Ethnophaulismen
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oder Namenkunde bzw. Namengut
Unter Ethnophaulismus (von griechisch ethnos ‘Volk’ und phaulos ‘schlecht, untauglich, gemein, schlimm’) versteht man ein Schimpfwort
für Angehörige eines anderen Volkes oder Landes. Alle Sprachen und Dialekte
verfügen über derartige Ausdrücke, die bis zu einem gewissen Grad in der
jeweiligen Geschichte und im kollektiven Erleben der jeweiligen Gesellschaft
begründet sind, worauf dann die gängigen Vorurteile beruhen. So gibt es im
österreichischen Deutsch Ethnophaulismen zunächst für die Preußen, dann übertragen auf die (einst) Reichs- bzw. (heute)
Bundesdeutschen (Piefke), weiters
für die Tschechen (Böhm’, Aussprache
[pem]), Polen (Polák), Kroaten (Krawótt, genauer [krawåʹt]),
Italiener (Katzelmacher, Itaker) und Südosteuropäer (Tschusch). Dazu kommen auch einige
Spitznamen aus der Soldatensprache wie Tommy
für ‘Engländer’ oder Iwan für
‘Russen’. Auch innerösterreichische abfällige Bezeichnungen kommen vor, z.B. Mostschädel für ‘Oberösterreicher’ oder
Weaner Bazi für ‘Wiener’ bzw.
der/die G’scherte (v.a. in Wien für)
‘Nicht-Wiener’ (eigentlich ‘Landbewohner’). Nicht für alle Einwohner und
Nachbarn gibt es entsprechende Ausdrücke (z.B. für die Ungarn oder Tiroler).
Hier nun einige (österreichische)
Ethnophaulismen:
Böhm’, Aussprache [pem]
‘Tscheche’: eigentlich mundartlich für Böhme ‘Einwohner von Böhmen’ und dann
auf alle tschechischen Einwohner der Länder der böhmischen Krone übertragen.
Für die seit den 20er Jahren so genannten Sudetendeutschen gab es gemäß ihrer
geographischen Randlage folglich die Bezeichnung Randlböhm’ ‘Rand-Böhmen’, insbesondere seit dem „Anschluss“. – Es
ist sehr oft eine mundartliche Form, die dann in der Verkehrssprache scherzhaft
oder pejorativ verwendet wird (auch mundartlich Weaner für ‘Wiener’ gilt heute als Spitz- oder Schimpfname). Davon:
böhmakeln [pémakln] ‘mit einem
starken tschechischen Akzent sprechen’ (auch scherzhaft). In Mähren (insbesondere
Brünn/Brno) „böhmakelten“ zur Zeit der Monarchie (und danach) auch viele
Deutsche, weil das tschechische Dienstpersonal so sprach und dies nicht ohne
Folgen blieb. Hingegen sprach man in der Hauptstadt Prag das „reinste Deutsch“,
wie man damals meinte. – Auf die besonders in Wien zahlreichen Familiennamen
tschechischer Herkunft hat der Kabarettist Georg Kreisler seine
„Telefonbuchpolka“ gemünzt, ein Auszug:
Alle meine Freund' stehn drin,
und zwar auf Seite "V":
Vondrak, Vortel, Vyplaschil,
Vojtek, Vozek, Vymlatil,
Viora, Vrabl, Vrtilek,
Vikolasch,Vrazek, Vyhnalek,
Vreca, Vrba, Vykotil,
Vrablicz, Vuzem, Vyskocil,
Vocheletschka, Vukelic,
Vratschko, Vukasinowitsch, …
Fahrradlberg ist eine auf den
bekannten österreichischen Dichter H.C. Artmann zurückgehende Scherzform für
Vorarlberg. Die amtliche Aussprache dieses Bundeslandes ist [for-árlberk], die
umgangssprachliche [fåʹra(r)lberk],
mundartnah [fåʹra(d)lbeǝk], und
letzteres kann man dann eben Fahrradlberg
schreiben. Literarisch hat dies H. C. Artmann
so gestaltet:
Mein Vaterland Österreich
Österreich bestand ehedem
aus den folgenden Ländern:
dem Erzherzogtume Österreich
dem Herzogtume Steyermark,
der gfürchteten Grafschaft Tyrol
nebst Vorarlberg,
dem Königreiche Böhmen,
der Markgrafschaft Mähren,
dem österreichischen Anteil an Schlesien,
dem Königreiche Illyrien,
dem Königreiche Galizien und Lodomerien,
dem Lombardisch-venezianischen Königreiche,
dem Königreiche Ungarn mit seinen Nebenländern
Slawonien, Kroatien und Dalmatien
und dem Grossfürstentume Siebenbürgen.
Heute besteht Österreich
aus den Ländlein:
Wien
Niederösterreich
Oberösterreich,
Salzburg,
Tirol,
Fahrradlberg,
Kärnten,
Steiermark
und dem Burgenland.
Tu, felix Austria, juble und jodle!
G’scherte (der/die): so heißen
in Wien alle Nicht-Wiener, insbesondere die Landbevölkerung; von bair.-österr. geschert ‘bäuerisch, tölpelhaft, naiv,
unkultiviert’. Auch in Bayern wird das Wort im Sinne von ‘Provinzler’
verwendet, doch sonst auch ganz allgemein gebraucht. Im Süden Österreichs
werden auch die Wiener mitunter G’scherte genannt.
Gsiberger ist eine scherzhafte
Bezeichnung für die Vorarlberger, zusammengesetzt aus mundartlich-alemannisch gsī ‘gewesen’ (aus altem
*
gesīn,
was ein nhd. *gesein ergeben hätte)
und Berg vom Grenzberg Arlberg.
Jugo war als Kurzform für
Jugoslawe in Gebrauch und wurde mitunter auch abfällig verwendet, ist aber mit
dem Verschwinden des Staates kaum noch üblich.
Katzelmacher, Itaker: beide sind abwertende
Bezeichnungen für die Italiener. Katzelmacher
(auch Katzinger) ist älter und zu
italien. cazza ‘Kelle’ zu stellen,
das in deutsche Mundarten als Gåtze(n),
Gatzl ‘Schöpfkelle, -löffel’ entlehnt
wurde; die Bezeichnung bezieht sich auf Gegenstände, die von aus Italien kommenden
Hausierern vertrieben wurden. [Hornung 536] – Itaker ist eine jüngere abwertende
Kurzform zu Italiener.
Krawótt, genauer [krawåʹt]
‘Kroate’: d.i. die mundartliche Form (wie bei Böhm’ und Polák). Die
Eigenbezeichnung ist Hrvat, die
ungarische Horvat.
Mostschädel ist eine eher
scherzhafte Benennung der Oberösterreicher, die auf deren Vorliebe für den
Most, eine Art Apfelwein (oft mit Birnenzusatz), aus dem Mostviertel, alte
Bezeichnung für die Gegend um den Ennswald im westlichen Niederösterreich um
Amstetten und Seitenstetten, heute auch eine allgemeine Bezeichnung für die
mostreichen Landschaften im Inn-, Hausruck- und Traunviertel in
Oberösterreich..
Piefke zunächst für die
Preußen, dann übertragen auf alle (einst) Reichs- bzw. (heute) Bundesdeutschen.
Das Wort Piefke ist in Österreich
üblich seit der Schlacht bei Königgrätz 1866, als bei der
preußischen Siegesparade auf dem Marchfeld der neu komponierte „Königgrätzer
Marsch" von Gottfried Piefke aufgeführt wurde. Der Ausruf „Die Piefkes
kommen!" war aber schon früher in Frankfurt an der Oder und in Berlin zu
hören, wenn ein Konzert angekündigt war, auf dem die beiden preußischen
Militärmusiker, die Brüder Gottfried und Rudolf Piefke die
Kapelle dirigierten. – Der Name kommt von einem Familiennamen polnischer
Herkunft, etwa Piwka, in einem
lateinischen Krakauer Dokument von 1390 als Pifka
und in einem deutschen Lemberger Dokument von 1445 als Piwke bezeugt, woraus zu schließen ist, dass Piwka von deutschen Ostsiedlern eingedeutscht wurde und die Urform
von Piefke ist. „Piefke“ war auch
eine Berliner Witzfigur. Das Wort kommt von piwo
ʻBierʼ. – Eine weitere
spöttelnde Bezeichnung für die reichsdeutschen Soldaten im Ersten Weltkrieg war
Marmeladinger, denn diese mussten auf
Butter und Schmalz verzichten und sich mit billigem Fruchtmus als Brotaufstrich
begnügen. Sie trugen dies mit grimmigem Humor und nannten die Marmelade
„Hindenburgfett“ und „Heldenbutter“. Ein „einrückend gemachter“ Münchner Kabarettist
verfasste das Spottlied „Marmelade, Marmelade / Ist der beste Fraß / Im
deutschen Staate...“. Die Österreicher verspotteten ihre Verbündeten als
„Marmeladinger“ oder „Marmeladebrüder“ – entweder weil sie sich gleichfalls
über die Marmelade als Fettersatz lustig machten oder weil sie glaubten, die
Reichsdeutschen seien begeisterte Marmeladeverzehrer. [Nach Mally 1974 sowie
1983/84, 314f. und Mally 1974, 279 sowie jetzt zusammengefasst 2010, 147f.]
piefkinesisch verwendet man für
das in Deutschland am meisten verbreitete nördlich
gefärbte Deutsch, Piefkei oder Piefkonien sind abfällige Bezeichnungen
für Deutschland. Dazu s.a. hier.
Polák ‘Pole’: d.i.
eigentlich die Eigenbezeichnung (poln. polak,
allerdings mit der Betonung auf der ersten Silbe [pólak], Plural polacy [polátsy]), die im Deutschen zum
Ethnophaulismus wurde; sie kommt auch als Familienname Pol(l)ak vor.
pracken ist ein Alt-Wiener
Wort für ‘mit einem starken tschechischen Akzent sprechen’ bzw. auch ‘tschechisch
sprechen’; gilt derber als das Synonym böhmakeln.
Das Wort ist eine Variante von prägen
in der Bedeutung ‘schlagen, klopfen’.
Slowener ist eine mundartliche Aussprache von Slowene und wird auch als mundartlicher
Plural empfunden, der heute fast nur mehr abfällig gebraucht wird – gutes
Beispiel dafür, wie mundartliche Bezeichnungen zu Schimpfwörtern absinken.
Stierwascher ist eine scherzhafte
Bezeichnung für die Salzburger. Sie
soll mit dem Salzburger Stier, der
Bezeichnung des Hornwerks auf der Feste Hohensalzburg zusammenhängen. Dieses
besteht aus 200 zinnernen Pfeifen und ist die einzige erhaltene alte Freiorgel
in Österreich (besteht seit 1502).
Stoasteirer (genauer [štõʹãštairǝ]) ist eine scherzhafte Bezeichnung für jene
Steirer, die den typisch oststeirischen Dialekt (mit seinen zahlreichen
Diphthongen) sprechen.
Tschusch siehe unten und hier
welsch ist eine alte
Bezeichnung für ‘romanisch, (in Österreich und Südtirol) italienisch, (in der
Schweiz) französisch’, so heißt der Trentino auch Welschtirol, ähnlich die französische Schweiz die Welschschweiz oder auch Welschland.
Daneben existiert in der Mundart die ältere Bezeichnung walisch, die v.a. in Kärnten auch abfällig für die Italiener verwendet
wird. Es handelt sich dabei um ein altes Wort, das von Walch ‘Romane’ abgeleitet ist. Es liegt auch der Eigenbezeichnung Wallonen für die französisch-sprechenden
Belgier zu Grunde.
Weaner
Bazi
ist eine wenig schmeichelhafte Bezeichnung für die Wiener bzw. die Bewohner der
Bundeshauptstadt, vgl. bair.-österreich. Bazi
‘(etwa) Kerl, Schlingel, Lump, Taugenichts’ (Kurzform zu einem Personennamen,
wohl zu den Eisheiligen, die mundartlich die drei Lumpazi (Bazi) bezeichnet
werden, vgl. auch Nestroys Lumpazivagabundus).[ Hornung 110f.]
Windisch ist die alte
deutsche, mundartliche Bezeichnung für die Slawen, später für die Slowenen.
Mundartliche Volksbezeichnen steigen oft zu Ethnophaulismen ab, vgl. auch
serb.-kroat. švabo, Femininum švabica für ‘Deutsche(r) und
deutschsprachige Österreicher’ (eigentlich ‘Schwabe’), das als Schimpfwort
gilt; im Slowenischen heißen so auch die ‘Küchenschaben’, vergleichbar den
‘Russen’ in norddeutschen Gegenden. Doch windisch
hat – im Gegensatz zu walisch
‘romanisch, italienisch’ – die Spezialbedeutung ‘heimattreuer slowenisch
sprechender Kärntner, der sich nicht als Nationalslowene fühlt und politisch
zur Mehrheitsbevölkerung tendiert’ angenommen (ist heute aber obsolet
geworden), im Slowenischen heißt der sogenannte ‘Windische’ nemčur oder nemškutar ʻ(etwa) Deutschtümler’. In gewissen Kontexten gilt
aber windisch als abwertend, so z.B.
in der Bedeutung ‘schlechtes (fehlerhaftes) Deutsch’, oder verstärkend in
Verbindung mit anderen Schimpfwörtern. Die Kärntner National-Slowenen wurden
jedenfalls nicht so bezeichnet, eher wurden sie als Tito- oder Jugo-Freunde
verunglimpft und mitunter auch – wie die anderen Ex-Jugoslawen – mit dem
Schimpfwort Tschusch bedacht.
Das bekannteste (und arge Schimpf-) Wort ist
aber Tschusch
und somit der österreichische Ethnophaulismus schlechthin. Seine (Grund-)
Bedeutung ist ‘Angehöriger eines südosteuropäischen (Balkan-) oder
orientalischen Volkes, mitunter auch anderer Volksgruppen’, grundsätzlich
pejorativ, nicht scherzhaft. Das Wort ist in Bosnien mit der Okkupation 1878
aufgekommen; in Kärnten wurde es in der Zeit des so genannten Abwehrkampfes
(1918/1920) hauptsächlich für die südslawischen Truppen des SHS-Staates und für
„jugoslawisch“ gesinnte Slowenen verwendet, weniger für die Slowenen allgemein,
für Kärntner Slowenen kaum. Diese Wortbedeutung kommt in einem Spottgedicht von
Hugo Moro aus dem Jahre 1920 deutlich zum Ausdruck:
Geht’s furt, jo! alle marsch,
lei gschwind –
Dös gottverdammtn Tschuschn
Mir lass ma unser Hamatland
von enk uns nit
verpfuschn!
[zitiert
nach Priestley 111. Worterklärungen; lei = ‘nur’; dös = ‘ihr’ (südbairisch des, dös
statt mittelbairisch es, ös); lass
ma = ‘wir lassen’ (mit suffigiertem und abgeschwächtem -mir ‘wir’, wie in Kärnten allgemein); enk = ‘euch]
In einem anderen Spottgedicht „Der
Spatzenschreck (Eine lehrreiche Fabel)“ heißt es (erste Strophe):
Zum Kärntner Spätzlein spricht der Spatz:
Was gab es doch für einen Schrecken,
Als vor’ges Jahr am gleichen Platz
Der Tschusch uns
drohte mit dem Stecken!
[aus: Aus: Die Kärntner Landsmannschaft Nr. 57 (3. Juli 1920)]
In Kärnten ist es heute eindeutig als
pejoratives Wort für ‘Südslawe’ zu bezeichnen [Pohl 1994,141 u. 2007, 173; der
eigentliche „Kandidat“ für ein Schimpfwort wäre eher windisch, s.o.)]. In Wien war das
Wort als Bezeichnung hauptsächlich für Jugoslawen und andere Einwohner der
Balkan-Halbinsel in Gebrauch, wurde aber dann ab den 1960er Jahren zunehmend
für Gastarbeiter (v.a. aus dem ehemaligen Jugoslawien und später auch der
Türkei) verwendet. In den ehemaligen (sogenannten) Sudetenländern wurden auch
Ungarn und Tschechen als Tschuschen
bezeichnet. Die weibliche Form dazu ist Tschuschin
(meist) ‘Gastarbeiterin’, daneben kam auch Tschuschien
‘Jugoslawien, Balkan’ vor. Ursprünglich war Tschusch
in der Soldatensprache für die Einwohner Bosniens, später für südslawische
Militärpersonen üblich (daher eben auch für die jugoslawischen
Besatzungstruppen in Kärnten 1918/20), die Ableitung Tschuschack für die Einwohner Galiziens. Nach anderen Angaben soll
das Wort schon beim Bau der Südbahn verbreitet gewesen sein (nach 1860 [so
Wehle 277], was aber eher unwahrscheinlich ist).
Mir persönlich ist dieses Wort erstmals auf
meiner Maturareise nach Griechenland im Jahre 1962 bewusst geworden, und zwar
auf der Bahnfahrt durch Jugoslawien, die damals eher unbequem war (überfüllte
Wagen trotz Reservierung, stundenlange Verspätungen u.dgl.); die vielfach als
„(Druck-) Fehler“ gesehene Form Tschutschen
ist mir als Nebenform aus der damaligen Zeit geläufig. In meiner
Mittelschulzeit kann ich mich jedenfalls nicht erinnern, dieses Wort jemals
gehört zu haben. Wenn man von Jugoslawen sprach, sagte man damals eher „Jugos“,
v.a. beim Fußball. Gastarbeiter gab’s zu der Zeit ja noch nicht. Das Wort fehlt
auch in den Mundartbüchern von Schuster-Schikola und Jakob, was nahe legt, dass es damals noch nicht zum
Grundbestand des mundartlichen Wortschatzes zählte.
Die
Verbreitung des Wortes Tschusch wird
heute hauptsächlich mit dem östlichen und südlichen Österreich angegeben,
früher galt dies u.a. auch für Brünn (Brno) und andere deutschsprachige
Gegenden der Länder der Böhmischen Krone. Außerhalb Österreichs wird das Wort
nicht verwendet, im Westen des Bundesgebietes ist es nur durch Rundfunk und
Fernsehen bekannt geworden, gehört aber nicht zum aktiven Wortschatz. In
Deutschland ersetzt unseren Tschuschen das Wort Kanake, die zum Ethnophaulismus gewordene ursprüngliche Bezeichnung
für die Südseeinsulaner (aus polynes. kanaka ‘Mensch’
[Kluge 464, Tschusch fehlt]).
Die Herkunft
dieses Wortes ist bis heute nicht zur Gänze geklärt, es gibt zwar eine Reihe
von Vorschlägen mit mehr oder weniger Wahrscheinlichkeit; in letzter Zeit ist
aber ein neuer Aspekt in die Diskussion eingebracht worden (5), der uns
eindeutig einer Lösung näher gebracht hat.
(1) Nach WBÖ 5, 808f. aus serb.-kroat. čuješ ‘hörst du?’ (vom Verbum čuti, čujem] im Sinne von ‘verstehst du / verstehen Sie mich?’.[ähnlich
Priestley, Wehle 277 und Steinhauser 144f. sowie Mally 1973]. Dagegen spricht,
dass im Deutschen kein Diphthong – wie in der ungarischen Entsprechung csues [čueš] – vorliegt (ein
deutsch-mundartliches *tšuǝš
o.ä. wäre ja vorstellbar), außerdem ist das serbische und kroatische Normalwort
für ‘hören, zuhören, horchen’ eher slušati. čuti
hat zwar auch die Bedeutung ‘hören (im Sinne von erfahren)’ und als zweite
(ursprüngliche) Bedeutung ‘fühlen’. Trotzdem erklärt Skok [I 344f.] das ungar. csues so, zu deutsch Tschusch äußert er sich leider nicht. Ein literarisches Zeugnis
für diese Erklärung findet sich bei A.J. Storfer, Wörter und ihre Schicksale,
Berlin u. Zürich 1935, S. 195: „Die
Soldaten südslawischer Nationalität wurden im österreichisch-ungarischen Heere,
besonders von den Ungarn, als Tschuesche bezeichnet, nach dem Zuruf čuje
hör zu“. Ähnliche Angaben findet man bei W. Rohrbach in „Auf den Spuren der
Serben Wiens“ (in: Wiener Geschichtsblätter 56 [2001] 3, 186 f.) über čuješ: „ein Zuruf der in Hörweite voneinander patrouillierenden serbischen
Wehrbauern, die im 18. Jahrhundert an der österreichisch-türkischen Grenze am
Balkan ihren Dienst versahen. Unter Kaiser Karl VI. wurden sie seit 1728 auch
dazu eingesetzt, die Monarchie vor dem Einbruch der Pest mit einer militärisch
besetzten Sperrlinie, dem Kordon, schon an der Grenze zu schützen. Verdächtige
Personen, die an der Grenze gefasst wurden, kamen zur Desinfektion und
Reinigung in sogenannte Kontumazanstalten. Die Wiener Bürger waren natürlich
nicht gerade erfreut, wenn sie – ob als Händler oder Reisende – an der Grenze
von einem Wehrbauern, dem ‘Tschusch’, kontrolliert wurden.“ Diesen Ausführungen ist ergänzend
hinzuzufügen, dass nicht nur die serbischen, sondern auch die kroatischen Wehrbauern
an der Militärgrenze čuješ riefen.
Ein Beleg für diese Erklärung ist auch aus dem Ersten Weltkrieg bezeugt: A.
Höllriegel [d. i. R. A. Bermann], Im Steinmeer. In: Der Kaiser rief.
Kriegsnovellen aus Österreich-Ungarn, hrsg. v. Ella Triebnigg, Stuttgart 1916,
S. 100 f.: „Bevor die Montenegriner
angreifen, geht auf ihren Bergen ein Schreien los, von Gipfel zu Gipfel: Marko,
tschuesch? Petar, tschuesch? Nach diesem Wort ‘tschuesch’ nennen wir sie halt
die Tschuschen. Wir sind für sie die Schwabas. Vier Nationalitäten habe ich in
meiner Kompagnie, auch Serben, und es sind nicht die schlechtesten Leute, aber
für die Tschuschen sind und bleiben wir Schwabas und basta.“ [Zitiert bei H. Wock, Beiträge zum Wörterbuch der
Soldatensprache. In: Mitteilungen der Schlesischen Gesellschaft für
Volkskunde 26 (1925) 138. Mitgeteilt von Mally 1973]
Hinweis: die traditionelle Bezeichnung serbokroatisch (für die gemeinsame Sprache der Serben und Kroaten)
ist obsolet geworden; im Jahre 1850 wurde im sogenannten Bečki dogovor ‘Wiener Abkommen’ zwischen serbischen und
kroatischen Philologen vereinbart, eine gemeinsame serbokroatische bzw.
kroatoserbische Schriftsprache auf Grundlage der Grammatik und des Wörterbuches
von Vuk Karadžić einzuführen. Diese Schriftsprache – ganz einheitlich war sie nie, sie wies immer nationale
Varietäten und zwei Alphabete auf – galt bis zum Zerfall Jugoslawiens
(1991/92). In den letzten 20 Jahren wurden Kroatisch, Serbisch und Bosnisch zu
eigenen Schriftsprachen erklärt und durch entsprechende amtliche Regelungen
normiert und daher voneinander entfernt. Als vierte Schriftsprache kommt
neuerdings Montenegrinisch hinzu. Linguistisch gesehen sind alle 4
Schriftsprachen Varietäten ein und derselben Sprache auf Basis der sogenannten
štokavischen Dialektgruppe, der eine ähnliche Stellung zukommt wie dem
„Hochdeutschen“ im gesamtdeutschen Sprachgebiet. Nur die Kroaten sprechen auch
čakavische (im Westen) und kajkavische (im Norden) Mundarten; Slowenisch
ist eine eigenständige südslawische Sprache, wie auch das Makedonische
(dialektologisch und historisch ein Ableger des Bulgarischen).
(2) Nach Teuschl 234
komme Tschusch aus russ. čužoj ‘fremd’. Dagegen spricht,
dass das Wort nicht im ostslawischen Bereich aufgekommen ist, sondern im Süden,
wo das damit verwandte Wort tudji, tuđi lautet (beide Varianten gehen
gemeinsam mit russ. čužoj auf
urslaw. *tjudj- / *tudj- zurück, entlehnt aus german. þiuda ‘Volk’, womit auch german. þiudisk zusammenhängt, worauf auch
italien. tedesco ‘deutsch’ beruht und
woraus unser deutsch entstanden ist).
(3) Nach Hornung
287f. handelt es sich um ein orientalisches Wanderwort für ‘Dummkopf’, das auch
in andere Sprachen gelangt ist, z.B. furlan. zus (eigentlich ‘Euleʼ, italien. civetta’), slowen. čuž, čuš. Nach Priestley 125f. kommt als Erklärung sowohl (1) als auch
dieses (3) in Frage.
(4) Weiters gibt es
ein türkisches Wort (heute so geschrieben:) çavuş ‘Ausrufer;
Unteroffizier; (auch) Wiedehopf’, ins Serbische als čauš entlehnt, bei Karadžić als ‘der Tschausch bei der Armee, bei
Hochzeiten’ übersetzt, also eine Person mit Rang bzw. amtlicher Würde. In DUDEN
Fremdwörterbuch ‘(türkischer) Leibgardist, Unteroffizier, Amtsvogt;
(serbischer) Spaßmacher bei einer Hochzeit’. Davon u.a. der rumänische
Familienname Ceauşescu. Das Wort Tschusch
ist übrigens bei GRIMM nicht enthalten.
(5) Herbert Michner
hat Robert Sedlaczek, den Verfasser des populärwissenschaftlichen Buches „Das
österreichische Deutsch“ auf folgenden Umstand aufmerksam gemacht: es gibt ein
gut belegtes kroat.-serb.-bosnisches Wort ćuš
(kyrillisch ћуш) bzw. ćuš-ćuš (ћуш-ћуш).
Es ist in den gängigen Wörterbüchern enthalten, u.a. bei Skok I 366 (ćuš-ćuš) und bei Karadžić 763 (ћушe ćuše). Es handelt sich bei diesem
Wort um einen Ruf, mit dem man ein Tragtier antreibt oder auch ein Tier
vertreibt, also verscheucht. Dieser Ruf wird auch heute noch in den
Nachfolgestaaten Jugoslawiens verwendet, um beispielsweise einen Hund aus dem
Zimmer zu jagen. Ähnliche Laute verwenden auch wir, um ein Tier zu vertreiben: gsch! Außerdem wird das Wort ćuš auch als eine Art Nomen agentis
verwendet und bedeutet dann soviel wie ‘Treiber’. In dieser Bedeutung ist
Tschusch in zahlreichen deutschen Texten zu finden, in denen es um die
Besetzung von Bosnien und der Herzogowina (1878) geht. Hier einige Beispiele,
so z.B. V. Kahlig, Vor 20 Jahren, Graz, Leykam 1902: „In aller Eile wurde die Verpflegung auf fünf Tage gefasst
(Reservemunition) und um 4 Uhr nachmittags stand das Bataillon marschfertig vor
den Zelten. Es wurde jedoch 7 Uhr, bis wir abrücken konnten ... wegen Mangels
an Tragtieren. Was leicht zu haben war, hatten die Jäger mitgenommen, und es
gelang nur mit Anwendung von Gewalt, die von den Türken (gemeint sind die
moslemischen Bosnier) in den umliegenden Kucen [= Plural zu serb.-kroat kuća ‘Haus’] versteckten
Tiere herauszubekommen, jedoch ohne Tschuschen (Treiber).“ Ein anderer
Beleg zeigt, dass der Name auch auf die Bevölkerung übertragen worden ist, so
z.B. K. F. Kurz, Österreichs Hort, 2. Band, Patriotische Volksbuchhandlung, Wien
1910, S. 89. Unter der Überschrift „Operationen und Gefechte der rechten
Flügelkolonne“ kann man lesen: „Auch die
christliche Bevölkerung drängte sich jetzt in ihrer bunten malerischen Tracht
neugierig heran, durchwegs friedliche Leute, für welche alsbald nach dem Zuruf,
mit welchem sie ihre Tragtiere anzutreiben gewohnt sind, der Name ‘Czuszen’ [zu
lesen tšūʹšǝn] unter
unsern Truppen gang und gäbe wurde.“ Und nun ein Ausschnitt aus einem Text,
offensichtlich eine Erzählung, hier wird der Ausdruck dazu verwendet, um eine
Hirtin näher zu beschreiben: „Richtig,
dort ist ja die Hirtin; ein Tschutschenmädel, blond noch dazu, eine Seltenheit
hierzulande ... Neugierig staunt die Hirtin, die für herzogowinische Begriffe
sehr rein und nett ist, den Rehbock an. Bald plauderten sie lustig drauf los!“
Diese Belege stammen alle aus der Zeit um die Jahrhundertwende 1899/1900 und
sie beschreiben den Sprachgebrauch in den 1880er und 1890er Jahren. Ein
späterer Beleg findet sich bei R. Michel, Halbmond über der Narenta, Bosnische
Erzählungen, Wien/Leipzig, 1940: „Den
Getreidesack nahm Muharrem selbst auf die Schulter, dann rief er dem Esel ein
kräftiges „Tschusch“ zu, und dieser balancierte alsbald seine Last im
Paßschritt vorwärts.“
Meine Synthese aus den oben angeführten
Vorschlägen: Ich persönlich dachte bisher eher an eine lautnachahmende Bildung,
die spontan in Bosnien 1878 aufgekommen ist, bewirkt v.a. durch čauš ‘Ausrufer,
Unteroffizier’ (aus türk. çavuş),
čuješ ‘hörst du?’ und čuž, čuš ‘Dummkopf’. Lautlich
kommt man nämlich nur sehr schwer direkt von einem čuješ oder čauš.zu einem deutschen Tschusch (und ‘Dummkopf’ passt nicht so
recht). Dass das Wort an der Militärgrenze gebraucht wurde, ist klar – aber
seit wann? Belegt ist es erst seit der Zeit nach 1878 – oder genauer „vor
1918“, so die meisten Quellen und Nachschlagwerke. Daher scheint der zitierte
Hinweis von Dr. Michner, das Wort stamme von serb.-kroat.
ćuš (ein Zuruf an die
Zugtiere) die Lösung zu sein. Dieses Wort steht wegen seines ć- im
kyrillischen Alphabet (ћ) an einer ganz anderen Stelle als die viel
häufigeren mit č- (ч) beginnenden Stichwörter und ist wohl bisher übersehen
worden. Ich vermute daher eine spontane Bildung, die bei den Soldaten der
Österreichisch-Ungarischen Armee in Bosnien 1878 aufgekommen ist, bewirkt v.a.
durch das oben näher erläuterte ćuš-ćuš.
Mag
sein, dass dabei das bei den Ungarn geläufige csues mitgewirkt hat, psychologisch hat wohl auch der Klang des
Wortes (zwei Zischlaute, die volkstümlich den slawischen Sprachen als besondere
Eigentümlichkeit zugeschrieben werden) mitgespielt.
Ein zweites bosnisches Wort aus dieser Zeit
ist übrigens Hadschiloja, heute
veraltet, ein dunkles Kümmelweckerl (heute meist Bosniak oder Bosniakerl
bezeichnet), bis in die 30er Jahre auch für ‘Bierweckerl’ gebraucht. Diese
Bezeichnung geht auf den legendären bosnischen Freiheitskämpfer Hadži Loja (Salih Vijaletović) gegen die Okkupation durch die Österreicher
1878 zurück und stammt auch aus dieser Zeit. Das Synonym Bosniak hat sich bis heute gehalten, es ist ein ‘Kümmelweckerl aus
dunklem Mehl’, meist länglich, z.T. auch mit Salz bestreut, und bedeutet
eigentlich ‘Einwohner von Bosnien (serb.-kroat. bošnjak)’, zur Zeit der Bosnien-Okkupation per analogiam zu Pandur ‘längsgespaltenes Weißgebäck, mit
Salz und Kümmel bestreut’ (eigentlich ‘ungarischer Infanterist, besonders an
der österreichischen Militärgrenze / Vojna krajina stationiertʼ) gebildet
(vgl. WBÖ II 206 u. III 659).
Literatur
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man in Österreich? Wörterbuch des österreichischen Deutsch.
Mannheim-Leipzig-Wien-Zürich 1998, 3. Auflage.
FUSSY, H., Auf gut
Österreichisch. Ein Wörterbuch der Alltagssprache. Wien 2003.
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S., Wörterbuch der Wiener Mundart. Wien 2002, 2. Auflage.
JAKOB, J., Wörterbuch
des Wiener Dialektes mit einer kurzgefaßten Grammatik. Wien-Leipzig 1929.
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njemačkijem i latinskijem riječima [Serbisches Wörterbuch erklärt mit
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MALLY, A.K., Warum werden die Bundesdeutschen von Österreichern ,Piefke(s)'
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SCHUSTER, M. -
SCHIKOLA, H., Das alte Wienerisch. Wien 1996.
SEDLACZEK, R., Das
österreichische Deutsch. Wie wir uns von unserem großen Nachbarn unterscheiden.
Ein illustriertes Handbuch. Wien 2004.
SEDLACZEK, R., „Tschusch“ im Wandel der Zeit. In: Wiener
Zeitung, 15.2.2006.
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srpskoga jezika, knjiga prva [Etymologisches Wörterbuch der kroatischen oder
serbischen Sprache, erstes Buch]. Zagreb 1971.
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Slawisches im Wienerischen. Wien 1978, 2. Auflage.
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Dialektlexikon. Wien 1990.
WBÖ: Wörterbuch der
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Dialekt- und Namenlexika der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Wien
1963ff.
WEHLE, P., Sprechen
Sie Wienerisch? Von Adaxl bis Zwutschkerl. Wien 1980.
Für viele Hinweise zur Literatur danke
ich Herrn Dr. Hubert Bergmann (Wien), Dr. Anton Karl Mally (Mödling), Herrn Dr.
Herbert Michner (Wien) und Dr. Robert Sedlaczek (Wien).