Roosevelt
Roosevelt war der Bruder von Julia, Phoenix und Vishnu. Auch er hatte eine lange Geschichte, obwohl die kleine Maus gerade einmal ein Monat alt war, als er bei uns einzog. Am 9. Juni 2001 erhielt ich einen Anruf von einer Bekannten. Sie wäre gerade im Wiener Tierschutzverein gewesen und hätte dort zwei Mütter mit Welpen gesehen. Ich bat eine weitere Bekannt, für mich doch dort vorbeizusehen und die Mütter mit ihren Kindern hier her zu bringen. Soleil war ja gerade dabei ihren Wurf großzuziehen, da machte einer mehr oder weniger das Kraut auch nicht mehr fett. Meine Bekannten kamen einige Stunden später mit einem Karton im Gepäck zurück. Sie hatten nur eine Mutter mit Kindern gefunden, die andere würde aber ebenfalls schwanger wirken, zudem waren die beiden sehr aneinander gebunden. Ich rief meine Bekannte an und fragte sie, wo sie denn die beiden Rattenmütter gesehen hätte, denn dieses waren nicht mehr aufzufinden. Der Gedanke lies ihr keine Ruhe und so fuhr sie einen Tag später erneut in den Wiener Tierschutzverein. Sie wurde auch fündig und nahm die Mütter mit. Sie bat mich um Hilfe bei der Vermittlung der Welpen, die ich ihr sofort zusagte. Etwa eine Stunde später bekam ich eine E-Mail mit einer Homepage-Adresse. Auf dieser Homepage wurden sowohl die 12 Welpen als auch die Mütter zum Kauf angeboten. Jede Ratte war mit Foto und kurzer Beschreibung des Aussehens abgebildet. Ich konnte es im ersten Moment gar nicht glauben, doch tatsächlich. Das "Schlimmste" waren allerdings die Bestellnummern. Jede Ratte hatte eine eigene Nummer, die man laut Text bei der "Bestellemail" angeben sollte. Nirgends war ein Hinweis zu finden, dass diese Tiere nur in Gruppenhaltung abgegeben werden würden. Nirgends war ein Hinweis zu finden, dass man sie nicht vermehren dürfte. Nichts, nur die Kosten pro Ratte. Ich war wirklich vor den Kopf gestoßen! Ich verfasste sofort eine E-Mail an den Wiener Tierschutzverein, der in seinem Schutzvertrag das Veräußern von Tieren absolut untersagte und die Mütter konnte meine Bekannte nur mit Schutzvertrag bekommen haben. Leider war ich die folgende Woche auf Schullandwoche (Klassenfahrt). Als ich zurück kam, entschuldigte sich meine Bekannte Hunderte Male bei mir. Wen wundert's, hatte sie doch Besuch vom Tierschutzinspektor bekommen! Da sie keinen einzigen Welpen vermitteln konnte, übernahm ich am 16. Juli die 12 armen Würmchen, die bis dato bereits vier Mal den menschlichen Mitbewohner gewechselt hatten. Innerhalb kürzester Zeit waren alle Ratten gut untergebracht und 4 besonders verschreckte Mini-Ratten fanden bei uns ein dauerhaftes Zuhause. Roosevelt verdankte seinen Namen seinem Strich zwischen den Augen. Irgendwie erinnerte es mich an "Stars and Stripes" und Theodore Roosevelt war der erste Präsident der Vereinigten Staaten der mir in den Sinn kam. Roosevelt war Zeit seines Lebens eine sehr schüchterne Ratte. Er hatte die
häufigen Wechsel (vom Ort seiner Geburt ins Tierschutzhaus, von
dort zu meiner Bekannten und dann zu uns) nie wirklich verkraftet und
es viel ihm sehr schwer Vertrauen zu fassen. Wir haben lange daran gearbeitet
bis er Vertrauen zu uns hatte, von niemand anderen lies er sich freiwillig
anfassen. Er wartete auch immer sehr lange und beobachtete sehr genau,
bevor er sich aus seinem Häuschen wagte. Jeder Tierarztbesuch war
verständlicher Weise eine Odyssee, zum Glück war nur einer
notwendig, da er, wie seine drei verbleibenden Brüder einen Hodenhochstand
hatte und dieser behoben werden musste. Roosevelts Tod kam sehr überraschend.
Wir hatten keine Veränderungen im Verhalten bemerkt, bis er eines
Nachmittags schnaufend im Käfig lag. Er hatte eine schwere Lungenentzündung
bekommen. Er bekam zwar noch eine Spritze vom Tierarzt, allerdings hatte
sich sein Zustand am Abend so verschlechtert, dass er in meinen Armen
einschlief. Er wurde nicht einmal ein Jahr alt und der Schock saß
tief in den Knochen. Besonders seine Geschwister litten unter dem Verlust
und seine Schwester Julia, die Schüchternste von allen, kam an
diesem Abend das erste Mal freiwillig aus ihrem Versteck und zeigt sich
seither viel öfter am Gitter.
|