Zur Diskussion um das Binnen-I
und zum „feministischen Sprachgebrauch“
Zuletzt
bearbeitet 25.7.2020 – Zur Kurzfassung
Gekürzte
Fassung aus dem Jahr 1998 (Schriftenverzeichnis
Nr. 186), dann umgearbeitet und aktualisiert, war als Beitrag vorgesehen für
die nicht
mehr erscheinende
Zeitschrift tribüne, ausführlichere Fassung als
pdf-Datei hier,
Eine
erweiterte und aktualisierte Fassung ist im Kärntner Jahrbuch für Politik
Jg. 2015, S. 234ff. erschienen, als
pdf-Datei aufrufbar unter
http://www.jahrbuchkaernten.at/index.php?id=26
(bei allen Versionen beachten Sie bitte diese Ergänzung)
S.a. zur „politischen
Korrektheit“ (PC)
Übersicht über alle (bisher üblichen) Möglichkeiten
des „gendergerechten Sprachgebrauchs“ 1 |
|||||
Sprachformen |
Substantive Singular |
Substantive Plural |
Personalpronomen |
Possessivpronomen |
Fragepronomen |
1. Binnen-I |
StudentIn |
StudentInnen |
sie |
ihre, ihrE |
Welche? WelchE? |
2. Zwei-Genderung |
Studentin und Student |
Studentinnen und Studenten |
sie/er, si/er |
ihre/seine |
Welche? Wer? |
3a. Schrägstrich nach
ÖWB |
Student/in |
Student/innen |
sie/er, er/sie |
ihre/seine, seine/ihre |
Welche/r? |
3b. Schrägstrich nach
Duden |
Student/-in |
Student/-innen |
|
|
|
4. Klammern nach Duden |
Student(in) |
Student(inn)en |
er (sie) |
seine (ihre) |
Welche(r)? |
5. Gender_Gap bzw. Unterstrich 2 |
Student_in |
Student_innen |
sie_er |
ihre_seine |
Welche_r? |
6. Dynamischer Unterstrich |
Stu_dentin |
Stu_dentinnen |
s_ier |
ih_re |
We_lche? |
7. Wortstamm-Unterstrich |
Stud_entin |
Stud_entinnen |
si_er |
ihr_e |
Welch_e? |
8. Generisches Femininum |
Studentin |
Studentinnen |
sie |
ihre |
Welche? |
9. a-Form |
Mitarbeita |
Mitarbeitas |
sie |
ihre |
Welche? |
10. x-Form (gesprochen
[-iks]) |
Studierx |
Studierxs |
x |
xs |
Wex? |
11. *-Form I |
Studier* |
Studier** |
* |
|
We*? |
12. *-Form II 2 |
Student*in |
Student*innen |
sie*er |
ihre*seine |
Welche*r? |
13. Doppelpunkt |
Student:in |
Student:innen |
sie:er, er/sie3 |
3 |
3 |
In österreichischen „Gender-Leitfäden“ wird
v.a. 3, 1 u. 2 und neuerdings
auch 12 empfohlen. Vielfach werden
auch „geschlechtsneutrale“ Bezeichnungen wie Lehrende, Studierende (eigentlich
Partizipia) usw. verwendet bzw. vorgeschlagen (dazu s.o. Anm. 2a).
1 Bearbeitet nach DUDEN (D 98 und D 156) sowie Österreichischem Wörterbuch (ÖWB, 43. Auflage,
Regel 8.1.3 und 12.1), weiters zu verschiedenen Anleitungen zum „gendergerechten Sprachgebrauch“ sowie nach: Hornscheidt,
Lann, feministische w_orte. ein lern-,
denk- und handlungsbuch zu sprache und diskriminierung, gender studies und
feministischer linguistik (Frankfurt a. M., Brandes & Apsel 2012)
und Was tun?
Sprachhandeln, aber wie? W_ortungen statt Tatenlosigkeit. AG
Feministisch Sprachhandeln der Humboldt-Universität zu Berlin 2014, S. 13 (im
Internet unter: http://feministisch-sprachhandeln.org/wp-content/uploads/2014/03/onlineversion_sprachleitfaden_hu-berlin_2014_ag-feministisch-sprachhandeln.pdf
[aufgerufen zuletzt am 12.1.2020]).
2 Mit diesen beiden Schreibungen
sind alle sexuellen Orientierungen miteinbezogen: „Dadurch werden traditionelle
Geschlechterrollen, die bipolare
Geschlechteraufteilung, aufgeweicht und Intersexuelle,
Transgender oder Transsexuelle berücksichtigt.“
(so in https://static.uni-graz.at/fileadmin/Akgl/4_Fuer_MitarbeiterInnen/LEITFADEN_Gendergerechtes_Formulieren_APZ.pdf)
[aufgerufen zuletzt am 20.3.2019].
3 Dazu gibt
der Leitfaden der Hansestadt Lübeck keine genaue Auskunft, s. http://bekanntmachungen.luebeck.de/dokumente/d/1055/download
[aufgerufen
zuletzt am 20.3.2019].
Vorbemerkungen
Weder nach Duden noch nach Österreichischem
Wörterbuch gelten derzeit „gegenderte“ Formen mit Binnen-I (Muster: LehrerInnen), Schrägstrich (Muster: Schüler/innen [die
Schreibung Schüler/-innen ist aber
zulässig, s.u.]), mitunter auch mit _ (Muster: Teilnehmer_innen) und Klammern (Muster: Bürger(innen) [außer in Verkürzungen,
s.u.] und neuerdings „Gender-Stern“
[*] und zuletzt der Doppelpunkt [:]) als korrekt. Trotzdem sind sie weit
verbreitet, haben sich aber nicht allgemein durchgesetzt bzw. deren Gebrauch
ist immer noch auf gewisse Bereiche beschränkt, so insbes. im Bildungswesen,
aber auch im amtlichen Bereich. Daher ist die Frage berechtigt, inwieweit ihr
Gebrauch als Verstoß gegen die amtliche Rechtschreibung zu sehen ist. Dazu
stellte der Rat für deutsche
Rechtschreibung unter dem Überschrift Geschlechtergerechte Schreibung: Herausforderung noch
ohne Lösung u.a. fest: Der Rat sieht die Schreibentwicklung als nicht so weit gediehen an,
dass das Regelwerk der Amtlichen
deutschen Rechtschreibung geändert werden sollte. Auszug aus der
Stellungnahme (Pressemitteilung vom 8.6.2018):
Der Rat für deutsche
Rechtschreibung hat in seiner heutigen Sitzung in Wien den ersten Bericht der von ihm im November 2017
eingesetzten Arbeitsgruppe „Geschlechtergerechte Schreibung“
beraten. Hintergrund sind gesellschaftspolitische Entwicklungen und
die öffentliche Diskussion in einigen Ländern des deutschen Sprachraums,
die Schreibung deutscher Texte
„gendergerecht“ zu gestalten.
Aufgrund der Beobachtung der geschriebenen
Sprache ergibt sich derzeit keine eindeutige
Tendenz, wie durch Orthografie die
Schreibung geschlechtergerecht gestaltet werden kann. Die weit verbreitete
Praxis, immer von Frauen und
Männern in weiblicher und männlicher Form, im Plural oder in Passivkonstruktionen zu schreiben, wird der
Erwartung
geschlechtergerechter Schreibung derzeit
am ehesten gerecht. Der Rat
sieht die Schreibentwicklung als nicht so weit gediehen an, dass das Regelwerk
der Amtlichen deutschen
Rechtschreibung geändert werden sollte. Er hat die Arbeitsgruppe gebeten, bis
zur Sitzung im November 2018 mögliche Empfehlungen an die staatlichen Stellen vorzubereiten. Dabei sollte sich
die Arbeitsgruppe von folgenden Grundsätzen
für den Umgang mit
geschlechtergerechter Schreibung
leiten lassen: geschlechtergerechte Schreibung
sollte
·
verständlich sein,
·
lesbar sein,
·
vorlesbar sein (mit Blick auf die Altersentwicklung der Bevölkerung und die
Tendenz in den Medien, Texte in
vorlesbarer Form zur Verfügung zu stellen),
·
grammatisch korrekt sein,
·
Eindeutigkeit und Rechtssicherheit gewährleisten
(im Hinblick auf die Verbindlichkeit der
Amtlichen Regeln für
Verwaltung und Rechtspflege).
Dabei ist jeweils auf
die unterschiedlichen Zielgruppen und Funktionen von Texten zu achten.
(s. https://www.rechtschreibrat.com/DOX/rfdr_PM_2018-06-08_Geschlechtergerechte_Schreibung.pdf
[aufgerufen zuletzt am 12.1.2020])
Anmerkung 1: Es geht hier
ausschließlich um allgemeine Empfehlungen zur Rechtschreibung und nicht darum,
was zulässig ist oder nicht. Wie man im Privatleben schreibt, ist jedermanns
eigene Entscheidung, man kann dies ja an zahlreichen E-Mails, die man täglich
bekommt „studieren“ (totale Kleinschreibung, Verzicht auf Umlaute und ß, dialektnahe Ausdrücke usw.). „Smileys“,
farbliche Hervorhebung u.ä. sind Möglichkeiten, individuelle Akzente zu setzen.
In amtlichen Schriftstücken sollte dies alles aber nichts verloren haben.
Dennoch wird vielfach wird behauptet aus der Beobachtung, dass die Binnen-I- und Schrägstrichschreibung (neuerdings auch
Sternchenschreibung) in vielen amtlichen Schriftstücken vorkommt, den Schluss
zu ziehen, diese sei „amtlich“ (so
Kargl, Wetschanow et
alii [s. am Ende des Beitrages] S. 133) ist verfehlt.
Nach Duden, Regel D 98 Klammern
(s. https://www.duden.de/sprachwissen/rechtschreibregeln/klammern [aufgerufen am 12.1.2020]) wird festgestellt:
3. Häufig werden
Buchstaben, Wortteile oder Wörter in Klammern eingeschlossen, um Verkürzungen,
Zusammenfassungen, Alternativen o. Ä. zu kennzeichnen.
· Mitarbeiter(in) (als
Kurzform für: Mitarbeiterin oder Mitarbeiter)
· Lehrer(innen) (als
Kurzform für: Lehrerinnen und/oder Lehrer)
· Kolleg(inn)en (als
Kurzform für: Kolleginnen und/oder Kollegen)
Nach Duden, Regel D 156 Schrägstrich (s. https://www.duden.de/sprachwissen/rechtschreibregeln/schraegstrich#D156 [aufgerufen am 12.1.2020]) sind auch
Schreibungen wie folgt zulässig:
· unsere
Mitarbeiter/-innen
Vielfach gibt es „geschlechtsneutrale“
Bezeichnungen wie Lehrende, Studierende usw. (s.u. Anm. 2a). Mit
diesen sind beide Geschlechter gemeint, aber auch auf Plurale wie die Lehrer bzw. die Lehrenden und
die Studenten bzw. die
Studierenden trifft dies zu, wenn man auch einschränkend behaupten
kann, dass die Frauen nur „mitgemeint“ sind (s.u. Anm. 2c), denn man weiß ja,
dass Lehrer und Studenten nicht nur Männer, sondern auch Frauen sind, was auch auf
die „neutralen“ Bezeichnungen Lehrende,
Studierende zutrifft, denn nur in der
Einzahl ist alles klar: der/die Lehrende/Studierende wie auch der
Lehrer/Student bzw. die
Lehrerin/Studentin. Daher darf man sich mit Recht die Frage stellen: ist
dieser übertriebene Gebrauch „gegenderter“ Formen mit Binnen-I (usw.) wirklich notwendig? Doch das
Binnen-I wird noch immer von gewissen Kreisen
in Österreich erbittert verteidigt, wobei Aussagen wie die des Rates für deutsche Rechtschreibung (s.o.
Anm. 1) kontraproduktiv sind sowie manche Wortformen problematisch erscheinen
(s.u. Anm. 2d). Eine Umfrage in einer österreichischen Tageszeitung hat
ergeben, dass rund 88 % gegen solche Schreibungen sind – mehrheitsfähig sind
sie also sicher nicht!
Anmerkung 2a: „Geschlechtsneutrale“ Bezeichnungen sind in der deutschen Grammatik nicht vorgesehen und
stehen daher in Widerspruch zur Realität, da sie im Singular ohne Artikel nicht
verwendet werden können und der Artikel eindeutig das jeweilige Genus repräsentiert.
Im Singular ist nur der/die/eine
Lehrende/Studierende bzw. ein Lehrender/Studierender möglich, nur im Plural auch Lehrende bzw. Studierende (ohne
Artikel). Da jedes Substantiv im Deutschen einem der drei Genera zuzuordnen
ist, kann es grammatikalisch keine
„geschlechtsneutralen“ geben; dies gilt auch für jene Substantiva, die regional
(z.B. der/das Joghurt, der Schranken
/ die Schranke, der Spitz / die Spitze, das Eck / die Ecke usw.) oder nach der Bedeutung (der/das Teil, der/die See) oder auch
aus beiden Gründen (z.B. der/das Gehalt,
die/das Erkenntnis) verschiedenen Geschlechts sein
können. Außerdem haben Partizipia wie Lehrende,
Studierende nicht genau die gleiche
Bedeutung wie Lehrer/Lehrerin und Student/Studentin.
Anmerkung 2b: Schon im „Dritten
Reich“, also zur Nazi-Zeit, gab es Ansätze, solche Partizipien zu verwenden,
auch Doppelnennungen nach dem Muster Schüler
(und Schülerinnen) (einige Beispiele hier).
Anmerkung 2c: Das Wort mitgemeint ist der manipulative
Kunstgriff oder das „Zauberwort“ der „feministischen Linguistik“ schlechthin,
mit dem man alles so drehen, beugen und wenden kann, wie man es gerade braucht.
Mitgemeint scheint soviel zu heißen
wie „Frauen müssen sich eben denken, dass sie da auch dazugehören, obwohl
nur Männer genannt sind“. Doch dieser Schluss ist grammatikalisch und
semantisch falsch, denn Frauen sind inkludiert (nicht bloß „mitgemeint“,
sopndern gedanklich mit eingeschlossen) und das generische Maskulinum wie z.B. der Mensch umfasst ebenso beide
Geschlechter wie das generische Femininum die
Person und das generische Neutrum das
Kind. Bei keinem dieser Wörter kann man von einem „Nur-Mitgemeint-Sein“
sprechen, wie dies auch für die generisch maskulinen Berufs- und Herkunftsbezeichnungen
wie Lehrer und Wiener gilt.
Anmerkung 2d: Dass Bildungen wie Mitgliederinnen oder Gästinnen sprachlich falsch sind, wird
auch von den Befürwortern feministischen Sprachgerauchs akzeptiert. Doch auch
Bildungen wie Beamtin oder Gesandtin sind problematisch, da
grammatikalisch das Geschlecht durch den Artikel ausreichend erkennbar wäre: der/die Beamte/Gesandte (wie z.B. der/die Abgeordnete). Höchst
problematisch sind auch feminine Kunstformen zu abstrakten Begriffen à la Nationalrätin oder Vorständin – dies sind ja Gremien und keine Einzelpersonen. Werden
aber heute laut Duden und Österreichischem Wörterbuch akzeptiert.
Anmerkung 2e: Bemerkenswert erscheint die Tatsache, dass die Möglichkeit durchaus
üblicher und grammatikalisch korrekter Wortbildung zur Bezeichnung weiblicher
Personen vermieden wird, so z.B. Landeshauptfrau statt Landeshauptmännin: Zuletzt
ist mit dem Rückzug des niederösterreichischen Landeshauptmanns im Zusammenhang
mit seiner Nachfolgerin Johanna Mikl-Leitner wiederum das Wort Landeshauptfrau zu hören
(was die ehemalige steiermärkische Landeshauptmännin Waltraud Klasnic
[1996-2005] entschieden ablehnte, sie wollte mit „Frau Landeshauptmann“
angesprochen werden), doch nach den Regeln der deutschen Grammatik kann man zu
jedem zusammengesetzten Wort mit -mann die Form -männin bilden – wie z.B. Landsmännin, denn das Wort Landsfrau gibt es offensichtlich bisher gar nicht.
Warum also nicht Landeshauptmännin? Man sagte früher ja auch Kaufmännin statt Kauffrau, letzteres
ein Begriff, der auch andere Vorstellungen erwecken könnte. Übrigens: bei der Feuerwehr gibt es jetzt statt des neutralen Plurals Feuerwehrleute meist Feuerwehrmänner und -frauen. Auch Obmännin klingt besser als Obfrau.
Zum Begriff Genus (ʽgrammatisches
Geschlecht’) s.a. Generisches
Maskulinum
Das Genus
(zu lateinisch genus
ʽArt, Gattung,
Geschlecht’) oder grammatische Geschlecht ist ein in vielen Sprachen vorhandendes
Klassifikationsmerkmal der Substantiva. Es bewirkt Kongruenz, die sich auf andere Wörter im Satz
auswirkt, die mit dem betreffenden Substantiv syntaktisch verbunden sind, z.B. ein guter Lehrer / eine gute Lehrerin; in den meisten anderen Sprachen erfasst diese
Kongruenz auch das Prädikat, z.B. slowenisch novi učitelj je prišel v razred ʽder neue Lehrer kam in
die Klasse’ / nova učiteljica je
prišla v razred ʽdie neue Lehrerin kam in die Klasse’. Dies kennen wir
auch aus dem Lateinischen: ille discipulus
studiosus est ʽjener Schüler ist fleißig’, illa discipula studiosa est ʽjene Schülerin ist fleißig’.
Der
Begriff des Genus ist vom Sexus
(dem ʽbiologischen Geschlecht’) deutlich zu unterscheiden, denn das Genus
klassifiziert Substantive in grammatikalischer Hinsicht (z,B. der Mensch, die Sonne, das Kind), der
Sexus dagegen Lebewesen (der
Vater, die Mutter bzw. der Stier,
die Kuh). Ein gewisser Zusammenhang
zwischen diesen beiden Klassifikationen besteht allerdings nur bei
Substantiven, die Menschen und Tiere bezeichnen, dies ist aber keineswegs
allgemein wie der Vogel, die Meise,
das Rind zeigen,
und liegt überhaupt nicht bei Pflanzen und pflanzlichen bzw. tierischen
Produkten vor, wie dies der Kümmel, die Petersilie, das Liebstöckel sowie der Speck, die Butter, das Schmalz
zeigen. In einem noch größeren Ausmaß gilt dies für Sachbezeichnungen
(Gegenstände, Einrichtungen, Gesellschaft usw.), z.B. der Hammer, die Schule, das Dorf. Vielfach bestimmt die
Wortbildung das grammatische Geschlecht, so sind alle Substantiva auf -ling Maskulina (z.B. Lehrling), auf -schaft (z.B. Freundschaft)
Feminina und -chen (z.B. Bäumchen) Neutra; das grammatische
Geschlecht „schlägt“ hier das natürliche, so bezeichnet Lehrling auch weibliche Auszubildende sowie Kundschaft auch männliche Kunden und ein Männchen bzw. Weibchen
ist zwar der Überbegriff für männliche bzw. weibliche Tiere, aber dennoch
grammatikalisch Neutrum. Die anderen Wortarten sind hinsichtlich ihres Genus
vom übergeordneten Substantiv abhängig, ausgenommen das Personalpronomen der 3.
Person (er, sie).
In
unserer täglichen Umgangssprache sprechen wir oft statt von
maskulinem/femininem Genus von
„männlichem/weiblichem Geschlecht“, doch eine solche terminologische
Vermischung verstellt den Blick auf den Zusammenhang zwischen Genus und Sexus,
der in den Sprachen der Welt recht verschieden sein kann. Beispielsweise wurde im Englischen das
Genussystem weitgehend abgebaut (es ist nur durch die drei Pronomina he/she/it nach wie vor gegeben), in
anderen indogermanischen Sprachen ist es ganz aufgegeben worden (u.a. im
Neupersischen [Farsi], wo u für ʽer/sie/es’ steht, analog ist
es mit na für ʽer/sie/es’ auch
im Armenischen). Außerdem ist es nur dann gerechtfertigt, von der Kategorie Genus zu sprechen, wenn es drei (Maskulinum, Femininum und Neutrum
wie ursprünglich in den meisten indogermanischen Sprachen und heute noch u.a.
im Deutschen) bzw. zwei Genera (Maskulinum und Femininum wie in vielen
jüngeren indogermanischen Sprachen oder im Semitischen) gibt, allerdings von
bestimmten Sonderentwicklungen abgesehen, wie z.B. in den skandinavischen
Sprachen, wo aus dem Maskulinum und Femininum ein „Utrum“ entstanden ist, dem
das Neutrum gegenübersteht. Trotzdem
wird beim Personalpronomen zwischen männlich und weiblich unterschieden, z.B.
dänisch han ʽer’ und hun ʽsie’, bei nicht persönlichem
bzw. grammatischem Utrum steht den ʽer/sie’,
bei unpersönlichem bzw. grammatischem Neutrum det, im Plural einheitlich de. Im
Schwedischen ist es zwar fast
genau so (nur statt hun gebraucht man
hon für ʽsie’), aber man hat ein
neues „geschlechtsneutrales“ Kunstwort geschaffen: hen = ʽer+sie’, dieses wird jedoch nicht allzu häufig verwendet
und ist darüber hinaus in der Öffentlichkeit umstritten.
Ähnlich wie
heute im Skandinavischen war es auch im Hethitischen, der ältest belegten
indogermanischen Sprache (in Anatolien), woraus man den Schluss zieht, dass die
indogermanischen Sprachen erst relativ spät (nach der Ausgliederung der
altanatolischen Sprachen) das ursprüngliche für Belebtes vorgesehene Genus commune in männlich und weiblich
aufgespalten haben, wobei die historischen Details nicht ganz klar sind. Aus
dem Genus commune haben sich jedenfalls zunächst auf Grund ihrer Bedeutung die
primären Feminina herausgebildet. Die sekundär gebildeten Feminina scheinen
einen gemeinsamen Ursprung mit den Kollektiva zu haben, worauf auch die Bildung
der Abstrakta und der abgeleiteten Feminina hinweist (mit einem gemeinsamen
Suffix, das dann in den Einzelsprachen -ā-
bzw. -ī- ergab). So sind im
Lateinischen Nomina wie mater ʽMutter’
und anus ʽalte Frau’ auf Grund
ihrer Bedeutung Feminina wie pater ʽVater’
und senex ʽGreis’ Maskulina
sind, ohne dass dies an der Wortbildung erkennbar wäre. Hingegen sind femina ʽFrau’ oder amita ʽTante’ auch morphologisch
als Feminina erkennbar und filia ʽTochter’
oder equa ʽStute’ sind moviert,
ein maskulines filius ʽSohn’ und
equus ʽPferd’ wurde durch
Überführung die a-Deklination feminin,
wie wir dies auch beim Adjektiv kennen (bonus,
-a ʽgut’). Dies ist zwar nicht
die einzige Bildungsweise, aber eine sehr produktive. Indogermanisch -ī- begegnet in altindisch devī- ʽGöttin’ (neben deva- ʽGott’); es lebt erweitert
mit einem n-Suffix als -in im Deutschen weiter. – Eine andere
Sonderentwicklung können wir u.a. im Rumänischen beobachten, wo es neben den
Maskulina und Feminina auch ambigene
Substantiva gibt, die im Singular maskulin (z.B. braț ʽArm’), im Plural feminin (brațe) sind; Ähnliches kommt mitunter auch in anderen
romanischen Sprachen vor (z.B. italienisch il braccio ʽArm’, Plural le
braccia) und ist als
ein Relikt des lateinischen Neutrums zu betrachten.
Anmerkung
3:
Drei Genera (Maskulinum, Femininum und Neutrum) hatten ursprünglich (fast) alle
indogermanischen und dravidischen Sprachen, die semitischen Sprachen nur zwei
(Maskulinum und Femininum). Unter den indogermanischen Sprachen haben alle drei
Geschlechter bis heute das Deutsche, Isländische (und Norwegisch-Nynorsk sowie
einige andere germanischen Sprachen bzw. Dialekte), das Slawische, Griechische,
einige neuindische (indoarische) Sprachen (v.a. Marathi, Gujarati) sowie bis zu
einem gewissen Grad auch das Albanische und Rumänische („ambigen“, s.o.)
bewahrt. Die meisten indoiranischen und romanischen Sprachen sowie das
Keltische und Baltische unterscheiden – wie die semitischen Sprachen – nur
zwischen Maskulinum und Femininum.
Wie
die skandinavischen Sprachen (Schwedisch, Dänisch und Norwegisch-Bokmål)
unterscheiden auch das Hethitische und die (wie die dravidischen Sprachen nicht
zur indoarischen Gruppe gehörenden) Munda-Sprachen nur zwischen Utrum und
Neutrum (s.o.). Kein grammatisches Geschlecht haben heute das Neupersische
(Farsi, Dari und Tadžikisch), das Armenische und einige indoarische Sprachen
(z.B. Bengali und Assamesisch). Ferner das Englische und Afrikaans (nur beim
Nomen). – Kein grammatisches Geschlecht kennen u.a. die finnougrischen, Türk-,
sinotibetischen Sprachen und das Koreanische, Japanische, Georgische und
Baskische (und viele andere).
Das Genus ist also eine ganz bestimmte Art
von Klasseneinteilung der Substantiva und Pronomina und neben dem Begriff des Genus gibt es auch den Begriff der Nominalklasse,
der zunächst mit Bezug auf eine Klassifikation von Substantiven u.a. in den Bantusprachen (z.B. Swahili, auch Suaheli,
s. Anm. 4)
eingeführt wurde. Wie beim Genus (das schon seit der Antike aus dem Griechischen und Lateinischen bekannt war) ist
auch hier das Substantiv der Bezugspunkt zu anderen Wörtern im Satz, die mit
ihm kongruieren. Die wichtigsten Unterschiede zwischen Genus und Nominalklasse
kann man kurz so zusammenfassen: Die traditionellen Sprachen mit Genus (wie
Latein, Französisch, Deutsch usw.) haben nie mehr als drei Genera,
Bantusprachen hingegen können über zehn Nominalklassen haben; da diese im
Singular und Plural verschieden sind, ergeben sich formal über 20 Klassen. Hier
ist weltweit eine große Vielfalt zu beobachten, so hat beispielsweise die Sprache Dyirbal (in Australien) nicht vier Genuskategorien, sondern vier Klassen (männliche, weibliche Lebewesen
[einschließlich Feuer
und gefährliche Dinge], essbare, übrige Dinge), andere Sprachen (wie die Bantu-Sprachen in
Afrika) haben weit mehr, daher nennt man sie „Klassensprachen“.
Anmerkung
4:
Einige Swahili-Beispiele zur Illustration: mtoto
mmoja anasoma ʽein Kind liest’, watoto wawili wanasoma ’zwei Kinder lesen’ (1./2.
Klasse bzw. „Menschenklasse“ Singular m- oder a-, Plural einheitlich wa-;
dazu Abstraktum utoto ʽKindheit’,
11. Klasse), oder kitabu kimoja kinatosha ʽein Buch reicht aus’, vitabu viwili vinatosha ʽzwei Bücher reichen
aus’ (7./8. Klasse für Werkzeuge, Artefakte, Diminutiva usw.“, Singular ki-,
Plural vi-; dazu kitoto ʽKleinkind’, Plural watoto, auch Sprachbezeichnungen Kiswahili ʽ Swahili’, Kiingereza ʽEnglisch’).
Solche
Nominalklassen sind zwar besonders charakteristisch für die Bantusprachen und
einige andere Zweige der Niger-Kordofanischen (auch Niger-Kongo-) Sprachen in
Afrika wie u.a. Fulfulde, doch auch
einige kaukasische Sprachen weisen sie auf. Weiters gibt es sie ansatzweise
u.a. im Chinesischen (durch die sogenannten Zählwörter oder
Numeralklassifikatoren).
Da ein
Genussystem Maskulinum und Femininum unterscheidet, stellt sich die Frage nach
einem Zusammenhang zwischen diesen beiden Genera und dem männlichen/weiblichen
Sexus. Die verschiedenen Nominalklassensysteme sind meist nach anderen
Kriterien unterteilt, v.a. „belebt/unbelebt“ oder „natürlich (= von der Natur vorgegeben)
/ künstlich (= vom Menschen gemacht/hergestellt usw.)“. Der Unterschied
zwischen Genus und Nominalklasse ist jedoch nicht scharf; insbesondere gibt es
auch (umfangreiche) Nominalklassensysteme, die eine Unterscheidung des Sexus
mit einschließen. Es gibt viele Arten der grammatischen Klassifikation der
Substantive, v.a. Genus, Nominalklasse und Numerusklassifikation.
Der Oberbegriff für solche Klassifikationen ist Nominalklassifikation.
Aus diesem Grunde kann man Genus als
eine bestimmte Art von Nominalklasse auffassen.
Das
Deutsche unterscheidet folgende Genera (s.a. Generisches
Maskulinum):
maskulines Genus („männliches Geschlecht“) bzw. Maskulinum,
z.B. (der) Löffel, Löwe
feminines Genus („weibliches Geschlecht“) bzw. Femininum,
z.B. (die) Gabel, Ziege
neutrales Genus („sächliches Geschlecht“) bzw. Neutrum, z.B. (das) Messer, Tier
Alle
diese Substantive haben ein (lexikalisch festgelegtes) Genus und es gibt kein
Substantiv, das keines besitzt; es gibt nur Schwankungen wie der/das Teil, die Ecke / das Eck, die/das Erkenntnis – oft verbunden mit einem Bedeutungsunterschied. Wie die oben genannten sechs
Beispiele zeigen, besteht bei diesen auch kein primärer und direkter Zusammenhang
sowohl zwischen Lebewesen und Sachen als auch zwischen Genus und Sexus.
Letzterer ist sekundär nur durch Wortbildung (Derivation wie z.B. Löwin oder Komposition wie z.B. Ziegenbock) eindeutig auszudrücken. Das
Genus des eine Person bezeichnenden Substantivs entspricht zwar meist dem Sexus der betreffenden Person
(z. B. die Frau, der Mann); typische Ausnahme sind die
Verkleinerungsformen (Diminutiva),
die immer sächlich sind (z. B. das Mädchen). Mit dem Suffix -in hat das
Deutsche ein sehr leistungsfähiges Wortbildungselement entwickelt, mit dem aus
(grammatisch und/oder semantisch ursprünglich) männlichen Begriffen weibliche
abgeleitet werden können wie Koch >
Köchin, Löwe > Löwin usw.
Besonders produktiv ist -in in
Verbindung mit -er, also Leser > Leserin, Wiener > Wienerin usw., aber in die umgekehrte Richtung
ist keine verlässliche Aussage möglich. Um aus weiblichen
Bezeichnungen männliche zu bilden, sind die Möglichkeiten beschränkt, z.B. Hebamme (es gibt nur Geburtshelfer o.ä.), neben der Krankenschwester gibt es nur den Krankenpfleger, neben dem Göden (oder Goten) die Godel oder Gotel ʽPate bzw. Patin’). Im
Tierreich hat die Ableitung mit -erich
eine gewisse Verbreitung, z.B. Gänserich,
Enterich, Mäuserich, aber daneben kommen auch andere Bildungen wie Kater, Ganter vor. Es gibt also kein produktives, dem femininen -in entsprechendes Wortbildungselement,
das männliche Bezeichnungen bildet. Weiters gibt es einige weibliche Begriffe,
die vom Genus her nicht feminin sind, z.B. das
Weib, umgangssprachlich bzw. mundartlich das Mensch (Plural die
Menscher); die meisten von ihnen werden aber (zumindest heute) abwertend
gebraucht. Ein Sonderfall ist das (auch
der) Mannequin (eine Entlehnung aus dem Französischen, die selbst aus
dem Niederländischen stammt und dort ursprünglich ein diminutives Neutrum ʽMännchen’
bezeichnet hat, das dann zunächst die Bedeutung ʽModepuppe’ bekam und
schließlich zur Bezeichnung für Personen, die modische Kleidung präsentieren,
wurde). Auch Bezeichnungen wie Kundschaft oder Lehrkraft sind
„neutral“. Ist das
biologische Geschlecht also unbekannt oder nicht wichtig oder soll über eine
gemischtgeschlechtliche Gruppe gesprochen werden, hat man im Deutschen die
Möglichkeit, Oberbegriffe in der Form eines Generikums zu benutzen: generisches Maskulinum (der Mensch, der Hund), generisches Femininum (die
Person, die Katze) oder generisches
Neutrum (das Tier, das Pferd). Allerdings gibt es für
Personenbezeichnungen nur sehr wenige generische Feminina (z.B. die Person,
die Geisel, die Waise) und Neutra (z.B. das Kind), aber für Tierbezeichnungen gibt es diese relativ häufig.
Dabei ist zu unterscheiden zwischen Substantiven, die generisch (oder allgemein) für beide Geschlechter, aber spezifisch für nur ein Geschlecht stehen
können – wobei Neutra hier nicht vorkommen, z.B.:
Generisches
Maskulinum (s.a. Generisches
Maskulinum):
generisch der Bär, der
Koch, der Lehrer, der Wiener
spezifisch der Bär
(gegenüber die Bärin), der Koch (gegenüber die Köchin), der Lehrer (gegenüber die Lehrerin),
der Wiener (gegenüber die Wienerin)
Generisches
Femininum:
generisch die Katze, die
Ziege
spezifisch die Katze (gegenüber
der Kater), die Ziege (gegenüber der Ziegenbock)
Generisches
Neutrum:
generisch das Pferd, das
Rind, das Kind
spezifisch der Hengst / die
Stute, der Stier (Bulle) / die Kuh, der Bub (Junge) / das
Mädchen
Doch nicht in jedem Fall ist die Dichotomie
generisch/spezifisch vorhanden, während es zu Katze oder Löwe männliche
Bezeichnungen gibt, fehlen diese z.B. bei Person und Kind; in den
beiden letzteren Fällen könnte man zwar auf Mann bzw. Bub (oder Junge)
ausweichen, doch die Bedeutung von Mann/Frau und Bub/Mädchen
stimmt mit Person und Kind semantisch nicht überein, weil
diese Bezeichnungen beide Geschlechter einbeziehen. Außerdem wird das Genus nur im
Singular unterschieden, im Plural gibt es keinen Genusunterschied (oder wenn
man so will, bezogen auf Lebewesen: nur genus
commune). Die meisten Substantive des Deutschen lassen keinen allgemeinen,
durchgehenden Zusammenhang zwischen der Bedeutung
(Semantik) eines Wortes
und seinem Genus erkennen. Abgeleitete Substantive (wie etwa Kundschaft, Mehrheit) sind dabei
meist eine Ausnahme, da das Wortbildungselement (-schaft, -heit) für das neugebildete Wort ein bestimmtes
Genus (hier Femininum) vorgibt und es gleichzeitig in eine bestimmte
Bedeutungskategorie (in unserem Fall Abstraktum) einordnet.
Kritische Bemerkungen
zur „feministischen Linguistik“
Das generische
Maskulinum bei Personenbezeichnungen wird von der feministischen Linguistik kritisiert, indem sie
behauptet, dass Männer bevorzugt, Frauen hingegen „unsichtbar“ gemacht würden. Daher wird bevorzugt
auf „gegenderte“ Formen mit Binnen-I (Muster: LehrerInnen) oder Schrägstrich
(Muster: Schüler/innen oder Schüler/-innen), mitunter auch mit _
(Unterstrich, Muster: Teilnehmer_innen)
oder * (Sternchen, Muster: Student*innen),
bestanden. Vielfach werden auch „neutrale“ Bezeichnungen wie Lehrende, Studierende usw. bevorzugt, denn nur mit diesen seien beide
Geschlechter gemeint, doch auch auf Plurale wie die Lehrer und die Studenten
würde dies zutreffen, wenn man auch einschränkend behaupten kann, dass die
Frauen nur „mitgemeint“ sind (s.o. Anm. 2), denn man weiß ja, dass Lehrer und Studenten nicht nur Männer, sondern auch Frauen sind, was auch auf
die „neutralen“ Bezeichnungen Lehrende,
Studierende zutrifft, nur in der
Einzahl ist alles klar: der/die Lehrende/Studierende wie auch der
Lehrer/Student bzw. die
Lehrerin/Studentin. Doch das
„Mitmeinen“ erscheint den feministischen Linguistinnen als zu wenig. Solche
Auslegungen haben allerdings mit der traditionellen allgemeinen und
historischen Sprachwissenschaft nur sehr wenig zu tun. Vielfach wird in Anspielung auf die historische Entwicklung der Sprachen
und dem Sprachwandel behauptet, es gebe keinen „natürlichen“ Sprachwandel,
Sprache sei immer den Machtinteressen bestimmter Gruppen unterworfen – doch
dies ist nicht Sprachwissenschaft, sondern Ideologie. Hier wird offensichtlich
„Sprachwandel“ mit „Sprachplanung“ verwechselt. Die vorliegenden Empfehlungen
und Anleitungen zu geschlechtergerechtem Sprachgebrauch sind ein Lehrbeispiel
für versuchte Sprachplanung mit schwerwiegenden Eingriffen in historisch gewachsene
sprachliche Strukturen. Da dies auch an den Universitäten als „Gender-Studies“
mit wissenschaftlichem Anspruch gelehrt wird, sind diese Richtlinien in
Seminar- und Diplomarbeiten, Dissertationen usw. entsprechend zu
berücksichtigen, wobei die von den Vertreterinnen der „feministischen
Linguistik“ eingeforderten Schreibregeln von vielen Studierenden als Zwang
wahrgenommen werden. Vielfach entsteht der Eindruck, dass diese Vorgangsweise
legal sei, also durch staatliche Gesetze oder verbindliche Vorschriften gedeckt
(s.o. Anm. 1). Doch vielmehr ist es so, dass es bloß vage Empfehlungen gibt,
die in den orthographischen Regelwerken kaum erwähnt werden und zu deren
Einhaltung in einem Rechtsstaat niemand verpflichtet werden kann. Dass dies in
manchen Bereichen dennoch geschieht, ist bedenklich.
Wie oben ausgeführt gibt es generische, also allgemeine, und spezifische Bezeichnungen. So sind Koch, Lehrer und Wiener sowohl allgemeine Bezeichnungen, die
in erster Linie einen Beruf bzw. einen Einwohner bezeichnen, als auch
spezifische Bezeichnungen, die erst in zweiter Linie einen männlichen Vertreter
desselben bedeuten, mitunter auch Sachbezeichnungen sein können, z.B. Anhänger (bei einem Lastwagen) oder Römer (ein Weinglas). So ist es bei
allen Bezeichnungen, die für die feministische Sprachplanung in Frage kommen,
am häufigsten sind es Tätigkeits- bzw. Berufs- und Einwohnerbezeichnungen, also
Köchin, Lehrerin und Wienerin.
Bekanntlich kommen alle Menschen entweder als „Mann“ oder
als „Frau“ auf die Welt, daher gibt es auch eigene Bezeichnungen für „männlich“
und „weiblich“, aber was selbstverständlich ist, muss nicht unbedingt eigens
ausgedrückt werden, daher ist die gemeinsame Bezeichnung unserer Spezies homo sapiens sapiens im Deutschen Mensch, früher Mann (daher jedermann, jemand, man usw., englisch man noch heute ʽMensch’ und
ʽMann’ [s.u. Anm. 5]), das besondere (merkmalhafte) war die Frau (englisch woman, entstanden aus wife +
man ʽWeib + Mensch’, ursprünglich etwa ʽweiblicher Mensch’).
Daher ist in der Sprache das weibliche Geschlecht historisch gesehen erst
später ausgedrückt worden (s.o.) und parallel dazu entstand auch in der
Grammatik die Kategorie Genus. Allerdings unterscheiden nicht alle
Sprachen in der Grammatik zwischen weiblich und männlich – quer durch alle
Kulturen dieser Welt, aber „Männliches“ und „Weibliches“ wird immer bis zu
einem gewissen Grad unterschieden (z.B. ungarisch [kein Genus] férfi ʽMann’, nő ʽFrau’, bika
ʽStier’, tehén ʽKuh’, tanitó ʽLehrer’, tanitónő ʽLehrerin’). Die
Menschen (bzw. „Männer“) haben also nicht die Natur der Sprache angepasst,
sondern die Sprache widerspiegelt mit der Möglichkeit, das weibliche Geschlecht
eindeutig auszudrücken, die Natur.
Anmerkung 5: In vielen Sprachen bedeutet das Wort für ʼMenschʼ
auch ʻMannʼ, so u.a. englisch man,
ungarisch ember, italienisch uomo, französisch homme, russisch čelovek.
In unserer Sprache wird nur im Singular (grammatisch) zwischen
männlich und weiblich unterschieden, in der Mehrzahl nicht (im Gegensatz etwa
zu den meisten romanischen und slawischen Sprachen). Mit dem Suffix -in hat das Deutsche ein sehr
leistungsfähiges Wortbildungselement entwickelt, mit dem aus (grammatisch
und/oder semantisch ursprünglich) männlichen Begriffen weibliche abgeleitet
werden, wie Koch > Köchin, Löwe > Löwin usw. Besonders produktiv
ist -in in Verbindung mit -er, also Leser > Leserin, Gärtner
> Gärtnerin usw. Dieses -er ist
„generisch maskulin“, also der Form nach männlich, doch fast immer auch (v.a.
im Plural) weibliche Personen miteinschließend bzw. mitmeinend. Früher genügte
z.B. in einer Zeitschrift die Anrede „liebe Leser“, die Leserinnen waren eingeschlossen. Gerade dagegen wehrt sich die
feministische Linguistik und strebt die konsequente Feminisierung aller
Ausdrücke, die sich auf Frauen beziehen, an, also nicht Staatsbürger allein, sondern Staatsbürgerinnen
und Staatsbürger. Da solche Doppelschreibungen schwerfällig und zeitaufwendig sind, hat die Schreibung StaatsbürgerInnen in den letzten Jahren eine große Verbreitung gefunden,
also die sogenannte „Binnen-I-Schreibung“, obwohl sie
weder vom Duden noch vom Österreichischen Wörterbuch vorgesehen
ist und nicht in Einklang mit derzeit gültigen Orthographie steht. Trotzdem hat
sich dieser orthographische Unfug in manchen Kreisen weitgehend durchsetzen
können, nicht nur wegen der Feministinnen, sondern auch aus Bequemlichkeit.
Damit werden aber die weiblichen Formen erst recht zu „Anhängseln“, denn am
„generisch maskulinen“ Wortkörper Staatsbürger
ändert sich nichts, von dem das -Innen deutlich sichtbar abgehoben ist – ob das wohl eine „geschlechtergerechte“
Schreibung sein soll? Als Alternative gibt es auch eine Schrägstrichregelung, Muster
Staatsbürger/innen oder Staatsbürger/-innen; der Schrägstrich
scheint auf den ersten Blick ein wenig leistungsfähiger zu sein, z.B. der/die [Vorsitzende, Angestellte],
den Lehrer/inne/n usw. Doch Schreibungen wie z.B. KochIn oder KöchIn, die man in Arbeitsmarkt-Inseraten oft lesen kann, sind
problematisch, außerdem nicht in den Plural zu transformieren: KöchInnen (es sind nun einmal Köche
und Köchinnen). Auch auf ÄrztInnen (Ärzte und
Ärztinnen) trifft dies zu. Einmal las ich in einer Einladung zu einer
Generalversammlung: „Wahl eines
Vertreter/In für…“ – wie auch MitgliederInnen, der Kreativität sind offenbar keine Grenzen gesetzt!
Das nach dem Muster Beamtin gebildete
Gesandtin oder das von Vorstand (ursprünglich keine Bezeichnung
für eine bestimmte Person) gebildete Vorständin
hat sich inzwischen durchgesetzt, Gästin
(zu Gast) noch nicht. Akademische
Titel wie Dr.in oder Mag.a sind an unseren
Universitäten heute allgemein üblich geworden und statt -männin (z.B. Landsmännin)
scheint sich immer mehr -frau
durchzusetzen, z.B. Kauffrau, Landeshauptfrau (s.o. Anm. 2e). Bei der
Feuerwehr gibt es jetzt statt des neutralen Plurals Feuerwehrleute meist Feuerwehrmänner
und -frauen. Problematisch sind
Neubildungen à la HochschülerInnenschaft, BürgerInnenversammlung.
Anmerkung
6:
Um solche problematischen Schreibungen zu vermeiden, empfehlen viele
Anleitungen zum „gendergerechten Sprachgebrauch“ die Weglassprobe:
Variante mit Schrägstrichen: Diese sollen nur dann verwendet werden, wenn das entstehende
Wort nach Weglassen des Schrägstriches grammatikalisch korrekt ist und wenn das
Wort nach Weglassen der Endung in
oder innen korrekt ist.
Grammatikalisch nicht korrekt wäre z.B. Beamt/in,
Ärzt/in gegenüber Beamter, Arzt.
Variante mit einem großen I (Binnen-I): Es wird im
Wortinneren an Stelle des Schrägstrichs das I groß geschrieben, um zu signalisieren, dass die
Personenbezeichnung auf Frauen und Männer Bezug nimmt. Die Weglassprobe dient auch
hier der Überprüfung, ob eine Kurzform korrekt gebildet werden kann. Wird die
Endung -In oder -Innen weggelassen, muss die übrig bleibende Form ein korrektes Wort
ergeben. Dies wäre bei MitarbeiterInnen möglich,
bei ÄrztInnen aber nicht (gegenüber Ärzte). Es ist dabei auch der Dativ
Plural mit seiner Endung -n zu
beachten: den MitarbeiterInnen wäre korrekt, den
SprecherInnen nicht (gegenüber den
Sprechern, doch mit Schrägstrich sehr wohl: den Sprecher/inne/n).
Hinweis: Gilt auch für
andere Schreibungen wie Klammern oder Gender_Gap usw. Doch solche Richtlinien werden kaum beachtet.
Es widersprechen also die verwendeten „gendergerechten“
Schreibungen den grundlegenden grammatischen und orthographischen (auch
orthoepischen) Regeln des Deutschen und sind ein Eingriff in die natürliche
Sprache. Diese Schreib- und Sprachregeln haben für die in vielen Bereichen nach
wie vor benachteiligten Frauen keine Verbesserungen gebracht, sie ändern
darüber hinaus auch nichts (gar nichts!) an den von der Natur vorgegebenen
Verhältnissen. Die Spezies Mensch ist eben Mann
oder Frau, und was man selbst
durch Vereinigung von Mann und Frau geworden ist, konnte man sich nicht
aussuchen und kann man auch nicht ändern. Man kann nur das Beste daraus machen
– sich als Macho oder Feministin zu gerieren scheint mir aber der falsche Weg.
Vorschläge
Die Schreibung ist die eine Seite, die andere ist das
Sprechen. Wie soll man z.B. BürgerInnenversammlung aussprechen: Bürger-Innenversammlung? (Also wie eine, die in einem
Gebäude stattfindet, nicht im Freien, denn eine solche Innen-Schreibung evoziert „Außen“ – man verzeihe mir dieses Wortspiel!). Solche
Schreibungen sind eindeutig überzogen und darüber hinaus nur schwer zu lesen,
wie überhaupt eine exzessive „gegenderte“ Schreibweise Texte schwer leserlich
macht. Der unlängst vom „Komitee
zur Regelung des Schriftverkehrs” gemachte Vorschlag stellt fest: Die Sprache dient der klaglosen
Verständigung und nicht der Durchsetzung zweifelhafter politischer Ziele,
und weist darauf hin, dass jeder Text unmittelbar laut (vor)lesbar sein muss.
Daher rät das Komitee von Doppelschreibweisen wie „der/die Lehrer/in“ ab, wie
dies dessen Chefin Walburg Ernst in der „Wiener Zeitung“ (vom 20.3.2014)
feststellt. Gleichbehandlung müsse auf faktischer Ebene stattfinden. Statt des
Binnen-I wird geraten, „beide
Geschlechter getrennt und vollständig anzuführen“, und zwar die weibliche
zuerst. Dies kann man im ORF übrigens recht oft hören – es klingt aber
langatmig. Zulässig sei auch die Vorbemerkung am Anfang des Dokuments, dass
eine Form im gesamten Dokument für beide Formen gelte, die männliche und
weibliche. Wie oben ausgeführt, sind alle Berufs-, Funktions- und
Einwohnerbezeichnungen doppeldeutig: sie sind entweder allgemeine Begriffe, die
die betreffende Person ohne Rücksicht auf das Geschlecht bezeichnen;
gleichzeitig sind sie aber auch spezifische Bezeichnungen für männliche
Personen, von denen mit dem movierenden Suffix -in (fast) immer entsprechende weibliche Bezeichnungen gebildet
werden. Meint man Einzelpersonen, sollte immer die entsprechende Form verwendet
werden, z.B. mein Arzt, meine Ärztin usw., sonst wird man ganz
allgemein einen Arzt aufsuchen (und
keine ÄrztIn), indem man bloß den Beruf bzw. die Funktion im
Blickfeld hat. In der Anrede an mehrere Personen gebietet es die Höflichkeit,
beispielsweise einen Vortrag mit den Worten „Meine Damen und Herren!“ bzw. einen Brief an namentlich nicht
bekannte Personen mit „Sehr geehrte Damen
und Herren!“ zu beginnen. Ein pragmatisches Verhalten, der jeweiligen
Situation angepasst, ist die beste Lösung, in Einleitungen zu Protokollen,
Berichten u.dgl. sowie in Übersichten wird man beide Formen verwenden, im
Haupttext die generische Form. Wortungetüme wie BürgerInnenversammlung, HochschülerInnenschaft und MitgliederInnen sind jedoch auf jeden
Fall zu vermeiden.
Weitere
Hinweise:
Zwei
interessante Pubikationen mit vielen Vorschlägen zum richtigen
geschlechtergerechten Sprachgebrauch:
Horst
Fröhler, Sprachliches „Gendern“? – Ja,
aber richtig! Wien, H.F. Verlag 2009 (ISBN 978-3-9502730-8-3 – mit Hinweis auf
auf eine Wörtersammlung im Internet); vom gleichen Verfasser: Zehn Leitsätze für sprachrichtiges
geschlechtergerechtes Formulieren. Wien 2011.
Eine
gute Zusammenfassung über die Geschichte und den Gebrauch „gegenderter“ Formen,
was eher eine österreichische Besonderheit zu sein scheint (in Deutschland ist
dies deutlich weniger zu beobachten) ist im Beitrag „Feministische Sprachpolitik“ von Karin Wetschanow und Ursula
Doleschal nachzulesen (im Sammelband Rudolf De Cillia – Eva Vetter (Hrsg.): Sprachenpolitik in
Österreich. Bestandsaufnahme 2011. Frankfurt am Main 2013 (Sprache im Kontext,
Bd. 40),
S. 306-340. Wenn auch die beiden Autorinnen entschieden für diesen eintreten,
ist der Artikel dennoch sehr sachlich geschrieben, wenn sie feststellen, dass „die feministische Sprachpolitik … von einem
gewissen Spannungsverhältnis gekennzeichnet“ ist und dass die „Feministische Linguistik den Dialog mit den
heutigen PraktikerInnen suchen muss“. Abschließend wird festgestellt: „Zehn goldene Regeln aufzustellen, wie man
geschlechtersensibel richtig, korrekt, schnell und verständlich formuliert,
wären einer feministischen Sprachpolitik nicht förderlich, sondern würden sie
verhindern“. Hier scheint sich doch eine Versachlichung der Diskussion
anzubahnen.
Ein
gemäßigtes Geschlechtergerechtes Formulieren
auf den Internetseite des Bundesministeriums für Bildung,
Gender Mainstreaming /
Gleichstellung und Schule (2016;
weitere Internetseiten unter http://www.bmb.gv.at/gleichstellung-schule
und http://www.gender.schule.at):
Hinweis auf ein weiteres aktuelles Buch zu
diesem Thema:
Tomas Kubelik, Genug gegendert! Eine Kritik der feministischen Sprache
(Lutherstadt Eisleben, Projekte-Verlag Cornelius 2013).
Zuletzt
erschienen: https://dwv-net.de/produkt/gender-studies-wissenschaft-oder-ideologie/
:
Kurzfassung meines Beitrages Zur Diskussion um das Binnen
- I und zum „feministischen Sprachgebrauch“ in tribüne
1/2014, aktualisiert und erweitert in: Kärntner
Jahrbuch für Politik 2015, im Internet unter http://www.jahrbuchkaernten.at/index.php?id=26 (Schriftenverzeichnis Nr. 373). – Siehe auch meinen etwas zu polemischen Rezensionsaufsatz zu: Kargl, M. /
Wetschanow, K. / Wodak, R. / Perle, N. / Bundesministerin für Frauenangelegenheiten
und Verbraucherschutz (Medieninhaberin) / Bundeskanzleramt (Hg.), Kreatives Formulieren: Anleitungen zu
geschlechtergerechtem Sprachgebrauch. Wien, Institut für Sprachwissenschaft
der Universität Wien, Angewandte Sprachwissenschaft 1997 (Schriftenreihe der
Frauenministerin, Bd. 13), erschienen
in: Kärntner Jahrbuch für Politik 1998, 209-223 (Schriftenverzeichnis
Nr. 186).
© H.D. Pohl (http://members.chello.at/heinz.pohl/index.htm)