Sprache und politische Korrektheit

Mein Vortrag bei der Präsentation des Buches

Maria Dippelreiter / Michael Dippelreiter (Hg.) Politische Korrektheit: Der lange Weg vom Postulat zur Performanz  (2017)

https://www.wieser-verlag.com/buch/politische-korrektheit/,

Tagungsband zu: 21. Wiener Kulturkongress: „Politische Korrektheit und Deutungshoheit“ (Nov. 2016)

https://kulturvereinigung.at/21-wiener-kulturkongress-politische-korrektheit-und-deutungshoheit-49-102,

darin auf S. 106–125 mein Beitrag Wo die politische Korrektheit an ihre sprachlichen Grenzen stößt.

 

0. Allgemeines; 1. Abstammung und Ethnie; 2. Geografische und ethnografische Namen; 2.1. Ethnografische Bezeichnungen; 2.2. Geografische Bezeichnungen; 3. Körperliche und geistige Einschränkungen; 4. Geschlecht; 5. Schlussbemerkungen.

0. Allgemeines

Mit dem Begriff der „politischen Korrektkeit“ versucht man in der Sprache Diskriminierung und Herabwürdigung durch die Auswahl entsprechender Ausdrucksweisen zu vermeiden. Psychologisch schwingt dabei die Vorstellung mit, dass man dadurch zur Lösung bestehender gesellschaftlicher Probleme und zur Besserung der Lage benachteiligter Personen(gruppen) beitragen kann. Sprach­wissenschaftlich gesehen ist die „politische Korrektkeit“ eher ein Randthema, die sich hauptsächlich im Bereich Semantik und Soziolinguistik sowie Sprachpolitik und „feministischer Linguistik“ bewegt und versucht, normativ auf die Standardsprache einzuwirken, indem man einerseits bestimmte Ausdrucksweisen als nicht mehr der Norm zugehörig bezeichnet, andererseits neue Formulierungen als neue Norm kreiert. Besonders deutlich kommt dies beim „feministischen Sprachgebrauch“ zum Vorschein (s. 4).

Der Begriff Politische Korrektheit bzw. das Adjektiv politisch korrekt ist ein aus dem englischsprachigen, genauer: amerikanischen Raum stammendes Schlagwort, wo diese Begriffe political correctness bzw. politically correct lauten, daher abgekürzt PC. Dieses spielt insbesondere in der sogenannten öffentlichen Meinung eine Rolle, die ja von Kritikern oft auch veröffentlichte Meinung genannt wird. In seiner ursprünglichen Bedeutung bezeichnet der englische Begriff politically correct die Zustimmung zur Idee, dass Ausdrücke und Handlungen vermieden werden sollten, die Gruppen von Menschen diffamieren oder beleidigen können, v.a. in Bezug auf Rasse, Geschlecht oder körperliche Merkmale.

Bald wurde dieser Begriff in den USA von konservativen Studenten, Akademikern, Journalisten usw. zu einem pejorativ gebrauchten Kampfbegriff umfunktioniert und damit verwandelte er sich zu einem Kennzeichen der Ablehnung von Antidiskriminierungsbemühungen. V.a. konservative Kräfte verwenden ihn seit den 1990er Jahren in Auseinandersetzungen mit ihren politischen Gegnern. In der Folge wurde er dann auch von nichtkonservativen Kräften verwendet und wird es auch weiterhin.

Es lassen sich zwei verschiedene Verwendungen des Begriffs feststellen:

(1)     Dieser Begriff ist einerseits ein praktisches Schlagwort im Zusammenhang mit dem besonders in Nordamerika und Europa seit dem ausgehenden 20. Jahrhundert vorhandenen Bemühen, die Interessen von Minderheiten aller Art stärker zu vertreten und damit Diskriminierung v.a. im Sprachgebrauch zu vermeiden, wie sie vielfach in der Vergangenheit üblich war, ohne dass man sich dessen bewusst war. Mit der Aussage, dass etwas politisch nicht korrekt oder politisch inkorrekt sei, soll dahingehend gedeutet und verstanden werden, dass eine Norm verletzt wurde und solche Äußerungen (oder Handlungen) den allgemeinen moralischen Normen zuwiderlaufen, wobei auch Tabus gebrochen werden können. Daraus folgt, dass auch berechtigte Kritik vielfach stark moralisierend gefärbt ist.

(2)     Andererseits wird dieser Begriff aber auch als Freiheitsbeschränkung oder Zensur an gesellschaftlichen Normen empfunden, sei es, um am Gewohnten festzuhalten, sei es gegen Übertreibung bei der Vermeidung als negativ empfundener Ausdrucksweisen. Durch zu viel Rücksichtnahme könne die Freiheit der Äußerung von Fakten oder Wahrheiten unterdrückt werden. Diese Kritik an vermeintlicher politischer Korrektheit als Kampfbegriff gegen zu viel Rücksichtnahme bzw. auch gegen einen politischen Gegner ist ebenfalls als politisches Schlagwort in Verwendung.

Im Deutschen beschreibt politische Korrektheit einen Sprachgebrauch, der durch eine besondere Sensibilisierung gegenüber Minderheiten gekennzeichnet ist und sich der Anti-Diskriminierung verpflichtet fühlt. Zugleich erfuhr der Begriff auch bei uns einen Bedeutungswandel und wird vielfach als politisches Schlagwort von der eher konservativen bzw. „rechten“ Seite als „Diffa­mierungsvokabel“ für das gesamte liberale bzw. „linke“ Spektrum eingesetzt. Daher ist auch bei uns in Österreich der PC-Begriff eher negativ besetzt. Dies liegt m.M. auch daran, dass man im  öffentlichen Diskurs sehr locker mit Begriffen wie Rechts- und Linksextremismus umgeht, wobei man sich gegenseitig mit entsprechender Kritik und Diffamierung überhäuft. Doch ich möchte mich hier in meinem Vortrag eher auf die sprach(wissenschaft)liche Seite beschränken.

Es sind v.a. vier Bereiche, wo politisch korrekte Ausdrucksweise besonders häufig eingefordert wird:

1.       Benennung von Angehörigen bestimmter Personengruppen (z.B. Migranten), Ethnien bzw. „Völker“ oder anthropologischen Typen bzw. „Rassen“ (als Fachausdruck heute eher gemieden);

2.       Verwendung geografischer und ethnografischer Namen;

2.1.    Ethnografische Bezeichnungen;

2.2.    Geografische Bezeichnungen;

3.       Personen mit körperlicher oder geistiger Behinderung;

4.       geschlechtergerechter Sprachgebrauch (Vermeidung des generischen Maskulinums).

1. Abstammung und Ethnie

Als Beispiele zu Punkt (1) seien zunächst Personen mit Migrationshintergrund statt Ausländer, Roma statt Zigeuner, Afroamerikaner oder Schwarzafrikaner statt Neger usw. genannt, dazu gehören auch die „Ethno­phaulismen“, die abfälligen Bezeichnungen für andere Ethnien, z.B. Tschuschen.

Bezüglich der Benennung von Angehörigen bestimmter Ethnien („Völker“) und ethnischer Gruppen (Volksgruppen) werden in letzter Zeit zunehmend Eigenbezeichnungen verwendet und die bisher üblichen traditionellen Bezeichnungen vermieden. So werden z.B. – von Kanada ausgehend – die Eskimo jetzt Inuit, vom deutschen Sprachraum ausgehend die Zigeuner jetzt Roma und Sinti genannt, welche Bezeichnungen aber nur von einem zwar großen Teil der Angehörigen dieser Ethnien goutiert wird, aber nicht von allen. Somit reduziert sich der Sprachgebrauch auf eine andere Ebene, das Ersatzwort ist das fachsprachliche bzw. das „höfliche“, das ursprüngliche das umgangssprachliche bzw. weniger höfliche und heute meist auch das abwertende. Dies kann man an Bezeichnungen wie Roma gegenüber Zigeuner oder Migranten gegenüber Ausländer sehen. Vielfach ist aber die Tatsache zu beobachten, dass sich „politisch korrekte“ Begriffe abnützen, indem die Ersatzbegriffe immer mehr die ursprüngliche Bedeutung des Wortes, das sie ersetzen, annehmen, v.a. in Kombination mit einem bestimmten Tonfall, wie dies manchmal bei Wörtern wie Migranten oder Asylanten deutlich wahrnehmbar ist. Darüber hinaus ändern sie die Realitäten sowie die soziale Wirklichkeit kaum. So hat in den USA die Terminologie Negroblack peoplecoloured peopleAfro-Americans zu keinen wirklich durchgreifenden Veränderungen geführt und auch zu keiner allgemeinen sozialen Integration. Oder ist die Lage vieler Personen mit Migra­tionshintergrund durch diese Wortwahl wirklich besser geworden?

Heute werden viele umgangssprachliche und mundartliche Bezeichnungen als abwertend empfunden. So stammen die meisten „Ethnophaulismen“ aus solchen Sprachschichten wie eben Tschusch ʻSüdosteuropäerʼ oder Piefke ʻBundesdeutscherʼ einerseits, Polák ʻPoleʼ oder Krawǻt ʻKroateʼ andererseits. Letztere beide waren ursprünglich neutrale mundartliche Benennungen, hingegen hatten Tschusch (in Bosnien während der Okkupation aufgekommen) und Piefke (nach einem aus dem Slawischen stammenden Familiennamen einer Berliner Witzfigur, zufällig auch Name einiger preußischer Militärmusiker) immer schon eine negative Konnotation. Während also Eigenbezeichnungen positiv gewertet werden, ist dies bei Fremdbezeichnungen nicht so, sie werden oft als abwertend empfunden wie eben Zigeuner statt Roma (amtlich Roma und Sinti). Sie sind übrigens die einzigen „echten“ Arier in Europa und sprechen eine indoarische Sprache, das Romani oder Romanes. Trotzdem wurden sie Opfer der NS-Vernichtungsmaschinerie. Der Ursprung des Namens Zigeuner liegt im Dunkeln, ähnliche Bezeichnungen gibt es auch in anderen Sprachen (griech. tsingani, älter athinganoi, slaw. (russ.) cygan; auf ʻÄgypterʼ beruht die engl. Bezeichnung gipsy, franz. gitan, ital. gitano usw.), die Eigenbezeichnung Roma bedeutet ʻMenschʼ, doch man bezeichnet sich eher nach dem Namen der Stämme wie Lovara, Sinti, Kalderasch usw. Umgangssprachlich ist die Bezeichnung Zigeuner bis heute üblich, auf Speisekarten findet man nach wie vor das Zigeunergulasch oder den Zigeunerspieß, die aus mehreren Fleischsorten hergestellt werden; andere Speisen mit Zigeuner- werden für besonders scharfe Gerichte verwendet. Auch die berühmte Operette heißt noch immer der Zigeunerbaron; wenn auch Roma heute das fachsprachliche Wort ist – im Alltagssprachbrauch wird nach wie vor Zigeuner verwendet, z.T. auch von ihnen selbst. Ähnlich ist es bei den Lappen, die fachsprachlich heute Samen genannt werden; die Landschaft heißt aber noch immer Lappland. Während der Name Lappe als ʻGrenz­bewohnerʼ gedeutet wird, bedeutet die Eigenbezeichnung ʻSumpfleuteʼ. Auch Eskimo wurde fachsprachlich durch Inuit ersetzt, gehört aber immer noch der Umgangssprache an. Ob diese drei Bezeichnungen (Zigeuner, Lappen und Eskimo) heute wirklich als „politisch unkorrekt“ zu gelten haben, ist eine rein ideologische Frage.

2. Geografische und ethnografische Namen

2.1. Es gibt aber Fälle, wo dies zu bejahen ist. Die Slawen wurden im nördlichen Deutschen früher als Wenden (so v.a. früher die Bezeichnung für die Lausitzer Sorben), im Süden Winden genannt, davon das Adjektiv windisch, mit dem man dann v.a. das Slowenische bezeichnete. Wenn Slowenen deutsch schrieben, nannten sie bis ins 19. Jhdt. selbst ihre Sprache so (so z.B. Gutsmann, der 1789 ein Deutsch-Windisches Wörterbuch verfasst hat). Die Bezeichnung Slowenisch wurde in Österreich erst nach 1848 endgültig amtlich. In Kärnten verstand man darunter aber v.a. die Schriftsprache, während die volkstümliche Mundart weiterhin windisch hieß. Daher wurden um 1900 die sogenannten „deutschfreundlichen bzw. heimattreuen“ Slowenen zu den Windischen, deren Mutter- und Umgangssprache man dann auch Windisch im Gegensatz zur „landfremden“ slowenischen Schriftsprache nannte, die vielfach als Kunst­sprache diffamiert wurde, wobei der Begriff windisch eine politische, aus Sicht der Slowenen durchaus negative Nebenbedeutung bekam; im Slowenischen wurden diese nemčurji oder nemškutarji genannt (Bedeutung etwa ʻDeutsch­tümlerʼ). Zur Zeit des Kärntner Abwehrkampfes (1918-20) waren dann die Windischen die „Kärntentreuen“, die „eigentlichen“ Slowenen, die bei der Volksabstimmung für den SHS-Staat gestimmt haben, die Abtrünnigen. Im Abstimmungsgebiet lebten (nach der Volkszählung 1910) 70 % slowenischsprachige und nur 30 % deutschsprachige Personen – trotzdem haben rund 40 % Slowenischsprachige mit ihrer Stimme zum Erhalt der Landeseinheit beigetragen. Übrigens haben auch 4-500 Deutschsprachige für Jugoslawien gestimmt (aus wirtschaftlichen Gründen). In der Folge wurde die Kluft zwischen „Windischen“ und „Slowenen“ noch größer; der Begriff ist heute obsolet geworden, obwohl es in Kärnten immer noch eine sich „windische“ bezeichnende Gruppe gibt: Verein der Kärntner Windischen. In Namen ist Windisch vielfach erhalten geblieben, man denke an die Windische Höhe in den Gailtaler Alpen, die Windischen Bühel / Slovenske gorice in der Steiermark oder an Ortsnamen wie Windisch Bleiberg / Slovenji Plajberk. Ähnlich in Deutschland das Wendland. – Um eine Wiener Parallele zu nennen: heute ist es obsolet geworden, die Tschechen Böhmen (mundartlich [bęm]) und das Land Tschechien Tschechei zu bezeichnen.

Eine ebenfalls mit politischer Korrektheit verbundene Frage ist die ethnische Bezeichnung der deutsch sprechenden Österreicher: sind sie „Deutsche“, „Österreicher“ oder bloß „Deutsch­sprachige“? Unumstritten ist die Tatsache, dass die Österreicher (abgesehen von den ethnischen Minderheiten“) zur deutschen Sprachgemeinschaft gehören. Doch die Österreicher als „Deutsche“ zu bezeichnen, gilt heute als politisch inkorrekt. Zwar sind die Österreicher auf Grund des modernen Nationsbegriffs eine eigene Nation (geworden) und nicht Teil der deutschen Nation; Anschlussbestrebungen an Deutschland wie vor 100 Jahren gibt es heute kaum noch. Aber man sollte Nation und Ethnie bzw. sprachliche und ethnische Gemeinschaften nicht gleichsetzen, denn eine gemeinsame Sprache macht politisch noch keine Nation. Auch Nationalstaaten sind sprachlich meist nicht einheitlich, so lässt sich in Deutschland ein nördlicher und südlicher einerseits und westlicher und östlicher Sprachgebrauch andererseits unterscheiden, der durch die überwiegend nördlich gefärbte Sprache der Massenmedien immer mehr ausgeglichen wird und sich zunehmend auch auf Österreich und die Schweiz auswirkt. Auch das österreichische Deutsch ist keine absolute Einheit, es gibt einen deutlichen Unterschied zwischen dem alemannisch geprägten Vorarlberg, dem südbairisch geprägten Tirol und Kärnten und dem mittelbairisch geprägten übrigen Bundesgebiet, wozu noch slowenische Einflüsse v.a. in Kärnten und tschechische v.a. in Wien kommen. Die mundartliche Gliederung des deutschen Sprachgebiets ist weitgehend von dessen politischer Aufteilung unabhängig. Bloß die Eigenstaatlichkeit Österreichs hat den Rahmen dafür geliefert, dass eine österreichische nationale Varietät des (südlich gefärbten) Deutsch gibt, aber keine österreichische „Sprache“, wenn auch deren Existenz von manchen Kreisen herbeigewünscht wird, aber die aktuelle Entwicklung deutet eher auf die Überlagerung unserer (österreichischen) Verkehrssprache durch den bundesdeutschen Sprachgebrauch hin. Übrigens: Früher bezeichnete man die deutschsprachigen Bewohner der ehemaligen Österreichisch-Ungarischen Monarchie „Volks­deutsche“, heute nennt man sie politisch korrekt „Altösterreicher“ – als ob dies nicht auf alle Angehörigen der österreichischen Reichshälfte zuträfe …    

2.2. Hingegen ist es heute politisch korrekt geworden, die Namen der in osteuropäischen Ländern liegenden geografischen Objekte so zu benennen wie dies seinerzeit in der DDR üblich war. Nach deren Richtlinien durften nur die Hauptstädte der „Bruderländer“ auf Deutsch genannt werden, für alle anderen Städte war das Endonym, also der amtliche Name in der Sprache des jeweiligen Landes zu verwenden. Prag statt Praha war also erlaubt, Brünn statt Brno nicht. Da Bratislava damals noch keine Hauptstadt war (die Unabhängigkeit der Slowakei trat erst am 1.1.1993 in Kraft) ist dies wohl mit ein Grund, dass der alte deutsche Name Pressburg heute kaum noch gebraucht wird. Auch die traditionelle Bezeichnung „indoeuro­päisch“ statt „indogermanisch“ war in der DDR die Norm und sie wird inzwischen auch bei uns immer häufiger in der Fachliteratur verwendet.

Wenn es um den „Vertrag von Lissabon“ und das europäische Parlament in Straßburg geht, liest man normalerweise nur die deutschen Namensformen und nicht (portugiesisch) Lisboa bzw. (französisch) Strasbourg. Auch das Zentrum der EU, die belgische Hauptstadt, erscheint nur auf Deutsch (Brüssel, so auch im Niederländischen, aber geschrieben Brussel ohne Pünktchen, oder französisch Bruxelles [bry(k)sél]). Die olympischen Sommerspiele fanden 2008 in Peking, die Winterspiele 2006 in Turin statt – die amtlichen bzw. einheimischen Bezeichnungen Torino oder Beijing konnten wir nur sehr selten hören. Aber für die nordböhmische Stadt Reichenberg wurde in der Berichterstattung des ORF über die dort ausgetragene nordische Schi-Weltmeisterschaft aus­schließlich die tschechische Bezeichnung Liberec verwendet. Dieser Gebrauch widerspricht sowohl dem „normalen“ deutschen Sprachgebrauch als auch der österrei­chischen Tradition. Diese Stadt hieß im alten Österreich immer schon  Reichenberg, wenn man deutsch sprach oder schrieb bzw. – wenn man tschechisch sprach oder schrieb – zunächst Liberk und dann Liberec. Urkundlich hieß die Stadt seit dem 14. Jhdt. Reichenberg, die tschechischen Formen sind seit Ende des 18. Jhdts. belegt und keine Konstruktionen – im Gegensatz zu Bratislava, das bis 1919 auf slowakisch Prešporok hieß. Daher ist es aus namenkundlicher Sicht nicht nachvollziehbar, warum im ORF (und auch im überwiegenden Teil der Presse) nur Liberec gebraucht wurde, es aber in der Berichterstattung sonst weiter Florenz, Mailand, Moskau, Casablanca, Athen usw. heißt (und nicht Firenze, Milano, Moskva Москва, Dar el-Beida bzw. ad-Dār al-bayḍāʾ ء البيضا الدار und Athina Αθήνα).

3. Körperliche und geistige Einschränkungen

Statt trationeller, oft als abwertend empfundener Bezeichnungen wie (Körper-) Behinderte u. dgl. werden heute eher neutrale Ausdrücke wie Personen mit eingeschränkter Mobilität benutzt wie ja überhaupt anstatt des Begriffs Behinderte die Form Menschen mit Behinderung bzw. eingeschränkter Mobilität o.ä. verwendet wird, um die Reduzierung der Menschen auf ihre Behinderung zu verringern. Neue Bezeichnungen wirken auf die Sprecher und Hörer eben anders als traditionelle und umgangssprachliche. Oder man setzt auf alternative Wendungen, so hieß es in Deutschland früher Lernbehinderte bzw. Lern­hilfeschüler, heute Förderschüler. In Österreich gab es einst die Hilfsschule, die dann zur Sonderschule wurde; die alte Mittelschule wurde zur AHS (Allgemeinbildende Höhere Schule) und kehrt als Neue Mittelschule wieder, die die traditionelle Hauptschule ablösen soll. Schwer erziehbare Kinder werden heute verhaltensauffällig oder beschönigend verhaltenskreativ bezeichnet. Statt Legasthenie spricht man heute eher von einer Lese-Rechtschreib-Störung oder Lese-Rechtschreib-Schwäche. Man ersetzt alte Begriffe durch neue, aber die Probleme in der Pädagogik löst man so nicht.

Nach Berichten in ORF und Tagespresse soll der Anteil von Schülern nichtdeutscher Muttersprache gewaltig angestiegen sein. Von Seiten der Bildungspolitiker wird zwar gefordert, dass die „Alphabetisierung“ von Schülern nichtdeutscher Muttersprache zuerst in deren Muttersprache erfolgen soll, doch muttersprachlicher Unterricht wird m.W. derzeit in Österreich nur als „Freigegenstand“ oder „unverbindliche Übung“ geführt. Österreichweit besuchen nur rund ein Drittel aller Schüler mit einer anderen Erstsprache als Deutsch in der Volksschule einen muttersprachlichen Unterricht, am meisten in Wien sowie in Kärnten mit seinem traditionellen zweisprachigen Schulwesen. Heute findet man übrigens den Begriff Erstsprache eher politisch korrekt als Muttersprache.

Auch bezüglich Krankheiten und körperlichen Besonderheiten haben sich einige Bezeichnungen geändert, wobei ebenfalls politisch-korrekte Überlegungen mitgespielt haben, wie Bipolare Störung statt manisch-depressiv oder Übergewicht statt Fettleibigkeit, wobei man beim Fachausdruck „Adipositas“ fast schon von Verhüllung sprechen kann. Statt Liliputaner oder Zwergwuchs sagt man heute Kleinwuchs, statt Taubstumme ist heute Gehörlose üblich, deren Kommunikationsmittel heißt Gebärdensprache, was ja den Kern der Sache bestens trifft.

4. Geschlecht

Noch weiter als die bisher besprochenen Regelungen gehen Eingriffe auf das gewohnte Schriftbild im Zuge des sogenannten „Genderns“ mit schwerwiegenden Auswirkungen auf die Orthografie und tradionellen Ausdrucksweisen. Obwohl das Gendern in Form von Binnen-I, Schrägstrich, Gender Gap ( ), Sternchen (*), x-Form usw. in der amtlichen deutschen Rechtschreibung keine Berück­sichtigung findet, wird im Unterrichtswesen unverdrossen auch seitens vieler Universitäts- und AHS-Lehrer darauf bestanden, v.a. in Österreich – mit tatkräftiger Mitwirkung des Ministeriums. Bei den verordneten „Gender-Leitfäden“ wird man unwillkürlich an George Orwells „Neusprech“ in seinem hervorragenden Buch „1984“ erinnert, daher möchte ich diese Art von Gendern „Neuschreib“ bezeichnen. Außerdem sind solche „gegenderte“ Texte nur mühsam lesbar (und kaum vorlesbar!). Weiters werden Arbeiten, wenn sie nicht gegendert sind, schlechter beurteilt und mitunter auch abgewiesen, wie man dies immer in den Medien lesen und hören kann. Die Verpflichtung zu etwas, was in der amtlichen Rechtschreibung gar nicht vorgesehen ist und den bestehenden (allgemeinen) Normen zuwiderläuft, ist juristisch höchst bedenklich. Dass amtliche und öffentliche Stellen dies mit Steuergeldern fördern und ihre Mitarbeiter dazu verpflichten, stößt – wie Umfragen zeigen – bei über 85 % aller Österreicher und Österreicherinnen auf Ablehnung, auch bei der Mehrheit der Studierenden, wie ich dies selbst beobachten konnte.

Unlängst hat sich die Volksanwaltschaft – bisher erfolglos – dieser Thematik angenommen. In einer „Missstandsfeststellung“ wird darauf hingewiesen, dass das Gendern in den Rechtschreibregeln gar nicht vorgesehen ist und daher auch bei der Benotung keine Rolle spielen darf, doch am Schluss dieser „Missstandsfeststellung“ heißt es lapidar: Das Bundesministerium für Bildung folgte den mit diesen Beanstandungen verbundenen Anregungen der Volksanwaltschaft nicht.

Vielfach wird (sogenannten) „geschlechtsneutralen“ Bezeichnungen wie Lehrende, Studie­rende usw. der Vorzug gegeben. Mit diesen sind zwar beide Geschlechter gemeint, aber auch auf Plurale wie die Lehrer und die Studenten trifft dies zu, wenn man auch einschränkend behaupten kann, dass die Frauen nur „mitgemeint“ sind, denn man weiß ja, dass Lehrer und Studenten in der Regel nicht nur Männer, sondern auch Frauen sind, was genau so auch auf die „neutralen“ Bezeichnungen Lehrende, Studierende zutrifft. Das Wort „mitgemeint“ ist daher ein manipulativer Kunstgriff der „feministischen Linguistik“, denn Frauen sind inkludiert (mit eingeschlossen) wie auch das generische Maskulinum der Mensch beide Geschlechter einschließt – ebenso das generische Femininum die Geisel bzw. Person und das generische Neutrum das Kind. Bei keinem dieser Wörter kann man von einem „Nur-Mitgemeint-Sein“ sprechen; dies gilt auch für die generisch maskulinen Berufs- und Herkunftsbezeichnungen wie Lehrer und Wiener. Zum vielfach einge­forderten und verordneten „geschlechtsneutralen Formulieren“ ist fest­zustellen, dass „geschlechts­neutrale“ Bezeichnungen in der deutschen Grammatik gar nicht vorgesehen sind und daher in Widerspruch zur Realität stehen, da sie im Singular ohne Artikel gar nicht verwendet werden können und der Artikel immer vom jeweiligen Genus, also grammatikalischem Geschlecht, abhängig ist. Im Singular ist nur der/die/eine Lehrende/Studierende bzw. ein Lehrender/Studie­render möglich, nur im Plural auch Lehrende/Studierende (ohne Artikel) bzw. die Lehrenden /Studierenden (mit Artikel) – wie auch Lehrer und Schüler. Da eben jedes Substantiv im Deutschen einem der drei Geschlechter zuzuordnen ist, kann es keine „geschlechtsneutralen“ geben. dies gilt auch für jene Substantiva, die regional (z.B. der/das Joghurt, der Schranken / die Schranke, der Spitz / die Spitze, das Eck / die Ecke usw.) oder nach der Bedeutung (der/das Schild, der/die See) oder auch aus beiden Gründen (z.B. der/das Gehalt, die/das Erkenntnis) verschiedenen Geschlechts sein können.

Abschließend zur Bezeichnung Landeshauptfrau statt Landeshauptmännin: Mit dem Rückzug des niederösterreichischen Landeshauptmanns ist im Zusammenhang mit seiner Nachfolgerin Johanna Mikl-Leitner wieder das Wort Landeshauptfrau zu hören, doch nach den Regeln der deutschen Grammatik kann man zu jedem zusammengesetzten Wort mit -mann die Form  -männin bilden – wie in Landsmännin, denn das Wort Landsfrau gibt es offensichtlich bisher gar nicht. Warum also nicht Landeshauptmännin? Man sagte früher auch Kaufmännin statt Kauffrau, letzteres ein Begriff, der auch andere Vorstellungen erwecken könnte.

Viele Sprachen kommen übrigens ohne Genus aus, so u.a. das Englische, das den Unterschied nur beim Pronomen (he/she/it) kennt, oder das Neupersische (Fārsī), das auch beim Pronomen kein Genus aufweist (u = er/sie/es).

5. Schlussbemerkungen

Die Kritik an der mit „politischer Korrektheit“ bezeichneten Sprachpolitik kann man im Wesentlichen in einen primär sprachkritischen und einen dezidiert sprachpolitischen Zweig unterteilen. So weist der slowenische Philosoph Slavoj Žižek darauf hin, dass sich politisch korrekte Begriffe abnützen, da die Ersatzbegriffe mit der Zeit die Bedeutung des Wortes erben, das sie eigentlich ersetzen sollten, wenn sie nicht mit einer Veränderung der sozialen Wirklichkeit einhergingen. So könne allein durch eine fortwährende Neuschöpfung von Ersatzbegriffen wie z.B. im eingangs erwähnten US-amerikanischen Beispiel Negroblack peoplecoloured peopleAfro-Americans noch keine durchgreifende Veränderung erzielt werden, wenn den Worten keine Taten folgen, also tatsächliche soziale Integration. Die rein sprachliche Prägung immer neuer Begriffe enthülle die Unfähigkeit, die tatsächlichen Ursachen von Rassismus und Sexismus allein durch Sprach­politik zu überwinden. Mit ähnlichen Argumenten vertritt der Germanist Armin Burkhardt die Auffassung, dass politische Korrektheit auf lange Sicht nicht erfolgreich sein könne, wenn nicht zugleich die alten Tabus und Vorurteile oder Aberglaube überwunden würden.

„Politische Korrektheit“ hat vielfach also auch negative Konnotationen, man sollte sie in erster Linie aber neutral im Sinne eines höflichen Umgangs miteinander in der politischen Ausein­andersetzung sehen, um als Mittel gegenseitiger Achtung zu dienen und zur Begegnung mit „anderen“ auf Augenhöhe beitragen zu können, indem problematische, oft auch als beleidigend empfundene Ausdrucksweisen vermieden werden, um den schwierigen Weg zu Verständigung und Lösungen zu ermöglichen.  

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