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72–74: KARLI! KARLI! KARLI!

Unsere Serie schaut diesmal auf seltsame Autopickerl, in Gratis-Schulbücher und sonstige soziale Errungenschaften, auf Deix- und Helnwein-Cover – und auf Karl Schranz. Es geht um die Jahre 1972 bis 1974.


Schulfreifahrt und Fristenlösung

Nachdem 1971 Schulfreifahrten und Schulfahrtbeihilfen eingeführt und die Aufnahmeprüfung für die Mittelschule abgeschafft worden waren, kamen 1972 Gratis-Schulbücher und das Ende der Hochschultaxen. Ab 1973 galten dann die ersten zwölf Monate nach der Geburt eines Kindes grundsätzlich als Ersatzzeit für die Pensionen. Außerdem wurde die Individualbesteuerung eingeführt (im gemeinsamen Haushalt lebende Ehepartner und Kinder versteuern ihre Einkommen seither getrennt – zum ersten Mal wurden Frauen auch im Steuerrecht nicht als Bestandteil eines Haushalts gesehen, sondern als individuelle Persönlichkeiten).

Im Rahmen der Strafrechtsreform wurde vom Parlament mit den Stimmen der SPÖ gegen die Stimmen von ÖVP und FPÖ die so genannte Fristenlösung (Schwangerschaftsabbruch innerhalb der ersten 12 Wochen der Schwangerschaft straffrei) vom Parlament beschlossen. Im Dezember legte der Bundesrat gegen das neue Strafgesetz ein Veto ein, sodass der Nationalrat im Jänner 1974 einen Beharrungsbeschluss fassen musste. 1975 konnte die Regelung in Kraft treten, die knapp 900.00 Unterschriften für das Volksbegehren der „Aktion Leben“ gegen die Fristenlösung hatten darauf keinen Einfluss.

1974 wurde der Zivildienst nach einer Verfassungsänderung als Wehrpflichtersatz in der Verfassung verankert. Wehrdienstverweigerung war bis dahin ein strafbares Delikt. Außerdem wurde der Mutter-Kind-Pass eingeführt und damit die erhöhte Geburtenbeihilfe, wenn Untersuchungen nachgewiesen wurden. Damit wurde die Säuglingssterblichkeit von 23,5 Promille im Jahr 1974 auf 7,4 Promille im Jahr 1992 gesenkt.

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Karl Schranz am Ballhausplatz

Nachdem der Skisportler Karl Schranz Anfang 1972 von der Teilnahme an den Olympischen Spielen in Sapporo ausgeschlossen worden war, ereignete sich in Wien (und Österreich) Denkwürdiges.

Die Vorgeschichte: Avery Brundage, Präsident des Internationalen Olympischen Komitees sah im Verhalten des Schiläufers die Amateurbestimmungen verletzt. Zwar verstießen viele SportlerInnen dagegen, doch der erfolgreiche Schranz konnte als Symbol für die Verflechtung von Sport und Schiindustrie angesehen werden. Außerdem hatte er sich durch undiplomatisches Auftreten in Interviews exponiert.

Jedenfalls kündigten Österreichs Schifunktionäre offiziell an, wegen Schranz’ Ausschluss das Schiteam zurückzuziehen, ließen aber durchblicken, dass sie sich durch eine Aufforderung von Schranz, doch in Sapporo zu bleiben, „überreden“ lassen würden. Bei einer Pressekonferenz am 2. Februar verkündete ÖSV-Präsident Klee die Rückfahrentscheidung, Schranz bat, davon Abstand zu nehmen, und Klee konnte erleichtert feststellen: „We are going to race!“

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92% der ÖsterreicherInnen betrachteten den Ausschluß als ungerecht - Karl Schranz war in dieser Zeit der am meisten bewunderte Mann Österreichs: Mit 13% rangierte er weit vor UNO-Generalsekretär Waldheim (9%), Richard Nixon (5%), Kreisky, J. F. Kennedy und Peter Alexander (je 4%).

Der Fall Schranz wurde in ganz Österreich und sogar im Nationalrat diskutiert, es wurden Leserbriefe geschrieben, es kamen vier Schallplatten mit Protestliedern heraus (darunter „Der Karli soll lebn!“ von Georg Danzer und André Heller).

Groß angekündigt von den Medien, wurde die Rückkehr von Schranz nach Österreich zu einem Großereignis. Vor seiner Ankunft wurden in Form von Sondermeldungen Nachrichten über seine jeweilige geographische Position gegeben.

Ca 7.500 Menschen empfingen Schranz, als er dann am 8. Februar mittags in Schwechat landete. Im Dienstwagen von Unterrichtsminister Fred Sinowatz fuhr Schranz nun in einem „Triumphzug“ in Richtung Innenstadt, hunderte AutofahrerInnen schlossen sich dem Konvoi an, der manchmal mehrere Kilometer lang gewesen sein soll. Karl Schranz stand aufrecht im Wagen (mit Schiebedach), sodass er die Hände seiner Fans schütteln konnte.

Insgesamt waren es 87.000, die trotz des schlechten Wetters - es hatte zwei Grad und es nieselte - die Straßen von Schwechat bis Wien säumten. Gegen 14 Uhr erreichte die Wagenkolonne den Ballhausplatz. Im Bundeskanzleramt wurde Karl Schranz von Bruno Kreisky erwartet. Der Regierungschef forderte ihn auf, sich am Balkon der jubelnden Menge zu zeigen, lehnte aber anfangs ab, ihn dabei zu begleiten. Erst als Schranz zum dritten Mal auf den Balkon ging, gelang es ihm, Kreisky zu überreden, gemeinsam die Ovationen mit „Karli“- und dann auch „Kreisky“-Rufen entgegenzunehmen. Nicht nur Kreisky dürfte es „kalt über Rücken gelaufen“ sein, wie er später dem ORF-GI Gerd Bacher verriet, welchem dazu einfiel: „Der ORF hatte mehr Wiener auf die Beine gebracht als je seit dem Einzug Hitlers in Wien“. Genau diese Assoziation rief und ruft der Schranz-Empfang bei vielen hervor.

Jedenfall verebbte in den darauffolgenden Tagen der Volkszorn. Und als am 15. Februar das Olympiateam (mit zwei Bronce-, zwei Silber- und einer Goldmedaille) in Schwechat landete, hatte sich die Aufregung schon soweit gelegt, dass ein riesiges Polizeiaufgebot etwa 300 pfeifende ZuschauerInnen überwachte, die gegen die Olympia-Teilnahme protestierten.

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Deix und Helnwein in profil


Das 1970 von Oscar Bronner gegründete profil konnte nichts für Schranz’ Ausschluss (wie damals gemutmaßt wurde), auch wenn es dem Schifahrer im Jänner 72 seine Titelstory gewidmet und darin von „angeblichen Millionenverdiensten“ berichtet hatte.

Jedenfalls veröffentlichte in diesem Nachrichtenmagazin 1972 ein gewisser Manfred Deix seine ersten Karikaturen. Und im Jänner 73 gestaltete Gottfried Helnwein sein erstes Cover. Die Darstellung zum Thema „Selbstmord in Österreich“ löste heftige Reaktionen aus. Empörung rief auch Helnweins nächstes profil-Titelbild hervor: ein von Erwachsenenhänden gequetschter Kinderkopf als Illustration zum Thema „Lässt sich Intelligenz manipulieren“. Zahlreiche LeserInnen kündigten ihre Abonnements.

Was sonst noch geschah:


Sternwartepark: Nach Konflikten um den Bau des neuen Gebäudes für das Zoologische Institut im Wiener Sternwartepark wurde 1973 die erste Volksbefragung in Österreich durchgeführt: 57,5% waren dagegen.

Autofreier Tag: Wegen der weltweiten Ölkrise wurde in Österreich 1974 ein individuell zu wählender „autofreier“ Tag eingeführt, an dem das Auto nicht benützt werden durfte. Zur Kennzeichnung musste ein Pickerl mit der Aufschrift „MO“, „DI“, „MI“ etc. hinter die Windschutzschreibe geklebt werden.

Rundfunkgesetznovelle: 1974 beschloss der Nationalrat mit den Stimmen der SPÖ das neue Rundfunkgesetz (Kuratorium statt Aufsichtsrat, kein Weisungsrecht des Generalintendanten mehr). Gleichzeitig wurden ein Misstrauensantrag der Opposition gegen Bundeskanzler Kreisky (dem der ORF unter Bacher angeblich zu unabhängig war) und die Forderung nach einer Volksabstimmung über die Rundfunkgesetznovelle abgelehnt.

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Quellen:

Kleindel Österreich, Ueberreuter, Wien, 1995
ZeitRaum. Zeitschrift für historische Vielfalt (Anton Tattner), 1995
Kunst & Kultur in Österreich: Das 20. Jahrhundert, Verlag Christian Brandstätter, 1999
Frauenakademie des Renner-Instituts/Mag. Angelika Zach
www.kurier.at, 2004


© Augustin 2005

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