Zum
Begriff „Windisch“
© H.D. Pohl 2006 (2013)
letzte Bearbeitung 12.11.2015
Am 10. Oktober
gedenkt man in Kärnten alljährlich der Wiederkehr der Kärntner Volksabstimmung
von 1920. Dieser Volksabstimmung sind fast zwei Jahre Besetzung (ab Ende 1918) durch
die Jugoslawen und kriegerische Auseinandersetzungen (Höhepunkt der „Kärntner Abwehrkampf“ April/Mai 1919)
vorhergegangen und sie war daher im Zuge der Friedensverhandlungen von St.
Germain (bei Paris) für das slowenische bzw. gemischtsprachige Gebiet
Unterkärntens unter dem Eindruck der Kämpfe und nach dem Besuch des späteren
Abstimmungsgebietes durch eine Kommission („Miles-Mission“) im Sinne des von
Präsident Wilson zur Grundlage seiner Friedenspläne erhobenen „Selbstbestimmungsrechtes der Völker“
vereinbart worden. Im südöstlichen Kärnten (v.a. Rosen- und Jauntal,
Klagenfurter Becken) wurden zwei Abstimmungszonen eingerichtet. In der Zone I
wurde zuerst abgestimmt; wäre das Ergebnis zugunsten Jugoslawiens ausgefallen,
hätte man anschließend auch in der Zone II (v.a. Klagenfurt, Maria Saal,
Pörtschach, Velden) abgestimmt, doch dazu kam es bekanntlich nicht.
Rein formal war
die Abstimmung am 10. Oktober 1920 nicht zwischen „deutsch“ und „slowenisch“,
sondern zwischen „Österreich“ und „Jugoslawien“ (offiziell: Kraljevina Srba, Hrvata i Slovenaca – SHS
bzw. Königreich der Serben, Kroaten und
Slowenen) und untrennbar damit verknüpft die Frage der Landeseinheit: die
Stimme für Österreich bedeutete deren Erhaltung, die Stimme für Jugoslawien
den Vollzug der Teilung des Landes Kärnten (daher hieß es immer wieder, u.a.
auf einem Flugblatt vom 28.9.1920: Für ein freies und ungeteiltes Kärnten).
Einer solchen Teilung versagte nicht ganz die Hälfte derer, die bei der
Volkszählung 1910 Slowenisch als Umgangssprache angegeben hatten, ihre
Zustimmung:
(Zone
I)
Volkszählung 1910: 68,6% slowenische /
31,4% deutsche „Umgangssprache“
10. Oktober 1920: 59% gültige Stimmen für
Österreich / 41% für Jugoslawien
Rein rechnerisch müssen
(um auf 59% für Österreich zu kommen) neben den 31,4% Deutschsprachigen rund
27,6% Slowenischsprachige für Österreich gestimmt haben, das sind rund 40% von
ihnen laut Volkszählung 1910 – oder fast jeder zweite. Ein solches
Ergebnis lässt viele Deutungen zu, sie füllen ganze Bücherschränke und können
hier nicht wiederholt werden. Aber eine Erklärung verdient es, hervorgehoben
zu werden (sie wird sonst nur am Rande erwähnt): das Volksabstimmungsergebnis
war bei einem Teil der Kärntner Slowenen ein pragmatischer Sieg über die
nationalen Leidenschaften im Zuge des Auseinanderbrechens des „Völkerkerkers“
Österreich-Ungarn: für einen großen Teil der slowenischen bäuerlichen
Bevölkerung des Kärntner Unterlandes war der Verbleib in einem ungeteilten Land
Kärnten mit freiem Zugang zu den Wirtschaftszentren Klagenfurt und Villach
eben attraktiver als das Grenzgebiet eines unter serbischer Vorherrschaft
stehenden Jugoslawien zu werden.
Erst im 19. Jhdt. entwickelte
sich ein slowenisches Nationalbewusstsein und es entstand der Gedanke, alle slowenischen Länder
verwaltungsmäßig zusammenzufassen, freilich im Rahmen der Monarchie, was
aber eine Teilung des Landes Kärnten bedeutet
hätte, der sich selbst auch führende Kärntner Slowenen
widersetzten (z.B. der Abgeordnete zum Kärntner Landtag Dr. Matthias Rulitz). Unter den Kärntner Slowenen kam es gegen Ende des 19.
Jhdts. zur Herausbildung zweier Lager: eines „nationalen“ und eines
„deutschfreundlichen“. Ersteres stimmte am 10. Oktober für Jugoslawien, letzteres
für Österreich (gemeinsam mit jenen Slowenen, die im SHS-Königreich ihre
nationalen Träume nicht verwirklicht sahen). Beide zusammen machen die slowenischsprachige
Minderheit aus. Die „deutschfreundlichen“ bzw. „Kärnten treuen“ oder
„österreichbewussten“ Slowenen wurden schon vor dem 1. Weltkrieg „Windische“
genannt und nannten sich z.T. auch selbst so; zu einem Politikum wurden die
„Windischen“ seit den Zwanziger Jahren. Sie sind aber eindeutig (rein
sprachlich gesehen) Slowenen („Sprachslowenen“), bekennen sich aber nicht
ausdrücklich zum slowenischen Volkstum, v.a. politisch nicht. Die Mundarten
dieser beiden Gruppen unterscheiden sich nicht voneinander; Unterschiede
zwischen beiden Gruppen ergeben sich nur durch die Kenntnis der slowenischen Schriftsprache,
die jenen Personen fehlt, die Schulunterricht nur auf deutsch erhalten haben.
Diese Gruppe dürfte bei der Volksabstimmung 1920 den Ausschlag gegeben haben,
dass diese für Österreich günstig ausgegangen ist. In der Folge wurden sie vom
damaligen Kärnten als „Heimattreue Slowenen“ bezeichnet, von der slowenischen
Presse aber „Renegatenfiguren“ genannt. Dies muss man wissen, um die
Hintergründe richtig verstehen zu können, wenn es um die so genannte
„Windischen-Theorie“ geht. Diese wurde (spätestens) in der nationalpolitischen
Auseinandersetzung der 20er Jahre geboren, indem man bei der Erklärung des
Verhaltens von rund 40% der abstimmungsberechtigten Kärntner Slowenen am 10.
Oktober 1920 ethnische, sprachliche, bewusstseinsbildende und soziologische
Kriterien miteinander vermengte – vor allem in der Tagespolitik.
Mit der „Windischen-Theorie“ ist automatisch auch die
Frage verknüpft, ob das „Windische“ etwa eine vom Slowenischen verschiedene
Sprache sei. Weit verbreitet ist die Ansicht, die Sprache der „Windischen“,
„Windisch“, sei eine deutsch-slowenische Mischsprache, die mit der
„landfremden“ slowenischen Schriftsprache nichts zu tun habe – eine
kühne Behauptung, ist es doch in zweisprachigen Regionen und Gesellschaften
die Regel, dass die bodenständige Volkssprache von der überregionalen Staats-
und/oder Verkehrssprache massenhaft Lehnwörter und Einflüsse bezieht.
Entscheidend ist aber die Grammatik: die Grammatik des „Windischen“ ist die
slowenische, identisch sind auch Hilfswörter und Grundwortschatz. Aus sprachplanerischen
und -ästhetischen Gründen mag man Fremdeinflüsse als etwas Negatives
betrachten (wir kennen dies aus der heutigen Diskussion um die
Anglizismen) – linguistisch gesehen sind sie normal und natürlich. Eine
zweisprachige Gesellschaft wäre arm, wenn es keine Sprachgrenzen
überschreitende Kommunikation gäbe, die einmal zu Lasten der einen (dem
Slowenischen in Kärnten bis heute), ein anderes Mal zu Lasten der anderen (dem
Deutschen in Krain bis 1945) gehen kann. Eine solche
linguistische Feststellung darf aber nicht dazu verleiten, die eine Sprache,
weil größer und mächtiger, als „wichtig“ einzuschätzen, die andere Sprache,
weil kleiner und weniger durchschlagkräftig, als „unbedeutend, regional“ zu
betrachten, denn jede Sprache, egal ob „klein“, ob „groß“, ist ein Stück
Menschheitsgeschichte und Teil des kulturellen Erbes, das zu bewahren lohnt.
Aber einmal eingetretener Sprachwechsel ist (leider) unumkehrbar, er ist mit
einem Verlust an kultureller Identität verbunden und führt nicht sofort zum
Aufgehen in einer neuen Identität: dies dauert meist eine Generation. Personen
im status assimilationis wären noch
in der Lage, unter entsprechenden Bedingungen ihrer Muttersprache treu zu
bleiben. Wenn in zweisprachigen Gebieten Verschiebungen von der einen zur
anderen Sprache zu beobachten sind, zeigt dies ganz besonders deutlich, wie
verbunden beide Sprachen sind, gehören sie doch zum historischen Erbe der
Region. Hier ist im Falle Kärnten für „Windisch“ als eigene Sprache, auch als
„Mischsprache“, kein Platz: das Erbe kann
nur „deutsch“ oder „slowenisch“ sein, beide sind konstitutiv und historisch
gewachsen. „Windisch“ erscheint als ein soziologisch und linguistisch nur
schwer fassbarer vorübergehender Zustand, der an Einzelpersonen oder einzelne
Familien (die sich im status
assimilationis befinden) gebunden ist, nicht aber an gefühlsmäßig
zusammengehörige (ethnische) Gruppen.
Das bisher Gesagte
kann man also wie folgt zusammenfassen:
(1) Kärnten
hat seine Landeseinheit – wie in der Monarchie – in der Ersten Republik bis in
die Zweite Republik bewahren können;
(2) in Kärnten leben zwei ethnische Gruppen, aus
historisch-ethnographischer Sicht Deutsche und Slowenen, und nur diese beiden (wobei die Zahl der Sprachslowenen wesentlich
höher ist als die der Bekenntnisslowenen [ob man die Differenz zwischen beiden
„Windische“, „Assimilanten“, „deutschfreundliche Slowenen“ nennt, ändert
nichts an den Tatsachen]; es gibt also eine Art Zwischengruppe, diese stellt
aber kein eigenes (drittes) Volkstum
dar (Statt „Zwischengruppe“ ist es vielleicht richtiger von einer „Übergangsgruppe“
zu sprechen; die ethnische Zugehörigkeit zu einer bestimmten Volksgruppe ist
ein (von der Muttersprache unabhängiges) subjektives Bekenntnis einer
Einzelperson (und kann nicht „objektive“ Entscheidung von Behörden, Experten
u.dgl. sein).);
(3) das slowenische Element ist (nicht
ablösbarer) Teil der Kärntner Identität;
(4) Kärnten ist heute noch immer, trotz des
relativ geringen Prozentsatzes von slowenischen Mitbürgern, zweisprachig,
denn das slowenische Element ist konstitutiv für Sprachlandschaft,
Dialektologie und Namengebung.
*
Die zahlreichen Ortsnamen mit „Windisch…“
weisen auf ehemalige slawische bzw. slowenische Bevölkerung hin, im Gegensatz
zu Namen mit „Deutsch…“ wie z.B. Deutschlandsberg
(Steiermark) gegenüber Windisch Landsberg,
heute Podčetrtek (Slowenien).
Deutsch Windischgraz (Slowenien)
heißt auf Slowenisch Slovenj Gradec im
Gegensatz zur steirischen Landeshauptstadt Graz,
die einst ‘Bairisch Graz’ hieß. St.
Michael am Zollfeld (Kärnten) hieß zur Zeit der Monarchie Deutsch St. Michael im Gegensatz zu Windisch St. Michael, heute St. Michael ob der Gurk, slowenisch aber
immer noch (wie auch früher) Slovenji
Šmihel. Bad Bleiburg nannte sich
einst Deutsch-Bleiberg im Gegensatz
zu Windisch Bleiberg / Slovenji Plajberk. Bei allgemein
bekannten Namen ist dann der Zusatz entfallen wie bei Graz, aber auch Deutsch-Griffen
im Gegensatz zur Marktgemeinde Griffen
(ohne Zusatz, beide Kärnten) oder Windischgarsten
und Garsten (Oberösterreich).
Windisch ist die alte
deutsche Bezeichnung für ‘slawisch’, im Norden Wendisch (z.B. im Namen der Wenden
‘Sorben’ in der Lausitz). „Windisch“ ist auch der alte Name für unsere südlichen
Nachbarn. Früher bezeichneten auch Slowenen, wenn sie auf Deutsch schrieben,
ihre Sprache oft als windisch, z.B.
Oswald Gutsmann in seinem Deutsch-Windischen
Wörterbuch (Klagenfurt 1789). Das erste gedruckte slowenische Buch, der
Katechismus von Primus Truber (Primož Trubar, 1550), hatte den deutschen Titel Catechismus in der windischenn Sprach.
Die Eigenbezeichnung slowenisch ist
erst nach 1848 in der deutsche Gemeinsprache als Fachausdruck allgemein üblich
geworden und wurde dann auch amtlich für die Sprache verwendet. Daneben blieb windisch umgangssprachlich bestehen und
dieses Wort hat im Laufe der Zeit einige weitere Bedeutungen angenommen, die
ihm ursprünglich nicht zukamen, wie dies oben skizziert wurde.
Die Bezeichnung Windisch (auch wendisch
‘sorbisch’) scheint in den alten Volksnamen Venedi
(bei Plinius) bzw. Veneti (bei
Tacitus) bzw. Uenédai (bei Ptolomäos)
vorzuliegen. Alte Namen leben oft weiter, auch wenn sich die
Bevölkerungsverhältnisse geändert haben, man vgl. deutsch welsch / walisch ‘romanisch’ (keltischer Herkunft, vgl. Wales in Großbritannien, auch im Namen
der alemannischen Walser erhalten), Ägypter
(für die arabisch sprechenden Einwohner Ägyptens, das offiziell Arabische Republik Ägypten heißt,
verwandt mit dem Namen der christlichen Kopten), griechisch Gallía ‘Frankreich’ (eigentlich ‘Gallien’ – Frankreich nach dem germanischen Stammesnamen der Franken), slawisch Makedonija ‘Mazedonien’ (Teilrepublik des ehemaligen Jugoslawien,
heute selbständiger Staat mit ca. 2/3 slawischer und ca. ¼ albanischer Bevölkerung; die
Namen gebenden antiken Mazedonier sind schon vor Christus in den Griechen
aufgegangen) oder illyrisch (gelehrt
für ‘serbokroatisch’ bis ins 19. Jhdt.). Nur so ist erklärbar, dass man
mitunter in mittelalterlichen Quellen ...qui
antiquitus Wandali, nunc autem Winithi sive Winuli appellantur (‘...die in jener Zeit genannten Wandalen heißen aber
jetzt Wenden oder Winuler’) lesen kann. Nach dem gotischen Geschichtsschreiber
Jordanes haben die Germanen ihre östlichen Nachbarn Wenden, Winden benannt, worauf dann Wenden (heute Sorben)
bzw. Winden, windisch (heute Slowenen, slowenisch) zurückgeht. Auf
dieses Appellativ geht auch finnisch venäjä
‘Russen’ zurück. Im Finnischen wiederum heißt das der Volksbezeichnung Russen entsprechende Wort Ruotsi und bezeichnet nicht diese,
sondern die ‘Schweden’; der Name der Russen
geht auf einen alten (germanischen) Beinamen der Wikinger bzw. Waräger zurück,
deren Herrschaftsgebiet Rus (Русь)hieß – Russland
ist also ähnlich wie auch Frankreich (s.o.) nach einem germanischen Stamm benannt.
Namenkunde kann somit „linguistische
Archäologie“ sein!
*
Gibt es nun eine „windische Sprache“?
Bekanntlich
sind Sprache und Nationalität zwei voneinander unabhängige Begriffe. Sprachen, ob nun standardisierte Formen
oder bloß gesprochene Idiome, sind im allgemeinen der größte gemeinsame Nenner
eines bestehenden Dialektkontinuums, das sich im Zuge der Entwicklung ergeben
hat. Dialekte sind im Gegenteil dazu
der kleinste gemeinsame Nenner eines bestimmten teils geographisch, teils
soziologisch zu definierenden Ausschnitts des betreffenden Dialektkontinuums.
Da es in der Linguistik bis heute keine eindeutige Definition von Sprache und
Dialekt bzw. deren Abgrenzung voneinander gibt, will ich hier meine Vorstellungen
darlegen. Dieser „gemeinsame Nenner“ ist unabhängig von Schreibtradition,
Nationalität und Staat, er ist eine rein linguistische Größe. Er kann von
einem Zentrum ausgehen, er kann aber auch mehrere Zentren haben, im letzteren
Falle spricht man von „polyzentrischen oder plurizentrischen Sprachen“ (wie
Deutsch, Englisch, Französisch usw.). Er kann auch hinter zwei (seltener drei
und mehr) standardisierten Ausprägungen einer Sprache gleichsam „verborgen“
sein. Betrachten wir zunächst einige Beispiele.
Sprachen
wie das Englische und Deutsche sind plurizentrische Sprachen
mit einer standardisierten Schrift-
und Verkehrssprache mit zahlreichen Varianten (gebündelt in den Varietäten), die sich aus der Tatsache
ergeben haben, dass sie in mehreren Staaten bzw. Ländern gesprochen werden.
Dementsprechend gibt es etwa die Varietäten British
English gegenüber American English
(usw.) oder Norddeutscher Standard
gegenüber Süddeutscher Standard auf
der einen Seite oder österreichisches/schweizerisches
Standarddeutsch auf der anderen Seite. Sonderfälle innerhalb des Deutschen
sind das (auch geschriebene) Letzeburgische
(in Luxemburg) und das Schwyzerdütsche
(in mehreren Varianten nur gesprochene Umgangssprache in der Schweiz), regionale,
auf dialektalem Sprachmaterial begründete Sonderformen des Deutschen auf Grund
des Prinzips des „kleinsten gemeinsamen Nenners“. Ähnlich wie beim Deutschen
und Englischen liegen die Dinge im Arabischen:
neben der auf dem Koran begründeten Sprachform („überdachende“ Schreib- und
Verkehrssprache) des „größten gemeinsamen Nenners“ gibt es die einzelnen
staatsnationalen Varietäten der arabischen Staaten, die durchaus (jede für
sich) dem Letzeburgischen oder Schwyzerdütschen vergleichbar sind. Nur das Maltesische (Malta) hat sich von der
„überdachenden“ arabischen Gemeinsprache gelöst (mit lateinischer Schrift).
Auch
das Serbokroatische ist eine
plurizentrische Sprache mit zwei Schriftsystemen, Lateinisch im Westen, Kyrillisch
im Osten. Nach dem Zusammenbruch Jugoslawiens ist man in den Nachfolgestaaten
dazu übergangen, jeweils eigene Standardsprachen zu schaffen (Bosnisch, Kroatisch und Serbisch
[BKS], neuerdings auch Montenegrinisch, Näheres hier);
damit wurde das „Wiener Abkommen“ von 1850 (eine Erklärung kroatischer und
serbischer Philologen über ein gemeinsames Schrifttum) endgültig obsolet.
Vergleichbar ist ferner das Hindustani
mit seiner arabisch geschriebenen, stark mit persisch-arabischen Elementen
durchsetzten Varietät Urdu der
Moslems und der in Devanagari geschriebenen, weniger persisch-arabisches
Lehngut enthaltenden, ihren Wortschatz aus dem Sanskrit bereichernden Varietät Hindi der Hindus. Zwischen 1924 und 1991
wurde das Moldawische in der
Sowjetunion im Gegensatz zum Rumänischen,
dessen Teil es ja ist, mit kyrillischen Buchstaben geschrieben und hat
Neubildungen (Neologismen) nach russischem Muster übernommen, während man sich
in Rumänien nach Westeuropa (v.a. Frankreich) orientierte. Diese Teilung des
Rumänischen in zwei standardisierte Schriftsprachen hatte politische Gründe und
ist im Rahmen der sowjetischen Nationalitätenpolitik zu sehen. Ähnlich war es
auch beim Gagausischen, einem
christlich-balkantürkischen Dialekt im Süden Moldawiens. Vergleichbar ist auch
der Fall des Tadžikischen, das nach
einer kurzen Periode der Lateinschrift seit den dreißiger Jahren mit russischen
Buchstaben geschrieben wird, obwohl es – zusammen mit dem Dari in
Afghanistan – eine neupersische Varietät ist. Es wurde zwar nach 1991 versucht,
wieder zur arabischen Schrift zurückzukehren, was sich aber bis heute nicht
durchgesetzt hat.
Ein
weiterer Fall sind Bulgarisch und Makedonisch. Beide Sprachformen sind
standardisierte Varianten ein- und derselben Sprache, des
bulgarisch-makedonischen Dialektkontinuums. Während die Basis der bulgarischen
Standardsprache die Dialekte des Nordostens sind, hat die makedonische Standardsprache
eine südwestliche Dialektbasis. Daher erscheint der Unterschied zwischen beiden
größer, als er tatsächlich ist; er wird vergrößert durch unterschiedliche Rechtschreibungen
(serbischer Typ der Kyrillica bei den Makedoniern, russischer bei den Bulgaren)
und verschiedenen Vorbildern bei der Schaffung des modernen Wortschatzes
(analog zur Schrift). Was für die beiden Standardsprachen typisch ist, findet
sich auch in den Mundarten der jeweils anderen Sprache und bisweilen auch in
der Schriftsprache.
Wie
sind nun standardisierte Schriftsprachen wie Hindi und Urdu, Moldawisch und
Rumänisch, Makedonisch und Bulgarisch zu bezeichnen? Da sie in ihrem Geltungsbereich
alle Funktionen einer Amts-, Schrift- und Literatursprache erfüllen, sind sie
als Kultursprachen zu betrachten. H.
KLOSS (1969:74f.) hat den Begriff Abstand-
und Ausbausprachen eingeführt;
„Abstandsprachen“ sind „Sprachen“ in dem Sinne, dass sie sich soweit von
anderen (verwandten) Idiomen unterscheiden, dass sie aufgrund ihres
„sprachkörperlichen Abstandes“ als getrennte Sprachen – unbeschadet ihrer
schriftlichen Fixierung – betrachtet werden können. „Ausbausprachen“ sind
solche Idiome, die als literarisches Ausdrucksmittel (im weitesten Sinne)
„ausgebaut“ sind. Die meisten (Kultur-) Sprachen sind demnach sowohl Abstand- als auch Ausbausprachen, manche „Sprachen“ sind nur das eine oder andere. Da
sie zu ihrem „Partner“ in einem Verhältnis stehen, das Dialekten einer Sprache zueinander entspricht, bietet sich auch
die Bezeichnung Kulturdialekt an
(HAARMANN 1975:187ff.). Von „Kulturdialekt“ bzw. „Ausbausprache“ sollte man
m.E. nur dann sprechen, wenn sich auf einem Sprachareal zwei oder mehrere standardisierte Sprachformen oder Normen entwickelt haben, die sich
mindestens durch folgende Kriterien unterscheiden:
(1)
Orthographie und/oder Schrift;
(2)
unterschiedliche Dialektbasis (mit Auswirkungen auf die kodifizierte Grammatik);
(3)
Unterschiede im Lexikon (die
über Einzelwörter und/oder
Sachgruppen hinausgehen).
Die
Varietäten des Englischen und Deutschen (letzteres mit Einschränkungen, s.
Tabelle) erfüllen diese Bedingungen nicht, daher sind sie regionale und/oder
nationale Varietäten ein und
derselben Sprache. Bei folgenden Sprachen (die Übersicht erhebt keinen
Anspruch auf Vollständigkeit!) kann aber mit voller Berechtigung von zwei oder
mehreren Kulturdialekten gesprochen
werden:
(ABSTAND-)
SPRACHE |
KULTURDIALEKT
/ AUSBAUSPRACHE |
Hindustani Neupersisch Bulgarisch Rumänisch Türkisch Portugiesisch „Rätoromanisch“ Sorbisch Spanisch Deutsch Arabisch |
Hindi,
Urdu Farsi,
Dari, Tadžikisch Bulgarisch,
Makedonisch Rumänisch,
Moldawisch* Türkisch
(genauer: Türkei-Türkisch),
Gagausisch Portugiesisch,
Galicisch Bündnerromanisch**
(Schweiz), Ladinisch** (Südtirol), Furlanisch (Julisch Venetien) Bosnisch,
Kroatisch, Montenegrinisch, Serbisch; Burgenland-Kroatisch Nieder-,
Obersorbisch Spanisch
(genauer: Kastilisch),
Judenspanisch Deutsch,
Letzeburgisch, Jiddisch Arabische
Schreib- und Verkehrssprache; Maltesisch |
* seit 1991 nur geringfügige Abweichungen in der
Rechtschreibung und im Wortschatz (in Transnistrien noch heute kyrillisch
geschrieben).
** in mehreren Varianten (die von ihren
Angehörigen meist als „eigene“ bzw. „selbständige“ Sprachen empfunden werden).
Eine Aufstellung finden Sie unter http://members.chello.at/heinz.pohl/Sprachinseln.htm
in der Übersicht 3.
Um die eingangs gestellte Frage zu
beantworten: eine „windische Sprache“ ist linguistisch nicht zu begründen; sie
wird nicht geschrieben, ist nicht einheitlich und bloß die regionale Kärntner
slowenische Mundart – bis zu einem gewissen Grad vergleichbar mit dem
Schwyzerdütschen.
*
Weitere Literatur finden Sie unter:
http://members.chello.at/heinz.pohl/Namengut.htm
http://members.chello.at/heinz.pohl/Volksabstimmung.htm