenisches Wort für „Richter, Verwalter oder Edling“[21] – Hinweis auf die Verschränkung beider Sprachen in Kärnten seit Anbeginn und Erklärung dafür, welch starke emotionale Bindung der Fürsten­stein für das Slowenentum hat – bis hin zu seiner Verwendung auf der slowenischen Zwei-Euro-Cent-Münze.[22]

3.     Was bedeutet Slowene und windisch urspr. wirklich?

Im Urslawischen hat der Name der Slawen *slǎv’āne gelautet, das den griechischen Namensformen Σκλαυηvoί bzw. Σκλαβηvoί Sklavenoí, gekürzt Σκλάβoι Sklávoi,[23] zugrunde liegt, ins Lateinische ist er als Sclaveni, Sclavini, Sclavi übernommen worden. Der griechische Anlaut skl- ist dem Umstand zu verdanken, das die ungewohnte Lautgruppe sl- im Anlaut vermieden wurde. Im ältesten slawischen Schrifttum erscheint der Name als slověne. Altkirchen­slawisch o  ist erst relativ spät aus urslawisch ă entstanden, wie es einerseits frühe Lehnwörter aus dem Romanischen ins Slawische zeigen (lateinisch păgānus > slawisch poganъ ‘Heide’ oder Cattarum > Kotor ‘Stadt an der adriatischen Küste’), andererseits die Wiedergabe slawischer Namen in anderssprachigen Denkmälern (wie eben der Slawenname selbst oder etwa der Personenname Dabramuzli, jünger Dobromyslъ  bzw. der Ortsname Osterwitz in Kärnten, slowenisch Ostrovica, urkundlich 860 Astaruuiza, sowie in Lehnwörtern, z.B. finnisch akkuna entlehnt aus slawisch okъno ‘Fenster’).

Der Slawen-Name ist auf dem Boden des slawischen Sprachgebietes mehrmals anzutreffen und war auch der Name der Bewohner jenes slawischen Reiches, das als „Großmährisches Reich“ in die Geschichte eingegangen ist, in dem die Einführung des Christentums durch (69) Kyrill und Method erfolgt ist. Dieses Reich ist durch den Einbruch der Ungarn Ende des 9. Jhdts. zerstört worden, doch an den Rändern dieses im Raume Mähren-Pannonien zu lokalisierenden Reiches hat sich der Slawenname in den Ethnonymen Slowenen und Slowaken und im Namen der Landschaft Slawonien bis heute erhalten; früher war er auch in anderen Regionen verbreitet, wie z.B. im Namen der Slowinzen in Pommern und der Nowgoroder Slovenen um den Ilmensee (in Russland). Dieser allgemeine Name der Slawen leitet sich von einem Gewässernamen ab und der Wort­bildungstypus  -’ane/-ěne ist nur von geografischen Objekten denkbar, z.B. Pol’ane ‘Feld­bewohner’ (zu polje ʻFeldʼ), Drěvl’ane ‘Waldbe­wohner’ (zu drěvo ʻHolz, Waldʼ; dieses auch im Namen der Draväno-Polaben an der Elbe, tschechisch Labe, polnisch Łaba, enthalten), sowie in Kärnten *Karant’ane, latinisiert Carantani o.ä. ‘Bewohner der Gegend um Carantum, auf einem keltisch-romanischen Ortsnamen mit der Bedeutung ‘Stein, Fels’ beruhend (gemeint ist der Mons carentanus, der alte Name des Ulrichsberges).[24]

Der Name der Slawen dürfte also auf einem alten Gewässernamen beruhen[25] (wie übrigens auch andere Völkernamen, z.B. Letten und Litauer,[26] slawische Stämme wie Morav’ane ‘Mährer’ [March/Morava], Narentani [Narenta/Neretva], Bužane [Bug], Poločane [Polota] usw., antike Völker und Stämme wie Hiberi/Iberi [Ebro], Ambidravi [Drau] u.v.a.m.). Der zugrunde liegende Gewässername lautete etwa *Slova, zur indogermanischen Wurzel *k’leu-/k’lō(u)-/k’lū- ‘spülen, rein machen’,[27] vgl. griechisch κλύζω klýzō ‘spülen’, lateinisch cluō ‘reinige’, cloāca ‘Abzugskanal’, keltische Gewässernamen Cluad, Clut (vgl. englisch Clyde) usw.; andere slawische Gewässernamen, die dieses Appellativ enthalten, sind u.a. Sluja (Smolensk), Sława, Sławica (Polen), Slavnica (Serbien), man beachte auch den Beinamen des Dnepr, altrussisch Словутичь Slovutič. Mit Ausnahme von Slavnica liegen alle genannten Gewässernamen in dem Gebiet, das von J. Udolph[28] als Urheimat der Slawen sehr wahrscheinlich gemacht wurde: das Gebiet nördlich der Karpaten. Der zufällige Anklang des Stammesnamens slověne an slawisch slovo ‘Wort’ bzw. sluti, slovǫ ʿgenannt werden, heißen’[29] (davon abgeleitet slava ‘Ruhm’, das auch in vielen traditionellen slawischen Personennamen vorkommt, z.B. Vladislav ‘Ladislaus’, Bolesław, Vác(es)lav ‘Wenzel’ usw.) ließ ihn zur allgemeinen Bezeichnung für die Angehörigen der slawischen Sprachen aufsteigen, daneben war er auch an einzelne slawische Stämme bzw. Völker gebunden. Als Gesamtname muss diese Bezeichnung bereits im 6. Jhdt. gedient haben, sonst wären Quellenbelege wie Sclavi, qui Winidi nominantur ‘Slawen, die Wenden genannt werden’ oder Sclavi, qui dicuntur Quarantani ‘Slawen, die Karantanen genannt werden’ oder Sclavi Behemenses et Marahenses ‘Böhmische und Mährische Slawen’[30] nicht denkbar.

Eine verwickelte Vorgeschichte hat auch das Ethnonym windisch, die alte deutsche Bezeichnung für ‘slawisch’, im Norden wendisch (z.B. im Namen der Wenden ‘Sorben’ in der Lausitz).[31] „Windisch“ ist auch die alte Bezeichnung für Slowenisch. Früher bezeichneten auch Slowenen, wenn sie auf Deutsch schrieben, ihre Sprache oft als windisch, z.B. Oswald Gutsmann in seinem Deutsch-Windischen Wörterbuch (Klagenfurt 1789). Das erste gedruckte slowenische Buch, der Katechismus von Primus Truber bzw. Primož Trubar (1550), hatte den deutschen Titel Catechismus in der windischenn Sprach. Die Eigenbezeichnung slowenisch (auch slovenisch) ist erst nach 1848 in der deutsche Gemeinsprache als Fachausdruck allgemein üblich geworden und wurde dann auch amtlich für die Sprache verwendet. Daneben blieb windisch umgangssprachlich bestehen und dieses Wort hat im Laufe der Zeit einige weitere Bedeutungen angenommen, die ihm ursprünglich nicht zukamen[32], wie bereits näher ausgeführt.

Die ältesten Belege für die Bezeichnung Windisch (auch wendisch  ‘sorbisch’) scheinen in den alten Volksnamen Venedae (bei Plinius dem Älteren)[33], Venedi (bei Tacitus)[34], Uenedai (bei Ptolomäos)[35] und Venethi (bei Jordanes)[36] vorzuliegen.[37] Alte Namen leben oft weiter, auch wenn sich die Bevölke­rungsverhältnisse geändert haben, z.B. deutsch welsch/walisch ‘romanisch’ (keltischer Herkunft, vgl. Wales in Großbritannien, auch im Namen der alemannischen Walser erhalten), Ägypter (verwandt mit dem Namen der Kopten, heute für die christlichen Einwohner Ägyptens, das offiziell Arabische Republik Ägypten heißt), neugriechisch Γαλλία Gallía ‘Frankreich’ (eigentlich ‘Gallien’), slawisch Makedonija ‘Mazedonien’ (Teilrepublik des ehemaligen Jugoslawien, heute selbständiger Staat, seit 2019 amtlich Nordmazedonien, mit überwiegend slawischer Bevölkerung [ca. zwei Drittel]); die namengebenden antiken Mazedonier sind schon vor Christus in den Griechen aufgegangen) oder illyrisch (gelehrt für ‘serbokroatisch’ bis ins 19. Jhdt.) – nur so ist erklärbar, dass man mitunter in mittelalterlichen Quellen ...qui antiquitus Wandali, nunc autem Winithi sive Winuli appellantur (‘...die in jener Zeit genannten Wandalen heißen aber jetzt Wenden oder Winuler’) lesen kann. Auf einer solchen Bezeichnung beruht auch finnisch venäjä (70) „Russen“. doch das im Finnischen der Volksbezeichnung Russen etymologisch ent­sprechende Wort heißt Ruotsi, dieses bezeichnet aber nicht diese, sondern die Schweden; der Name der Russen geht selbst auf einen alten (germanischen) Beinamen der Wikinger bzw. Waräger zurück – ähnlich wie auch die Franzosen nach dem germanischen Stamm der Franken benannt sind. Namenkunde kann somit „linguistische Archäologie“ sein!

Der Name deutsch selbst ist namenkundlich eindeutig und klar, die slawische Bezeichnung (slowenisch) nemec aber nicht. Der Begriff deutsch leitet sich von althochdeutsch diutisc (älter *þeodisk) ab, was ursprünglich ʻzum Volk gehörigʼ bedeutete (germanisch þeudā, althochdeutsch diot[a] ʻVolkʼ).[38] Mit diesem Wort wurde vor allem die germanische Volkssprache im Gegensatz zum „Welschen“ der romanischen Nachbarvölker bezeichnet, also dem (Alt-) Französischen oder Italienischen und auch zum Latein der christlichen Priester im Gebiet der germanischen Stämme und Völker. Der Name deutsch bezeichnete also ursprünglich die germanische („deutsche“) Dialekte sprechenden Einwohner des Ostfränkischen Reiches im Gegensatz zur romanisierten Oberschicht im Westfränkischen Reich, dem Vorläufer des heutigen Frankreich. Aus dem Ostfränkischen Reich entstand dann das „Heilige Römische Reich“ deutscher Nation (dieser Zusatz erst seit dem 15. Jhdt.), das vielfach verkürzt auch „Deutsches Reich“ genannt wird, welcher Name aber erst 1871 „amtlich“ wurde. – Der slawische Begriff nemec ʻDeutscherʼ wird mit gemeinslawisch němъ ʻstummʼ (im Sinne von ʻunverständlich sprechendʼ) verknüpft, was aber eher eine Volkstymologie sein dürfte. Es finden sich sich mehrere Hinweise, dass die Wurzel nem- auch die Bedeutung  ‘Geschlecht, Volksstamm’ bzw. ʻAdeliger, Edelmannʼ haben konnte. Der byzantinische Historiograph Porphyrogennetos nennt das zu seiner Zeit überwiegend warägische Novgorod  Νεμογαρδάς  (Nemogardas). Daraus kann man schließen, dass das Wort něm- im Slawischen ein Ethnonym war, das erst später in seiner Bedeutung auf die Deutschen übertragen wurde.[39]

Zitierte und weiterführende Literatur

Bogataj, M. 1989: Die Kärntner Slowenen, Klagenfurt-Wien.

Dressler, W.U. 1974: Minderheitensprachen als Spannungsfaktoren. In: Wissenschaft und Weltbild 27/4, 243-252.

Fräss-Ehrfeld, C. 1994: Geschichte Kärntens, Bd. 2: Die ständische Epoche. Klagenfurt. 

Fräss-Ehrfeld, C. 2000: Geschichte Kärntens, Bd. 3/2 - Kärnten 1918-1920: Abwehrkampf – Volksabstimmung, Identitätssuche. Klagenfurt.

Geschichte 1988: Geschichte der Kärntner Slowenen. Klagenfurt-Wien.

Gołąb, Z. 1975: Veneti/Venedi – The Oldest Name of the Slavs. Journal of Indo-European Studies 3, 321-336.

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[1]    Dazu vgl. ausführlich Pohl 2018, 199ff.

[2]    Aussprache [εtˈni:], Plural Ethnien [εtˈni:ǝn, auch εtˈni:n], von griechisch éthnos „Volk“, davon ethnisch ʻein bestimmtes Volkstum betreffend, einer sprachlich und kulturell einheitlichen Volksgruppe angehörend bzw. diese betreffendʼ.

[3]    Grundbedeutung ʻGeburtʼ, dann auch ʻVolksstamm, Völkerschaftʼ sowie ʻGeschlecht, Art, Gattungʼ (neben weiteren Bedeutungen).

[4]    Hier könnte man als Beispiel die Iren anführen, deren ethnische Intentität auf dem Katholizismus beruht und nicht auf der Sprache, zumal nur mehr eine kleine Minderheit das Irische (Gaeilge ʻGälischʼ) im Alltagsleben spricht (schätzungsweise 70.000); als Zweitsprache neben dem Englischen beherrschen es ca. 1,6 Mill. (von ca. 4,8 Mill. Einwohnern), obwohl das Irische Pflichtfach in der Schule ist.

[5]    mit weit über 20 Millionen Sprechern, 3 Schriftsprachen (Kurmandschi/Nordkurdisch, Sorani/ Zentralkurdisch und Südkurdisch).

[6]    mit 313 Millionen Muttersprachlern (und 424 Millionen Zweitsprachlern).

[7]    transliteriert  rossijanin.

[8]    transliteriert  Rossijskaja Federacija bzw. Russkaja Federacija.

[9]    eine sehr weit verbreitete Ansicht, die zur irrigen Gleichsetzung von Sprach- und Volkstumsbegriff geführt hat (vgl. Dressler 1974, 245), die den Nährboden für nationalistische politische Auseinandersetzungen geliefert hat, was mehrmals  zum Untergang multiethnischer Staaten geführt hat – wie Österreich-Ungarn 1918 (sowie Tschechoslowakei 1939 u. 1991/92, Russland 1919 bzw. Sowjetunion 1992, Jugoslawien 1991ff.).

[10] „und wie man denkt, so ist man eben“ (Sornig 1998, 169 mit weiteren interessanten Hinweisen).

[11]         dazu  s.u. und Pohl 2016.

[12] dazu s. 1.5, ausführlich Pohl 2004b u. 2008.

[13] dazu vgl. Pohl 2010, 83ff. bzw. 2016, 75ff. – Ein Beispiel: dem urslawischen tj entspricht heute slowenisch č, in den Freisinger Denkmälern aber k (z.B. choku ‘ich will’, heute hočem), so auch in den ältesten Belegen von Ortsnamen, z.B. Radweg aus altem *Radovike, heute slowenisch Radoviče.

[14] Ein Beispiel: das Deutsche kannte ursprünglich kein tsch, ein slawisches č wurde bei früher Entlehnung ins Deutsche zunächst durch s wiedergegeben wie z.B. Sirnitz (Kärnten, urkundlich 985–93 Sirnvuiza) oder Sierning (Oberösterreich, urkundlich 791 Sirnicam), beides aus *čьrnica ‘Schwarzenbach’; wenn nun ein Ort wie Tscharniedling in Osttirol (< *čьrnidlo ‘schwarzer Ort’ + *-nikъ, ursprünglich wohl Hof- oder Flurname, ohne urkundliche Belege) ein tsch aufweist, zeigt dies, dass dort noch so lange slawisch bzw. slowenisch gesprochen wurde, so dass es im Deutschen entsprechend wiedergegeben werden konnte.

[15] Diese stammt aus dem 14. Jhdt., weist sprachlich aber ältere Züge auf (dazu Pohl 2010, 116–122). ­– Auch beim Minnesänger Oswald von Wolkenstein finden wir einige kleinere slowenische Passagen („Einsprengsel“), die dafür sprechen, dass Slowenischkenntnisse damals weiter verbreitet waren.

[16] Vergleichbar mit diesen Slowenen sind rund 500 „Deutsche“, die aus welchen Gründen auch immer für Jugoslawien gestimmt haben. – Näheres dazu s. Fräss-Ehrfeld 2000, 193ff. (mit Lit.), zum Sprachlichen Pohl 2009a.

[17] „Windisch“ ist eigentlich das ursprüngliche, seit Mitte des 19. Jhdts. nur mehr volkstümliche Wort für „slowenisch“ (vgl. Pohl 2015, Abschnitt 4), heute obsolet. – Von den nationalbewussten Deutschen wie Slowenen wurden die „Windischen“ im wahrsten Sinne des Wortes misshandelt, indem die „Deutschen“ sie als „deutschfreundlich“ vereinnahm­ten und die „Slowenen“ sie als „Abtrünnige“ verstießen – zu sehr vermengte man Mutter­sprache und ethnisch-politisches Bekenntnis.

[18] dies kennt man ja auch aus dem österreichischen Deutsch, in das „bundesdeutsche“ Ausdrucksweisen immer mehr Eingang finden, z.B. Jungs und Mädels, Sahne, die Eins/Zwei, Treppe(nhaus)  usw.

[19] wir kennen dies ja auch aus der heutigen Diskussion um die Anglizismen im Deutschen.

[20] Zur Bezeichnung Windisch s. zuletzt Pohl 2015 (Abschnitt 4). – Auch in den zahlreichen Ortsnamen mit „Windisch…“ lebt diese Bezeichnung weiter; diese weisen auf (oft ehemalige slawische bzw.) slowenische Bevölkerung hin, im Gegensatz zu Namen mit „Deutsch…“ wie z.B. Deutschlandsberg (Steiermark) gegenüber Windisch Landsberg, heute Podčetrtek (Slowenien). Deutsch Windischgraz (Slowenien) heißt auf Slowenisch Slovenj Gradec im Gegensatz zur steirischen Landeshauptstadt Graz, die einst Bairisch Graz hieß. St. Michael am Zollfeld (Kärnten) hieß zur Zeit der Monarchie Deutsch St. Michael im Gegensatz zu Windisch St. Michael bzw. Slovenji Šmihel, heute St. Michael ob der Gurk bzw. Šmihel ob Krki (doch geläufiger ist wie auch früher die slowenische Bezeichnung Slovenji Šmihel). Bei allgemein bekannten Namen ist dann der Zusatz entfallen wie bei Graz, aber auch Deutsch-Griffen im Gegensatz zu Griffen (Kärnten) oder Windischgarsten und Garsten (Oberösterreich).

[21] slowenisch Blažnja ves (oder vas), abgeleitet von blag ‘Richter, Verwalter, Edling’; in der Untersteiermark gab es ein zweites Blasendorf (so urkundlich 1440, ab 1450 Ambt­manstorff, d.i. ‘Dorf des Amtmannes’; das Wort Amtmann, in der Schweiz Ammann, entspricht in seiner Bedeutung dem alten slowenischen blag), heute Gojkova (s. Pohl 2013, 45f., Snoj 2009, 64).

[22] Zur Rolle des Fürstensteins in Geschichte und Gegenwart vgl. die Monographie Nikolay 2010, dort auch viele Hinweise und Angaben zur Kontroverse bezüglich seiner Verwendung auf slowenischem Geld, dazu auch Pohl 2010a, 46–49.

[23] Diese Lautung dürfte dazu beigetragen haben, dass man den Namen der Slawen mit der Bezeichnung Sklave vermengt hat. Im Griechischen gibt es das Wort σκύλoν (skýlon) ʻKriegsbeuteʼ; insbesondere die dem Feind abgenommene Rüstung wird so bezeichnet. Davon wird das Verbum σκυλεύω (skyléuō) bzw. mittelgriechisch [skilévo] oder σκυλάω [skiláo] ʻKriegsbeute machenʼ gebildet, wovon ein neues Wort *σκυλάβoς [skilávos] ʻkriegserbeuteter bzw. gefangener Mannʼ abgeleitet wurde, das latinisiert über *scylavus > sclavus geworden ist, woraus dann unser heutiges Sklave wurde (vgl. Korth 1970, 146f.). – Die Riva degli Schiavoni in Venedig – mit falscher Volksetymologie vielfach als ʽSklavenufer’ gedeutet, also als Ort, wo man Sklaven verkauft hat – bedeutet in Wahrheit ʽSlawen-Ufer’, weil dort die slawischen Händler und Seeleute aus Dalmatien und dem Kvarner/Quarnero (die ihre Sprache im Gegensatz zur italienischen slovinski ʻslawischʼ nannten) anlegten und ihre Waren feil boten.

[24] dazu zuletzt Pohl 2013, 32ff. mit Lit.

[25] so auch Vasmer 1971, 664-666 und Kronsteiner 1980, 339ff.

[26] vgl. Schmid 1973, 17f.

[27] Pokorny 1959, 607.

[28] Udolph 1979.

[29] Kronsteiner 1980, 357, vgl. auch Schelesniker 1973, 11.

[30] Schelesniker 1973, 11.

[31] Die Etymologie bzw. Herkunft des Namens Wenden bzw. Winden ist unklar, doch es gibt Versuche, ihn mit slawisch *vętji ʻmehr, höherʼ als *ven(e)tes ʻAngehörige einer Kriegerkasteʼ zu verbinden (so Gołąb 1975).

[32] Dazu näher Pohl 2002. – Bemerkenswert ist die Tatsache, dass es kein volkstümliches Wort im Slowenischen für windisch gibt, nur fachsprachliches vindišar; die Bezeichnungen nemčur und nemškutar stehen eher für ʻDeutschtümlerʼ.

[33] Naturalis historia IV 97.

[34] Germania 46.

[35] Geographia II 10 und III 5.

[36] De origine actibusque Getarum V 34 (Venethae), XXIII 119 (Venethi).

[37] Gemeint sind Voksstämme an der Weichsel und östlich davon (und nicht etwa die Veneter in Norditalien). – Verfehlt ist die Hypothese der Herkunft der Slowenen von den alten Venetern, wie sie von Šavli-Bor 1988 dargelegt wird.

[38] Kluge 2001, 193f. – Darauf beruht auch das Element Diet- in vielen deutschen Vornamen.

[39] Näheres s. Pohl 2015 (Abschnitt 3).