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60–62: CHRUSCHTSCHOW, KARL, KENNEDY
Die Serie 20x3 widmet sich diesmal den Jahren 1960 bis 62, in denen die WienerInnen
den sowjetischen Ministerpräsidenten Nikita Sergejewitsch Chruschtschow und
den amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy samt deren Frauen begeistert
empfingen – und sich über Helmut Qualtinger als „Herr Karl“
empörten..
Jetzt is er bös’
„Ist das etwa der Durchschnittsösterreicher?“ stand in einem
Leserbrief in der Kronenzeitung am 17. November 1961. Zwei Tage zuvor war im Fernsehen
das Einmannstück „Der Herr Karl“ von Helmut Qualtinger und Carl
Merz uraufgeführt worden. Über die Titelfigur urteilte etwa Hans Weigel:
„Sein scheinbar zufälliges Gerede ist Zeugnis einer Epoche.“
Herr Karl kehrt das nach außen, was die meisten am liebsten versteckt hätten:
die Verantwortung für die Vergangenheit.
„Der Herr Karl“ - ein ungepflegter, ungebildeter ältere Mann,
ein ängstlicher, wehleidiger Opportunist, ein gemütliches Ungeheuer
- ist Angestellter in einem Feinkostgeschäft und verbreitet einem imaginären
Gesprächspartner gegenüber seine unreflektierten Gedanken über
„Gott und die Welt“:
„Na, I man, schauns, was man uns da nachher vorgeworfen hat, das war ja
alles ganz anders: Da war a Jud im Gemeindebau, der Tennenbaum, sunst a netter
Mensch. Na, da hams so Sachen gegen die Nazi g’schrieben g’habt auf
de Trottoir, auf de ... de Gehsteige. Und der Tennenbaum hat des aufwischen müssen.
(...) hab i eam hing’führt, daß ers aufwischt. Der Hausmaster
hat halt zug’schaut, hat g’lacht, der war immer bei aner Hetz dabei.
Na, nachm Krieg is er zurückgekommen, der Herr Tennenbaum. Is eam eh nix
passiert ... Hab i eam auf da Straßn ’troffen, hab i g’sagt.
,D’Ehre, Herr Tennenbaum!’ Hat er mi net ang’schaut. I grüß
ihm noch einmal: ,D’Ehre, Herr Tennenbaum!’ Schaut mi wieder net an,
net? Hab i ma denkt, ,siehstes, jetzt is er bös’.“
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1960
Im Zeichen der Verwaltungs- und Betriebsreform beginnen bei der Wiener Stadtverwaltung
die ersten Elektronenrechner zu arbeiten.
März |
Am Flötzersteig in Ottakring beginnen die Fundierungsarbeiten für
die erste Müllverbrennungsanlage Österreichs. |
Mai |
Wegen der hohen Zahl von Tuberkuloseerkrankungen werden Reihenuntersuchungen
durchgeführt. |
Juni |
Christian Broda wird Justizminister und führt Reformen im Familien-
und Sozialrecht durch. |
Juli |
Für das geplante neue Allgemeine Krankenhaus wird ein Wettbewerb
ausgeschrieben. |
August |
Der Stephansplatz wird umgebaut: Die in Holzstöckel gepflasterten
Teile der Gehsteige werden durch Kleinsteine ersetzt. |
Oktober |
Zur Verringerung der Säuglingssterblichkeit wird ein Schwangerenpass
für werdende Mütter eingeführt.
Die Ringstraße bekommt bessere Beleuchtung (es gibt dort noch
212 Gaslaternen). |
November |
Damit Mütter ihrem Beruf nachgehen können, wird im elften Bezirk
ein Mutter- und Kind-Heim errichtet.
Das (dem Hausbesorger fürs Aufsperren zu bezahlende) „Sperrsechserl“
beträgt vor Mitternacht vier Schilling und nach Mitternacht fünf
Schilling. |
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1961
Nur in einer einzigen unter den 38 Wiener Berufsschulen, die im laufenden Schuljahr
von 13.648 Mädchen besucht werden, gibt es keine weiblichen Lehrlinge, nämlich
in der Berufsschule für Spengler und Kupferschmiede.
Februar |
In dem Gebiet zwischen Hubertusdamm und Arbeiterstrandbadgasse entsteht
eine große Erholungsanlage, die vorläufig den Arbeitstitel „Donaupark“
trägt. Auf diesem Gelände wird 1964 eine Internationale Gartenschau
abgehalten. |
Mai |
Die besten Schülerinnen von drei städtischen Lehranstalten für
Frauenberufe treten unter der Devise „Flink und nett“ zu Leistungswettbewerben
im Nähen, Kochen, Bügeln, Babywickeln, Servieren, Verbinden von
verletzten Fingern sowie in Stenographie und Maschinschreiben an. |
Juni |
Der sowjetische Ministerpräsident Nikita Sergejewitsch Chruschtschow
und der amerikanische Präsident John F. Kennedy treffen sich in Wien.
Von den WienerInnen besonders stürmisch begrüßt werden die
Ehefrauen der Politiker Nina Chruschtschowa und Jackie Kennedy.
Am Kaisermühlendamm wird der „Marshall-Hof“ eröffnet.
Mit Hilfe des Marshall-Planes wurden Hilfsaktionen in 16 europäischen
Länder durchgeführt. Von insgesamt 18 Milliarden Dollar erhielt
Österreich 955 Millionen. |
Juli |
Eröffnung des neu aufgebauten städtischen Strandbades „Alte
Donau, der neuen Stadionbrücke sowie der Passagen Babenbergerstraße
und Bellaria.
Nur mehr Doppeldecker-Busse auf der Linie 13A. |
August |
In ganz Österreich sind nur 35.248 Menschen arbeitslos.
Zwei Millionen Hörfunk- stehen 250.000 Fernseh-Teilnehmern gegenüber. |
September |
Döbling erhält mit dem neuen Volksheim (heute Volkshochschule)
als dritter Wiener Bezirk ein Bildungszentrum. |
Oktober |
In Simmering entsteht ein neues städtisches Mütterheim für
Mütter im Alter zwischen 14 und 16 Jahren.
Erste parlamentarische Fragestunde im Nationalrat. |
Dezember |
Im 22. Bezirk wird der Grundstein zum ersten "Wiener Pensionistenheim"
gelegt.
Olah-Raab-Abkommen, im dem sich die Gewerkschaften unter anderem
bereit erklärten, der „Anwerbung“ von 47.000 Fremdarbeitern
zuzustimmen. |
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1962
Zum zehnjährigen Jubiläum der Aktion können 2.700 Dauerbefürsorgte
einen kostenlosen Erholungsurlaub in Niederösterreich und Oberösterreich
verbringen.
Jänner |
Die Schnellbahn fährt von Meidling bis Gänserndorf. |
Mai |
Bei der Gleichenfeier der Müllverbrennungsanlage auf dem Flötzersteig
wird der Bau einer zweiten Müllverbrennungsanlage im 9. Bezirk angekündigt.
Streik der Metallarbeiter. |
Juli |
Lohnzusagen an die Postbediensteten verhindern einen Streik; Demonstrationen
der Ärzte und Bauern; Warnstreik der Exekutive. |
August |
Der Zentralfischmarkt am Franz Josefs-Kai wird instandgesetzt.
Zählung der in den Haushalten vorhandenen elektrisch betriebenen
Kühlschränke und Waschmaschinen. |
Oktober |
Grundsteinlegung zum 260 Meter hohen „Donauturm“. |
Dezember |
Primaria Dr. Ingrid Leodolter, „der erste weibliche Spitalsdirektor“
in Wien, übernimmt die Leitung des Sophienspitals. |
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Quellen:
Wiedergeburt einer Weltstadt, Jugend und Volk, Wien, 1965
Kleindel Österreich, Ueberreuter, Wien, 1995
Österreich 1945 – 1995 (Fiona Steinert, Dr. Heinz Steinert), Verlag
für Gesellschaftskritik, Wien, 1995
Kunst & Kultur in Österreich: Das 20. Jahrhundert, Verlag Christian Brandstätter,
1999
Wien im Rückblick, wien.at, 2004
© Augustin 2005
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