Frankenstein
Meine Liebe zu Ratten machte in meinem Bekanntenkreis die Runde und so wurde ich eines Abends von einem entfernten Bekannten angerufen. Eine ehemalige Klassenkollegin hätte eine einzelne Ratte zu Hause, die sie nun nicht mehr halten wolle. Er fragte mich, ob ich den "Kleinen" nicht aufnehmen könne. Nun ja, man sagt mir nach, einen schweren Sprachfehler zu haben - ich kann nicht nein sagen. So fuhr ich ein paar Tage später zu dem Mädchen und sah mir ihren "Tommy" an. Es war eine Katastrophe. Der Käfig stand im Badezimmer, das kein Fenster besaß. Auf dem Kerker stapelte sich tonnenweise schmutzige Wäsche. "Tommy" lebte in einem kleinen Käfig, ohne Etagen oder Versteckmöglichkeiten. Der Käfig war schon einige Monate nicht mehr gesäubert worden und es stank zum Himmel. Das Mädchen machte auf mich den Eindruck, als würde sie Tiere sammeln und nun müssten sie plötzlich alle weg, weil sie etwas Interessanteres gefunden hätte. Nebst der Ratte verschenkte sie auch noch 3 Meerschweinchen, 2 Kaninchen, 2 Katzen, ein paar Vögeln und einen 14 Jahre alten Schäfer. Er war total verschreckt und nie richtig an die Hand gewöhnt. Tageslicht hatte er wohl schon seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen. Sie erzählte mir noch, dass er zwei Mäuse gefressen hatte, die in seinen Käfig gekrochen waren. Ich packte alles zusammen und flüchtete. Er kniff die
Augen zusammen als wir ins Freie traten. Zu Hause angekommen wurden
mir das Erlebte erst so richtig bewusst. In Anlehnung an sein "Mahl",
wohl aber auch, als Zeichen, dass sein bisheriges Leben hinter ihm liegt,
nannte ich den Wicht Frankenstein. So langsam bemerkte ich auch, dass
er ziemlich groß war, für sein Alter. Er überragte mit
seinen 4 Monaten meine ausgewachsenen Damen um Längen. Mit der
Zeit wuchs er auf stattliche 83 Zentimeter heran. Diese Größe
verhalf ihm auch zu Ruhm und Ehre im deutschsprachigen Raum! Leider
gelang es mir nie, ihn zu anderen Männern zu integrieren. Eine
Kastration kam auch nicht in Frage, da er Bluter war, also eine Blutgerinnungsstörung
hatte. Ich versuchte es oft und er akzeptiere Ratten bis zu einem Alter
von sieben Wochen, danach wurden sie alle gnadenlos weggebissen. Auch
ein kastriertes Weibchen (Schaman) haben wir ihm vor die Nase gesetzt,
aber denkste. So blieb er eine einzelne Ratte umzingelt von Dutzenden
Artgenossen. Seit September 2001 hatte er einen Lungentumor und einen
an der Seite. Da er die Blutgerinnungsstörung hatte konnten wir
ihm nicht einmal Tarantula spritzen lassen. Im Dezember kam dann auch
noch eine Hinterhandlähmung dazu. Ihm blieb also wirklich nichts
erspart. Die Tumore behinderten ihn nicht, er fraß normal und
auch im Verhalten gab es keine Veränderungen. Selbst seinen 3.
Geburtstag durfte er noch erleben, woran niemand mehr geglaubt hatte.
Am 19. Februar 2002 ging es rapide bergab. Ich nahm den Dicken zu mir
auf den Arm und streichelte ihn. Er blickte mich aus seinen weisen Augen
an, nahm einen tiefen Atemzug, dann blieb sein kleines Herz für
immer stehen. Beinahe 3 Jahre hatte er mich durch dick und dünn
begleitet, die Herzen im Sturm erobert und ich war es ihm schuldig,
ihn in seinen letzten Minuten nicht alleine zu lassen.
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