SYMPOSIUM „MINDERHEITEN IM ALPEN-ADRIA-RAUM“
Bled, 21.-22. Oktober 1993
Erschienen in (http://members.chello.at/heinz.pohl/SchriftenVerzeichnis.htm
Nr. 128):
Manjšine v prostoru Alpe-Jadran / Minderheiten im Alpen Adria-Raum /
Manjine na području Alpe-Jadrana / Le minoranze nellʼarea di
Alpe-Adria / Kisebbségek az Alpok-Adria térségben. Zbornik referatov /
Konferenzbericht / Zbornik referata / Atti di convegno / Felszólalások
gyűjteménye. Ljubljana, Delovna skupina za manjšine Alpe-Jadran (Vlada
Republike Slovenije, Inštitut za narodnostna vprašašanja) / Arbeitsgruppe
Minderheiten der ARGE Alpen Adria (Regierung der Republik Slowenien, Institut
für Nationalitätenfragen) 1994, 210-229.
[geringfügig
überarbeitet, Ergänzungen vorgesehen]
[zurück: http://members.chello.at/heinz.pohl/Namengut.htm]
Heinz-Dieter POHL, Universität Klagenfurt
ZUR SITUATION DER KÄRNTNER SLOWENEN
AUS SPRACHWISSENSCHAFTLICHER SICHT
1. Allgemeines
Für die
Sprachwissenschaft sind Länder wie Kärnten ein interessanter Forschungsgegenstand.
Die bis heute bestehende Gemischtsprachigkeit im Süden des Landes (im unteren Gail-,
Rosen- und Jauntal) hat auf der Ebene der Mundart und Umgangssprache zu
zahlreichen Sprachkontaktphänomenen geführt, die an der Klagenfurter
Universität derzeit sowohl von der Slawistik (so v.a. Neweklowsky 1990) als
auch allgemeinen Sprachwissenschaft (z.B. Pohl 1992) systematisch erforscht
werden. Die im Mittelalter erfolgte ethnische Durchmischung des Landes hat zu
einem bunten Bild in der Namenlandschaft geführt (bei Orts-, Flur- und Familiennamen).
Gerade die Namenforschung, die im Lande selbst auf eine große Tradition
zurückblicken kann, ist in der Lage, ein lebendiges Bild von der Besiedlungsgeschichte
Kärntens zu zeichnen (so Ogris 1976, 178):
Das kulturelle
Profil einer Landschaft, ihre Eigenart, wird durch das bodenständige Namengut,
ob nun deutsch oder slowenisch, mitbestimmt. Diese Quelle für die
Siedlungsgeschichte und das eigene Selbstverständnis zu erhalten und zu
schützen sollte Aufgabe nicht nur der Historiker, sondern auch der Geographen
und Linguisten sein.
Die hier
angedeuteten Untersuchungsgegenstände zeigen deutlich, dass beide Sprachen,
Deutsch und Slowenisch, für Kärnten konstitutiv sind. Die Sprachwissenschaft
kann hier einen wesentlichen Beitrag leisten: es ist der Öffentlichkeit bewusst
zu machen, dass beide Sprachen untrennbar zum Land gehören, dass sich beide
Sprachen in ihrer spezifisch kärntnerischen Ausprägung einander angenähert
haben und dass es somit über die Sprachgrenzen hinweg mehr Gemeinsames als
Trennendes gibt - die nationalistische Politik auf beiden Seiten hat freilich
mehr das Trennende gesucht (und auch gefunden!) und damit wesentlich zum
katastrophalen Rückgang des Gebrauchs der slowenischen Sprache in Kärnten
beigetragen.
Der starke
Rückgang des slowenischsprachigen Anteils an der Kärntner Bevölkerung von fast
einem Drittel in der Mitte des 19. Jh. auf wenige Prozent heute hat
verschiedene Ursachen, die hier nicht näher beleuchtet werden können und über
die Berufenere geschrieben haben. Doch linguistisch gesehen ist ein Punkt
bemerkenswert: Nicht alle slowenischsprachigen Personen in Kärnten haben sich
ethnisch als Slowenen verstanden, was bereits Ende des 19. Jh. zur
Herausbildung zweier Lager geführt hat, nämlich eines nationalbewussten
„slowenischen“ und eines deutsch-freundlichen bzw. politisch deutsch-orientierten
(„windischen“) Lagers. Diese Spaltung war für die Erhaltung der Sprache alles
andere als förderlich und begünstigte (nicht allein, aber doch zu einem guten
Teil) die Assimilation nach der Volksabstimmung von 1920 bis in unsere Tage. Das
Verhältnis zwischen Mehrheits- und Minderheitsbevölkerung und auch innerhalb
der Minderheit wurde durch die dem „Anschluss“ folgenden Ereignisse,
insbesondere zwischen 1941 und 1945/46, nachhaltig gestört. Eben hier muss eine
zukunftsorientierte Minderheitenpolitik ansetzen, die unter geänderten
Rahmenbedingungen - Slowenien ist heute ein unabhängiger und demokratischer
Staat - nicht nur die (ohnehin weitgehend gelöste) juristische Seite des
Problems vor Augen hat, sondern auch Überlegungen anstellt, wie unabhängig von
Rechtsfragen, aber dennoch im Rahmen des bestehenden Rechts die slowenische
Sprache im Lande gefestigt werden kann. Aus sprachwissenschaftlicher Sicht
bietet sich hier am besten die Freiburger Sprachencharta an, über deren
Bedeutung Hans Goebl geschrieben hat (vgl. Goebl 1988). Sie wird im
einschlägigen österreichischen Schrifttum über die Kärntner Slowenen m.W. nicht
erwähnt (zumindest trifft dies auf die Österreichische Rektorenkonferenz 1989
und Initiative Minderheitenjahr 1993 zu).
Vorerst ist
festzuhalten, dass die „Sprachencharta“ Prinzipien des Naturrechts und des
Öffentlichen Rechts anwendet. Naturrechtlich gesehen wird Sprache als Erbe und
Besitz aufgefasst, als ein über der Machtwillkür von Behörden stehendes Gut,
das Erben und Besitzer moralisch zur Verteidigung, Pflege und Respektierung
verpflichtet. Wesentlich ist die Auffassung, dass Sprachen als gleichwertig zu
betrachten sind. Mehrsprachigkeit wird bejaht, überlieferte Eigennamen
jeglicher Art sind zu respektieren. Im Öffentlichen Recht wird zwischen
privatem und öffentlichem Gebrauch, zwischen autochthonen und
nicht-autochthonen Bevölkerungsgruppen unterschieden. Der Freiburger Begriff
der „Geschichtlichkeit“ von Sprachen ist dem altösterreichischen Begriff der
„Landesüblichkeit“ sehr ähnlich. Für Kärnten bedeutsam ist v.a. der Artikel D
22 der Freiburger Sprachencharta, „Die geschichtlich zweisprachige
Gemeinschaft“. Diese liegt dann vor, wenn zwei Sprachen, die heute Amtssprachen
sind, zum kulturellen Erbe ein- und derselben rechtmäßig errichteten
Gebietsgemeinschaft gehören. Die im 3. Teil meiner Ausführungen skizzierten
„Wege zum Erhalten der slowenischen Sprache in Kärnten“ beruhen z.T. auf der
Freiburger Sprachencharta bzw. lassen sich aus ihr ableiten, insbes. die Punkte
1-7. Ferner sei noch auf Artikel D 20c1 hingewiesen, der ausdrücklich
einsprachige Zonen in sprachlicher Hinsicht als „unantastbar“ erklärt, also die
Unantastbarkeit historisch gewachsener einsprachiger Gebiete feststellt,
gegenüber Mischzonen, in denen sich die Rechte der Amtssprachen infolge
natürlicher Bevölkerungsverschiebungen verändern können (D 20d2). Solche
Gedanken entspringen der in der Schweiz als staatstragende Tugend allgemein
geforderten „freundeidgenössischen Zuwendung“, sie können „aber dennoch mit
großem Nutzen und Gewinn auch außerhalb der Schweiz in die sprachpolitische
Praxis eingebracht werden“ (so Goebl 1988, 26). Die Schweiz hat solche Probleme
gar nicht erst entstehen lassen, an denen einst Österreich-Ungarn oder jüngst
Jugoslawien zerbrochen sind. Daher ist es nicht möglich, Schweizer Vorbilder
einfach nachzuahmen, aber Schweizer Verhältnisse in ethnisch-sprachlicher
Hinsicht können durchaus intellektuelle Zielvorstellungen sein, die freilich
realistischer sind als naiver Fortschrittsglaube oder Träumereien von der
multikulturellen Gesellschaft (dies ist zwar keine Ablehnung des Begriffes
„multikulturelle Gesellschaft“, sondern seiner Verwendung als Schlagwort, denn
alle entwickelten Kulturen haben mehr oder weniger multikulturelle Wurzeln, wie
auch alle Völker aus verschiedenen ethnischen Schichten entstanden bzw.
zusammengewachsen sind, was deren Sprachen deutlich zeigen; „Reinrassigkeit“
ist von der Natur nicht vorgesehen, sondern Vielfalt, auch innerhalb einer Art
– auf der Ebene der Sprache Dialekte und regionale Varianten). Ganz abgesehen
davon, dass Österreich (und Kärnten) hinsichtlich der „Sprachencharta“ gar
nicht schlecht abschneidet, man vgl. die beiden (zentralen) Artikel D 16 und
17:
„Wesen des
Sprachenrechts“
16. Das Sprachenrecht ist fester Bestandteil
der Rechte von Person und menschlicher Gesellschaft. Das geschriebene Recht und
die Handlungsweise aller Behörden müssen mit ihm übereinstimmen.
„Gebrauch der
Sprachen“
17. Es ist zwischen privatem und öffentlichem
Gebrauch der Sprachen zu unterscheiden:
a) Der private Gebrauch aller Sprachen muss
jedermann allzeit und überall gewährleistet sein.
b) Der öffentliche Gebrauch der Sprachen muss
hingegen durch Bestimmungen geordnet werden, die von den Behörden zu erlassen,
anzuwenden und durchzusetzen sind. Diese Bestimmungen müssen auf dem Naturrecht
und der kulturellen und praktischen Wirklichkeit gründen. Sie sollen bewirken,
dass sich jede Sprache, die in einem Gemeinwesen Lebensrecht hat, als Mittel
der Aussage und Mitteilung mit größtmöglicher Wirksamkeit rein und dauernd
behaupte, und dass auch das kulturelle, geistige und gemüthafte Erbe, das
diese Sprache für die Mitglieder dieser Gemeinschaft bedeutet, geschützt werde
und erhalten bleibe.“
Das österreichische
Volksgruppengesetz vom 7.7.1976 entspricht weitgehend diesen Vorgaben.
Angehörige von
Minderheiten bezeichnen den Staat, der ihr Hauptsiedlungs- und -wohngebiet ist, recht oft als „Mutterland“
oder „Mutterstaat“ (slow. matična država) und seine Einwohner als
„Muttervolk“ (slow. matični narod). Solche Bezeichnungen sind keine
korrekten Übersetzungen aus dem Slowenischen: matičen wird in den
gängigen Wörterbüchern mit „Mutter-, Stamm-“ wiedergegeben und ist nicht von mati
„Mutter“ (wovon im Slowenischen meist der Begriff „Muttersprache“ (Näheres hier), materinščina, materin(ski) jezik,
abgeleitet wird, nur selten auch matični jezik), sondern von matica
„Bienenkönigin, Weisel“ deriviert, daher matični narod etwa
„Stamm-, Hauptvolk“, matična država etwa „Stamm-, Hauptstaat“.
„Mutterland“ usw. erweckt im Deutschen nämlich ganz andere Vorstellungen, laut
Duden – Deutsches Universalwörterbuch versteht man unter „Mutterland“ ein Land
oder einen Staat im Verhältnis zu seinen Kolonien oder ein Land, in dem etwas
seinen Ursprung hat. Da aber die Slowenen in Kärnten genauso autochthon sind
wie in Krain und der Südsteiermark (und einigen weiteren Gebieten) und nicht
etwa aus den Gebieten des heutigen Slowenien eingewandert sind, erscheinen
solche Bezeichnungen unpassend und wenig geeignet, bei der Mehrheitsbevölkerung
das Verständnis für die Probleme der Minderheit zu fördern. Außerdem sind die
Vorfahren der heutigen Slowenen, die alpenslawischen Karantanen, im 8. Jh. in
Kärnten historisch nachweisbar und nicht etwa südlich der Karawanken. Wie man
den saloppen Ausdruck „Mutterland/-volk/-staat“ durch einen Fachausdruck
ersetzen soll, weiß ich nicht, jedoch sollte in der politischen und
wissenschaftlichen Diskussion von klaren und eindeutigen Termini ausgegangen
werden.
Diese Bemerkungen
gelten m.E. für alle Volksgruppen des Alpen-Adria-Raumes. Auch für Südtirol ist
Österreich nicht das „Mutterland“, auch Tirol nicht (die Wiege Tirols liegt
nämlich im Süden, im Pustertal sprach man bereits deutsch, als man am Inn noch
romanisch sprach!), die deutschen Sprachinseln in Norditalien, Krain und
Ungarn, die Kroaten im Burgenland und in Westungarn sind die Nachkommen von
Siedlern, die seinerzeit von den Landesherren ins Land geholt worden waren; sie
waren keine Einwanderer, die sich in einem neuen Land auf Kosten der bereits
ansässigen Bevölkerung niedergelassen haben (wie die Europäer in Amerika,
Australien, Sibirien usw.). Und welches „Mutterland“ sollen Furlaner, Ladiner
und Rätoromanen haben?
2. Soziolinguistische Lage
Die Siedlungssituation
der Kärntner Slowenen wird oft als Streulage inmitten einer deutschsprachigen
Mehrheit bezeichnet, was zwar dem Status quo entspricht, aber der historischen
Entwicklung nicht gerecht wird, handelt es sich doch beim slowenischen Sprachgebiet
um ein durch Sprachwechsel (Assimilation) entstandenes Rückzugsgebiet.
Insgesamt trifft für das Areal des deutsch-slowenischen Sprachkontakts der
Begriff „gemischtsprachiges Gebiet“ am ehesten zu.
Nach den
statistischen Angaben der Volkszählung 1991 bekannten sich 14.580 Personen,
d.s. weniger als 3% der Gesamtbevölkerung Kärntens, ausdrücklich als
slowenisch- oder „windisch“sprechend auf Grund der Frage nach der
Umgangssprache. Die tatsächliche Zahl der slowenischsprachigen Kärntner liegt
freilich weit höher und wird von manchen Autoren auf ca. 50.000 geschätzt (so
Bogataj 1989, 287).
Das Slowenische
in Kärnten wird traditionell vier Dialekten zugeordnet, die zu einer (nach
Italien und Slowenien hineinreichenden) „Kärntner Gruppe“ (Koroška skupina) zusammengefasst
werden:
(1) Gailtaler
Dialekt/Ziljsko narečje
(2) Rosentaler
Dialekt Rožansko narečje
(3) Jauntaler
Dialekt/Podjunsko narečje
(4) Remschenig-
oder Obir-Dialekt/Remšeniško narečje.
Trotz einer
ganzen Reihe von minderheitenfreundlichen administrativen Maßnahmen auf Grund
des Artikels 7 des „Staatsvertrages“ aus dem Jahre 1955, des Volksgruppengesetzes
1976 und einiger Verordnungen der österreichischen Bundesregierung ist die
slowenische Sprache im öffentlichen Leben Kärntens wenig präsent, wenn auch
grundsätzlich ihre Lage ungleich besser ist als die des Kroatischen im
Burgenland. Die Ursachen dafür sind vielfältig, in erster Linie dürfte es daran
liegen, dass zwar nahezu alle Slowenen von Kindheit an auch die deutsche
Sprache beherrschen, umgekehrt aber die deutschen Kärntner in den rein
deutschen Gebieten und in den Ballungszentren kaum, in den gemischtsprachigen
Gebieten nur z.T. über Slowenischkenntnise verfügen. Auch der kleine
slowenische Sprachraum mit ca. 2,2 Mill. Menschen liefert nur geringen Anreiz,
die Sprache zu erlernen bzw. zu gebrauchen. Wenn sich auch in der jüngeren und
mittleren Generation die Einstellung zur slowenischen Sprache wandelt und sie
wieder als zweite Landessprache auf mehr Akzeptanz stößt, ist derzeit noch kein
Ansteigen ihres Gebrauchs im öffentlichen Leben festzustellen. Slowenische
Aufschriften im gemischtsprachigen Gebiet beschränken sich zumeist auf Ljudska
šola „Volksschule“ oder Gasilski dom „Feuerwehrhaus“ bzw. private
Aufschriften wie Gostilna „Gasthaus“ oder Trgovina „Kaufhaus,
Geschäft“; topographische Bezeichnungen in slowenischer Sprache sind nur in
einem geringen Umfang (in den Bezirken Völkermarkt und Klagenfurt-Land) auf
Grund der Straßenverkehrsordnung auf Ortstafeln und einigen Wegweisern
angebracht worden (in 9 Gemeinden). Jedoch ist der Gebrauch des Slowenischen
als Amtssprache zusätzlich zum Deutschen bei 13 Gemeindebehörden und
Gendarmerieposten und den zuständigen Bezirksgerichten und 63 Regionalbehörden
(wie Bezirkshauptmannschaften und Amt der Kärntner Landesregierung) zulässig.
Es wird auch in Gemeinderatssitzungen z.T. slowenisch gesprochen, überwiegend
z.B. in Zell/Sele.
Abschließend kann
man feststellen, dass die slowenische Sprache in Kärnten v.a. im privaten und
familiären Bereich und in den slowenischen Genossenschaften (17), Sparkassen
(27) und Vereinen (ca. 80) verwendet wird. Von einer echten Gleichberechtigung
(und mitunter sogar Bevorzugung) kann man nur im kirchlichen Bereich sprechen.
Dementsprechend werden bei Befragungen nach der Verwendung der slowenischen
Sprache außerhalb der Familie am meisten die mit der Religionsausübung verbundenen
sprachlichen Ausdrucksformen genannt (54,4%), dann folgt der Nachbar (54,1%);
Briefträger und Arbeitskollegen werden schon deutlich weniger genannt (29,2%
bzw. 29,4%), am wenigsten spricht man slowenisch mit dem Chef (11,6%) und dem
Gendarmen (10,3%).
Im gemischtsprachigen Gebiet (und seit 1989 auch in Klagenfurt) wird
Unterricht sowohl in slowenischer als auch deutscher Sprache angeboten; die
Schüler, die zum zweisprachigen Unterricht angemeldet sind, erhalten Unterricht
zu gleichen Teilen in beiden Sprachen. Die Anmeldungen sind in den letzten
Jahren wieder leicht angestiegen und liegen in 62 Schulen bei etwa 22%, woraus
folgt, dass nicht nur Kinder von Slowenen am slowenischen Unterricht
teilnehmen. Seit dem Schuljahr 1976/77 besuchen an ca. 15 Hauptschulen rund 350
Schüler slowenischen Sprachunterricht (vgl. Gutleb/Unkart 1990, 167). Im Jahre
1957 wurde in Klagenfurt das Gymnasium für Slowenen gegründet, aus dem über
1000 Absolventen hervorgegangen sind. Der Hermagoras-Verlag (Klagenfurt) ist
einer der ältesten Verlage Kärntens und hat schon mehr als 17 Millionen Bücher
herausgegeben. Im Rundfunk (Landesstudio Kärnten in Klagenfurt) wird täglich in acht Programmstunden in
slowenischer Sprache in ORF-Radio DVA-AGORA gesendet, zuzüglich zwölf
Radiosendungen und einer Fernsehsendung wöchentlich; am Sonntag gibt es seit Mitte
1989 ein halbstündiges slowenisches Fernsehprogramm („Dober dan, Koroška“,
derzeit 13.30-14,00 Uhr).
3. Wege zum Erhalten der
slowenischen Sprache in Kärnten
Kehren wir zurück
zum zentralen Problem, dem Erhalten der Sprache. Die slowenische Minderheit in
Kärnten unterscheidet sich von der Mehrheit (fast nur) durch die Sprache; die
Volkskultur ist nahezu identisch, die alte Sprachgrenze zwischen dem
ursprünglich relativ geschlossenen slowenischen Siedlungsgebiet und dem
mehrheitlich bzw. rein deutschen Sprachgebiet hat kaum Spuren hinterlassen und
hier wieder vor allem in der Sprache (Mundart) – kein Wunder, denn
Sprachwechsel hinterlässt immer seine Spuren, denn entlang der alten
deutsch-slowenischen Sprachgrenze verläuft heute (in Kärnten) eine
Dialektgrenze, zwischen bäuerlich geprägter Mundart auf ursprünglich deutschem
Gebiet und städtisch gefärbter Mundart auf ursprünglich slowenischem bzw. heute
gemischtsprachigem Gebiet (vgl. u.a. Pohl 1992, 158). Am ehesten ist die
Situation der Kärntner Slowenen mit der der Südtiroler Ladiner und der
Schweizer Rätoromanen vergleichbar. Was eine Sprachminderheit braucht, um
überleben zu können, haben diese beiden Volksgruppen in 9 Punkten
zusammengefasst (vgl. Craffonara 1986); diese sind auch auf die Lage
der Kärntner Slowenen anwendbar. Die Punkte 1-7 stellte Bernard Cathomas (Lia
Rumantscha in Chur) zusammen, die Punkte 8 und 9 fügte Lois Craffonara hinzu.
(1) Die Sprache der Minderheit braucht ein klar
abgegrenztes Sprachgebiet.
Dieses ist durch
das Volksgruppengesetz 1976 beschrieben. Eine wesentliche Verbesserung könnte
darin bestehen, in amtliche Ortsverzeichnisse und Kartographie die
slowenischen Namensformen der Ortsnamen aufzunehmen, wie dies P. JORDAN
vorgeschlagen hat (P. Jordan, Möglichkeiten einer stärkeren Berücksichtigung
slowenischer Ortsnamen in den heutigen amtlichen topographischen Karten
Österreichs. Wien 1988) und inzwischen verwirklicht ist (nach der „Ortstafellösung“ im Rahmen des neuen
Volksgruppengesetzes, BGBl. 2011, Teil I, Nr. 46). Seine Vorschläge umfassen folgende drei Punkte:
a) „Übernahme jener slowenischen
Siedlungsnamen in die Karte, die in der Verordnung der Bundesregierung vom
31.5.1977 zum Volksgruppengesetz des Jahres 1976 für Bezeichnungen und
Aufschriften topographischer Natur amtlich festgelegt worden sind“: Es
wird vorgeschlagen, 91 zweisprachig benannte Ortschaften in das
Ortsverzeichnis und in die amtlichen topographischen Karten aufzunehmen: „Die
Karte würde einen standardisierenden Einfluss auf die Schreibweise slowenischer
Siedlungsnamen ausüben und sie vor dem Vergessenwerden schützen.“
Kartographisch werfe die Platzierung von
91 Zweifachbenennungen zwar Probleme auf, diese seien aber relativ leicht zu
lösen, wenn man die slowenischen Bezeichnungen in etwas kleinerer Schrift in Klammern
neben oder unter die deutschen Namen setze.
b) „Zweisprachige Nennung der Namen jener
Gemeinden und Politischen Bezirke auf der Rückseite der ÖK 50, in welchen das
Slowenische laut Verordnung der Bundesregierung vom 31.5.1977 zweite
Amtssprache ist“: Die slowenischen Namen wären auf der Rückseite der ÖK 50
in der Tabelle, die die Namen der Verwaltungseinheiten auf dem jeweiligen
Kartenblatt aufweist, den deutschen Namen beizufügen. Die Namen dieser 13
Gemeinden und 3 politischen Bezirke wurden bisher amtlich noch nicht
festgelegt.
c) „Häufigere Verwendung slowenischer
Klammernamen zu den sonstigen geographischen Namen in Südkärnten“: Am
Prinzip, slowenische Namen nach den Schreibregeln des Deutschen zu verfassen, sollte
festgehalten werden (eine Meinung, der ich nur z.T. folgen kann). Die Aufnahme
von Berg- und Flurnamen in slowenischer Sprache würde den Wildwuchs
künstlicher Übersetzungen zum Stillstand bringen, m.E. bisherige Übersetzungen
aber kaum rückgängig machen. Vorgeschlagen wird, den slowenischen Namen in
Klammern dem deutschen beizufügen, z.B. Kuhberg (Kravji vrh).
Klammernamen zu allen deutsch geschriebenen slowenischen Namen, z.B. Ribnitza
(Ribnica) würden das Kartenbild überlasten bzw. erhebliche Schwierigkeiten
mit sich bringen. Das aufgrund der Volkszählung 1991 vom Statistischen
Zentralamt herausgegebene Ortsverzeichnis enthält bereits die 91 amtlich
festgelegten slowenischen Bezeichnungen. Dem Vernehmen nach sollen auch einige
slowenische Namen auf den künftigen Neubearbeitungen der ÖK 50 berücksichtigt
werden (s.a. Punkt 2 Ende).
(2) Die
Minderheit braucht eine solide wirtschaftliche Grundlage, denn man kann die
Sprache nicht erhalten, ohne die Bevölkerung zu erhalten.
Das Gebiet der
slowenischen Minderheit in Kärnten ist überwiegend agrarisch mit einem
fremdenverkehrswirtschaftlichen Standbein. Dies führt zu Abwanderung
slowenischsprachiger und Zuwanderung deutschsprachiger Personen: „Slowenen“
pendeln in die Industriegebiete aus, „Deutsche“ in die Fremdenverkehrsregion
ein, letztere siedeln sich auch im slowenischsprachigen Gebiet an, sowohl mit
Erst- als auch mit Zweitwohnsitz.
Zu den Problemen
rund um die Namen trägt auch der Fremdenverkehr seinen Teil bei, wenn man den
bundesdeutschen Gästen analog zu Eisbein und Käsesahnetorte
einen Geißberg statt Kosiak (Kozjak), ein Vellacher Hochtal
statt V. Kotschna (Belska Kočna) serviert. Ganz zu schweigen von
unnotwendigen Umbenennungen wie „Dreiländereck(e)“, auch in rein deutschen
Gebieten wie „Mölltaler Gletscher“ statt Wurtenkees, „Sportgastein“
statt Naßfeld usw. Auch Gemeindenamen wie „Reißeck“ (nach dem Berg statt
früher Kolbnitz) sind unglückliche und traditionsferne Neuschöpfungen.
Die vom Fremdenverkehr bevorzugten Verdeutschungen werden gerne von prononciert
deutsch gesinnten Personen aufgenommen, und was weiterhin geschieht, braucht
nicht näher ausgeführt zu werden. Daher entzöge eine amtliche zweisprachige
Kartographie den Boden für laienhafte Eingriffe und manches könnte repariert
werden. Auch der Manipulation mit dem Namengut wäre durch Abfassung eines
amtlichen zweisprachigen Verzeichnisses ein Riegel vorgeschoben. Kritisch sei
angemerkt, dass die slowenische Seite die von Österreich amtlich festgelegten
Namen nicht konsequent gebraucht, es gibt mehrere Fälle, wo abweichende Namensformen
sowohl in slowenischen Publikationen als auch im „Atlas Slovenije“ gebraucht
werden, z.B. Tuce statt Tulce für Tutzach, Borovnica statt Frajbah für Zell-Freibach oder ...vas statt ...ves
für -dorf. Die amtlichen
österreichischen Namensformen werden auch zum großen Teil von slowenischen
Namenforschern akzeptiert, was zeigt, dass die von Kärntner Experten
vorgeschlagenen Namensformen wissenschaftlich einwandfrei sind. [Auf Grund der
„Ortstafellösung (2011)“ gelten die Namensformen Tuce, Sele-Borovnica und
…vas]
(3) Die
Sprache muss in allen Domänen des Alltagslebens (Familie, Schule, Kirche,
Verwaltung, usw.) präsent sein.
Dafür bedarf es
des Verständnisses (eines größeren als bisher) der Mehrheitsbevölkerung; in
der Kirche sollte zu gleichen Teilen deutsch und slowenisch verwendet werden
(das vielfach beklagte Übergewicht slowenischsprachiger Messen usw. ist nicht
zielführend; bei Hochzeiten, Taufen, Begräbnissen sollte den Wünschen der Familien
entsprochen werden). In Schule und Verwaltung sind schon jetzt gesetzliche
Bestimmungen in Kraft, die diesem Punkt gerecht werden. Es ist aber auch
festzustellen, dass gerade damit viele Minderheiten in Europa ihre Probleme
haben.
Wünschenswert
wären mehr zweisprachige Aufschriften, wie dies schon in der Monarchie der Fall
war. Hier wäre ein vernünftiger Kompromiss zu finden, der sich an den echten
Bedürfnissen orientiert; jeder Justament-Standpunkt (von welcher Seite auch
immer) wäre kontraproduktiv.
(4) In
allen Schulstufen, besonders aber in den höheren Schulen, Muss eine Ausbildung
in der Muttersprache stattfinden.
Dieser Punkt ist in Kärnten Realität,
selbst im universitären Bereich. Dies müsste auch von den schärfsten Kritikern
anerkannt werden.
(5) Die
Sprache einer Minderheit braucht umfassende Massenmedien (Zeitung, Radio,
Fernsehen), ansonsten wird sie von der Sprache der Mehrheit allmählich
überflutet und verdrängt.
Es gibt derzeit
zwei Wochenzeitungen sowie einige weitere Periodika in slowenischer Sprache
für Kärnten. Demgegenüber nimmt sich Rundfunk und Fernsehen sehr bescheiden
aus: 1/2 Stunde Fernsehen pro Woche und 50 Minuten slowenischsprachige
Sendungen im Hörfunk täglich. Allerdings ist in weiten Teilen des südlichen
Kärnten TV Slovenija zu empfangen (und Slovenija I wird im Kabelfernsehen
angeboten), eine noch größere Reichweite hat der Hörfunk Sloweniens. Eine
Erweiterung des Rundfunkprogrammes wäre sicher möglich, doch Forderungen wie
ein ganztägiges slowenisches Programm für Kärnten sind wohl unrealistisch und
kaum zu erfüllen, es sei denn, man richtet analog zu „Blue Danube Radio“ ein
„Radio Alpen-Adria“ ein, für das die slowenische Redaktion des Landesstudios
Kärnten die Keimzelle sein könnte. Denn wenn sich Österreich ein rund um die
Uhr sendendes englischsprachiges Programm leisten kann, müsste auch ein
mehrsprachiges Programm für unsere Region möglich sein, das sowohl den eigenen
Landsleuten als auch den Nachbarn entgegenkommt.
(6) Die
Sprache braucht eine umfassende Kultur, die alle Tätigkeiten und Seinsformen
erfasst, die den Menschen hier und heute betreffen,
und
(7) eine
Minderheit braucht eine einheitliche Schriftsprache, die den Gebrauch er
Sprache in einigen wichtigen Domänen erst ermöglicht.
Durch die einheitliche Schriftsprache
für alle Slowenen sind diese beiden Punkte realisiert. Sprachminderheiten ohne
„Mutterland“ (z.B. die Ladiner Südtirols) können dies allerdings nicht
behaupten.
(8) Sie
braucht vor allem Einheit und Zusammenhalt
und
(9) der
Ausverkauf der Heimat muss endgültig gestoppt werden.
Die Zukunft der
slowenischen Volksgruppe liegt in erster Linie in der Hand der Kärntner
Slowenen selbst. Auch die Verantwortlichen in Gesellschafts-, Wirtschafts- und
Kulturpolitik müssen konkret zur Erhaltung der Volksgruppe beitragen; und
nicht zuletzt die Deutschkärntner, die mit einer aufgeschlossenen Haltung eine
nicht zu unterschätzende moralische Stütze darstellen.
Ladiner bzw. Rätoromanen
und Kärntner Slowenen haben eines gemeinsam: sie sind autochthon und historisch
die ältere Bevölkerung in ihrer Region, keineswegs „Fremde in der Heimat“, in
gemeinsamem Schicksal und in schicksalhafter Gemeinschaft mit dem
überregionalen deutschen Element verbundener untrennbarer Teil der Gesamtbevölkerung.
Somit sind die Kärntner Slowenen ein Teil von uns selbst, Teil der Kärntner
Identität, die es zu wahren gilt.
WICHTIGSTE LITERATUR
M. Bogataj, Die Kärntner Slowenen. Klagenfurt-Wien 1991
L. Craffonara, Die Dolomitenladiner. San Martin de Tor 1986
A. Gutleb/R. Unkart (Red. & Hg.), Die Minderheiten im
Alpen-Adria-Raum. Klagenfurt 1990
H. Goebl, Die Sprachencharta des Freiburger Instituts. Ihre Entstehung und Bedeutung
inner- und außerhalb der Schweiz. In: Die slawischen Sprachen 15(1988)23-76
Initiative Minderheitenjahr, Wege zu Minderheiten in Österreich. Wien 1993
G. Neweklowsky, Kärntner Deutsch aus slawistischer Sicht: zum deutsch-slowenischen
Sprachbund in Kärnten. In: Germanistische Linguistik 101-103(1990)477-500
Österreichische Rektorenkonferenz, Bericht der Arbeitsgruppe „Lage
und Perspektiven der Volksgruppen in Österreich“. Wien 1989
A. Ogris, Siedlungsgeschichte und Namenkunde am Beispiel des Kärntner Rosentales.
In: Carinthia I 166(1976)155ff.
H.-D. Pohl, Die Slowenen in Kärnten. In: Die slawischen Sprachen 21 (1990) 115-140
--, Die Bedeutung
des Slowenischen für die Dialektologie und Onomastik Kärntens (und Osttirols).
In: Die slawischen Sprachen 27(1991)147-163
--, Die Bedeutung
des Slowenischen für die Deutsch-Kärntner Mundart. In: Dialekte im Wandel (ed.
A. Weiss, Göppingen 1992)157-169
[zurück: http://members.chello.at/heinz.pohl/Namengut.htm]
© Heinz-Dieter
Pohl (1993/94, 2017)