„Piefkinesisch“
Einige grundlegende Bemerkungen zum österreichischen
Deutsch und eine Antwort auf „Die
Invasion des Piefkinesischen“
Am 27.12.2012
erschien in der „Kleinen Zeitung“ (Klagenfurt und Graz) folgender Artikel, auf
dem Titelblatt als „Die Invasion des
Piefkinesischen“ angekündigt mit einigen zusätzlichen Anmerkungen: „Geht
das Österreichische unter? Immer mehr Ausdrücke aus Deutschland sickern in unseren
Sprachgebrauch ein. (Klagenfurt) Seite 55 bzw. (Graz) Seite 24/25.“ Hier zum Bild . Wie mir von mehreren Seiten
berichtet wurde, haben einige Hoteliers und Gaststätten diese Ausgabe der
„Kleinen Zeitung“ vor ihren deutschen Gästen – so gut es eben ging – verborgen
(schließlich war ja Winter-Hochsaison).
Quark, ein echter Topfen
Immer mehr Ausdrücke aus
Deutschland sickern in unsere Alltagssprache ein. Ein Verlag reagiert jetzt mit
einem eigenen Gütesiegel.
Klaus Höfler
Ein Buch – zwei Titel: „Ein kleines Henderl will das Meer sehen“ heißt
eine Kinderbuch-Neuerscheinung, die dieser Tage in die Regale österreichischer
Buchhandlungen geschlichtet wird. In Deutschland ist der Titelheld der
ebenfalls vom jungen Wiener Ringelspielverlag herausgegebene Übersetzung der
französischen Bücherserie „Les P’Tites Poules“ dagegen „ein kleines Huhn“.
Österreichisches Henderl gegen deutsches Huhn: ein paradigmatisches
Duell zweier Länder, die laut Karl Kraus bekanntlich nichts so sehr trennt wie
die gemeinsame Sprache.
Für Christian Suppan, Chef des Ringelspielverlags, steckt aber mehr
dahinter als chauvinistisches Spiegelfechten. „Um den sprachlichen
Unterschieden gerecht zu werden“, habe er sich für die „aufwendige
Doppelgleisigkeit“ entschieden. Betont wird die Initiative mit einem eigens
kreierten neuen Gütesiegel am Buchumschlag, das vor allem Eltern bei
Kinderbüchern als Orientierungshilfe dienen soll.
Tatsache ist nämlich, dass sich die meisten Verlage konsequent am
(größeren) deutschen Markt orientieren. Rudolf Muhr, Leiter der
Forschungsstelle Österreichisches Deutsch an der Karl-Franzens-Universität in
Graz, sieht durch dieses „imperialistische Gehabe“ den rot-weiß-roten
Sprachschatz gefährdet. Er verweist auf Romane von Gerhard Roth und Josef
Haslinger, in denen von „Stechmücken“ statt Gelsen beziehungsweise einem
„Torwart“ statt Tormann die Rede ist.
Auch in der Alltagssprache schreite die „Verdeutschlandung“ voran.
Ausdrücke wie Paradeiser, Zippverschluss oder Nachtmahl seien „dabei zu
verschwinden oder bereits als Reliktformen anzusehen“, warnt Muhr. Der
Austausch von Wimmerl, Häuptelsalat und Häferl sei ebenfalls voll im Gang. Eine
Entwicklung, die vor allem durch Medien beschleunigt wird.
„Deutschland-Fixierung“
Der Wissenschaftler ortet ein „Minderwertigkeitsgefühl der Österreicher
in Bezug auf ihre Sprache“ und fordert auf Basis eines weltoffenen
Selbstbewusstseins eine Abkehr von „dieser Deutschland-Fixierung“.
Als Orientierungsraster hat Muhr zuletzt professionelle Radio- und Fernsehsprecher aus Deutschland, Österreich und der Schweiz Modelltexte aufnehmen lassen, um Ausspracheunterschiede festzumachen. Ungeschulte Ohren hören dabei bei Nachrichtensprechern über weite Strecken professionelle Gleichförmigkeit. Experten machen aber regionale Unterschiede zwischen den Bundesländern aus, die gerade im Radio auch bewusst eingesetzt werden, um regionale Verwurzelung zu zeigen und Nähe zur Lebenswirklichkeit des Hörers zu schaffen.
Genaue Regeln, wann Burgtheaterdeutsch und wann Dialekt
verwendet wird, gibt es (Nachrichtensendungen ausgenommen) aber nicht. „Das ist
Gefühlssache“, sagt Sepp Loibner, Moderator und Volkskulturchef im
ORF-Landesstudio Steiermark: „Da schaltet im Kopf ein imaginärer Schalter um.“
Als gemeinsame Grundbedingung bleibt, „dass man immer verständlich ist“.
Anschließend
folgendes Interview:
„Piefkinesisch
ist oft penetrant“
Der Literat Reinhard P. Gruber
über den Einfluss „Germaniens“
Sie haben ein „Piefke-Wörterbuch“
herausgebracht. Wie sind Sie bei der Recherche vorgegangen?
REINHARD P. GRUBER: Ich habe den Duden und andere Wörterbücher gelesen
und Ausdrücke und Phrasen angestrichen, die wir Österreicher nicht verwenden.
Sie haben auch Asterix-Hefte ins
Steirische übersetzt. Eine harte Arbeit?
GRUBER: Nein, es war ein großartiges und lustvolles Vergnügen, die
Mundart auszuloten und nach treffenden Formulierungen zu suchen.
Sind Bücher-Gütesiegel sinnvoll,
die auf die Verwendung von österreichischem Deutsch hinweisen?
GRUBER: Ich bin kein Purist und bringe mich nicht um, wenn ich
Piefkinesisch höre oder lese. Aber es ist schade, denn auch das Österreichisch
ist es wert, erhalten zu werden. Vor allem für uns Schriftsteller ist das
schwierig, weil die großen Verlage ja in Deutschland sind. Da muss man als
Autor aufpassen, was das Lektorat mit einem Text macht. Das hat mir zuletzt
auch Barbara Frischmuth bestätigt, deren Verlag in Berlin sitzt.
Sehen Sie das Österreichisch[e]
durch den Einfluss aus Deutschland in Gefahr?
GRUBER: Es ist eine Anpassung an die nächste Provinz – das ist eben
Germanien. Diese Assimilation lässt sich nicht verhindern, wobei Piefkinesisch
für mich oft unerträglich und penetrant ist.
Ist Piefkinesisch für Sie ein
Schimpfwort?
GRUBER: Nein. Aber wenn ich bei uns eine Schorle statt einem Spritzer
bestellen muss, dann beutelt es mich.
Die Übersetzungen sind ein
Zugeständnis des Tourismuslandes an seine größte Gästegruppe.
GRUBER: Aber es müsste sie nicht geben. Das müssen beide Seiten
aushalten können.
Interview: Klaus Höfler
Zum Begriff Piefke siehe Ethnophaulismen.
Leserbrief dazu an die „Kleine Zeitung“ am 27.12.2012
Sehr geehrte Damen
und Herren!
Ihr heutiger Titel „Die Invasion des Piefkinesischen“ ist überzogen (und einer
seriösen Tageszeitung unwürdig!) wie auch Muhrs Angaben und Feststellungen nur
teilweise zutreffen. Dass das typisch „österreichische“ und südlich bzw.
bairisch gefärbte Deutsch auf dem Rückzug ist, stimmt und das bedauere auch
ich. Mit Schimpfwörtern à la "Piefke" wird man dem nicht Einhalt
gebieten können, auch nicht mit falschen Beispielen, so ist „quatschen“ eher
unösterreichisch, bei uns sagt man „tratschen“ oder „ratschen“. Das
Pendant von „Hendl“ ist „Hähnchen“. Auch das Karl-Kraus-Zitat ist falsch,
dieses Zitat stammt nachweislich von Karl Farkas. Näheres unter http://members.chello.at/heinz.pohl/OesterrDeutsch.htm
sowie in der Beilage (ich melde mich nochmals am Wochenende). Bitte ggf. den
Leserbrief auch an Graz weiterleiten.
Vielen herzlichen
Dank!
Ihr H.D. Pohl
Am 30.12.2012 übermittelte ich folgenden Gastkommentar;
er wurde (meines Wissens) ebenso wenig veröffentlicht wie mein Leserbrief.
Zur Diskussion um das
österreichische Deutsch
Ihr Titel „Die
Invasion des Piefkinesischen“ (am 27.12.2012) war ein wenig überzogen. Auch
die Angaben und Feststellungen meines Kollegen Rudolf Muhr treffen nur
teilweise zu. Dass das typisch „österreichische“ (zusammen mit dem südlich bzw.
bairisch gefärbten) Deutsch auf dem Rückzug ist, stimmt und das bedauere auch
ich. Allerdings: mit Schimpfwörtern à la Piefke
wird man dem nicht Einhalt gebieten können, auch nicht mit falschen Beispielen,
so ist quatschen eher
unösterreichisch, bei uns sagt man eher tratschen oder ratschen. Das Pendant von (Brat-/Grill-) Hendl (als Speise) ist Hähnchen,
Huhn ist gemeindeutsch. Auch das
Karl-Kraus-Zitat („Was den Österreicher
vom Deutschen trennt, ist die gemeinsame Sprache“) ist falsch, denn dieses
Zitat stammt von Karl Farkas, der George
Bernhard Shaws Ausspruch „England and
America are two countries divided by a common language“ auf Österreich und
Deutschland umgemünzt und nachweislich in seinen Kabarett-Programmen verwendet
hat.
Österreichisches
Deutsch ist eine nationale Varietät der gemeinsamen
„hochdeutschen“ Schriftsprache, die sich von dieser durch einige sprachliche
Besonderheiten abhebt und in Österreich als Standardsprache zu
betrachten ist, wie sie im „Österreichischen Wörterbuch“ festgehalten sind.
Dieses wird an den österreichischen Schulen derzeit in der 42. Auflage benützt;
2011 konnte es den 60. Jahrestag seines Bestehens feiern. Erstmals erschien es
im Jahre 1951, um den korrekten in Österreich üblichen („hochdeutschen“, also
standardsprachlichen) Sprachgebrauch für unser Land zu dokumentieren
(einschließlich der Rechtschreibung) – also eine Art DUDEN für Österreich.
Schon zur Zeit der Monarchie hatte es in Österreich amtliche Wörterbücher
gegeben, die offiziell gebräuchliche „Austriazismen“ berücksichtigten, z.B. die
„Regeln für die deutsche Rechtschreibung nebst Wörterverzeichnis – zum
Gebrauche für Lehrer und Schüler“ herausgegeben vom k.k. Ministerium für Cultus
und Unterricht, letzte Auflage 1915. In der Ersten Republik hatte dieses
Schulbuch den gleichen Namen. Als Austriazismen bezeichnet man den Wortschatz, der im
außerösterreichischen deutschen Sprachgebiet als „typisch österreichisch“
wahrgenommen wird. 23 Begriffe wie Erdäpfel,
Eierschwammerl, Ribisel oder Powidl
wurden beim EU-Beitritt Österreichs im Protokoll Nr. 10 festgehalten, die parallel
zu den bundes- oder binnendeutschen Bezeichnungen (gleichrangig) zu verwenden
sind. Insgesamt gibt es aber eine weit größere Anzahl von Austriazismen, v.a.
in der Rechts- und Küchensprache. Dazu kommen einige Aussprachegewohnheiten
(wie Chemie, China als [ki-], nicht [chi-] oder -ig als [-ik], nicht [-ich], Betonung Kaffée, Mathemátik usw.).
Unter Hochdeutsch versteht man zwar im allgemeinen Sprachgebrauch die
deutsche Standardsprache, doch sprachwissenschaftlich gesehen betont hochdeutsch den Gegensatz zu niederdeutsch, denn Martin Luther hat
sich bei seiner Bibelübersetzung an den hochdeutschen
Mundarten orientiert und somit den Grundstein zur hochdeutschen Schriftsprache gelegt. Doch auch die in Österreich
(Bayern und der Schweiz) gesprochenen oberdeutschen
Mundarten sind „hochdeutsch“.
Das
Verhältnis zwischen dem Deutschen in Österreich und in Deutschland
(einschließlich des Freistaates Bayern und der Schweiz) ist allerdings ein sehr
verwickeltes. Die innerstaatlich verlaufende Kommunikation, bedingt durch die
Eigenstaatlichkeit (spätestens seit 1866/71, aber schon seit der zweiten Hälfte
des 18. Jhdts.) ließ einerseits die „staatsräumlichen Austriazismen“ der Amts-
und Verwaltungs- bzw. Küchen- und Mediensprache entstehen und lieferte andererseits
den Rahmen dazu, dass süddeutsche und bairische Besonderheiten in unserem Lande
ihre Position gegenüber binnen- und bundesdeutschen Varianten besser behaupten
konnten als etwa im Freistaat Bayern (diesen schreibt man mit y, bairisch
mit i meint aber den Dialekt). Dazu
kommt die Randlage Österreichs im Süden des deutschen Sprachgebietes und
Randgebiete sind bekanntlich konservativer als Binnenräume. Diesem Umstand ist
der Erhalt von älteren Wörtern und Wendungen zu verdanken wie z.B. Jänner ‘Januar’ oder heuer ‘in diesem Jahr’; in der
Redewendung jemandem etwas zu Fleiß tun
‘absichtlich bzw. vorsätzlich jemandem Ärger bereiten oder Schaden zufügen’ ist
die alte Bedeutung von Fleiß ‘Streit,
Eifer, Gegensatz’ erhalten.
Entscheidend
war aber für Österreich die Einbindung in die einheitliche gesamtdeutsche
Standardsprache seit dem 18. Jhdt., die einerseits die areale Gliederung des pluriarealen
deutschen Sprachgebietes nach den
dialektalen Großräumen reflektiert (in Österreich im Kleinen, in Deutschland
im Großen), andererseits die deutschen Großdialekte überdacht und damit die
Kommunikation sicherstellt. Die plurizentrische Gliederung des deutschen
Sprachgebietes nach den drei Staaten Deutschland, Österreich und der Schweiz
ist sekundär, historisch jünger und reflektiert die neuzeitliche politische
Entwicklung, hat aber bisher keine geschlossenen Sprachräume nach den
Staatsgrenzen schaffen können, zumindest nicht auf Ebene der allgemeinen
Verkehrssprache. Die grammatikalischen Abweichungen sind marginal. Das österreichische Deutsch ist kein
besseres und kein schlechteres, sondern einfach ein in gewissen Bereichen anderes Deutsch; es ist auch kein
„liebenswürdigeres“, „weicheres“, „runderes“ und auch kein „schlampigeres“
Deutsch − dies sind oft zu hörende subjektive Einschätzungen. Es gibt
auch nicht sehr viele österreichische Wörter, die in Deutschland nicht
verstanden werden, sondern bestenfalls ein paar Dutzend, das meiste findet sich
auch in den anderen süddeutschen Regionen, v.a. in Bayern. Die österreichische
Staatsgrenze zu den anderen deutschsprachigen Regionen ist keine Sprach- oder
Mundartgrenze, sondern bloß eine politische, die sich nur auf sprachliche
Erscheinungen des öffentlichen Lebens beschränkt, also österreichisch und schweizerisch Nationalrat gegenüber „deutsch“ Bundestag, österreichisch Matura,
schweizerisch Matur gegenüber deutsch Abitur,
deutsch und österreichisch Führerschein gegenüber
schweizerisch Führerausweis usw. Sonst trinkt man seine Maß Bier in
München wie in Salzburg und sammelt Schwammerln in Bayern wie in
Österreich (usw.).
Dies alles lässt sich
nun verschieden beurteilen. In der österreichischen Sprachwissenschaft haben
sich hier mehrere – wie ich das nennen möchte – Denkschulen herausgebildet.
Zwar besteht bezüglich der arealen (räumlichen, mundartlichen) Vielfalt des
Deutschen in der Fachwelt bis zu einem gewissen Grad Konsens und dieser ist
dadurch geprägt, dass die deutsche Sprache eben in verschiedenen Staaten
gesprochen wird und somit mehreren Nationen bzw. staatlichen Gemeinschaften als
Kommunikationsmittel dient. Darüber hinaus stimmen die politischen Grenzen
zwischen den einzelnen deutschsprachigen Ländern nicht mit den Arealen der Großdialekte überein, daher ergeben
sich für das Deutsche zunächst drei Einteilungskriterien: ein „plurinationales“
nach den Nationen („mindestens trinational“), ein „pluriareales“ nach den
Hauptmundarten und ein
„plurizentrisches“ nach den Zentren der
einzelnen Staaten (bis hinunter zu den Verwaltungszentren der einzelnen
Länder). Allerdings vermengen die meisten Vertreter des plurizentrischen
Ansatzes diesen mit dem plurinationalen oder setzen beide gar gleich. Dies
trifft v.a. auf den österreichischen Germanisten Rudolf Muhr zu (er schreibt
„Österreichisches Deutsch“ wie einen Eigennamen), der eine „österreichische“ Varietät der „deutschländischen“
gegenüberstellt und dabei einer Auseinandersetzung mit der österreichischen
und bundesdeutschen sprachlichen inneren Gliederung weitestgehend aus dem Wege
geht. Eine Kombination des pluriarealen mit dem plurizentrischen Konzept
hingegen (von mir bevorzugt) unterstreicht einerseits die österreichischen
Besonderheiten und andererseits die zahlreichen Gemeinsamkeiten mit dem ganzen
süddeutschen bzw. bairischen Sprachraum; beide sind nicht isoliert zu sehen,
sondern erst deren Summe macht das aus, was man „österreichisches Deutsch“
nennen kann. Daher sehe ich das österreichische Deutsch als eine historisch
durch Eigenstaatlichkeit erwachsene nationale Varietät auf Grund des
plurizentrischen bzw. pluriarealen Standpunkts, da weder das österreichische
noch das bundesdeutsche Deutsch als homogen zu betrachten sind, vielmehr bin
ich der Ansicht, dass die areale Gliederung, wie sie für die BR Deutschland im
Großen besteht, sich im Kleinen in Österreich fortsetzt, wobei unbestritten
bleibt, dass manche Erscheinungen nur auf österreichischem Boden vorkommen,
diese aber nicht immer im ganzen Bundesgebiet. Denn
eine einheitliche „österreichische Sprache“ (analog zu der seit 1945 entstandenen und heute
gefestigten „(Staats-) Nation“) gibt es nicht; der Umkehrschluss „weil es
eine österreichische Nation gibt, muss es auch eine österreichische
Nationalsprache geben“ ist
nicht zulässig und darüber hinaus reine Ideologie und würde einen Rückfall in
den sprachorientierten Nationalismus bedeuten.
Man kann durchaus Vergleiche mit anderen Sprachen wie
Englisch, Französisch, Rumänisch, Niederländisch usw. ziehen, auch mit dem
Serbokroatischen, dieses ist jedoch ein eher abschreckendes Beispiel dafür,
zusammenhängende Sprachräume durch genormte nationale Varietäten auseinander
zu dividieren. Die durch das „Wiener Abkommen“ 1850 erreichte gemeinsame
serbokroatische Schriftsprache (mit Zulassung einiger regionaler Besonderheiten)
wurde (spätestens) seit dem Zerfall Jugoslawiens aufgegeben; heute haben wir
vier (eigentlich fünf) „verschiedene“ Schriftsprachen, nämlich Serbisch,
Kroatisch, Bosnisch und neuerdings auch Montenegrinisch (sowie
Burgenland-Kroatisch in Österreich, das immer schon eigene Wege ging).
Unter dem Titel „Der Jugend ist das österreichische Deutsch
powidl“ ist am 7. Juli 2012 ein Bericht in der österreichischen Tageszeitung „Die
Presse“ erschienen. Die junge Generation verwendet demnach zu einem Drittel
bundesdeutsche Bezeichnungen und typisch österreichische Ausdrücke werden –
wenn überhaupt – nur mündlich verwendet. Eine der Ursachen dafür sind u.a. auch Kinderbücher,
sogar solche, die in Österreich hergestellt werden und „bundesdeutsche“
Ausdrücke verwenden – wie auch das Kinderfernsehen, das man in Österreich
empfangen kann, denn dieses wird großteils in Deutschland produziert, wie dies
der Germanist Peter Wiesinger feststellt und was ich auf Grund eigener
Beobachtungen nur bestätigen
kann. Daher ist es sehr erfreulich, dass der Wiener Ringelspiel-Verlag jetzt
eine eigene Ausgabe für österreichische Kinder herausgebracht hat („Ein kleines Henderl will das Meer sehen“).
Mit ein Grund, warum die österreichische Varietät des Standarddeutschen
immer weiter zurückgedrängt wird, ist auch die „globalisierte Umwelt“: Der
jungen Generation ist der Unterschied zwischen „Norddeutsch“ und „Süddeutsch“ –
zu letzterem zählt ja das österreichische Deutsch – immer weniger bewusst. In
den Massenmedien (v.a. im Fernsehen und in der Werbung) überwiegt der
binnendeutsche, eher nördlich geprägte Sprachgebrauch. Dazu kommt der
fortschreitende Abbau der Mundarten. Dadurch entsteht
eine gewisse sprachliche Unsicherheit; mit einem „Minderwertigkeitsgefühl“
gegenüber Deutschland hat dies kaum etwas zu tun. Man müsste schon in der
Schule das Bewusstsein schärfen, welche Ausdrücke österreichisch sind, aber
kein Lehrplan sieht das österreichische Deutsch als Thema vor. Viele Menschen
sind daher sprachlich unsicher und wählen zur Vorsicht die bundesdeutsche
Variante und blicken lieber in den DUDEN als in das Österreichische Wörterbuch.
Ein „österreichisches Sprachbewusstsein“ scheint es nicht zu geben – im
Gegensatz zum „österreichischen Nationalbewusstsein“. Man ist daher sprachlich
weit „deutscher“ als hinsichtlich seines nationalen Empfindens. Dies zeigt sich
auch an der Übernahme vieler im amtlichen Bereich üblicher Bezeichnungen wie
z.B. die Gesundheitsakte (statt der -akt) oder beim Telefonieren „drücken
Sie die eins“ (statt kurz und bündig
„drücken Sie eins“). Und vielfach fehlt das sprachliche Wissen, was u.a. die
EU-Liste der österreichischen Bezeichnungen (s.o.) unterstreicht: nur 12 von
den 23 Bezeichnungen sind „Austriazismen“ im engeren Sinn des Wortes, 9 weitere
sind auch bayerisch bzw. süddeutsch und zwei passen nicht in die Liste; einige
dieser Austriazismen sind darüber hinaus nicht in ganz Österreich üblich.
Wenn es auch eindeutig
und klar zu definierende Austriazismen
gibt, sie reichen nicht aus, um eine in Österreich mehr oder weniger
einheitliche und von Deutschland abgrenzbare Varietät des Deutschen für
Österreich zu festzuschreiben. Der Begriff „Austriazismus“ ist darüber hinaus
schwierig zu definieren, denn Speisen wie Apfelstrudel, Vanillekipferl
und Germknödel sind zwar ihrer Bezeichnung nach österreichischer
Herkunft, aber sie sind die einzigen (gemein-) deutschen Bezeichnungen für
diese Gerichte (auch das Hamburger Labskaus − ein traditionelles
Seemannsgericht − ist zwar norddeutsch, aber es gibt kein anderes
Wort dafür, auch für die schwäbischen Spätzle
nicht). Es betreffen zwar die für Österreich typischen Ausdrücke alle
Lebensbereiche, sie häufen sich aber auf dem Gebiet der Verwaltung und
Gastronomie. Daher kann man zusammenfassen: es gibt sehr wohl eine
österreichische „nationale Varietät“ des Deutschen, sie ist aber gleichzeitig
eine durch die Eigenstaatlichkeit Österreichs bedingte süddeutsche Varietät,
„national“ in der Hinsicht, dass die staatlich-kulturellen Rahmenbedingungen
das Festhalten am süddeutschen Sprachgut fördern, aber „nicht national“
hinsichtlich des Sprachverhaltens weiter Teile der österreichischen
Gesellschaft, denn in österreichischen Zeitungen, in Rundfunk und Fernsehen
sind Wörter wie Junge für Knabe bzw. Bub und Bursche,
Treppe für Stiege, Kartoffel für Erdäpfel usw., Plurale wie Jungs,
Mädels usw., Wendungen wie er ist gut drauf, es macht keinen Sinn,
guck mal, tschüs usw.
heute gang und gäbe; auch er/sie/es hat gestanden/gelegen/gesessen
(statt süddeutsch ist) kann man heute
in Österreich (wie auch in Bayern) oft hören. Ferner ist in der gehobenen
Gastronomie eine Zunahme binnen- und bundesdeutscher Termini zu beobachten.
Auch im Unterricht „Deutsch als Fremdsprache“ wird (v.a. außerhalb von
Österreich) der bundesdeutsche Sprachgebrauch bevorzugt, wie dies v.a. die
Studie von Jutta Ransmayr gezeigt hat.
Abschließend sei aus
allgemein-sprachwissenschaftlicher Sicht festgestellt: Sprachen ändern sich
stetig, Sprachen stehen in Kontakt. Dies gilt sowohl für „Abstandsprachen“ als
auch für Varietäten und „Kulturdialekte“. Das Vordringen des nördlich gefärbten
„Bundesdeutschen“ ist die Folge von Sprachkontakt; ich habe dies an anderer Stelle einmal „Varietätenkontakt“
bezeichnet. Diese Entwicklung ist nicht aufzuhalten – ebenso wenig wie die
weltweite Dominanz des Englischen und das Aussterben vieler kleinerer Sprachen
(meist „Minderheiten“). Es ist eben so, die Wissenschaft kann und soll dies beschreiben,
aber nicht beurteilen und schon gar nicht verurteilen. Manche werden es bedauern, anderen
wiederum ist es gleichgültig – wie viel anderes auch.