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66–68: „MERCIE CHERIE“ UND UNI-FERKEL

Wir nähern uns dem Jahr 1968 und die Serie 20x3 fällt aus dem Rahmen: Anstatt eines längeren Textes gibt es diesmal mehrere, dafür werden die Kurzmeldungen eingeschränkt. Themen sind das Rundfunkgesetz, Ö3 und die Wiener 68er.


ORF-Reform-Volksbegehren


Von den beiden Großparteien ÖVP und SPÖ wurde der ORF nicht als Forum des politischen Diskurses in einer demokratischen Gesellschaft begriffen, sondern lediglich als im Dienste der Parteipolitik stehend. Es gab keinen wirklich „freien“ Journalismus. Die Programmverantwortlichen mussten sich an den Parteien orientieren und die ZuseherInnen mussten im Tagesdurchschnitt fast 25 Minuten „politische Werbung“ wie politische Belangsendungen in Kauf nehmen.

Anfang der 1960er Jahre startete Hugo Portisch, Chefredakteur des Kurier, auf eigene Faust eine Unterschriftenaktion für ein Volksbegehren, das 832.353 unterschrieben. Am 8. Juli 1966 wurde schließlich das Österreichische Rundfunkgesetz im Nationalrat beschlossen, das am 1. Jänner 1967 in Kraft trat. Dadurch wurde der ORF eine der wenigen europäischen Rundfunkanstalten mit voller Programm-, Personal- und Finanzautonomie (Monopolrundfunk).

Es begann das Zeitalter eines zumindest im Vergleich zu früheren Zeiten „objektiven“ ORF, obwohl Teile des Proporzes bis heute - auch bei den Personalbesetzungen - zu finden sind.

Was 1966 sonst noch geschah:
Udo Jürgens gewinnt mit „Mercie Cherie“ den Songcontest.
Der Wirtschaftshistoriker Taras Borodajkewycz wird wegen seiner antisemitischen Äußerungen und seines Bekenntnisses zu seiner nationalsozialistischen Vergangenheit in Ruhestand versetzt (siehe auch Teil 7 „Der Sessellift im Donaupark“).

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1967 - Noch kein Hitradio


1967 vertraute ORF-Generalintendant Gerd Bacher Ernst Grissemann den Aufbau eines Unterhaltungsradios an. Die erste Sendung von Ö3 ging am 1. Oktober 1967 on Air.

Im Team der ersten Stunde waren Dieter Dorner (später Ö3-Chef), Walter Richard Langer ("Vokal Instrumental International"), Alfred Komarek ("Melodie Exklusiv"), André Heller ("Musicbox"), Rudi Klausnitzer ("Leute")
.
In der Anfangszeit war Ö3 die Plattform, die den Austropop förderte und bekannt machte. (Der Popsender im ursprünglichen Format wurde im Herbst 1996 de facto eingestellt: Kultursendungen wurden nach Ö1, so genannte alternative Musik nach FM4 ausgelagert, Ö3 selbst wurde in eine Art "öffentlich-rechtliches Privatradio" umgewandelt.)

Was sonst noch geschah:

Der Gebäudekomplex der im Juni 1938 errichteten Flakkaserne am Küniglberg wird der Österreichischen Rundfunk GesmbH. zur Errichtung von Fernsehstudios übertragen.

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1968 – Eine heiße Viertelstunde


Beginnen wir mit der so genannten „Uni-Ferkelei“ (© Michael Jeannée), einem Ereignis, das zwar 1968 geschah, aber hierzulande fälschlicherweise mit der 68er-Bewegung gleichgesetzt wird. An das Teach-in „Kunst und Revolution“ von Günter Brus, Valie Export, Otto Mühl, Hermann Nitsch, Oswald Wiener u.a. am 7.6. im NIG erinnert sich der beteiligte Peter Weibel folgendermaßen: „in den letzten minuten hatte sich brus bereits ausgezogen und stand schon nackt auf dem pult, als weibel dieses verließ, während wiener über ein drahtloses mikrophon seinen vortrag hielt, schiß brus auf den boden des hörsaals, verschmierte sich den scheißdreck am leib, stach mit seinen fingern den ösophagus hinab, würgte, erbrach, sang zum scheißen die bundeshymne, urinierte, onanierte – ein unerhörtes klima, augenblicke der panik und vernichtung, wo das bewußtsein zu kollapieren drohte, weil das gehirn die verarbeitung der ihm zugetragenen informationen verweigerte, minutenlang, bis zu dem moment, wo muehl unprogrammgemäß mit seinen mitarbeitern aufs podium kam und ebenfalls seine aktionen begann; durch den lärm des ausgepeitschten laurids wurden wieners sätze unhörbar, der jedoch unbeirrt in seinem vortrag fortfuhr“.

Brus und Mühl wurden angezeigt und zu mehreren Monaten Kerker verurteilt.

Ansonsten konnte Fritz Keller in seinem vergriffenen Buch die heimischen Proteste zurecht als „heiße Viertelstunde“ bezeichnen: Noch als 1965 und 1967 die Rolling Stones in Wien auftraten, war es für die Tageszeitungen noch selbstverständlich, Lokalreporter statt Kulturjournalisten als Berichterstatter einzusetzen. Musik-Events wurden primär als ordnungsgefährdende Unruheherde interpretiert.

Schon der Konsum von Rockmusik schien damals geradezu subversiv, der Kampf dagegen als Rettung der abendländischen Kultur. Anderswo ging es heißer zu: In den USA gab es bereits Anfang der 60er Jahre eine breite Bürgerrechtsbewegung und eine Opposition gegen den Vietnamkrieg. Dazu kamen die Einflüsse von dissidenten Jugendkulturen und künstlerischen Protestströmungen (Beatniks, Situationisten, Provos, Gammler, Halbstarke,...). 1965 brannte Watts, der »schwarze« Stadtteil von L.A., 1966 kam es in Oakland zur Gründung der Black Panther Party und zu blutigen Straßenkämpfen bei Antikriegskundgebungen. Der bewaffnete Konflikt in Indochina, der ab 1964 unter dem Präsident Lyndon B. Johnson endgültig eskalierte, stellte das ausschlaggebende Ereignis für die Protestbewegungen dar.

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Davon blieb auch Österreich, zumindest Wien, nicht verschont. Am 13. 2. 1968 versammelten sich 1.200 Personen vor dem Amerika-Haus, am 22.2. konnte die Polizei einen Sitzstreik auf der Rampe der Oper und die Blockade des Kärntnerrings gerade noch verhindern, nicht aber, dass während der Eröffnungspolonaise des Opernballs Tausende Flugblätter auf die Tänzer niedergingen, in denen der Krieg der USA in Vietnam angeklagt wurde.

Am 11.4., dem Tag des Attentats auf den deutschen Studentenführer Rudi Dutschke, brannten in der BRD Tausende Pakete mit Zeitungen aus dem Verlagshaus Springer, dessen Kampagne gegen die Studentenbewegung erhebliche Schuldanteile an der Gewalttat hatte. In Österreich musste man sich mit einem Protestmarsch zur Redaktion der „Hör zu“ begnügen. Am 25.4. kam es an der Universität zu einem Sitzstreik, als der Rektor die Tore schließen ließ, um durch strikte Ausweiskontrollen die Aktivitäten von „Aktionskommitees“ zu unterbinden. Beim Maiaufmarsch am 1.5. wurden VertreterInnen der studentischen Linken am Rathausplatz von der Polizei verprügelt.

Aber grundsätzlich hat Kurt Luger schon recht, wenn er behauptet, „eine Hippie- und Studentenbewegung waren in der österreichischen Jugendwirklichkeit nur in abgeschwächter Form zu beobachten“. Über die Einflüsse von love, peace und Konsumverzicht wird an dieser Stelle dennoch laufend zu berichten sein.

Was sonst noch geschah:

Gemeinderatsbeschluss über den U-Bahn-Bau (1982 ist das aus drei Linien bestehende Grundnetz fertig gestellt).
Der einmillionste Fernsehanschluss Österreichs wird angemeldet. Die beliebtesten Sendungen des Jahres sind Vico Torrianis „Der goldene Schuss“ und Hans-Joachim Kulenkampffs „Einer wird gewinnen“.


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Quellen:

Wiedergeburt einer Weltstadt, Jugend und Volk, Wien, 1965
Kleindel Österreich, Ueberreuter, Wien, 1995
Österreich 1945 – 1995 (Fiona Steinert, Dr. Heinz Steinert), Verlag für Gesellschaftskritik, Wien, 1995
kunst|fehler (Doc Holliday), Salzburg, 1998
Kunst & Kultur in Österreich: Das 20. Jahrhundert, Verlag Christian Brandstätter, 1999
Wikipedia - http://de.wikipedia.org, 2001ff
Geschichte online – http://gonline.univie.ac.at, 2002-2004
Wien im Rückblick, wien.at, 2004


© Augustin 2005

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