Zum Begriff Tschusch

(Auszug aus: http://members.chello.at/heinz.pohl/Ethnophaulismen.htm, dort auch Literatur dazu)

 

Der bekannteste österreichische Ethnophaulismus ist das Wort Tschusch. Seine (Grund-) Bedeutung ist ‘Angehöriger eines südosteuropäischen (Balkan-) oder orientalischen Volkes, mitunter auch anderer Volksgruppen’, grundsätzlich pejorativ, nicht scherzhaft. Das Wort ist in Bosnien mit der Okkupation 1878 aufgekommen; in Kärnten wurde es in der Zeit des so genannten Abwehrkampfes (1918/1920) hauptsächlich für die südslawischen Truppen des SHS-Staates und für „jugoslawisch“ gesinnte Slowenen verwendet, weniger für die Slowenen allgemein, für Kärntner Slowenen kaum. Diese Wortbedeutung kommt in einem Spottgedicht von Hugo Moro aus dem Jahre 1920 deutlich zum Ausdruck:

Geht’s furt, jo! alle marsch,

lei gschwind – 

Dös gottverdammtn Tschuschn

Mir lass ma unser Hamatland

von enk uns nit verpfuschn!

[zitiert nach Priestley 111. Worterklärungen; lei = ‘nur’; dös = ‘ihr’ (südbairisch des, dös statt mittelbairisch es, ös); lass ma = ‘wir lassen’ (mit suffigiertem und abgeschwächtem -mir ‘wir’, wie in Kärnten allgemein); enk = ‘euch]

In einem anderen Spottgedicht „Der Spatzenschreck (Eine lehrreiche Fabel)“ heißt es (erste Strophe):

Zum Kärntner Spätzlein spricht der Spatz:

Was gab es doch für einen Schrecken,

Als vor’ges Jahr am gleichen Platz

Der Tschusch uns drohte mit dem Stecken!

[aus: Aus: Die Kärntner Landsmannschaft Nr. 57 (3. Juli 1920)]

In Kärnten ist es heute eindeutig als pejoratives Wort für ‘Südslawe’ zu bezeichnen [Pohl 1994,141 u. 2007, 173; der eigentliche „Kandidat“ für ein Schimpfwort wäre eher windisch, s.o.)]. In Wien war das Wort als Bezeichnung hauptsächlich für Jugoslawen und andere Einwohner der Balkan-Halbinsel in Gebrauch, wurde aber dann ab den 1960er Jahren zunehmend für Gastarbeiter (v.a. aus dem ehemaligen Jugoslawien und später auch der Türkei) verwendet. In den ehemaligen (sogenannten) Sudetenländern wurden auch Ungarn und Tschechen als Tschuschen bezeichnet. Die weibliche Form dazu ist Tschuschin (meist) ‘Gastarbeiterin’, daneben kam auch Tschuschien ‘Jugoslawien, Balkan’ vor. Ursprünglich war Tschusch in der Soldatensprache für die Einwohner Bosniens, später für südslawische Militärpersonen üblich (daher eben auch für die jugoslawischen Besatzungstruppen in Kärnten 1918/20), die Ableitung Tschuschack für die Einwohner Galiziens. Nach anderen Angaben soll das Wort schon beim Bau der Südbahn verbreitet gewesen sein (nach 1860 [so Wehle 277], was aber eher unwahrscheinlich ist).

Mir persönlich ist dieses Wort erstmals auf meiner Maturareise nach Griechenland im Jahre 1962 bewusst geworden, und zwar auf der Bahnfahrt durch Jugoslawien, die damals eher unbequem war (überfüllte Wagen trotz Reservierung, stundenlange Verspätungen u.dgl.); die vielfach als „(Druck-) Fehler“ gesehene Form Tschutschen ist mir als Nebenform aus der damaligen Zeit geläufig. In meiner Mittelschulzeit kann ich mich jedenfalls nicht erinnern, dieses Wort jemals gehört zu haben. Wenn man von Jugoslawen sprach, sagte man damals eher „Jugos“, v.a. beim Fußball. Gastarbeiter gab’s zu der Zeit ja noch nicht. Das Wort fehlt auch in den Mundartbüchern von Schuster-Schikola und Jakob, was nahe legt, dass es damals noch nicht zum Grundbestand des mundartlichen Wortschatzes zählte.

Die Verbreitung des Wortes Tschusch wird heute hauptsächlich mit dem östlichen und südlichen Österreich angegeben, früher galt dies u.a. auch für Brünn (Brno) und andere deutschsprachige Gegenden der Länder der Böhmischen Krone. Außerhalb Österreichs wird das Wort nicht verwendet, im Westen des Bundesgebietes ist es nur durch Rundfunk und Fernsehen bekannt geworden, gehört aber nicht zum aktiven Wortschatz. In Deutschland ersetzt unseren Tschuschen das Wort Kanake, die zum Ethnophaulismus gewordene ursprüngliche Bezeichnung für die Südseeinsulaner (aus polynes. kanaka ‘Mensch’ [Kluge 464, Tschusch fehlt]).

Die Herkunft dieses Wortes ist bis heute nicht zur Gänze geklärt, es gibt zwar eine Reihe von Vorschlägen mit mehr oder weniger Wahrscheinlichkeit; in letzter Zeit ist aber ein neuer Aspekt in die Diskussion eingebracht worden (5), der uns eindeutig einer Lösung näher gebracht hat.

(1) Nach WBÖ 5, 808f. aus serb.-kroat. čuješ ‘hörst du?’ (vom Verbum čuti, čujem] im Sinne von ‘verstehst du / verstehen Sie mich?’.[ähnlich Priestley, Wehle 277 und Steinhauser 144f. sowie Mally 1973]. Dagegen spricht, dass im Deutschen kein Diphthong – wie in der ungarischen Entsprechung csues [čueš] – vorliegt (ein deutsch-mundartliches *tšuǝš o.ä. wäre ja vorstellbar), außerdem ist das serbische und kroatische Normalwort für ‘hören, zuhören, horchen’ eher slušati.  čuti hat zwar auch die Bedeutung ‘hören (im Sinne von erfahren)’ und als zweite (ursprüngliche) Bedeutung ‘fühlen’. Trotzdem erklärt Skok [I 344f.] das ungar. csues so, zu deutsch Tschusch äußert er sich leider nicht. Ein literarisches Zeugnis für diese Erklärung findet sich bei A.J. Storfer, Wörter und ihre Schicksale, Berlin u. Zürich 1935, S. 195: „Die Soldaten südslawischer Nationalität wurden im österreichisch-ungarischen Heere, besonders von den Ungarn, als Tschuesche bezeichnet, nach dem Zuruf čuje hör zu“. Ähnliche Angaben findet man bei W. Rohrbach in „Auf den Spuren der Serben Wiens“ (in: Wiener Geschichtsblätter 56 [2001] 3, 186 f.) über čuješ: „ein Zuruf der in Hörweite voneinander patrouillierenden serbischen Wehrbauern, die im 18. Jahrhundert an der österreichisch-türkischen Grenze am Balkan ihren Dienst versahen. Unter Kaiser Karl VI. wurden sie seit 1728 auch dazu eingesetzt, die Monarchie vor dem Einbruch der Pest mit einer militärisch besetzten Sperrlinie, dem Kordon, schon an der Grenze zu schützen. Verdächtige Personen, die an der Grenze gefasst wurden, kamen zur Desinfektion und Reinigung in sogenannte Kontumazanstalten. Die Wiener Bürger waren natürlich nicht gerade erfreut, wenn sie – ob als Händler oder Reisende – an der Grenze von einem Wehrbauern, dem ‘Tschusch’, kontrolliert wurden. Diesen Ausführungen ist ergänzend hinzuzufügen, dass nicht nur die serbischen, sondern auch die kroatischen Wehrbauern an der Militärgrenze čuješ riefen. Ein Beleg für diese Erklärung ist auch aus dem Ersten Weltkrieg bezeugt: A. Höllriegel [d. i. R. A. Bermann], Im Steinmeer. In: Der Kaiser rief. Kriegsnovellen aus Österreich-Ungarn, hrsg. v. Ella Triebnigg, Stuttgart 1916, S. 100 f.: „Bevor die Montenegriner angreifen, geht auf ihren Bergen ein Schreien los, von Gipfel zu Gipfel: Marko, tschuesch? Petar, tschuesch? Nach diesem Wort ‘tschuesch’ nennen wir sie halt die Tschuschen. Wir sind für sie die Schwabas. Vier Nationalitäten habe ich in meiner Kompagnie, auch Serben, und es sind nicht die schlechtesten Leute, aber für die Tschuschen sind und bleiben wir Schwabas und basta.“ [Zitiert bei H. Wock, Beiträge zum Wörterbuch der Soldatensprache. In: Mitteilungen der Schlesischen Gesellschaft für Volkskunde 26 (1925) 138. Mitgeteilt von Mally 1973]

Hinweis: die traditionelle Bezeichnung serbokroatisch (für die gemeinsame Sprache der Serben und Kroaten) ist obsolet geworden; im Jahre 1850 wurde im sogenannten Bečki dogovor ‘Wiener Abkommen’ zwischen serbischen und kroatischen Philologen vereinbart, eine gemeinsame serbokroatische bzw. kroatoserbische Schriftsprache auf Grundlage der Grammatik und des Wörterbuches von Vuk Karadžić einzuführen. Diese Schriftsprache – ganz einheitlich war sie nie, sie wies immer nationale Varietäten und zwei Alphabete auf – galt bis zum Zerfall Jugoslawiens (1991/92). In den letzten 20 Jahren wurden Kroatisch, Serbisch und Bosnisch zu eigenen Schriftsprachen erklärt und durch entsprechende amtliche Regelungen normiert und daher voneinander entfernt. Als vierte Schriftsprache kommt neuerdings Montenegrinisch hinzu. Linguistisch gesehen sind alle 4 Schriftsprachen Varietäten ein und derselben Sprache auf Basis der sogenannten štokavischen Dialektgruppe, der eine ähnliche Stellung zukommt wie dem „Hochdeutschen“ im gesamtdeutschen Sprachgebiet. Nur die Kroaten sprechen auch čakavische (im Westen) und kajkavische (im Norden) Mundarten; Slowenisch ist eine eigenständige südslawische Sprache, wie auch das Makedonische (dialektologisch und historisch ein Ableger des Bulgarischen). Näheres hier.

(2) Nach Teuschl 234 komme Tschusch aus russ. čužoj ‘fremd’. Dagegen spricht, dass das Wort nicht im ostslawischen Bereich aufgekommen ist, sondern im Süden, wo das damit verwandte Wort tudji, tuđi lautet (beide Varianten gehen gemeinsam mit russ. čužoj auf urslaw. *tjudj- / *tudj- zurück, entlehnt aus german. þiuda ‘Volk’, womit auch german. þiudisk zusammenhängt, worauf auch italien. tedesco ‘deutsch’ beruht und woraus unser deutsch entstanden ist).

(3) Nach Hornung 287f. handelt es sich um ein orientalisches Wanderwort für ‘Dummkopf’, das auch in andere Sprachen gelangt ist, z.B. furlan. zus (eigentlich ‘Euleʼ, italien. civetta’), slowen. čuž, čuš. Nach Priestley 125f.  kommt als Erklärung sowohl (1) als auch dieses (3) in Frage.

(4) Weiters gibt es ein türkisches Wort (heute so geschrieben:) çavuş ‘Ausrufer; Unteroffizier; (auch) Wiedehopf’, ins Serbische als čauš entlehnt, bei Karadžić als ‘der Tschausch bei der Armee, bei Hochzeiten’ übersetzt, also eine Person mit Rang bzw. amtlicher Würde. In DUDEN Fremdwörterbuch ‘(türkischer) Leibgardist, Unteroffizier, Amtsvogt; (serbischer) Spaßmacher bei einer Hochzeit’. Davon u.a. der rumänische Familienname Ceauşescu. Das Wort Tschusch ist übrigens bei GRIMM nicht enthalten.

(5) Herbert Michner hat Robert Sedlaczek, den Verfasser des populärwissenschaftlichen Buches „Das österreichische Deutsch“ auf folgenden Umstand aufmerksam gemacht: es gibt ein gut belegtes kroat.-serb.-bosnisches Wort ćuš (kyrillisch ћуш) bzw. ćuš-ćuš (ћуш-ћуш). Es ist in den gängigen Wörterbüchern enthalten, u.a. bei Skok I 366 (ćuš-ćuš) und bei Karadžić 763 (ћушe ćuše). Es handelt sich bei diesem Wort um einen Ruf, mit dem man ein Tragtier antreibt oder auch ein Tier vertreibt, also verscheucht. Dieser Ruf wird auch heute noch in den Nachfolgestaaten Jugoslawiens verwendet, um beispielsweise einen Hund aus dem Zimmer zu jagen. Ähnliche Laute verwenden auch wir, um ein Tier zu vertreiben: gsch! Außerdem wird das Wort ćuš auch als eine Art Nomen agentis verwendet und bedeutet dann soviel wie ‘Treiber’. In dieser Bedeutung ist Tschusch in zahlreichen deutschen Texten zu finden, in denen es um die Besetzung von Bosnien und der Herzogowina (1878) geht. Hier einige Beispiele, so z.B. V. Kahlig, Vor 20 Jahren, Graz, Leykam 1902: „In aller Eile wurde die Verpflegung auf fünf Tage gefasst (Reservemunition) und um 4 Uhr nachmittags stand das Bataillon marschfertig vor den Zelten. Es wurde jedoch 7 Uhr, bis wir abrücken konnten ... wegen Mangels an Tragtieren. Was leicht zu haben war, hatten die Jäger mitgenommen, und es gelang nur mit Anwendung von Gewalt, die von den Türken (gemeint sind die moslemischen Bosnier) in den umliegenden Kucen [= Plural zu serb.-kroat kuća  ‘Haus’] versteckten Tiere herauszubekommen, jedoch ohne Tschuschen (Treiber).“ Ein anderer Beleg zeigt, dass der Name auch auf die Bevölkerung übertragen worden ist, so z.B. K. F. Kurz, Österreichs Hort, 2. Band, Patriotische Volksbuchhandlung, Wien 1910, S. 89. Unter der Überschrift „Operationen und Gefechte der rechten Flügelkolonne“ kann man lesen: „Auch die christliche Bevölkerung drängte sich jetzt in ihrer bunten malerischen Tracht neugierig heran, durchwegs friedliche Leute, für welche alsbald nach dem Zuruf, mit welchem sie ihre Tragtiere anzutreiben gewohnt sind, der Name ‘Czuszen’ [zu lesen tšūʹšǝn] unter unsern Truppen gang und gäbe wurde.“ Und nun ein Ausschnitt aus einem Text, offensichtlich eine Erzählung, hier wird der Ausdruck dazu verwendet, um eine Hirtin näher zu beschreiben: „Richtig, dort ist ja die Hirtin; ein Tschutschenmädel, blond noch dazu, eine Seltenheit hierzulande ... Neugierig staunt die Hirtin, die für herzogowinische Begriffe sehr rein und nett ist, den Rehbock an. Bald plauderten sie lustig drauf los!“ Diese Belege stammen alle aus der Zeit um die Jahrhundertwende 1899/1900 und sie beschreiben den Sprachgebrauch in den 1880er und 1890er Jahren. Ein späterer Beleg findet sich bei R. Michel, Halbmond über der Narenta, Bosnische Erzählungen, Wien/Leipzig, 1940: „Den Getreidesack nahm Muharrem selbst auf die Schulter, dann rief er dem Esel ein kräftiges „Tschusch“ zu, und dieser balancierte alsbald seine Last im Paßschritt vorwärts.“

Meine Synthese aus den oben angeführten Vorschlägen: Ich persönlich dachte bisher eher an eine lautnachahmende Bildung, die spontan in Bosnien 1878 aufgekommen ist, bewirkt v.a. durch čauš ‘Ausrufer, Unteroffizier’ (aus türk. çavuş), čuješ ‘hörst du?’ und čuž, čuš ‘Dummkopf’. Lautlich kommt man nämlich nur sehr schwer direkt von einem čuješ  oder čauš.zu einem deutschen Tschusch (und ‘Dummkopf’ passt nicht so recht). Dass das Wort an der Militärgrenze gebraucht wurde, ist klar – aber seit wann? Belegt ist es erst seit der Zeit nach 1878 – oder genauer „vor 1918“, so die meisten Quellen und Nachschlagwerke. Daher scheint der zitierte Hinweis von Dr. Michner, das Wort stamme von serb.-kroat. ćuš  (ein Zuruf an die Zugtiere) die Lösung zu sein. Dieses Wort steht wegen seines ć- im kyrillischen Alphabet (ћ) an einer ganz anderen Stelle als die viel häufigeren mit č- (ч) beginnenden Stichwörter und ist wohl bisher übersehen worden. Ich vermute daher eine spontane Bildung, die bei den Soldaten der Österreichisch-Ungarischen Armee in Bosnien 1878 aufgekommen ist, bewirkt v.a. durch das oben näher erläuterte ćuš-ćuš. Mag sein, dass dabei das bei den Ungarn geläufige csues mitgewirkt hat, psychologisch hat wohl auch der Klang des Wortes (zwei Zischlaute, die volkstümlich den slawischen Sprachen als besondere Eigentümlichkeit zugeschrieben werden) mitgespielt.

Zurück (Namenkunde bzw. Namengut oder Ethnophaulismen)