Seite drucken
75–77: ATOMKRAFT? NEIN DANKE
Die Jahre 1978 bis 1980 brachten die Fusion von Kosumgenossenschaften, die Volksabstimmung
über das Kernkraftwerk Zwentendorf und den AKH-Skandal.
Der Konsum
Eine Genossenschaft hat das Ziel, ihren Mitgliedern Konsumgüter des täglich
Bedarfs möglichst günstig zu verschaffen. Österreichs erste Konsumgenossenschaft
wurde 1856 von Spinnereiarbeitern in Teesdorf (Niederösterreich) gegründet;
1901 entstand als selbständige Verbandsorganisation der „Zentralverband
österreichischer Konsumvereine“. 1934 wurde die Selbständigkeit
der Konsumverwaltung aufgehoben, nach 1945 erfolgte ein Neuaufbau von vorwiegend
Orts- und Regionsgenossenschaften. 1978 wurde durch Fusion von 16 Genossenschaften
mit 717.000 Mitgliedern der „Konsum Österreich“ geschaffen,
der 1993 über 17.000 MitarbeiterInnen beschäftigte, aber mit der Diskont-Konkurrenz
nicht Schritt halten konnte und 1995 wegen Misswirtschaft (Schulden in der Höhe
von 26 Mrd. Schilling = knapp zwei Mrd. Euro) den Ausgleich anmelden musste.
Rund 630 Filialen wurden unter den Konkurrenten Spar, Billa, Adeg, Löwa
und Meinl aufgeteilt. Gerngross ging an den Palmers-Konzern, die Brotfabrik
Ährenstolz an Ankerbrot. Manche übernahmen sich mit den Übernahmen.
nach oben
50,5 Prozent
Im März 1971 wurde der Baubeginn des Kraftwerks Zwentendorf von der Bundesregierung
beschlossen, der kommerzielle Betriebsbeginn wurde für August 1976 vorgesehen.
1976 beschloss die Regierung einen Energieplan, in dem „bis zum Jahr 1990
die Inbetriebnahme von drei Kernkraftwerken mit einer Gesamtleistung von rund
3300 Megawatt vorgesehen" wurde. Im Jänner 1978 wurden mit Bundesheerhubschraubern
Brennelemente in das AKW Zwentendorf eingeflogen. Im November lehnte die österreichische
Bevölkerung in einer Volksabstimmung mit knapper Mehrheit die Inbetriebnahme
des AKW ab.
Im Mai 1976 hatten Anti-AKW-Gruppen die „Initiative österreichischer
Atomkraftwerksgegner" gegründet. Die aktivsten AtomkraftwerksgegnerInnen
kamen aus der Jugend: Katholische und sozialistische Jugendorganisationen warben
ebenso für ein „Nein" wie die Österreichische Hochschülerschaft.
WissenschafterInnen aller Fachrichtungen, ÄrztInnen und KünstlerInnen
sprachen sich öffentlich gegen Zwentendorf aus.
Ohne Zwentendorf wären Arbeitsplätze und der Lebensstandard in Gefahr,
argumentierten die Energiewirtschaft, die Industriellenvereinigung, die Gewerkschaften
und die Regierung. Die FPÖ war dagegen, die ÖVP hatte keine erkennbar
eindeutige Meinung über das Kraftwerk.
Bei der ersten Volksabstimmung in der 2. Republik waren am 5. November 49,5
Prozent der Stimmberechtigten für Zwentendorf, 50,5 Prozent stimmten dagegen.
Die Beteiligung am Volksentscheid lag bei 64,1 Prozent.
Bundeskanzler Bruno Kreisky und Handelsminister Josef Staribacher erklärten
noch am Abend der Abstimmung: „Zwentendorf geht nicht in Betrieb.“
Bereits am 15. Dezember beschloss der Nationalrat das Atomsperrgesetz, und im
September 1979 vereinbarte die SPÖ mit der ÖVP, daß eine Änderung
des Atomsperrgesetzes nur nach einer weiteren Volksabstimmung und mit einer
parlamentarischen Zweidrittelmehrheit beschlossen werden könne.
Nachtrag: In Harrisburg kam es im März 1979 zu einer teilweisen Kernschmelze,
im April 1986 zum Super-GAU in Tschernobyl. Bereits 1957 hatte sich in einem
sowjetischen Reaktor in Majak eine Explosion ereignet, bei der mehr als die
doppelte radioaktive Menge wie in Tschernobyl freigesetzt worden war.
nach oben
Die Skandalrepublik
Der AKH-Skandal stand am Beginn einer Skandalkonjunktur, die bis Ende der 1980er
Jahre anhielt und das Image der österreichischen Politik in der Bevölkerung
nachhaltig prägen dürfte. Der Bau des allgemeinen Krankenhause in
Wien wurde bereits 1955 beschlossen (projektierte Kosten: eine Milliarde Schilling,
geplante Bauzeit: zehn Jahre), aber erst Anfang der 1970er Jahre ernsthaft in
Angriff genommen. Das Großprojekt wurde zu Europas teuerstem Krankenhausbau
(ca. 45 Milliarden Schilling = rund drei Mrd. Euro), der erst 1994 vollständig
in Betrieb genommen wurde.
Die hinter der Kostenexplosion stehenden Fehlplanungen waren aber nur die eine
Seite des Skandals. Wie der damalige profil-Journalist Alfred Worm aufdeckte,
waren im Zusammenhang mit dem Bau auch Bestechungsgelder geflossen, die die
beteiligten Firmen an Alfred Winter, den für die Planung und Errichtung
zuständigen Beamten und ab 1975 auch Leiter der zentralen Planungsagentur,
über diverse von ihm eingerichtete Briefkastenfirmen in Liechtenstein zu
leisten hatten. Querverbidnungen reichten in beide großen politischen
Lager, vor allem aber in die SPÖ. Nicht zuletzt schien auch der damalige
Finanzminister und Vizekanzler Hannes Androsch über eine stille Beteiligung
an der Beratungsfirma Ökodata eingebunden zu sein.
Nachsatz 1: 1981 musste Androsch – aufgrund des politischen Drucks von
Bundeskanzler Bruno Kreisky – aus der aktiven Politik ausscheiden, zum
einen, weil er den Bau seiner Villa teilweise mit Schwarzgeldern finanziert
haben soll, zum anderen wegen der politischen Unvereinbarkeit seines Amtes mit
einem Mitbeseitz an der Steuerberatungskanzlei Consultatio.
Nachsatz 2: Im September 1980 gab die ÖVP die im Jahr davor von Béla
Rabelbauer übernommene Parteispende in der Höhe von zehn Millionen
Schilling (0,73 Mio. Euro) zurück. Rabelbauer soll sich damit einern Platz
auf der ÖVP-Nationalratsliste erkauft haben. Er selbst wurde nach einer
Club-2-Sendung wegen Steuerhinterziehung und Betrugs von der Wirtschaftspolizei
verhaftet und konnte nach seinr Flucht erst 1994 in Bangkok aufgegriffen werden.
nach oben
Was sonst noch geschah:
1978:
Das erste Teilstück der U1 (Karlsplatz – Reumannplatz) wird eröffnet.
Der Bildhauer Henry Moore überwacht die Aufstellung seiner Skulptur „Hill
Arches“ am Karlsplatz.
Erstes Stadtfest der ÖVP.
Eröffnung des Schauspielhauses unter Hans Gratzer.
Die Süd-Ost-Tangente zwischen Inzersdorf und Kaisermühlen wird dem
Verkehr übergeben.
1979:
Das Konsumentenschutzgesetz und das Gleichbehandlungsgesetz (gleicher Lohn für
gleiche Leistung) treten in Kraft.
Johanna Dohnal wird erste Staatssekretärin für Frauenfragen.
Beschäftigungshöchststand mit 2,823.367 ArbeitnehmerInnen.
Eröffnung des Islamischen Zentrums.
1980:
Das Datenschutzgesetz tritt in Kraft.
Die ersten Bankomaten werden aufgestellt.
Der ORF beginnt mit dem Teletext.
Die Sommerzeit wird eingeführt.
---
Quellen:
Kleindel Österreich, Ueberreuter, Wien, 1995
Österreich 1945 – 1995 (Michael Gehler, Hubert Sickinger), Verlag
für Gesellschaftskritik, 1995
Kunst & Kultur in Österreich: Das 20. Jahrhundert, Verlag Christian
Brandstätter, 1999
Web-Ausstellung „Volksabstimmung Zwentendorf“ auf www.aai.at, 1999
Wikipedia – http://de.wikipedia.org, 2001 ff.
© Augustin 2005
Seite
drucken