Heinz-Dieter
Pohl
Zweisprachige Ortstafeln als Zeugen
gemeinsamer
Geschichte und Kultur
Jede Region hat ihre landschaftlichen
und kulturhistorischen Besonderheiten. Während die Naturschönheiten im
Allgemeinen nicht im Zentrum politischer Diskussion stehen – sofern nicht wirtschaftliche Interessen wie
extensiver Tourismus, Energiegewinnung oder Bau von Verkehrswegen dagegen
stehen – ist dies bei Kultur und Geschichte ganz anders. Zwar nehmen in unserem
Bewusstsein antike Ausgrabungen, mittelalterliche Burgen oder neuzeitliche
Kunstdenkmäler als kulturelles Erbe aus der Vergangenheit den ersten Platz ein,
doch in der Regel wird vergessen, dass das älteste Erbe unsere Sprache ist und
in der Sprache selbst das Namengut. Denn wenn man (wie in Kärnten) Namen wie Achomitz, slow. Zahomec (bzw. Zahołmec,
etwa mit ‘Hinterbichl’ zu übersetzen) hört, denkt man sofort an einen der
zahlreichen Ortsnamen slawischer Herkunft, die den ganzen Süden und Osten
Österreichs prägen. Bei Namen wie Žihpolje,
der slowenischen Bezeichnung für Maria Rain
südlich von Klagenfurt, wird man zunächst überrascht sein, doch ein Blick in
alte Urkunden lehrt uns, dass dieser Ort früher Sichpuchl (1200) bzw. Seichbichl
(1552) hieß, was soviel wie ‘feuchter Bühel, Bichl’ bedeutet, die
slowenische Namensform ist also aus dem Deutschen entlehnt und -bichl wurde erst sekundär zu -polje umgeformt [bei žihpolje
handelt es sich um den Einwohnernamen des Ortes, der slow. als *Žihpol (< dt. Sichpuchl) anzusetzen ist (der Anklang an slow. polje ‘Feld’ ist also rein zufällig)]. Beide Namen, Achomitz und Žihpolje, legen also Zeugnis von der sprachlichen Durchmischung
Kärntens auf Ebene der Toponomastik ab. Beide Sprachen, Deutsch [genauer: Bairisch
(in Kärnten werden nämlich südbairische Mundarten gesprochen)] und Slowenisch, sind
konstitutiv in Namengebung und Dialektologie, im deutschen Sprachgut Kärntens
findet sich viel Slowenisches, im slowenischen Sprachgut viel Deutsches. Die
jahrhundertelange Koexistenz beider Sprachen bzw. die Kohabitation der Sprecher
im Lande ist an ihnen nicht spurlos vorübergegangen und beide Sprachen gehören
zum historischen Erbe Kärntens bzw. zum „immateriellen Kulturerbe“ (wie auch
der gegenseitige Lehnwortschatz beider Sprachen) [dazu
s. im Internet unter http://members.chello.at/heinz.pohl/Sprachkontakt_K.htm].
Dieses
„immaterielle Kulturerbe“ ist in unserem Bundesland auf Schritt und Tritt
feststellbar. Die Ursprünge Kärntens
reichen bis in die älteste Zeit zurück, in der Antike war das Gebiet des
heutigen österreichischen Bundeslandes Kärnten
Bestandteil des keltischen Königreichs Regnum Noricum, das später in der römischen Provinz Noricum aufging. Zunächst auf dem Magdalensberg,
dann in Virunum auf dem Zollfeld sowie in Teurnia auf dem Lurnfeld befanden
sich damals die Zentren des Gebietes. Nach dem Zusammenbruch des Weströmischen
Reiches wanderten ab dem 6. Jhdt. Slawen (und Awaren) ein; in der Folge kam es
zur Gründung des slawischen Fürstentums Karantanien,
das nach und nach unter bairische bzw. fränkische Vorherrschaft kam. Von 743
bis 907 herrschten fränkische Könige und Kaiser über das Gebiet, anschließend
wurde Kärnten ein Teil des Herzogtums Baiern. 976 beginnt die Eigenständigkeit
mit der Errichtung des Herzogtums Kärnten,
die bis 1335 andauern sollte; anschließend wurde Kärnten habsburgisch und somit
gemeinsam mit Österreich, Steiermark und Krain verwaltet [zum Namen Kärnten
s.u.; der Name der Steiermark leitet
sich vom Namen der oberösterreichischen Stadt Steyr her, von wo aus das Geschlecht der Traungauer bzw. der Grafen
von Steyr über seine Besitzungen in der späteren Steiermark herrschte und
so dem Lande den Namen vermittelte (der Name Steyr selbst beruht auf einem
Gewässernamen). Der Name Krain
(slow. usprünglich Kranj,
heute Kranjska)
kommt nicht – wie immer wieder behauptet –
von slaw. krajina
‘Grenzland’, sondern von kelt.-latein. Carnium
(wie auch die benachbarte, zu Italien gehörige Landschaft Carnia) mit einer ähnlichen Lautentwicklung wie slow. kras ‘Karst’ (<
italien. carso)
oder slaw. kralj
‘König’ (zum Namen Karl des Großen).
Urkundlich erscheint die Namen gebende Stadt Kranj (dt. Krainburg) 670 als Carnium
und 973 in der Bezeichnung via Chreinariorum, ab 1050
finden wir Kreine, Chreina
usw., 1291 Chrainburch;
der Name beruht auf kelt. *karno-
‘Spitze, Anhöhe, Hügel, Steinhaufen’. Das Land Kranjska (Krain) selbst ist 670 als Carniola,
973 als Chreina marcha
(‘Mark Krain’) belegt. Näheres s. Snoj 2009, 210f.].
Historisch
gesehen ist Kärnten ein zweisprachiges Gebiet, denn seit seiner Begründung als
Herzogtum im Jahre 976 gibt es im Lande zwei Sprachen, damals Althochdeutsch und Karantanisch, der alpenslawische Dialekt des Altslowenischen, wie er
uns auch in den „Freisinger Denkmälern“ entgegentritt, dem ältesten slawischen
Sprachdenkmal in lateinischer Schrift überhaupt. Spätere Sprachdenkmäler stehen
der heutigen slowenischen Sprache näher als etwa mittelhochdeutsche Texte dem
modernen Standarddeutsch, wie z.B. die „Klagenfurter Handschrift“ [Diese
besteht aus einem beidseitig beschriebenen Blatt (Pergament), darin ein
siebenzeiliges „Vaterunser“ (Text I), dann das damals noch dreizeilige „Ave
Maria“ (Text II) sowie abschließend ein zwölfzeiliges „Glaubensbekenntnis“
(Text III) in recht altertümlicher slowenischer Sprache mit deutscher
Orthografie. Das 1880 in den Beständen des Geschichtsvereines für Kärnten
entdeckte Blatt wurde früh durch Edition und Faksimile einem breiteren
Interessentenkreis vorgestellt. Neben den in München verwahrten „Freisinger
Denkmälern“ aus dem 10. Jahrhundert und der „Sitticher Handschrift“ (Stiški rokopis, auch „Laibacher
Handschrift“ nach dem Aufbewahrungsort) mit Beicht- und Eidesformeln gilt
dieses Blatt als eine der ältesten erhaltenen schriftlichen Quellen der
slowenischen Sprache. Näheres s. Pohl 2010, 116ff. (Text und Kommentar mit
Foto)]. Früher
nannte man im deutschen Sprachgebrauch die slowenische Sprache „windisch“, diese Bezeichnung – sie ist heute obsolet
geworden – ist sowohl in den Beschreibungen der Herzogseinsetzung beim
Fürstenstein in Karnburg bezeugt als auch im Namen „Windisches Herzogtum“ des
16. Jhdts., im Zeitalter der Reformation, dem nicht nur die deutsche Sprache
einen Martin Luther zu verdanken hat, sondern auch die slowenische Sprache einen
Primož Trubar – beide waren Wegbereiter einer „reformierten“ Sprache –
beide Sprachen wurden zu europäischen Kultursprachen und beide sind seit damals
Kärntner Landessprachen.
Kärnten
war also immer schon zweisprachig, allerdings ist der Personenkreis der
zweisprachigen Einwohner im Laufe der Zeit kontinuierlich, seit rund 100 Jahren
sprunghaft kleiner geworden. Schon vor 400 Jahren stellte im Zeitalter des
Humanismus M.G. Christalnick fest: „es haben sich die die windischen
Khärndter mit den deutschen Khärndtern also gewaltiglich vereinigt, das aus
ihnen beyden einerley volck ist worden“. Dieses „einerlei Volk“ hörte in
der zweiten Hälfte des 19. Jhdts. auf zu existieren und man könnte in Anlehnung
an Genesis 3,7 (nachdem Adam und Eva vom Baum die verbotene Frucht gegessen
hatten: „dann wurde ihnen beiden die Augen aufgetan und sie wurden gewahr,
dass sie nackt waren“) feststellen: im 19. Jhdt. wurde den neuzeitlichen
Karantanen plötzlich klar, dass sie zwei Sprachen sprechen, womit auch in
Kärnten der sprachorientierte Nationalismus mit allen seinen unangenehmen
Begleiterscheinungen Einzug hielt und schließlich den Rahmen zum (deutschen)
„Kärntner Abwehrkampf“ bzw. zum (slowenischen) „Kampf um die Nordgrenze“
lieferte. Eine Spätfolge davon – allerdings in abgeschwächter Form – war der
„Kärntner Ortstafelkonflikt“, der mit dem „Ortstafelsturm“ von 1972 seinen
Höhepunkt erlebt hat und schließlich im Jahre 2011 durch die „Ortstafellösung“ [BGBl.
46/2011] im Rahmen des
„Volksgruppengesetzes 1976“ [BGBl. Nr. 396/1976 in der Fassung von
BGBl. I Nr. 52/2009] eine
Lösung gefunden hat. Ähnlich, wie schon in der Österreichisch-Ungarischen
Monarchie die Bahnstationen im gemischtsprachigen Gebiet zweisprachig
beschriftet waren, gibt es in Kärnten (wiederum seit 1976) zweisprachige Namensaufschriften;
seit 2011 beträgt die Anzahl der mit zweisprachigen Ortstafeln zu versehenden
Ortschaften 164, was sich auf Ortstafeln und Wegweisern sowie bei einigen Bus-
und Bahnstationen niederschlägt.
Wir
haben also in den deutschen wie in den slowenischen Namen altes und auch
gemeinsames Erbe vor uns, sie sind Teil unserer Geschichte. Sie zu vergessen
würde einen schweren Verlust bedeuten, beide Namensformen, die deutsche und die
slowenische, sind eng miteinander verbunden und deren Geschichte ist unteilbar.
In gemischtsprachigen Gebieten hat jedes geografische Objekt zwei Namen, wie
sie eben in der jeweiligen Sprache üblich sind.
Zur historisch
gewachsenen Kärntner Namenlandschaft sind zunächst ganz allgemein folgende
Tatsachen festzustellen:
(1) einen Teil der Namen
haben Baiern und Slawen von der keltisch-romanischen Vorbevölkerung übernommen;
so reichen Ortsnamen wie Federaun [Federaun (slow. Vetrov oder
Betrov) bedeutet etwa ‘Brachland’ und ist zu roman. *veter-one zu stellen, zu latein. vetus, veteris ‘alt’ (woraus furlan. vieri
‘Brachland, unkultiviertes Land’ in Namen wie Vieri bzw. Vieris) + augmentatives -one (wie auch im furlan. Namen Vedronza)] oder
Bergnamen wie Spitz-egel [Egel zu latein. aculeus
‘Stachel’ im Sinne von ‘spitzer Berggipfel’ (wie französ. aiguille)] in die romanische Zeit zurück, Bergnamen wie Koschuta
[Teil der Karawanken, slow. Schreibung Košuta, eigentlich ‘Hirschkuh’ (von den Kelten wurde der von ihnen
übernommene Name der Karawanken
später mit kelt. karvos ‘Hirsch’
volksetymologisch in Zusammenhang gebracht, was offensichtlich nachgewirkt
hat)] oder der Name Kärnten
selbst [Der Name Kärnten geht auf ein kelt. Wort für ‘Stein,
Fels’, etwa *karant-, zurück und ist vom Mons carentanus (983 in monte
Carentano, heute) ‘Ulrichsberg’ ausgegangen, der mit seinem markanten
felsigen Gipfel als ‘Steinberg’ zu interpretieren ist; an seinem Fuße (am Rande
des Zollfeldes) auf einem kleinen felsigen Plateau lag die (althochdeutsche) *Charantapurch ‘Kärntenburg’, belegt 1201
als Chaerenpurch, heute Karnbúrg (slow. mundartlich Karempúrg, schriftsprachlich Krnski Grad, alt Koroški Grad), nicht zu verwechseln mit dem kleinen Weiler Karnbérg nördlich des Ulrichsberges. In
seinem Umfeld lag der Sitz des slaw.-karantanischen Fürsten] stellen eine Verbindung zum keltoromanischen Substrat her, schließlich
reichen Gewässernamen wie Drau und Lavant in eine noch frühere (also
vorkeltische und vorromanische) Zeit zurück und sind Zeugen der
Indogermanisierung des alpinen Raumes – für unsere ältesten Vorfahren war die Drau der ‘Flusslauf’ schlechthin und die
Lavant ein ‘weißglänzender’ Fluss [Drau < indogerman. * drowos ‘Flusslauf’ (latein. Dravus, dt. alt/mundartlich Traa, Trage usw., slow. Drava);
Lavant < indogerman. *albhant- ‘weißer Fluss’ (über altslow. *labant- > dt. [láfant], slow. Labotnica,
mundartlich łábota)]. Zu diesen Namen
gehören also v.a. die Gewässernamen, die überhaupt das älteste onomastische
Material repräsentieren; alle großen Flüsse Kärntens gehören hierher, aber auch
die Tauern [Tauern ‘Gebirge; Pass, für den
Viehtrieb geeigneter Gebirgsübergang’, Sammelbegriff für einen Teil der
Zentralalpen, ursprüngliche Bedeutung ‘Berg’ (Substratwort, vorröm. bzw. roman.
*taur- ‘Berg’), erst später ‘Pass’. Ein zweites Tauern beruht auf dem gemeinslaw. Wort tur- ‘Bodenschwellung, ableitiger Hügel’ (neben anderen Bedeutungen), das im
Slow. in Namen wie turje mit der Bedeutung ‘stark
ableitiger Hügel’ erscheint. Dieses liegt u.a. dem Namen (Ossiacher) Tauern, slow. (Osojske)
Turje, und dem Turia-Wald, slow. Turje zu Grunde; dazu kommt noch die
einen abgekommenen Bergnamen enthaltende slow. Benennung Pod Turjo (wörtlich ‘unter dem Tauern’)
für Neuhaus an der Gail] oder das Jaun- und Gitschtal [Jauntal (slow. Podjuna), Teil des
Flusslaufes der Drau, der Name beruht
auf der kelt.-röm. Siedlung *Iuenna auf dem Hemmaberg; dieser Ort ist
entweder nach einer kelt. Gottheit benannt, etwa Jounat, er kann aber
auch auf einem indogerman. *juwenā (‘mit Sand, Kies usw. durchmischtes Wasser’, zur Wurzel
*jew- ‘vermengen’ ähnlich wie bei Iuvavum,
dem lateinischen Namen von Salzburg)
beruhen. – Gitschtal, urkundlich
erstmals 1267-68 als Gutschtal belegt,
enthält eine palatalisierte Form von keltoroman. kukka ‘Bergkopf, Gipfel’ (vgl. in Salzburg Gitzen, urkundlich 1169 Guts)
und bedeutet etwa ‘Tal zwischen den Berggipfeln’ (am oberen Ende des Tales
liegt die Ortschaft Weißbriach,
Einwohnername zu slaw. vysprь ‘auf
der Anhöhe’)] und einige Siedlungsnamen (z.B. Villach) [Nach traditioneller Ansicht
war ein Praedium (‘Landgut’) Namen gebend, etwa keltoroman. *Biliacum, zum kelt. Personennamen *Bilios o.ä. Inschriftlich ist aber nur Bilachinium belegt, Name einer
Zollstation im Kanaltal bei Camporosso (dt. Saifnitz,
slow. žabnice),
rund 25 km südwestlich von Villach. Daher wird neuerdings wieder erwogen, den
Namen mit latein. villa zu
verknüpfen; die italien. Namensform lautet Villàco,
die furlan. Vilàc. Beide Deutungen
stimmen lautgeschichtlich mit der slow. Bezeichnung Belják, 1789 Bilak,
mundartlich Bljak überein].
(2) die übrigen Namen (der größte Teil)
sind bairischer, also deutscher, und slawischer, also slowenischer Herkunft
(wobei der prozentuale Anteil von Namen deutscher und slawischer Herkunft recht
verschieden ist). Die ersten Kärntner im engeren Sinn des Wortes benannten
beispielsweise (slow.) Gorje bzw. Goriče / (dt.) Göriach bzw. Goritschach und Görtschach nach deren Lage ‘die auf dem Berg bzw. Bichl wohnen’ und Bistrica/Feistritz nach einem
reißenden Bach. Slowenische Namensformen wie Pliberk (= Bleiburg) oder Bekštanj (= Finkenstein) [beide
„höfische Burgennamen“, Bleiburg
(urkundlich 1228 Pliburch) entweder
< *Blī(de)burg ‘die liebliche
Burg’ oder nach dem ehemaligen Blei-Bergbau, Finkenstein nach dem Wappentier] sind aus dem Deutschen bezogen. Die
Ortsnamen gewähren somit Einblick in die Siedlungsgeschichte, einmal waren bei
der Namengebung Deutsche, ein anderes Mal Slowenen aktiv [Die
Bezeichnungen deutsch bzw. Deutsche werden hier ausschließlich im
Sinne von ‘Angehörige der deutschen Sprachgemeinschaft’ verwendet, analog steht slowenisch/slawisch bzw. Slowenen/Slawen hier ausschließlich im Sinne von
‘Angehörige der slow. Sprachgemeinschaft’ bzw. ‘eine slaw. Sprache sprechend’], die Namen gingen von Mund zu
Mund, d.h. von einer Sprache zur anderen, und oft wurden Objekte auch
übersetzt, z.B. dt. Aich = slow. Dob (‘Eiche’) oder Moos ~ Blato (‘Moor,
Morast usw.’). Die Motive zur Namengebung waren in beiden Sprachen stets die
gleichen, auch wenn manche Örtlichkeiten unabhängig voneinander verschieden
benannt worden sind wie z.B. dt. Hart
‘Sumpfwald’ ~ slow. Breg ‘Ufer,
Abhang, Rain’ oder Maria Elend (nach
der Marienkirche) ~ Podgorje
(‘Unterbergen’). Solche Fälle widerspiegeln bloß verschiedene Gesichtspunkte,
aber keine im Prinzip abweichenden Benennungsmotive, so entsprechen zwei
weitere Hart semantisch slow. Dobrava (‘Au-, Sumpfwald’) bzw. slow. Ločilo (= mundartlich ło-
bzw. Vočilo, umgeformt aus *močilo ‘feuchter Ort, Sumpfwiese’).
Slow. Breg hat auch gleichbedeutende
deutsche „Partner“ namens Rain,
einmal ist es auch direkt ins Deutsche entlehnt worden: Frög. Verschiedene Namen können sich auch aus abweichenden
Funktionen von Ortschaften ergeben, so heißt dt. Feldkirchen (urkundlich 11./12. Jhdt. Ueldchiricha ‘Kirche im Feld’) auf Slow. Trg ‘Markt’ – die heutige Stadt und frühere Marktgemeinde war eben
der Marktplatz für die slowenischen Bauern der südlichen Nachbarschaft.
Auch
in seit Jahrhunderten rein deutschsprachigen Gebieten finden wir solche
Namenpaare: sowohl in der Gem. Großkirchheim
als auch in der Gem. Bad Kleinkirchheim
ist in den Ortsteilen Zirknitz bzw. Zirkitzen das slowenische Wort für
‘Kirche’ (alt cirkev, heute cerkev) enthalten. Manchmal ist die
slowenische Übersetzung früher überliefert als die heutige Namensform wie z.B.
993 Podinauuiz (entspräche Spodnja vas) für heutiges Niederdorf (Bezirk St. Veit an der
Glan).
Es
ist allerdings konsequent zu unterscheiden zwischen:
(I) (a)
etymologisch deutschen Namen:
Aich, Bleiburg, Feldkirchen, Finkenstein, Hart, Ludmannsdorf, Maria Elend, Neuhaus an der Gail, Rain
(b) etymologisch slowenischen Namen:
Achomitz, Feistritz,
Ferlach, Frög, Globasnitz, Goritschach, Göriach, Görtschach, Gösselsdorf, Wellersdorf
(c) Übersetzungsnamen, also Namen, die
sowohl zu (a) als auch zu (b) zu zählen sind:
Aich ~ Dob, Moos ~ Blato, Müllnern ~ Mlinare/Mlinče | -dorf
~ vas/-vs
(d) verschieden benannten Objekten:
Hart ~ Breg, Maria Elend ~ Podgorje, Maria Rain ~ žihpolje
(e) etymologisch weder slawischen noch
deutschen Namen (die aber dennoch meist
übers Slowenische ins Deutsche gelangt sind):
Villach, Jauntal, Drau, Lavant [s.o.]
(II) (f)
im Deutschen gebrauchten Namensformen,
(g)
im Slowenischen gebrauchten Namenformen,
wobei sich zwischen I
und II kaum eine klare und
eindeutige Beziehung herstellen lässt. Betrachten wir zunächst einige Beispiele
[sofern die betreffende Ortschaft als
zweisprachig gilt (gemäß BGBl. wie
Anmerkungen 6 und 7), ist sie durch Fettdruck hervorgehoben]:
(II) (f) (II) (g)
Achomitz Zahomec
Aich Dob
Ferlach Borovlje
Finkenstein Bekštanj
Frög Breg
Globasnitz Globasnica
Göriach Gorje
Goritschach
Goriče
Görtschach Goriče
Gösselsdorf
Goselna vas
Hart Breg, Ločilo, Dobrava
Jauntal Podjuna
Lavant Labotnica
Ludmannsdorf Bilčovs
Maria Elend Podgorje
Maria Rain žihpolje
Moos Blato
Müllnern Mlinare, Mlinče
Neuhaus a.d.G. Pod Turjo
Rain Breg
Villach Beljak
Wellersdorf Velinja vas
Diese Aufstellung zeigt deutlich, dass
es – unbeschadet der Etymologie – im Deutschen und Slowenischen jeweils eigene
Bezeichnungen bzw. verschiedene Namensformen für ein und dasselbe geografische
Objekt gibt, wobei die semantischen Hintergründe bei der Ortsnamengebung
weitestgehend übereinstimmen.
Einander
entsprechende Typen lassen sich jedoch auch morphologisch, also in der
Wortbildung, feststellen, so wurde der auf
Einwohnernamen (meist von topografischen
Bezeichnungen) beruhende slow. Namentypus
auf -je in der Form des Lokativs (slow. -jah) in Deutsche mit -ach
entlehnt [Dieser Typus umfasst gekürzte gemeinslaw. Bildungen auf -jane bzw. -’ane. Im Lokativ ist -an-
schon früh ausgefallen und diese Namen wurden fast immer in dieser Form (also
mit -ach) ins Deutsche entlehnt], wie z.B. Borovlje ‘Ferlach’
= ‘Leute am Föhrenwald’, Gorje ‘Göriach’,
Goriče ‘Goritschach bzw.
Görtschach’ = ‘die auf dem Berg bzw.
Bichl wohnen’ [wobei die dt. Namensform Görtschach
früher (spätestens um 1300) entlehnt wurde als Goritschach].
Diesem Typus entsprechen (hinsichtlich der Wortbildung) im Deutschen die
Ortsnamen auf -ern [Dieser
Typus entspricht Einwohnernamen wie z.B. Wiener,
Kärntner, Villacher, wozu der Dativ Plural -ern (den Wienern usw.) lautet]. Dieser geht auf den Dativ
Plural zurück, so bedeutet z.B. Müllnern
eigentlich ‘bei den Müllnern = die bei der Mühle wohnen’ (slow. Mlinare und Mlinče) oder Pichlern ‘bei denen, die am Bichl = Bühel wohnen’ [die slow. Übersetzung des
Namens Pichlern wäre Goriče, doch ein solches Namenpaar
kommt nicht vor (denn Goriče
wurde entlehnt, s. o.].
Auch
die (dt.) -dorf-/(slow.) -vas-Namen [slow.
mundartlich meist ves (so früher auch
amtlich; die schriftsprachliche Form vas
gilt jetzt auch für die amtlichen Namensformen)] entsprechen einander, bei diesen
handelt es sich meist um Ableitungen von Personennamen, also dem Namen jener
Person, die mit der Gründung des Dorfes in irgendeiner Weise verbunden ist; sie
liegen in der mittelalterlichen Großkolonisation (vor 1100) begründet und
stellen einen althochdeutschen Benennungstyp mit seiner slow. Entsprechung dar.
Die sind alle nach demselben Muster gebildet: im Deutschen sind sie Komposita,
im Slow. bestehen sie aus dem Personennamen + Possessivsuffix (meist -ja, Femininum zu maskulinen Bildungen
auf -ji) + vas~ves ‘Dorf’ (Femininum)
wie z.B. slow. Velinja vas, dt. Wellersdorf, ohne erhaltenes -j- z.B. Žitara vas, dt. Sittersdorf.
In einigen slow. Namen ist das zweite Glied ves
mit dem ersten zu einem Wort verbunden, z.B. Bilčovs ‘Ludmannsdorf’ [in beiden Sprachen von
zwei verschiedenen Personennamen auszugehen, die dt. Namensform ist urkundlich
1142 erstmals als Ludwigestorff ‘Ludwigsdorf’
(später umgeformt) belegt, die slow. 1446 als Wulendorf, dem ein slaw.
*bylь bzw. *bylьcь ‘Herr, Edelmann, Besitzer’
zugrunde liegt].
Gelegentlich ist slow. ves auch
urkundlich fassbar, z.B. in Gösselsdorf,
1050 Goslauuis, d.i. altslow. *Goslja vьsь ‘Dorf des *Gos-l-’ [wahrscheinlich
Kurzform zu einem dt. Personennamen (eventuell auch zu einem mit slaw. Gosti- ‘Gast’ beginnenden
Personennamen)].
Heute heißt dieser Ort slow. Goselna vas;
ein weiterer früher Beleg ist das bereits genannte Podinauuiz ‘Niederdorf’.
Als besonderes Charakteristikum Kärntens werden auch die
zahlreichen Hof- und Familiennamen (ursprünglich Lagenamen) auf -nig(g) < slow.
-nik (< slaw. -ьnikъ) gesehen, die in den
dem zusammenhängenden slowenischen Sprachraum vorgelagerten (heute) deutschsprachigen
Gebieten Kärntens, Osttirols, des Salzburger Lungaus und der Steiermark weitaus
häufiger sind als im slowenischen Kerngebiet selbst; sie können als
„nordslowenisch“ bezeichnet werden. Dieses Wortbildungselement ist auch
heute noch produktiv, in der slow. Toponymie begegnet es vor allem in Hofnamen
und (häufig davon abgeleiteten) Familiennamen sowie in Bergnamen [z.B. Auernig ‘Ahornberg’ (zu slow. javor ‘Ahorn’), O(i)sternig ‘Spitzberg’ (zu slow. oster ‘spitz’), Sadnig ‘der
hintere (Berg)’ (zu slow. zadnji
‘hinterer’) usw.].
Dass dieses Suffix gerade im dt-slow. Durchdringungsgebiet
in Österreich besonders häufig ist, spricht für die gegenseitige Beeinflussung
beider Sprachen, wobei die slow. -nik-Namen
semantisch genau den dt. Namen auf -er
entsprechen, z.B.:
Moser ~ Blatnik (zu Moos ‘Moor, Sumpf’,
slow. blato) > Blatnig, Wlattnig usw.
Ebner ~ Ravnik (zu Ebene, slow. raven) > Raunig usw.
Wald(n)er ~ Lesnik (zu Wald,
slow. les) > Lesnig, Liesnig usw.
Gasteiger ~ Klančnik (zu mittelhochdeutsch gāsteig ‘steiler bzw. jäher [= mundartlich gacher] Weg, Anstieg’, slow. klanec ‘Steile; steiler Weg,
Hohlweg’) > Glantschnig(g), Glanznig, Quantschnig usw.
Bacher ~ Potočnik (zu
Bach, slow. potok) >
Pototschnig, Petutschnig(g) usw.
Rauter ~ Laznik
(zu Raut, slow. laz ‘Rodung’) > Laßnig,
Lassnig usw.
Die meisten dieser slow. Namen
auf -nik verfügen also über ein
bedeutungsgleiches dt. Pendant auf -er.
Dies kann man als Ergebnis einer Parallelentwicklung unter den Bedingungen weit
verbreiteter Zweisprachigkeit sehen, indem beide Sprachgemeinschaften einen
gemeinsamen korrespondierenden semantischen Typus mit jeweils eigenem Sprachmaterial
geschaffen haben. Später konnte
das slow. -nik-Suffix auch mit dt.
Wörtern kombiniert werden, wodurch es zu dt.-slaw. Mischbildungen (v.a.) im
Bereich der Hofnamen gekommen ist, z.B. Kogelnig (zu Kogel) oder Freithofnig (zu
alt Freithof ‘Friedhof’). Umgekehrt
konnte auch dt. -er an slow. Namen
auf -nik treten, so entstand z.B.
slow. Ravnikar ‘Ebner’, dt. Raunikar, Raunegger usw.
*
Jede
Kulturlandschaft – nicht nur die österreichische, alpine, uns vertraute,
sondern wohl weltweit – widerspiegelt also in ihrem Namengut Geschichte und
Gegenwart, diese in der Hinsicht, dass das Namengut in der (den) jeweiligen
dominanten Sprache(n) festgehalten ist, jene in der Weise, dass im Namengut
ältere sprachliche Zustände erhalten sind. Dies gilt in gleicher Weise für
einsprachige und zwei- bzw. mehrsprachige Gesellschaften.
Die
Pflege dieses Namenguts sollte keine volkstumspolitische, sondern eine kulturpolitische
sein, die – auf Kärnten in Österreich bezogen – das Ortsnamengut slowenischer
bzw. alpenslawischer Herkunft in Österreich ganz allgemein ins öffentliche
Bewusstsein bringt. Zu diesem Zweck könnte ich mir neben den zahlreichen
Naturlehrpfaden, Kulturwanderwegen und Eisen- oder Barockstraßen auch ein
vergleichbares allgemein bildendes namenkundliches Objekt vorstellen. Dies habe
ich in meinem Vortrag Namen und Tourismus schon vor einiger Zeit vorgeschlagen [Auf
dem Symposion „Weiße Berge, blaue Seen und eine Rose“ – 100 Jahre Tourismus in
Kärnten (27./28. Juni
2002, veranstaltet vom Geschichtsverein für Kärnten, publiziert in Carinthia I
193 (2003) 605-612]
und ich sehe in der Ortstafellösung von 2011, der dieser Sammelband gewidmet
ist, einen entscheidenden Schritt in diese Richtung.
Benützte und
weiterführende Literatur
Altdeutsches
Namenbuch (ANB), bearbeitet von Isolde HAUSNER und Elisabeth SCHUSTER. Die
Überlieferung der Ortsnamen in Österreich und Südtirol von den Anfängen bis
1200. Wien 1989ff.
KRANZMAYER, Eberhard, Ortsnamenbuch von Kärnten I-II. Klagenfurt 1956-1958.
Pohl, Heinz-Dieter: Unsere slowenischen Ortsnamen – Naša
slovenska krajevna imena. Klagenfurt/Celovec,
Hermagoras/Mohorjeva 2010.
Pohl, Heinz-Dieter: 164 Kärntner Ortschaften. Kommentiertes deutsch-slowenisches
Ortsverzeichnis der zur Aufstellung von zweisprachigen Ortsfafeln vorgesehenen
Ortschaften. In: Kärntner Jahrbuch für Politik 2011, 121-141.
SNOJ,
Marko, Etimološki slovar slovenskih zemljepisnih imen. Ljubljana 2009.
ZDOVC,
Pavel, Slovenska krajevna imena na avstrijskem Koroškem / Die slowenischen
Ortsnamen in Kärnten. Wien-Klagenfurt 1993 (Razširjena izdaja / Erweiterte
Auflage Ljubljana 2010).
Zum
Kärntner Namengut s. unter Namengut und ON_Start
Abkürzungen
(ohne Sprachbezeichnungen, bei
denen nur …isch fehlt)
BGBl. Bundesgesetzblatt
dt., Dt. deutsch, Deutsch
s. siehe
s.o. siehe oben
s.u. siehe unten
slow., Slow. slowenisch, Slowenisch
Auf einige
indogermanische Sonderzeichen wurde verzichtet (die entsprechenden Beispiele
sind vereinfacht dargestellt).