Sprachkontakt in Kärnten

 

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1. Allgemeines

 

Deutsch-slowenische Sprachkontakte finden im südlichsten österreichi­schen Bundesland Kärn­ten seit vielen Jahrhunderten statt. Seit Beginn der Landesgeschichte, als das Herzogtum Kärnten (im Jahre 976) errichtet wurde, sind sowohl Slowenen als auch Deutsche autochthone Bevölkerung; allerdings breitet sich das Deutsche bis zum heutigen Tag auf Kosten des Slowenischen immer mehr aus. Auf der Ebene der alltäglichen Umgangs­sprache und der Mundarten beruht die Beeinflussung der beiden Sprachen durchaus auf Gegenseitigkeit, wenngleich das Einwirken des Deutschen auf das Slowenische weitaus stärker ist bzw. in den letzten Jahrzehnten noch zugenommen hat, nicht zuletzt eine Folge der Prädominanz der deutschen Sprache bzw. ihres höheren Prestiges.


Das Bundesland Kärnten (slow. Koroška) umfasst 9533 km2 mit ca. (2007) 560.400 Einwohnern; seine Hauptstadt ist Klagenfurt (slow. Celovec) mit (2006) ca. 92.400 Ein­wohnern (wobei der slow. Name der primäre ist, ohne den die dt. Form Klagenfurt gar nicht entstehen hätte können , s.u. 4.3 sub tswīln). Kärnten ist nach Paschinger (1937: 5) ein Becken- und Durchgangsland, das „alpine Drauland“, vom Hochgebirge umschlossen; es bildet eine geographische Einheit. Seit es 1335 Habs­burgischer Besitz geworden ist, hat sich seine Fläche nur mehr unwesentlich geändert.

Das historische Siedlungsgebiet der Slowenen in Kärnten war um die Mitte des 19. Jhdts. noch ein zusammenhän­gendes Areal, das einen breiten Streifen bildete und rund ein Viertel der Landesfläche bedeckte. In diesem Gebiet stellten sie ­– wenn man von den großen Städten Klagenfurt und Villach absieht – den Hauptanteil der Bevölkerung, unter der bäuerlichen Bevölke­rung nahezu 100%. Nach Czoernig (1857: 27, 74 u. 77) verlief die deutsch-slowenische Sprach­grenze wie folgt (von Westen nach Osten):

Malborghet (im Kanaltal, heute Italien) – Möderndorf/Hermagor – Wasserscheide Gail/Drau – Villach – Zauchen – Dellach (bei Feldkirchen) – Moosburg – Nußberg – Galling – St. Donat – St. Sebastian – St. Gregorn (bei Klein-St. Veit) – Schmieddorf – Wölfnitz/Saualpe – Pustritz – Granitztal – Eis-Ruden (an der Drau) – Lavamünd (wobei die genannten Orte noch größtenteils im deutschsprachigen Gebiet liegen).

siehe Karte.

Damals standen ca. 96.000 Slowenen ca. 223.000 Deutschen gegenüber, im Jahre 1910 betrug das Verhältnis ca. 74.000 zu ca. 300.000; heute geben nur noch ca. 12.600 Personen (das sind weniger als 3 % der Einwohner Kärntens) Slowenisch als Umgangssprache an, eine Zahl, die den wahren Verhältnissen nicht ganz entspricht. In absoluten Zahlen, umgerechnet auf das heutige Kärntner Gebiet (also ohne Mießtal, Tarvis und Seeland) gab es 1880 u. 1890 ca. 85.000, 1900 ca. 74.000, 1910 ca. 66.500 Slowenen; 1923 waren es nur mehr ca. 34.500. Danach erreichten sie im Jahre 1939 noch einmal einen höheren Wert, als ca. 43.000 Personen mit slowenischer Muttersprache erhoben wurden:

Jahr

Kärnten

Österreich gesamt

1910

66 463

74 210

1939

43 179 (inkl. „Windisch“)

47 639

1951

19 658 (bzw. 42 095a)

19 976

1961

24 911

f

1971

20 972b

23 579

1981

16 552c

18 640

1991

14 850 (inkl. „Windisch“)

17 379

2001

12.586 (ohne „Windisch“d)

17 953e (bzw. 24 855g)

 

Anmerkungen zur Tabelle:

a)         in allen Kombinationen (z.B. „deutsch-slowenisch“, „deutsch-windisch“ usw.)

b)        davon 3961 „Windisch“

c)         davon 2348 „Windisch“

d)        deren Zahl wird mit 567 Personen angegeben (davon in Österreich geboren: 547)

e)         österreichische Staatsbürger (davon in Österreich geboren: 13 225)

f)         in den von mir benützten Unterlagen keine gesamtösterreichischen Angaben

g)        davon 6891 Ausländer (zuzüglich eine Person „Windisch“).

Allerdings kann man heute von keinem geschlossenen slowenischen Siedlungsgebiet mehr sprechen, sondern nur von einem gemischtsprachigen Gebiet, das durch Sprachwechsel (Assimilation) zu einem solchen geworden ist. In den Gemeinden mit slowenischem Bevölkerungsanteil schwankt dessen Prozentsatz zwischen einigen Prozent (z.B. Magdalensberg 1,3 %) und 95 % (so Zell/Sele), im gesamten gemischtsprachigen Gebiet dürfte der Anteil slowe­nischsprachiger Personen bei 13 % liegen, berechnet nach Gutleb/Unkart (1990: 163 u. 176).

Die Siedlungssituation der Kärntner Slowenen wird oft als Streulage inmitten einer deutschsprachigen Mehrheit beschrieben (so z.B. Gutleb/Unkart 1990: 162), was zwar dem Status quo entspricht, aber der historischen Entwicklung nicht gerecht wird, handelt es sich doch beim slowenischen Sprachgebiet um ein durch Sprachwechsel (Assimilation) entstandenes Rückzugsgebiet. Insgesamt trifft für das Areal des deutsch-slowenischen Sprachkontakts somit der Begriff „gemischtsprachiges Gebiet“ am ehesten zu. Nach den statistischen Angaben der Volkszählung 2001 bekannten sich 12.586 Personen, d.s. weniger als 3% der Gesamtbevölkerung Kärntens, ausdrücklich als slowenisch oder „windisch“ sprechend auf Grund der Frage nach der Umgangssprache. Die tatsächliche Zahl der slowenisch­sprachigen Kärntner liegt freilich weit höher und wird von manchen Autoren auf ca. 50.000 geschätzt (so z.B. Bogataj 1989: 287).

Das Slowenische in Kärnten wird traditionell vier Dialekten zugeordnet, die zu einer (nach Italien und Slowenien hineinreichenden) „Kärntner Gruppe“ (Koroška skupina) zusammengefasst werden (nach Ramovš 1957, Logar 1975, 107ff., siehe Karte):

1.          Gailtaler Dialekt – Ziljsko narečje (östlich von Hermagor im Gailtal, bis ins Kanaltal und auf slowenisches Staatsgebiet übergreifend);

2.     Rosentaler Dialekt – Rožansko narečje (im Rosental entlang der Drau, etwa von Villach bis östlich von Ferlach samt den Gebieten nördlich und südlich davon);

3.          Obir- oder Remschenik-Dialekt – Obirsko oder Remšeniško narečje (im Raum Eisenkappel);

4.          Jauntaler Dialekt – Podjunsko narečje (im Jauntal und nördlich davon, Bezirk Völkermarkt).

 

 

2. Zum Begriff „Windisch“ siehe hier

3. Soziolinguistische Lage

 

Diese habe ich so bereits in meinem Beitrag Pohl (1987a: 1815f.) beschrieben; seit damals hat sich in dieser Hinsicht nicht viel geändert, außer dass heute weit mehr Kinder zum zweisprachigen Unterricht angemeldet sind (s.u.).

Trotz einer ganzen Reihe von minderheitenfreundlichen administrativen Maßnah­men auf Grund des Artikels 7 des „Staatsvertrages“ aus dem Jahre 1955 (vgl. Gutleb/Unkart 1990: 180), des Volks­gruppengesetzes 1976 (vgl. Gutleb/Unkart 1990: 180f.) und einiger Verordnungen der österreichischen Bundesregie­rung (vgl. Gutleb/Unkart 1990: 184ff.) ist die slowenische Sprache im öffentlichen Leben Kärntens wenig präsent, wenn auch grundsätzlich ihre Lage günstiger ist als die des Kroatischen im Burgenland. Die Ursachen dafür sind vielfältig, in erster Linie dürfte es daran liegen, dass zwar nahezu alle Slowenen von Kindheit an auch die deutsche Sprache beherrschen, umge­kehrt aber die deutschen Kärntner in den rein deutschen Gebieten und in den Ballungs­zentren kaum, in den gemischtsprachigen Gebieten nur z.T. über Slowenischkenntnise verfügen. Auch der kleine slowenische Sprachraum mit ca. 2,2 Mill. Menschen liefert nur einen gerin­gen Anreiz, die Sprache zu erlernen bzw. zu gebrauchen, wenn sich auch – v.a. seit dem EU-Beitritt Sloweniens – in der jüngeren und mittleren Generation die Einstellung zur slowenischen Sprache wandelt und sie wieder als zweite Landessprache auf mehr Akzeptanz stößt. Trotzdem ist kaum ein Ansteigen ihres Gebrauchs im öffentlichen Leben festzustellen und slowenische Aufschrif­ten im gemischtsprachigen Gebiet beschränken sich zumeist auf Ljudska šola ‘Volks­schule’ oder Gasilski dom ‘Feuerwehrhaus’ bzw. auf private Aufschriften wie Gostilna ‘Gasthaus’ oder Trgovina ‘Kaufhaus, Geschäft’; topographische Bezeichnun­gen in slowenischer Sprache sind nur in einem geringen Umfang (in den Bezirken Völkermarkt und Klagenfurt-Land) auf Grund der Straßenverkehrsordnung auf Orts­tafeln und einigen Wegweisern angebracht worden (in 9 Gemeinden, dazu vgl. zuletzt Pohl 2008 sowie hier). Jedoch ist der Gebrauch des Slowe­nischen als Amtssprache zusätzlich zum Deutschen bei 13 Gemein­debehörden (einschließlich Polizei) und den zuständigen Bezirksgerichten und 63 Regionalbehörden (wie Bezirkshauptmannschaften und Amt der Kärntner Landesregie­rung) zulässig (vgl. Gutleb/Unkart 1990: 178). Es wird auch in Gemeinderatssitzungen z.T. slowenisch gesprochen, überwiegend z.B. in Zell/Sele.

Abschließend kann man feststellen, dass die slowenische Sprache in Kärnten v.a. im privaten und familiären Bereich und in den slowenischen Genossenschaften, Sparkassen und in den zahlreichen Kulturvereinen verwendet wird und von einer echten Gleichbe­rechtigung kann man bis zu einem gewissen Grad nur im kirchlichen Bereich sprechen. Dementsprechend werden bei Befragungen nach der Verwendung der sloweni­schen Sprache außerhalb der Familie am meisten die mit der Religionsausübung ver­bundenen sprachlichen Ausdrucksformen genannt (54,4%), dann folgt der Nachbar (54,1%); Briefträger und Arbeitskollegen werden schon deutlich weniger genannt (29,2% bzw. 29,4%), am wenigsten spricht man slowenisch mit dem Chef (11,6%) und bei der Polizei (10,3%), wie dies anschaulich Flaschberger/Reiterer (1980: 89) zeigt.

Im gemischtsprachigen Gebiet (und seit 1989 auch in Klagenfurt) wird Unterricht sowohl in slowenischer als auch deutscher Sprache angeboten; die Schüler, die zum zweisprachigen Unterricht angemeldet sind, erhalten Unterricht zu gleichen Teilen in beiden Sprachen. Die Anmeldungen sind in den letzten Jahren wieder angestiegen. Im Schuljahr 2005/2006 waren an 64 Volksschulen im Geltungsbereich des Minderheiten­schulwesens (= Südkärnten) in Summe 1819 Schüler/innen (oder 36,25%) für den zweisprachigen Volksschul-Unterricht eingeschrieben. Reinen Slowenisch-Unterricht gab es zuletzt an 13 Hauptschulen für 339 Schüler. 541 Schüler besuchten das Slowenische Gymnasium, 141 die zweisprachige Handelsakademie. In den letzten Jahren hat sich deutlich gezeigt: Immer mehr Kinder aus nicht-slowenischen Familien werden zum zweisprachigen Unterricht angemeldet (so in der „Kleinen Zeitung“ vom 12.9.2006, S. 16. Zum Vergleich: 1991 waren 1242 Kinder von 5639, 1999 1619 von 6133 Kindern zum zweisprachigen Unterricht angemeldet (62 Schulen bzw. 22% aller Schüler – so Gutleb/Unkart 1990, 167).

Im Jahre 1957 wurde in Klagenfurt das Gymnasium für Slowenen gegrün­det, aus dem weit über 1000 Absolventen hervorgegangen sind. Der Hermagoras-Verlag (Klagenfurt) ist einer der ältesten Verlage Kärntens und hat seit seinem Bestehen Millio­nen von Büchern herausgegeben. Im Rundfunk (Landesstudio Kärnten des ORF in Klagenfurt in Zusammenarbeit mit dem privaten Sender „Radio DVA-Agora“) wird einige Stunden täglich auch auf slowe­nisch gesendet; am Sonntag gibt es kurz nach Mittag seit Mitte 1989 ein halbstündiges slowenisches Fernseh­programm („Dober dan, Koroška“). Über Kabel- und Satellitenfernsehen sind auch Programme aus Slowenien zu empfangen (s. auf der ORF-Homepage unter der URL http://volksgruppen.orf.at/slowenen/programm/).

 

4.     Slowenisch-deutscher Sprachkontakt

4.1. Allgemeines zu den beiden Kontaktsprachen

 

In Kärnten erfolgt der Sprachkontakt sowohl vom Deutschen zum Slowenischen als auch vom Slowenischen zum Deutschen, in beiden Fällen hauptsächlich auf der Ebene der Verkehrs- und täglichen Umgangssprache, die Dialekte miteinschließend. Auf der Ebene der Schriftsprache war der deutsche Einfluss auf das Slowenische sehr groß, wurde aber durch sprachplanende Maßnahmen zurückgedrängt („Slawisierung“, „Ar­chaisierung“, „Purismus“, dazu vgl. Pohl 1994: 475ff. mit Lit.). Die slowenische Volkssprache weist auch außerhalb Kärntens einen starken deutschen Einfluss auf, der allerdings durch den Wegfall der entsprechenden Rahmenbedingungen (d.h. durch die Vertreibung und Aussiedlung der „alt­österreichischen“ Deutschen nach 1945) rezessiv ist.

Die (ehemalige) deutsch-slowenische Sprachgrenze (s. sub 1) teilt das Gebiet der deutschen Mittelkärntner Dialekte in zwei Varianten (nach Pohl 1992: 157f.): in die zentrale, nördliche und westliche, bäuerlich geprägte Mundart, als deren Kennzeichen u.a. die Diphthonge ea oa (< mhd. ē ō h) in Wörtern wie roat ‘rot’, gean ‘gehen’, šean ‘schön’, groas/greasə(r) ‘groß/­größer’ (statt südmittel­kärntnerisch rōt, šēn, grōs/grēsə(r)) sowie altertümliche Wortformen wie åhn ['ɔ:hn] oder åhe ['ɔ:he] (statt südmittelkärntnerisch åwe < ab-hin ‘hinab’), fertn (statt südmittelkärntnerisch fūrigs Jår ‘voriges Jahr’) zu betrachten sind. Für diese „Südmittelkärntner“ Mundart, die sich von den Städten aus über das ursprünglich rein slowenische bäuerli­che Gebiet ausgebreitet hat, sind zahlreiche Erscheinungen typisch, die auf slowenische Einflüsse schließen lassen – eben die Folge von Sprachkon­takt. Dieser wurde von mir in zwei zusammenfassenden Handbuchartikeln (Pohl 1997ab, Karte Pohl 1997c) sowie – aus slawistischer Sicht – von Neweklowsky (1990) dargestellt.

Dass slowenisch-deutscher Sprachkontakt historisch gesehen großräumiger anzuset­zen ist als heute, zeigt u.a. die „Kärntner Dehnung“, die Folge einer bereits vor mehreren hundert Jahren eingetretenen phonologischen Interferenz (s.u. sub 4.2). Auch der Wortschatz zeigt dies, so gibt es in Oberkärnten und Osttirol Reliktwörter (früh)slowenischer Herkunft, die es weiter östlich heute nicht mehr gibt (z.B. Koprits ‘ein Almkraut’ (s.u. sub 4.3), Puəklat ‘vorderer Teil der Heufuhre’ (s.u. sub 4.3), Topanits ‘ein Gebäck’ zu slow. topel ‘warm’, vgl. slowak. topenica, vgl. Pohl 1989a: 254 u. 256; 1992: 166). Es gibt auch weiter verbreitete Lehnwörter wie Kraxe ‘Rückentrage’, Keusche ‘Kate, ärmliches Bauernhaus’, Paier ‘Quecke’ und Jause, die keineswegs auf Kärnten allein beschränkt sind (Näheres s.u. sub 4.3).

 

4.2. Beispiele für Sprachkontakt (Grammatik)

 

Die Folgen des Sprachkontaktes machen sich auf allen Ebenen des Sprachsystems bemerkbar wie u.a. bei der Kärntner Dehnung: Diese hat das phonologische System der Kärntner Mundarten nachhaltig geprägt. Historisch ist sie aus einer Umwandlung der mhd. Gruppen Kurzvokal + geminierter Reibelaut in Langvokal + einfacher Reibelaut hervorgegangen; später folgten auch Langvokal + tt. Lautgeschichtlich ist die „Kärntner Dehnung“ eine Ersatzdehnung unter den Bedingungen des slowenisch-deutschen Sprach­kontaktes (s.u.), die im Norden bis in steirisches Gebiet reicht. Sie dürfte bereits um 1300 eingetreten gewesen sein (Tillian 1986: 69 mit Lit.). Beispiele:

 

mhd.

kärntnerisch

hoffen

hōfn

‘hoffen’

macchen

måchn [mɔ:hn]

‘machen’

gewisse

gwīs

‘gewiss’

waʒʒer

wåsǝr [ɔ:]

‘Wasser’

fischen

fīšn [i:]

‘fischen’

 

Daher lauten Wörter wie offen und Ofen, Wiese und wissen gleich, nämlich [ōfn] und [wīsn]. Später folgte auch t, daher heißt Mitte heute [mītn] (wie das aus der Hochsprache stammende Miete). Vor Konsonantengruppen tritt die Kärntner Dehnung nicht ein, es heißt zwar ēsn „essen“, aber dēs ests „ihr esst“, daher das Schwanken von Lang- und Kurzvokal in offenen und (primär) geschlossenen Silben:

        ‘ich gebe/esse’                i gīb / īs

        ‘du gibst/isst                  du gipst / isǝst (setzt ein altes isst voraus)

        ‘er gibt/isst’                    er gip (< gibt) / ist

        ‘wir geben/essen’           mir gēbm(ǝr) / ēsm(ǝr) (< geben / essen (+  wir))

        ‘ihr gebt/esst’                 dēs geps (< gebt + eʒ) / ests (< esst + eʒ)

        ‘sie geben/essen’            se gēbmp (< gebent) / ēsnt (< essent)

Neweklowsky (1985: 34f. u. 1990: 486f.) erklärt die Kärntner Dehnung dadurch, dass die deutsche Intensitätsopposition durch einen slowenischen „Filter“ aufgehoben wurde und der Fortis-Konsonant analog zum Slowenischen seine Stärke verloren hat, wodurch dann die slowenischen Distributionsregeln langer und kurzer Vokale angewendet werden konnten. Da im Deutschen die Wortbetonung nie auf den auslautenden Silben möglich ist bzw. die Stammsilben sich daher häufig in nichtletzter Position befinden, wo sie nach den slowenischen Regeln gedehnt werden, wurden dann nach slowenischem Vorbild auch im Deutschen die Stammsilben gedehnt. Folglich kann man diese Erscheinung als phonologische Interferenz betrachten. – Eine ähnliche Erklärung habe auch ich vorgeschlagen (Pohl 1992: 161 mit Lit.): die dem Slowenischen fremden Geminaten wurden aufgegeben und die mhd. Lautfolge „Kurzvokal + Geminata“ wurde durch die (auch im Slowenischen) gängige Lautfolge „Langvokal + einfacher Reibelaut“ ersetzt, wobei die Vereinfachung der Geminaten die Ersatzdehnung des vorangehenden Vokals zur Folge hatte, beide Erscheinungen waren also gleichzeitig, was sprachtypologisch nichts Ungewöhnliches ist, vgl. griech. ma. (lesbisch) phthérrō ‘verderben’, kténnō ‘töten’, krínnō ‘scheiden’  gegenüber jon.-att. phthē, ktē([-e:-] geschrieben --), krīnō (< älterem *phthérjō, *kténjō, *krínjō). – Die bisher umfangreichste Darstellung zur Geschichte und arealen Verbreitung der „Kärntner Dehnung“ ist die Monographie von Tillian (1986).

Weiters entspricht die Deutschkärntner Aussprache von (z.B.) Villach ~ Villacher bezüglich des ch ziemlich genau der slowenischen von (z.B.) slow. suh ~ suha ‘tro­cken’, nämlich [-χ] ~ [-h-]. Nach slowenischem Vorbild kam es also zu einem Zusammenfall der beiden Phoneme /h/ und /ch/ (vgl. Neweklowsky 1985: 34f. u. 1989: 207f.). Ferner haben die zentralen Mittelkärntner deutschen und die Kärntner sloweni­schen Mundarten eine Verlagerung der Artikulation in den hinteren Bereich der Mund­höhle gemeinsam: im Slowenischen zeigt sich dies am Übergang von k/g zu q/h, im Deut­schen in einer mehr hinteren Artikulation von k, kh und g, in beiden Sprachen bei d, t und r (so Neweklowsky 1989: 205 mit Lit.). Mit anderen Worten: die Kärntner slowenischen und deutschen Mittelkärntner Mundarten haben eine sehr ähnliche Artikulationsbasis (Neweklowsky 1990: 485).

Im Bereich der Syntax fällt auf, dass im Südmittelkärntner Bereich (auch in den Städten Klagenfurt und Villach) das Pronomen es in Sätzen wie rēgnet ‘es regnet’, šnaip(t) ‘es schneit’, hait wår khålt ‘heute war es kalt’ fehlt, mit anderen Worten: eine slowenische Konstruktion wird nachgeahmt (vgl. Neweklowsky 1990, 488f.); im Slowenischen entfällt nämlich in solchen Konstruktionen das dem dt. es entsprechende Pronomen. Allerdings sind slow. dežuje ‘es regnet’, sneži ‘es schneit’ schrift­sprachlich, denn in der Mundart heißt es eher dež gre bzw. sneg gre (wörtlich) ‘Regen/Schnee geht’, aber Fälle wie zmrzuje ‘es friert’, rosi ‘es nieselt’, tali se ‘es taut’, prši ‘es nieselt, macht nass’ sowie danes je bilo mrzlo ‘heute war es kalt’ sind auch mundartlich üblich.

Ferner ist im gleichen Gebiet mir mitn Frantse ‘wir mit Franz’ statt ‘ich und Franz’ zu beobachten – ebenfalls auf Grund eines slawischen bzw. slowenischen Musters (vgl. russ. my s tobój ‘ich und du’, wörtlich ‘wir mit dir’). Neweklowsky (1990: 490) vermutet hier ein Einwirken des slowenischen Duals: ein slow. Satz midva s hčerko sva bila… (Dual) ‘wir beide mit der Tochter waren…’ (eigentlich ‘ich und meine Tochter…’) wird dann mit dt. wir waren mit der Tochter… wiedergegeben.

Häufig ist das Verbum an den Anfang des Satzes gerückt, insbesondere im Dialog, bei Antworten u. dgl., z.B. khum i glai ‘ich komme gleich’, khumt/khimp ǝ(r) schon ‘er kommt schon’, saint se schon untǝwēgs ‘sie sind schon unterwegs’ usw. Initialstellung des Verbs ist auch im Slowenischen sehr weit verbreitet; dadurch, dass das Pronominalsubjekt (ich, du...) meist wegfällt, steht rein statistisch das Verb noch häufiger am Satzanfang als es ihm wortfol­getheoretisch eigentlich zukommt, was somit seine Auswirkungen auf das Kärntner Deutsch hat (vgl. Pohl 1992, 162). Die Doppelsetzung des Personalpronomens in der 1. Person Plural mir håmə(r) ‘wir haben’ (< wir haben wir) dürfte damit (wie Neweklowsky 1990: 489 vermutet) aber nicht zusammenhängen, denn in der 2. Person Singular ist sie gemeindeutsch (-st < -s + du), in der 2. Person Plural gemeinbairisch (-ts < -t + eʒ).

Auffällig ist auch der adverbiale Gebrauch von nichts [niks] im Sinne von ‘nicht’ (als Negation), was z.T. dem slow. nič entspricht, z.B. er is niks då ‘er ist nicht da’ (slow. ma. won či tle), im Fragesatz: a khumst/khimst hait niks tsu uns? ‘kommst du heute nicht zu uns?’ (vgl. Neweklowsky 1990, 491). Die slowenischen Formen gehen auf nič ne biti ‘nicht sein’ (verneinte Kopula, verstärkt, wörtlich ‘nichts sein’) zurück und dies wurde im Deutschen nachgeahmt.

Das vorige Beispiel enthält die für Kärnten typische und häufig verwendete Fragepartikel a, die auch im Slowenischen geläufig ist. Da sie sonst in den bairisch-österreichischen Mundarten außer vielleicht in den angrenzenden Gebieten der Steiermark nicht vorkommt, dürfte sie ebenfalls auf Sprach­kon­takten beruhen. Sie kommt sowohl alleine (wie oben) als auch in Verbindung mit Fragepronomina (z.B. a wer khimp/khumt den då? ‘wer kommt denn da?’) vor.

In der slowenischen Umgangssprache wird die Konjunktion pa ‘aber’ pleona­stisch recht oft verwendet, v.a. zur Einleitung eines neuen Gedankens oder Themas. Dies widerspiegelt sich auch in der deutschen Umgangssprache des ehemaligen bzw. bestehenden gemischtsprachigen Gebiets, z.B. frai i mi åber, dås i di sīch/sīg ‘ich freue mich, dass ich dich sehe’, weəmə åbə åle hintn ainštaigŋ ‘wir alle werden hinten einsteigen’.

Dazu kommt noch eine eigenartige Satzintonation, die jeden Unterkärntner „verrät“. – Ob die im südlichen Kärnten weit verbreitete präpositionslose Richtungskodierung ein Sprachkontakt­phänomen durch Inkompatibilität der verwendeten Präpositionen ist (im Slowenischen v bzw. na + Akkusativ auf die Frage „wohin?“, Lokativ auf „wo?“), kann nicht entschieden werden, z.B. i får Khlågnfurt ‘ich fahre [nach] Klagenfurt’; in echter bäuerlicher (Mittelkärntner) Mundart würde hier auf [af] stehen (und im Slowenischen ... v Celovec). Wesentlich seltener ist die Konstruktion i pin jetsən Khlågnfurt ‘ich bin jetzt [in] Klagenfurt’. – Unwahrscheinlich ist slowenischer Ursprung für Konstruktionen wie i pin gschlåfn ‘ich habe geschlafen’ (mit bin statt habe wie im Slowenischen bei allen Verba; da aber schlafen ursprünglich ‘schlaff liegen’ bedeutet  hat, kann das Hilfszeitwort sein hier auch alt sein wie ganz allgemein im Süddeutschen bei sitzen, liegen, stehen usw.). Hier dürfte es sich also um einen Einzelfall handeln.

 

4.3. Wortschatz

 

Beim Sprachkontakt spielen die Lehnbeziehungen die größte Rolle. Bisher habe ich rund 180 slowenische Lehnwörter aus der Fachliteratur gesammelt (Pohl 1989b: 77ff. bzw. 1989a u. 1990); einige davon sind sehr frühe Entlehnungen, die zum festen Wortbestand der Kärntner Mundarten bzw. der Umgangssprache gehören wie u.a. Kraxe und Strankerl (zusammengestellt bei Pohl 2005a: 137ff. u. 2005b: 137ff.). Von diesen ca. 180 Lehnwörtern ist heute noch knapp die Hälfte regional in bäuerlicher Mundart üblich, mindestens ein Viertel ist heute schon unverständlich, aber immerhin ein Sechstel davon ist ziemlich allgemein in der Kärnt­ner deutschen Umgangssprache gebräuchlich. ­

Im Folgenden zunächst einige Beispiele für Entlehnungen aus dem frühen Slowenischen bzw. der alpenslawisch sprechenden Grundschicht zu der Zeit, als das slawische Karantanien unter bayerische Herrschaft kam; für diese Sprachform habe ich die Bezeichnung „Karantanisch“ vorgeschlagen (Näheres in Pohl 2005a).

Jause, ma. [jausn] ‘Zwischenmahlzeit’, auch (im Lesachtal) ‘Mittagessen’ (< slow. južina ‘Mittag­essen’). Dieses Wort erfuhr in Österreich eine sehr weite Verbreitung und entspricht dem bair. Brotzeit. Im Slowenischen entspricht heute mala južina ‘Zwischenmahlzeit’, das in der Mundart ['mawʒna] ergab und so zum slow. Pendant des „Austriazismus“ Jause wurde.

Keusche, ma. [kaišn] ‘Kate, ärmliches Bauernhaus’ (< slaw. *chyša, slow. hiša ‘Haus’, germanisches Lehnwort), im ganzen Osten und Südosten Österreichs verbreitet; ma. auch (alt) [k(h)aiksn] (Steiermark, Lungau) mit Wiedergabe des slaw. š durch chs (wie bei Kraxe).

Kraxe (Krächse) ‘Rückentrage (meist aus Holz, auch geflochten als Korb)’, frühe Entlehnung in altslow. Lautung *krăšńa, dem Vorgänger von slow. krošnja (nähere Details bei Pohl 2005a: 141); zum -a- vgl. Strankerl.  

Munggen und Talggen [munkŋ] bzw. [tålkŋ] (meist Plural, alt) ‘einfache bäuerliche Speise aus geschrotetem Getreide’. Munggen (< altslow. *mǫka ‘Mehl’, heute slow. moka) ist v.a. in Oberkärnten verbreitet, Talggen (< frühslow. *tălk-n-, vgl. poln. tłokno ‘Speise aus Hafermehl’, russ. toloknó) in Kärnten und Steiermark.

            Diese Talggen sind nicht zu verwechseln mit den „böhmischen Dalken“, die von tschech. vdolky ’kleine Hefepfannkuchen’ herzuleiten sind (vgl. Pohl 2007b: 54).

Paier ‘Quecke’ (ein Ackerunkraut, < slow. pirje); wie auch Jause und Keusche  sehr weit verbreitet.

Strankerl (so meist geschrieben), ma./ugs. štrankele, -əle ‘Fisole, grüne Bohne’ (< altslow. stră(n)k- ‘Schote, Hülse’, über *strǫk- > heute slow. strok); wegen des erhaltenen a im Deutschen muss dieses Wort – wie auch Kraxe – schon sehr früh entlehnt worden sein.

Die meisten, mehr oder weniger auf Kärnten (und Osttirol) beschränkten Entlehnungen aus dem Slowenischen sind unter den Bedingungen weit verbreiterter Zweisprachigkeit im Laufe der Zeit in die deutsche Mundart gelangt. In Oberkärnten (und Osttirol) ist das Slowenische erst im Laufe des 14. Jhdts. endgültig verschwunden, insbesondere wird dies durch die stark slawisch geprägte Toponymie unterstrichen (dazu vgl. v.a. Pohl 2005ab mit Lit.). Einige Beispiele:

Hudítsch ‘Teufel’ (< slow. hudíč), ugs. v.a. als Fluch.

Jaukh  ‘Föhn’ (< slow. jug ‘Süden’).

Koper ‘Dille’ (< slow. koper).

Koprits ‘ein Almkraut (Futterpflanze)’ (< slow. koprc ‘Rauke, Fenchel’); verbreitet im Mölltal, Lesachtal, auch in Osttirol.

Maischl ‘Netzlaibchen’ (rückentlehnt aus slow. majželj < bair. *Maiselein ‘kleine Schnitte’); eine ähnliche Speise heißt im Lavanttal und im nördlichen Kärnten lēbəlan (Plural).

moidúš ‘meiner Seel’ ’ (< slow. [in ma. Aussprache] (pri) moji duši), ugs. als Ausruf der Verwunderung und des Erstaunens.

Patše / Påtše ‘Eber’ (< slow. pačej aus dem Deutschen, zu Bock).

Plēšn (alt) ‘großer Acker’ (< slow. pleša  ‘kahle Stelle’).

Pogátschen ‘ein Weißrot’, gesprochen oft [po'hatʃa] nach slow. ma. poháča, geschrieben pogača.

Polsn ‘Heuschlitten’ (< slow. polza ‘Tragbaum, Pflugschleipfe’), verbreitet in Oberkärnten und Osttirol.

Potitze [po'titse] ‘Rollkuchen (aus Germ- bzw. Hefeteig)’, meist mit Mohn- oder Nussfülle (< slow. potíca, ma. auch povtíca < povitíca ‘Einge­rolltes’)

Puəklat (alt)  ‘vorderer Teil des Heufuders’ (< slow. ma. pod ‘unter’ + klet ‘Haufen’), Mölltal.

Sásaka, ugs. Synonym zu dt. ma. Fə(r)håkhət ‘Verhacktes, ausgelassener geräucher­ter Speck’ (< slow. ma./ugs. zaseka ‘verhackter Speck’), als Produkt­bezeichnung auch schrift­sprachlich.

šwachta / šwåchta ‘Sippschaft (abwertend)’ (< slow. ma. žłahta ‘Geschlecht’, aus dem Deutschen).

Tšatš ‘Plunder’ (< slow. čača).

Tšoja ‘Eichelhäher’ (< slow. šoja).

Tšompe ’Kartoffel’ (< slow. ma. čompe, čampe), Gailtal.

tswīln ‘klagen, jammern’ (< slow. cviliti); auf dem Ausgangswort beruht auch slow. Celovec ‘Klagenfurt’ (< *Cviljovec, vgl. ma. Cvelowc, Cvilowc).

Wābm ‘altes Weib’ (< slow. baba ‘alte Frau’).

Wie eng der Sprachkontakt war, zeigt sich u.a. darin, dass auch deutsche Lehnwör­ter im Slowenischen ins Deutsche rückentlehnt wurden, wie z.B. Patsche ‘Eber’ (Pohl 1989a: 258, 1992: 165), Maischl ‘Netzlaibchen’ (vgl. Pohl 1989a: 258 bzw. 2004: 23f., Striedter-Temps 1963: 174), Schwachta ‘Sippschaft (abwertend)’ (Näheres s.o.). Dazu kommen noch mehrere Mischformen wie z.B. Plerénke ‘weinerliches Kind’ (zu dt. plärren mit slow. Wortbildung) oder Kaišlekǝ(r) ‘Keuschler, Bewohner einer Keusche’ (vgl. Pohl 1992: 164).

Vielfach ist manchen mundartlichen Wörtern zu Unrecht slowenische Herkunft zugeschrieben worden, z.B. dt. ma. lai ‘nur’ (< mhd. līch, verwandt mit gleich < mhd. gelīh), vgl. slow. le ‘nur’ (gemeinslawisch, lautliche Ähnlichkeit zufällig). Auch  Tšerfl ‘schlechter Schuh; Kerl (Schimpfwort’) beruht nicht auf slow. črevelj ‘Schuh’, sondern ist eine Rückbildung aus dt. ma. (bair.) scherfeln ‘schürfend gehen’ (in Tirol tscherfeln); tš- < š- kommt mehrmals vor, z.B. Tšopf ‘Schopf’, tšepern ‘klirren’ (bair. scheppern) usw.

Soziolinguistisch kann man die slowenischen Lehnwörter im Kärntner Deutsch in zwei Gruppen teilen (vgl. Pohl 1992: 166f.):

(1)   ad-hoc-Entlehnungen: Wörter, die unter den Bedingungen der Zweispra­chigkeit Zitatwörter geworden sind, dazu gehören einige Bezeichnungen von Speisen (wie z.B. Pogatschen) und aus der bäuerlichen Sphäre (wie z.B. Tšompe).

(2)   allgemein-umgangssprachliche Entlehnungen: Wörter, die dem Sprachschatz der allgemeinen Kärntner Umgangssprache (zumindest des Zentralraumes) angehören bzw. in der lokalen (bäuerlichen) Mundart allgemein üblich sind (die meisten der genannten Wörter).

Ein besonderes Charakteristikum der Slavia submersa Süd- und Südost­österreichs bzw. des Alpenslawischen sind die zahlreichen Hof- und Familien­namen (urspr. Lagenamen) auf -nig(g) (auch -nik) aus slow. -nik, die in den dem zusammen­hängenden slowenischen Sprachraum vorgelagerten deutsch­sprachigen Gebieten Kärntens, Osttirols, des Salzburger Lungaus und der Steiermark weitaus häufiger sind als im slowenischen Kerngebiet; sie können als „nordslowenisch“ bezeichnet werden. ­– Einige Beispiele: Ladinig (zu slow. ledina ‘Brache’), Pototschnig / Petutschnig(g) (slow. Potočnik ‘Bacher’), Glantschnig(g) / Quantschnig (slow. Kłančnik zu klanec ‘Steile; Hohlweg’), auch an dt. Wortstämme tretend, z.B. Kogelnig u. Freithofnig. In Osttirol kommen auch romanische Wortstämme vor, z.B. in Kals Rantschnigg (zu *runca ‘Rodung’ neben dem „dt.“ Hofnamen Rantschner und dem roman. Ranggetin(er)). – Auch das Familiennamen bildende patronymische Suffix slow. - ist ins Deutsche entlehnt worden, in dt. Schreibung -itsch, z.B. Petritsch (slow. Petrič, wörtlich) ‘Peters Sohn’, auch an deutsche Wörter tretend, z.B. Müllneritsch, Kropfitsch. Näheres bei Pohl (2009).

 

5. Gemeinsame Züge aus dem Romanischen

 

Die romanische Nachbarschaft hat einen Einfluss sowohl auf das Slowenische als auch auf das Bairische ausgeübt, der sich im Sprachkontakt potenziert hat. Systemati­sche Untersuchungen liegen hier noch nicht vor (ein erster Versuch Pohl 1992: 166f.). Gemeinsame Calques sind z.B. dt. ma. Auswårt, slow. ma. vigred ‘Frühling’ (eigentlich ‘Ausgang’, vgl. furlan. insude, Umbildung von roman. *exitus) oder dt. ma. Untǝ(r)dåch (< Unterdach, slow. podstrešje ‘Dachboden’ (< pod ‘unter’ + streha ‘Dach’ + Suffix -je, vgl. furlan. sotèt von roman. subtum tectum), gemeinsame Lehnwörter z.B. dt. ma. tschentschen ‘nörgeln, räsonieren’, slow. čančati ‘klatschen, plaudern’ (vgl. ladin. čančar ‘reden, sprechen’) oder dt. ma. Frātn, slow. frata ‘Holzschlag’ (vgl. furlan. fràte ‘entholzte Stelle’). Mitunter sind romanische Lehnwörter übers Slowenische ins Deutsche gekommen, wie z.B. Pogatschen, das letztendlich auf roman. focacea beruht. Aus dem Bereich der Morphologie sei u.a. auf den Superlativ hingewiesen, der in beiden Kontaktsprachen – wie im Romanischen – in der älteren Mundart nach dem Muster „Artikel + Komparativ“ gebildet wird, z.B. slow. ma. tə stariš ‘der älteste’ (wörtlich ‘der ältere’; solche Bildungen waren einst im Bairischen gang und gäbe, sind aber heute selten geworden, erhalten ist z.B. mir sain de mērə(r)n ‘wie sind die meisten (also in der Mehrheit)’, wörtlich ‘… die mehreren’). Auch die Fragepartikel a (s.o. sub 4.2) könnte eine solche Gemeinsamkeit sein, denn diese ist auch im norditalienischen Bereich verbreitet (ein Erklärungsversuch bei Pohl 1989a: 67).

 

Benützte und weiterführende Literatur

 

Bogataj, Mirko (1989): Die Kärntner Slowenen. Klagenfurt-Wien.

Czoernig, Carl von (1857): Ethnographie der österreichischen Monarchie, Bd. I/1. Wien.

Gutleb, Angelika / Unkart, Ralf, Hg. (1990), Die Minderheiten im Alpen-Adria-Raum. Arbeitsgemeinschaft Alpen-Adria. Klagenfurt.

Flaschberger, Ludwig / Reiterer, Albert F. (1980): Der tägliche Abwehr­kampf. Kärntens Slowenen. Wien.

Logar, Tine (1975): Slovenska narečja. Besedila. Ljubljana.

Neweklowsky, Gerhard (1985), Slowenische Elemente im Kärntner Deutsch. In: Die Brücke (Klagenfurt) 1985/3, 33-38.

Neweklowsky, Gerhard (1989): Slowenisch und Deutsch in Kärnten. Phoneti­sche Gemeinsamkeiten. In: Zbornik razprav iz slovanskega jezikoslovja Tinetu Logarju ob sedemdesetletnici. Ljubljana. 203-211.

Neweklowsky, Gerhard (1990): Kärntner Deutsch aus slawistischer Sicht: zum deutsch-slowenischen Sprachbund in Kärnten. In: Germanistische Linguistik 101-103, 477-500.

Paschinger, Viktor (1937): Landeskunde von Kärnten. Klagenfurt.

Pohl, Heinz-Dieter (1989a): Slovenske (in slovanske) izposojenke v nemškem jeziku Ko-roš­ke. In: Slavistična revija 37, 253-262.

Pohl, Heinz-Dieter (1990): Slovenske (in slovanske) izposojenke v nemškem jeziku Ko­roške (nadaljevanje in zakluček razprave v SR 37/1989, 253-262). In: Slavistična revija 38, 101-104.

Pohl, Heinz-Dieter (1989b): Kleine Kärntner Mundartkunde mit Wörterbuch. Klagen­furt.

Pohl, Heinz-Dieter (1992): Die Bedeutung des Slowenischen für die Deutsch-Kärntner  Mundart. In: Dialekte im Wandel, Referate der 4. Tagung zur bayerisch-österrei­chishen Dialektologie (Salzburg, 5.-7. Oktober 1989). Göppingen. 157-169

Pohl, Heinz-Dieter (1994): Von der Volkssprache zur Literatursprache: Slowenisch. In: Language Reform / La réforme des langues / Sprachreform (ed. Fodor, I. u. Hagège, C.) VI, Hamburg. 469-486.

Pohl, Heinz-Dieter (1997a): Deutsch-slowenisch (in Österreich). In: Internationales Hand­­buch zur Kontaktlinguistik Bd. 2. Berlin. 1813-1820. [Handbuchartikel über Sprachkontakt in Kärnten].

Pohl, Heinz-Dieter (1997b): Österreich. In: Internationales Handbuch zur Kontakt­linguistik Bd. 2. Berlin. 1797-1812. [Handbuchartikel über Sprachkontakt in Österreich].

Pohl, Heinz-Dieter (1997c): Sprachenkarte von Österreich. In: Internationales Hand­buch zur Kontaktlinguistik Bd. 2. Berlin. 2057-2059.

Pohl, Heinz-Dieter (2002): Die ethnisch-sprachlichen Voraussetzungen der Volks­ab­stimmung. In: Die Kärntner Volksabstimmung 1920 und die Geschichtsforschung. Leistungen, Defizite, Perspektiven. Hg. von H. Valentin, S. Haiden u. B. Maier im Auftrag des Landes Kärnten. Klagenfurt. 181-188.

Pohl, Heinz-Dieter (2004a): Sprache und Politik, gezeigt am Glottonym Windisch. In: Analecta homini universali dicata, Festschrift Oswald Panagl zum 65. Geburtstag, Bd. II. Hg. von Krisch, Th. – Lindner, Th. – Müller, U. Stuttgart. 625-636.

Pohl, Heinz-Dieter (2004b): Die Sprache der Kärntner Küche / Jezik koroške kuhinje. Ein Lexikon mit Ausblicken auf die österreichische und internationale Küche. Klagenfurt.

Pohl, Heinz-Dieter (2005a): Die Slavia submersa in Österreich: ein Überblick und Versuch einer Neubewertung. In: Linguistica XLV – Ioanni Orešnik septuagenario in honorem oblata I, Ljubljana. 129-150

Pohl, Heinz-Dieter (2005b):  Slowenisches Erbe in Kärnten und Österreich: ein Über­blick. In: Kärntner Jahrbuch für Politik (Klagenfurt). 127-160

Pohl, Heinz-Dieter (2007a): Kleines Kärntner Wörterbuch. Klagenfurt.

Pohl, Heinz-Dieter (2007b): Die österreichische Küchensprache. Ein Lexikon der typisch österreichischen kulinarischen Besonderheiten (mit sprachwissenschaftlichen Erläuterungen). Wien.

Pohl, Heinz-Dieter (2008): Der Kärntner Ortstafelkonflikt zwischen Sprachwissenschaft und Politik. In: Eller, N. – Hackl, St. – L’upták, M. (Hgg.), Namen und ihr Konfliktpotential im europäischen Kontext. Regensburger Symposium, 11.-13. April 2007. Regensburg. 77-92.

Pohl, Heinz-Dieter (2009): Sprachkontakt in Kärnten. In: Michael Elmentaler (Hg.), Deutsch und seine Nachbarn (Kieler Forschungen zur Sprachwissenschaft, Bd.1). Frankfurt a. M. usw., Peter Lang, 117-132.

Pohl, Heinz-Dieter (2011): Familiennamen slowenischer Herkunft in Kärnten (mit Aus­blicken auf die Familiennamen Kärntens und Österreichs im Allgemeinen). In: Karlheinz Hengst – Dietlind Krüger (Hg.), Familiennamen im Deutschen. Erforschung und Nachschlagewerke. Familiennamen aus fremden Sprachen im deutschen Sprachraum. Jürgen Udolph zum 65. Geburtstag zugeeignet. Leipziger Universitätsverlag, 251-265.

Ramovš, Fran (1957): Karta slovenskih narečij. Ljubljana (Nachdruck von 1935).

Striedter-Temps, Hildegard (1963): Deutsche Lehnwörter im Slovenischen. Berlin-Wies­baden.

Tillian, Kurt (1986): Die Kärntner Dehnung (Ein kritischer Literaturbericht). In: Klagen­furter Beiträge zur Sprachwissenschaft 12, 1-205.

 

 

Einige Abkürzungen

(ohne allgemein bekannte und Sprachbezeichnungen, bei den nur …isch fehlt)

 

dt.           deutsch                                    slow.    slowenisch

ma.         mundartlich                             ugs.      umgangssprachlich

mhd.       mittelhochdeutsch

 

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