„Piefkinesisch“

 

Einige grundlegende Bemerkungen zum österreichischen Deutsch und eine Antwort auf Die Invasion des Piefkinesischen

 

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Am 27.12.2012 erschien in der „Kleinen Zeitung“ (Klagenfurt und Graz) folgender Artikel, auf dem Titelblatt als „Die Invasion des Piefkinesischen“ angekündigt mit einigen zusätzlichen Anmerkungen: „Geht das Österreichische unter? Immer mehr Ausdrücke aus Deutschland sickern in unseren Sprachgebrauch ein. (Klagenfurt) Seite 55 bzw. (Graz) Seite 24/25.“ Hier zum Bild . Wie mir von mehreren Seiten berichtet wurde, haben einige Hoteliers und Gaststätten diese Ausgabe der „Kleinen Zeitung“ vor ihren deutschen Gästen – so gut es eben ging – verborgen (schließlich war ja Winter-Hochsaison).

 

Quark, ein echter Topfen

Immer mehr Ausdrücke aus Deutschland sickern in unsere Alltagssprache ein. Ein Verlag reagiert jetzt mit einem eigenen Gütesiegel.

Klaus Höfler

Ein Buch – zwei Titel: „Ein kleines Henderl will das Meer sehen“ heißt eine Kinderbuch-Neuerscheinung, die dieser Tage in die Regale österreichischer Buchhandlungen geschlichtet wird. In Deutschland ist der Titelheld der ebenfalls vom jungen Wiener Ringelspielverlag herausgegebene Übersetzung der französischen Bücherserie „Les P’Tites Poules“ dagegen „ein kleines Huhn“.

Österreichisches Henderl gegen deutsches Huhn: ein paradigmatisches Duell zweier Länder, die laut Karl Kraus bekanntlich nichts so sehr trennt wie die gemeinsame Sprache.

Für Christian Suppan, Chef des Ringelspielverlags, steckt aber mehr dahinter als chauvinistisches Spiegelfechten. „Um den sprachlichen Unterschieden gerecht zu werden“, habe er sich für die „aufwendige Doppelgleisigkeit“ entschieden. Betont wird die Initiative mit einem eigens kreierten neuen Gütesiegel am Buchumschlag, das vor allem Eltern bei Kinderbüchern als Orientierungshilfe dienen soll.

Tatsache ist nämlich, dass sich die meisten Verlage konsequent am (größeren) deutschen Markt orientieren. Rudolf Muhr, Leiter der Forschungsstelle Österreichisches Deutsch an der Karl-Franzens-Universität in Graz, sieht durch dieses „imperialistische Gehabe“ den rot-weiß-roten Sprachschatz gefährdet. Er verweist auf Romane von Gerhard Roth und Josef Haslinger, in denen von „Stechmücken“ statt Gelsen beziehungsweise einem „Torwart“ statt Tormann die Rede ist.

Auch in der Alltagssprache schreite die „Verdeutschlandung“ voran. Ausdrücke wie Paradeiser, Zippverschluss oder Nachtmahl seien „dabei zu verschwinden oder bereits als Reliktformen anzusehen“, warnt Muhr. Der Austausch von Wimmerl, Häuptelsalat und Häferl sei ebenfalls voll im Gang. Eine Entwicklung, die vor allem durch Medien beschleunigt wird.

„Deutschland-Fixierung“

Der Wissenschaftler ortet ein „Minderwertigkeitsgefühl der Österreicher in Bezug auf ihre Sprache“ und fordert auf Basis eines weltoffenen Selbstbewusstseins eine Abkehr von „dieser Deutschland-Fixierung“.

Als Orientierungsraster hat Muhr zuletzt professionelle Radio- und Fernsehsprecher aus Deutschland, Österreich und der Schweiz Modelltexte aufnehmen lassen, um Ausspracheunterschiede festzumachen. Ungeschulte Ohren hören dabei bei Nachrichtensprechern über weite Strecken professionelle Gleichförmigkeit. Experten machen aber regionale Unterschiede zwischen den Bundesländern aus, die gerade im Radio auch bewusst eingesetzt werden, um regionale Verwurzelung zu zeigen und Nähe zur Lebenswirklichkeit des Hörers zu schaffen.

Genaue Regeln, wann Burgtheaterdeutsch und wann Dialekt verwendet wird, gibt es (Nachrichtensendungen ausgenommen) aber nicht. „Das ist Gefühlssache“, sagt Sepp Loibner, Moderator und Volkskulturchef im ORF-Landesstudio Steiermark: „Da schaltet im Kopf ein imaginärer Schalter um.“ Als gemeinsame Grundbedingung bleibt, „dass man immer verständlich ist“.

 

Anschließend folgendes Interview:

„Piefkinesisch ist oft penetrant“

Der Literat Reinhard P. Gruber über den Einfluss „Germaniens“

Sie haben ein „Piefke-Wörterbuch“ herausgebracht. Wie sind Sie bei der Recherche vorgegangen?

REINHARD P. GRUBER: Ich habe den Duden und andere Wörterbücher gelesen und Ausdrücke und Phrasen angestrichen, die wir Österreicher nicht verwenden.

Sie haben auch Asterix-Hefte ins Steirische übersetzt. Eine harte Arbeit?

GRUBER: Nein, es war ein großartiges und lustvolles Vergnügen, die Mundart auszuloten und nach treffenden Formulierungen zu suchen.

Sind Bücher-Gütesiegel sinnvoll, die auf die Verwendung von österreichischem Deutsch hinweisen?

GRUBER: Ich bin kein Purist und bringe mich nicht um, wenn ich Piefkinesisch höre oder lese. Aber es ist schade, denn auch das Österreichisch ist es wert, erhalten zu werden. Vor allem für uns Schriftsteller ist das schwierig, weil die großen Verlage ja in Deutschland sind. Da muss man als Autor aufpassen, was das Lektorat mit einem Text macht. Das hat mir zuletzt auch Barbara Frischmuth bestätigt, deren Verlag in Berlin sitzt.

Sehen Sie das Österreichisch[e] durch den Einfluss aus Deutschland in Gefahr?

GRUBER: Es ist eine Anpassung an die nächste Provinz – das ist eben Germanien. Diese Assimilation lässt sich nicht verhindern, wobei Piefkinesisch für mich oft unerträglich und penetrant ist.

Ist Piefkinesisch für Sie ein Schimpfwort?

GRUBER: Nein. Aber wenn ich bei uns eine Schorle statt einem Spritzer bestellen muss, dann beutelt es mich.

Die Übersetzungen sind ein Zugeständnis des Tourismuslandes an seine größte Gästegruppe.

GRUBER: Aber es müsste sie nicht geben. Das müssen beide Seiten aushalten können.

Interview: Klaus Höfler

 

Zum Begriff Piefke siehe Ethnophaulismen.

 

Leserbrief dazu an die „Kleine Zeitung“ am 27.12.2012

 

Sehr geehrte Damen und Herren!


Ihr heutiger Titel „Die Invasion des Piefkinesischen“ ist überzogen (und einer seriösen Tageszeitung unwürdig!) wie auch Muhrs Angaben und Feststellungen nur teilweise zutreffen. Dass das typisch „österreichische“ und südlich bzw. bairisch gefärbte Deutsch auf dem Rückzug ist, stimmt und das bedauere auch ich. Mit Schimpfwörtern à la "Piefke" wird man dem nicht Einhalt gebieten können, auch nicht mit falschen Beispielen, so ist „quatschen“ eher unösterreichisch, bei uns sagt man „tratschen“ oder „ratschen“.  Das Pendant von „Hendl“ ist „Hähnchen“. Auch das Karl-Kraus-Zitat ist falsch, dieses Zitat stammt nachweislich von Karl Farkas. Näheres unter http://members.chello.at/heinz.pohl/OesterrDeutsch.htm sowie in der Beilage (ich melde mich nochmals am Wochenende). Bitte ggf. den Leserbrief auch an Graz weiterleiten.

 

Vielen herzlichen Dank!


Ihr  H.D. Pohl

 

Am 30.12.2012 übermittelte ich folgenden Gastkommentar; er wurde (meines Wissens) ebenso wenig veröffentlicht wie mein Leserbrief.

 

Zur Diskussion um das österreichische Deutsch

 

Ihr Titel „Die Invasion des Piefkinesischen“ (am 27.12.2012) war ein wenig überzogen. Auch die Angaben und Feststellungen meines Kollegen Rudolf Muhr treffen nur teilweise zu. Dass das typisch „österreichische“ (zusammen mit dem südlich bzw. bairisch gefärbten) Deutsch auf dem Rückzug ist, stimmt und das bedauere auch ich. Allerdings: mit Schimpfwörtern à la Piefke wird man dem nicht Einhalt gebieten können, auch nicht mit falschen Beispielen, so ist quatschen eher unösterreichisch, bei uns sagt man eher  tratschen oder ratschen.  Das Pendant von (Brat-/Grill-) Hendl (als Speise) ist Hähnchen, Huhn ist gemeindeutsch. Auch das Karl-Kraus-Zitat („Was den Österreicher vom Deutschen trennt, ist die gemeinsame Sprache“) ist falsch, denn dieses Zitat  stammt von Karl Farkas, der George Bernhard Shaws Ausspruch „England and America are two countries divided by a common language“ auf Österreich und Deutschland umgemünzt und nachweislich in seinen Kabarett-Programmen verwendet hat.

Österreichisches Deutsch ist eine nationale Varietät der gemeinsamen „hochdeutschen“ Schrift­sprache, die sich von dieser durch einige sprachliche Besonderheiten abhebt und in Österreich als Standardsprache zu betrachten ist, wie sie im „Österreichischen Wörterbuch“ festgehalten sind. Dieses wird an den österreichischen Schulen derzeit in der 42. Auflage benützt; 2011 konnte es den 60. Jahrestag seines Bestehens feiern. Erstmals erschien es im Jahre 1951, um den korrekten in Österreich üblichen („hochdeutschen“, also standardsprachlichen) Sprachgebrauch für unser Land zu dokumentieren (einschließlich der Rechtschreibung) – also eine Art DUDEN für Österreich. Schon zur Zeit der Monarchie hatte es in Österreich amtliche Wörterbücher gegeben, die offiziell gebräuchliche „Austriazismen“ berücksichtigten, z.B. die „Regeln für die deutsche Rechtschreibung nebst Wörterverzeichnis – zum Gebrauche für Lehrer und Schüler“ herausgegeben vom k.k. Ministerium für Cultus und Unterricht, letzte Auflage 1915. In der Ersten Republik hatte dieses Schulbuch den gleichen Namen. Als Austriazismen bezeichnet man den Wortschatz, der im außerösterreichischen deutschen Sprachgebiet als „typisch österreichisch“ wahrgenommen wird. 23 Begriffe wie Erdäpfel, Eierschwammerl, Ribisel oder Powidl wurden beim EU-Beitritt Österreichs im Protokoll Nr. 10 festgehalten, die parallel zu den bundes- oder binnen­deutschen Bezeichnungen (gleichrangig) zu verwenden sind. Insgesamt gibt es aber eine weit größere Anzahl von Austriazismen, v.a. in der Rechts- und Küchensprache. Dazu kommen einige Aussprachegewohnheiten (wie Chemie, China als [ki-], nicht [chi-] oder -ig als [-ik], nicht [-ich], Betonung Kaffée, Mathemátik usw.).

Unter Hochdeutsch versteht man zwar im allgemeinen Sprachgebrauch die deutsche Standardsprache, doch sprachwissenschaftlich gesehen betont hochdeutsch den Gegensatz zu niederdeutsch, denn Martin Luther hat sich bei seiner Bibelübersetzung an den hochdeutschen Mundarten orientiert und somit den Grundstein zur hochdeutschen Schriftsprache gelegt. Doch auch die in Österreich (Bayern und der Schweiz) gesprochenen oberdeutschen Mundarten sind „hochdeutsch“.

Das Verhältnis zwischen dem Deutschen in Österreich und in Deutschland (einschließlich des Freistaates Bayern und der Schweiz) ist allerdings ein sehr verwickeltes. Die innerstaatlich verlaufende Kommunikation, bedingt durch die Eigenstaatlichkeit (spätestens seit 1866/71, aber schon seit der zweiten Hälfte des 18. Jhdts.) ließ einerseits die „staatsräumlichen Austriazismen“ der Amts- und Verwaltungs- bzw. Küchen- und Mediensprache entstehen und lieferte andererseits den Rahmen dazu, dass süddeutsche und bairische Besonderheiten in unserem Lande ihre Position gegenüber binnen- und bundesdeutschen Varianten besser behaupten konnten als etwa im Freistaat Bayern (diesen schreibt man mit y, bairisch mit i meint aber den Dialekt). Dazu kommt die Randlage Österreichs im Süden des deutschen Sprachgebietes und Randgebiete sind bekanntlich konservativer als Binnenräume. Diesem Umstand ist der Erhalt von älteren Wörtern und Wendungen zu verdanken wie z.B. Jänner ‘Januar’ oder heuer ‘in diesem Jahr’; in der Redewendung jemandem etwas zu Fleiß tun ‘absichtlich bzw. vorsätzlich jemandem Ärger bereiten oder Schaden zufügen’ ist die alte Bedeutung von Fleiß ‘Streit, Eifer, Gegensatz’ erhalten.

Entscheidend war aber für Österreich die Einbindung in die einheitliche gesamtdeutsche Standardsprache seit dem 18. Jhdt., die einerseits die areale Gliederung des pluriarealen deutschen Sprachgebietes nach den dialektalen Großräumen reflektiert (in Österreich im Kleinen, in Deutschland im Großen), andererseits die deutschen Großdialekte überdacht und damit die Kommunikation sicherstellt. Die plurizentrische Gliederung des deutschen Sprachgebietes nach den drei Staaten Deutschland, Österreich und der Schweiz ist sekundär, historisch jünger und reflektiert die neuzeitliche politische Entwicklung, hat aber bisher keine geschlossenen Sprachräume nach den Staatsgrenzen schaffen können, zumindest nicht auf Ebene der allgemeinen Verkehrssprache. Die grammatikalischen Abweichungen sind marginal. Das österreichische Deutsch ist kein besseres und kein schlechteres, sondern einfach ein in gewissen Bereichen anderes Deutsch; es ist auch kein „liebenswürdigeres“, „weicheres“, „runderes“ und auch kein „schlampigeres“ Deutsch − dies sind oft zu hörende subjektive Einschätzungen. Es gibt auch nicht sehr viele österreichische Wörter, die in Deutschland nicht  verstanden werden, sondern bestenfalls ein paar Dutzend, das meiste findet sich auch in den anderen süddeutschen Regionen, v.a. in Bayern. Die österreichische Staatsgrenze zu den anderen deutschsprachigen Regionen ist keine Sprach- oder Mundartgrenze, sondern bloß eine politische, die sich nur auf sprachliche Erscheinungen des öffentlichen Lebens beschränkt, also österreichisch und schweizerisch Nationalrat gegenüber „deutsch“ Bundestag, österreichisch Matura, schweizerisch Matur gegenüber deutsch Abitur, deutsch und österreichisch Führerschein gegenüber schweizerisch Führerausweis usw. Sonst trinkt man seine Maß Bier in München wie in Salzburg und sammelt Schwammerln in Bayern wie in Österreich (usw.).

Dies alles lässt sich nun verschieden beurteilen. In der österreichischen Sprachwissenschaft haben sich hier mehrere – wie ich das nennen möchte – Denkschulen herausgebildet. Zwar besteht bezüglich der arealen (räumlichen, mundartlichen) Vielfalt des Deutschen in der Fachwelt bis zu einem gewissen Grad Konsens und dieser ist dadurch geprägt, dass die deutsche Sprache eben in verschiedenen Staaten gesprochen wird und somit mehreren Nationen bzw. staatlichen Gemeinschaften als Kommunikationsmittel dient. Darüber hinaus stimmen die politischen Grenzen zwischen den einzelnen deutschsprachigen Ländern nicht mit den Arealen der Großdialekte überein, daher ergeben sich für das Deutsche zunächst drei Einteilungskriterien: ein „plurinationales“ nach den Nationen („mindestens trinational“), ein „pluriareales“ nach den Hauptmundarten und ein „plurizentrisches“ nach den Zentren der einzelnen Staaten (bis hinunter zu den Verwaltungszentren der einzelnen Länder). Allerdings vermengen die meisten Vertreter des plurizentrischen Ansatzes diesen mit dem plurinationalen oder setzen beide gar gleich. Dies trifft v.a. auf den österreichischen Germanisten Rudolf Muhr zu (er schreibt „Österreichisches Deutsch“ wie einen Eigennamen), der eine „österreichische“ Varietät der „deutsch­ländischen“ gegenüberstellt und dabei einer Auseinander­setzung mit der österreichischen und bundesdeutschen sprachlichen inneren Gliederung weitest­gehend aus dem Wege geht. Eine Kombination des pluriarealen mit dem plurizentrischen Konzept hingegen (von mir bevorzugt) unterstreicht einerseits die österreichischen Besonderheiten und andererseits die zahlreichen Gemeinsamkeiten mit dem ganzen süddeutschen bzw. bairischen Sprachraum; beide sind nicht isoliert zu sehen, sondern erst deren Summe macht das aus, was man „österreichisches Deutsch“ nennen kann. Daher sehe ich das österreichische Deutsch als eine historisch durch Eigenstaatlichkeit erwachsene nationale Varietät auf Grund des plurizentrischen bzw. pluriarealen Standpunkts, da weder das österreichische noch das bundesdeutsche Deutsch als homogen zu betrachten sind, vielmehr bin ich der Ansicht, dass die areale Gliederung, wie sie für die BR Deutschland im Großen besteht, sich im Kleinen in Österreich fortsetzt, wobei unbestritten bleibt, dass manche Erscheinungen nur auf österreichischem Boden vorkommen, diese aber nicht immer im ganzen Bundesgebiet. Denn eine einheitliche „österreichische Sprache“ (analog zu der seit 1945 entstandenen und heute gefestigten „(Staats-) Nation“) gibt es nicht; der Umkehrschluss „weil es eine österreichische Nation gibt, muss es auch eine österreichische Nationalsprache geben ist nicht zulässig und darüber hinaus reine Ideologie und würde einen Rückfall in den sprachorientierten Nationalismus bedeuten.

Man kann durchaus Vergleiche mit anderen Sprachen wie Englisch, Französisch, Rumänisch, Niederländisch usw. ziehen, auch mit dem Serbokroatischen, dieses ist jedoch ein eher abschreckendes Beispiel dafür, zusammen­hängende Sprachräume durch genormte nationale Varietäten auseinander zu dividieren. Die durch das „Wiener Abkommen“ 1850 erreichte gemeinsame serbokroatische Schriftsprache (mit Zulassung einiger regionaler Besonderheiten) wurde (spätestens) seit dem Zerfall Jugoslawiens aufgegeben; heute haben wir vier (eigentlich fünf) „verschiedene“ Schriftsprachen, nämlich Serbisch, Kroatisch, Bosnisch und neuerdings auch Montenegrinisch (sowie Burgenland-Kroatisch in Österreich, das immer schon eigene Wege ging).

Unter dem Titel „Der Jugend ist das österreichische Deutsch powidlist am 7. Juli 2012 ein Bericht in der österreichischen Tageszeitung „Die Presse“ erschienen. Die junge Generation verwendet demnach zu einem Drittel bundesdeutsche Bezeichnungen und typisch österreichische Ausdrücke werden – wenn überhaupt – nur mündlich verwendet. Eine der Ursachen dafür sind u.a. auch Kinderbücher, sogar solche, die in Österreich hergestellt werden und „bundesdeutsche“ Ausdrücke verwenden – wie auch das Kinderfernsehen, das man in Österreich empfangen kann, denn dieses wird großteils in Deutschland produziert, wie dies der Germanist Peter Wiesinger feststellt und was ich auf Grund eigener Beobachtungen nur bestätigen kann. Daher ist es sehr erfreulich, dass der Wiener Ringelspiel-Verlag jetzt eine eigene Ausgabe für österreichische Kinder herausgebracht hat („Ein kleines Henderl will das Meer sehen“). 

Mit ein Grund, warum die österreichische Varietät des Standarddeutschen immer weiter zurückgedrängt wird, ist auch die „globalisierte Umwelt“: Der jungen Generation ist der Unterschied zwischen „Norddeutsch“ und „Süddeutsch“ – zu letzterem zählt ja das österreichische Deutsch – immer weniger bewusst. In den Massenmedien (v.a. im Fernsehen und in der Werbung) überwiegt der binnendeutsche, eher nördlich geprägte Sprachgebrauch. Dazu kommt der fortschreitende Abbau der Mundarten. Dadurch entsteht eine gewisse sprachliche Unsicherheit; mit einem „Minderwertigkeitsgefühl“ gegenüber Deutschland hat dies kaum etwas zu tun. Man müsste schon in der Schule das Bewusstsein schärfen, welche Ausdrücke österreichisch sind, aber kein Lehrplan sieht das österreichische Deutsch als Thema vor. Viele Menschen sind daher sprachlich unsicher und wählen zur Vorsicht die bundesdeutsche Variante und blicken lieber in den DUDEN als in das Österreichische Wörterbuch. Ein „österreichisches Sprachbewusstsein“ scheint es nicht zu geben – im Gegensatz zum „österreichischen Nationalbewusstsein“. Man ist daher sprachlich weit „deutscher“ als hinsichtlich seines nationalen Empfindens. Dies zeigt sich auch an der Übernahme vieler im amtlichen Bereich üblicher Bezeichnungen wie z.B. die Gesundheitsakte (statt der -akt) oder beim Telefonieren „drücken Sie die eins“ (statt kurz und bündig „drücken Sie eins“). Und vielfach fehlt das sprachliche Wissen, was u.a. die EU-Liste der österreichischen Bezeichnungen (s.o.) unterstreicht: nur 12 von den 23 Bezeichnungen sind „Austriazismen“ im engeren Sinn des Wortes, 9 weitere sind auch bayerisch bzw. süddeutsch und zwei passen nicht in die Liste; einige dieser Austriazismen sind darüber hinaus nicht in ganz Österreich üblich.

Wenn es auch eindeutig und klar zu definierende Austriazismen gibt, sie reichen nicht aus, um eine in Österreich mehr oder weniger einheitliche und von Deutschland abgrenzbare Varietät des Deutschen für Österreich zu festzuschreiben. Der Begriff „Austriazismus“ ist darüber hinaus schwierig zu definieren, denn Speisen wie Apfelstrudel, Vanillekipferl und Germknödel sind zwar ihrer Bezeichnung nach österreichischer Herkunft, aber sie sind die einzigen (gemein-) deutschen Bezeichnungen für diese Gerichte (auch das Hamburger Labskaus − ein traditionelles Seemannsgericht − ist zwar norddeutsch, aber es gibt kein anderes Wort dafür, auch für die schwäbischen Spätzle nicht). Es betreffen zwar die für Österreich typischen Ausdrücke alle Lebensbereiche, sie häufen sich aber auf dem Gebiet der Verwaltung und Gastronomie. Daher kann man zusammenfassen: es gibt sehr wohl eine österreichische „nationale Varietät“ des Deutschen, sie ist aber gleichzeitig eine durch die Eigenstaatlichkeit Österreichs bedingte süddeutsche Varietät, „national“ in der Hinsicht, dass die staatlich-kulturellen Rahmenbedingungen das Festhalten am süddeutschen Sprachgut fördern, aber „nicht national“ hinsichtlich des Sprachverhaltens weiter Teile der österreichischen Gesellschaft, denn in österreichischen Zeitungen, in Rundfunk und Fernsehen sind Wörter wie Junge für Knabe bzw. Bub und Bursche, Treppe für Stiege, Kartoffel für Erdäpfel usw., Plurale wie Jungs, Mädels usw., Wendungen wie er ist gut drauf, es macht keinen Sinn, guck mal, tschüs usw. heute gang und gäbe; auch er/sie/es hat gestanden/gelegen/gesessen (statt süddeutsch ist) kann man heute in Österreich (wie auch in Bayern) oft hören. Ferner ist in der gehobenen Gastronomie eine Zunahme binnen- und bundesdeutscher Termini zu beobachten. Auch im Unterricht „Deutsch als Fremdsprache“ wird (v.a. außerhalb von Österreich) der bundesdeutsche Sprach­gebrauch bevorzugt, wie dies v.a. die Studie von Jutta Ransmayr gezeigt hat.

Abschließend sei aus allgemein-sprachwissenschaftlicher Sicht festgestellt: Sprachen ändern sich stetig, Sprachen stehen in Kontakt. Dies gilt sowohl für „Abstandsprachen“ als auch für Varietäten und „Kulturdialekte“. Das Vordringen des nördlich gefärbten „Bundesdeutschen“ ist die Folge von Sprachkontakt; ich habe dies an anderer Stelle einmal „Varietätenkontakt“ bezeichnet. Diese Entwicklung ist nicht aufzuhalten – ebenso wenig wie die weltweite Dominanz des Englischen und das Aussterben vieler kleinerer Sprachen (meist „Minderheiten“). Es ist eben so, die Wissenschaft kann und soll dies beschreiben, aber nicht beurteilen und schon gar nicht verurteilen. Manche werden es bedauern, anderen wiederum ist es gleichgültig – wie viel anderes auch.