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  69–71: DER WOHLFAHRTSSTAAT UNTER DEM ASTRONAUTENMOND
  
  Unsere Serie schaut diesmal weit über den Stadtrand hinaus. Aus guten Gründen 
  fangen wir 1969 mit dem Weltall an, zählen ein paar (Welt-)Rekorde auf 
  und landen schließlich 1971 in New York.
  
  
  Am 1. Jänner 1969 begann in Österreich (mit dem Neujahrskonzert) die 
  Zeit des Farbfernsehens. Trotz der hohen Anschaffungskosten eines entsprechenden 
  Geräts wurden in den ersten Wochen mehr Geräte aufgestellt bzw. ausgetauscht, 
  als von den Herstellern erwartet..Im Juli erlebten trotzdem viele im ORF-Apollo-Studio 
  noch in Schwarz-Weiß, wie Neil Armstrong als erster Mensch den Mond betrat 
  (- insgesamt sahen 600 Millionen Menschen zu, also ein Fünftel der damaligen 
  Weltbevölkerung). Und ab September 1970 wurde das zweite Fernsehprogramm 
  täglich ausgestrahlt.
  
  1971 zählte man eine Million Telefonanschlüsse, aber bis in die 90er 
  Jahre gab es hierzulande noch Vierteltelefone (eine österreichische Besonderheit: 
  Man teilte sich einen Anschluss mit bis zu vier anderen Wohnungen und musste 
  oft lange warten, bis das Freizeichen ertönte).
  
  (Welt-)Rekorde
  
  Doch zurück zu unserem Zeitfenster; und diesmal widmen wir uns (nicht ohne 
  Hintergedanken) auch dem Sport. Im Februar 69 waren beim Herrenslalom am Arlberg 
  zehn Österreicher unter den ersten Zwölf, in der Kombinationswertung 
  belegten die Österreicher Platz ein bis sieben (Schranz, Matt, Messner, 
  Tritscher, Sailer, Huber, Zwilling) sowie neun und zehn. - Gertrud Gabl und 
  Karl Schranz wurden Weltcupsieger (den Namen Schranz merken wir uns für 
  die nächste Folge). Im Juli fand das erste Autorennen auf dem neuerbauten 
  Österreichring bei Zeltweg statt, im Oktober stellte (die jetzige Innenministerin) 
  Liese Prokop im Südstadtstadion einen neuen Weltrekord im Leichtathletik-Fünfkampf 
  auf.
  
  Im September 1970 verunglückte der erfolgreiche Autorennfahrer Jochen Rindt 
  beim Training zum Großen Preis von Italien tödlich (und wurde posthum 
  Weltmeister). Im Februar 71 wurde Beatrix Schuba Eiskunstlauf-Weltmeisterin, 
  im März siegte Annemarie Pröll im Skiweltcup. Und im September erreichte 
  Ilona Gusenbauer mit 1,92 m einen neuen Weltrekord im Hochsprung.
    
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  Sozialpolitische Offensive
  
  1969 beantragte die SPÖ – unter ihrem Vorsitzenden Bruno Kreisky 
  - ein Volksbegehren zur Einführung der 40-Stunden-Woche, das 890.037 unterschreiben. 
  Die Sozialpartner einigen sich auf eine etappenweise Einführung: Ab 1970 
  43, ab 1975 40 Arbeitsstunden pro Woche.
  
  Bei der Nationalratswahl 1970 wurde die SPÖ stimmenstärkste Partei. 
  Nachdem die Regierungsverhandlungen mit der ÖVP gescheitert waren, „erkaufte“ 
  sich Kreisky mit dem Versprechen einer Wahlrechtsreform die Zustimmung der FPÖ 
  unter (dem ehemaligen Waffen-SSler) Friedrich Peter zur Bildung einer SPÖ-Minderheitsregierung, 
  um dann bei vorgezogenen Wahlen am 10. Oktober 1971 unter dem Motto „Lasst 
  Kreisky und sein Team arbeiten“ die absolute Mehrheit zu erreichen.
  
  Er startete eine sozialpolitische Offensive: Das Leistungsniveau der staatlichen 
  Altersvorsorge wurde gehoben, das Risiko der Altersarmut bekämpft. Künftige 
  Pensionen wurden durch die leistungsrelevante Anrechnung von Ersatzzeiten, die 
  begünstigte Weiterversicherung in Kindererziehungszeiten und die Erleichterung 
  des Nachkaufs von Versicherungszeiten verbessert.
  
  Später wurde die Gesundenuntersuchung eingeführt, die freiwillige 
  Krankenversicherung ermöglicht. Im familienpolitischen Bereich gab in der 
  Folge es Neugestaltung von Karenzurlaubsgeld und Familienbeihilfe, Erhöhung 
  der Geburtenbeihilfe, Verlängerung des Mutterschutzes sowie Einführung 
  der Notstandshilfe für alleinstehende Mütter nach der Karenz. Im Arbeitsrecht 
  wurde der Mindesturlaub angehoben (erst auf drei, dann auf vier Wochen), die 
  Angleichung der ArbeiterInnen- und Angestelltenrechte vorangetrieben, das Kündigungsrecht 
  reformiert, die Pflegefreistellung eingeführt. Das Arbeitsverfassungsgesetz 
  brachte die Verankerung und Stärkung der betrieblichen Mitbestimmung. Die 
  Leistungen der Arbeitslosenversicherung wurden ausgebaut.
  
  1970 begann unter Christian Broda auch eine Periode der grundlegenden Reform 
  des Rechtsbestandes. Zu Beginn wurde das Strafrecht entrümpelt: Der Teilbeseitigung 
  der Strafbarkeit der Homosexualität und der Abschaffung des Militärstrafrechts 
  folgte die Gleichstellung unehelicher Kinder in den wesentlichsten Bereichen 
  des Familienrechts.
  
  Und 1971 wurden die Schul- und die Wehrgesetznovelle beschlossen: Die Aufnahmeprüfung 
  auf die AHS wurde abgeschafft und der Präsenzdienst auf sechs Monate und 
  60 Tage Waffenübungen reduziert. Außerdem erhielten neuvermählte 
  Ehepaare 15.000 Schilling (1.090 Euro) Starthilfe.
  
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  Keine Bilanzen mehr
  
  Im Mai 1971 starb der Kabarettist Karl Farkas in Wien. 1921 war er als "Blitzdichter" 
  im "Simpl" engagiert worden und etablierte dort gemeinsam mit Fritz 
  Grünbaum die Doppelconférence. Farkas war auch einer der Pioniere 
  des Radiosenders RAVAG und spielte in Filmen mit.
  
  1938 musste er fliehen. Farkas verließ Österreich in Richtung Tschechoslowakei 
  und gelangte von dort über Frankreich, Spanien und Portugal in die USA. 
  In New York trat er in Exilantencafés auf, conferierte und spielte in 
  Kabaretts, gastierte bald in Operetten, schrieb und inszenierte. Zusammenarbeiten 
  ergaben sich v.a. mit Kurt Robitschek, Armin Berg, Hans Kolischer, Hermann Leopoldi, 
  Oskar Karlweis und Robert Stolz.
  
  1946 kehrte er nach Wien zurück. 1950 wurde Farkas Darsteller, Regisseur, 
  Autor und künstlerischer Leiter des „Simpl“. Bis 1965 verfaßte 
  er sämtliche Revuen mit Hugo Wiener, der auch die Doppelconférencen 
  für Farkas und dessen neuen Partner Ernst Waldbrunn schrieb. Daneben arbeitete 
  Farkas als Drehbuchautor, im Rundfunk und ab 1955 im neuen Medium Fernsehen, 
  wo er für seine „Bilanzen“ (des Monats/der Saison/des Jahres) 
  berühmt wurde.
  
  Was sonst noch geschah:
  
  Manche sagen, dass Marianne Mendt mit „Wia a Glock’n“ im Bigband-Arrangement 
  den Austropop 1970 eingeläutet hat. Andere sehen in „Da Hofa“ 
  von Prokopetz/Ambros die Geburtsstunde (1971). Doch wenn man so will, kann auch 
  alles schon 1960 mit der Gründung der „Worried Men Skiffle Group“ 
  angefangen haben, deren frühe Lieder (Glaubst i bin bled, I bin a wunda) 
  auf Texten der „Wiener Gruppe“ basierten.
  
  Im April 1970 beginnen die SALT-Verhandlungen in Wien, eine russisch-amerikanische 
  Konferenz zur Begrenzung der strategischen Waffen. – Im Mai und Juni startet 
  das neue Avantgarde-Programm der Festwochen, „Arena 70“, im Museum 
  des 20. Jahrhunderts. - Mit dem Aufmacher „FPÖ zwischen Macht und 
  Pleite“ kommt 1970 die erste Ausgabe des Nachrichtenmagazins profil heraus, 
  gegründet vom späteren Standard-Gründer Oscar Bronner. Ab 72 
  erschien das Magazin 14tägig, ab 74 wöchentlich. - Im Dezember 1970 
  wird beschlossen, die UNO-City im Wiener Donaupark zu errichten, und das Wiener 
  Teilstück der Südautobahn wird dem Verkehr übergeben.
  
  Im April 1971 wird Franz Jones als Bundespräsident wiedergewählt. 
  Sein Mitbewerber: Kurt Waldheim. – Im November wird die erste Fußgängerzone 
  Wiens am Graben eröffnet. – Und im Dezember wird Waldheim zum UNO-Generalsekretär 
  bestellt.
  
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  Quellen:
  Kleindel Österreich, Ueberreuter, Wien, 1995
  Kunst & Kultur in Österreich: Das 20. Jahrhundert, Verlag Christian 
  Brandstätter, 1999
  Kabarettarchiv – http://www.kabarettarchiv.at
  Wikipedia - http://de.wikipedia.org, 2001ff
  http://www.aeiou.at (wieder online!)
  http://www.spoe.at (Online-Festschrift)
  
  © Augustin 2005
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