Zum Begriff „Landessprache“

(s.a. http://members.chello.at/heinz.pohl/Volksabstimmung.htm,

zum Slowenischen als Muttersprache und zu slowenischem Sprachgut im Kärntner Deutschen s.u.)

Interview zur Aufnahme des Slowenischen als „Landessprache“ in die Kärntner Verfassung

Ausführlicher unter KLM_2017

  

Der Begriff „Landessprache“ ist kein Rechtsbegriff, sondern die Bezeichnung für die „Sprache, die von [dem überwiegenden Teil] der Bevölkerung gesprochen wird“ (so DUDEN — Deutsches Universalwörterbuch). So gesehen ist auf den ersten Blick Deutsch die Landessprache in Kärnten. In den österreichischen Gesetzen, die den amtlichen Gebrauch von Sprache regeln, wird immer der Begriff „Amtssprache“ verwendet. Grundsätzlich ist Deutsch in der gesamten Republik Österreich gemäß der Verfassung Staatssprache, gleichzeitig auch Amtssprache, wird also in der Verwaltung, im Schulwesen, bei Gericht, beim Bundesheer, im öffentlichen Verkehr usw. verwendet.

Aus dem Artikel 7 des Staatsvertrages (BGBl. Nr. 152/1955) und dem sogenannten Volksgruppengesetz (BGBl. Nr. 396/1976) geht hervor, dass in den Verwaltungs- und Gerichtsbezirken Kärntens mit slowenischer und gemischter Bevölkerung das Slowenische zusätzlich zum Deutschen als Amtssprache zugelassen ist. Darüber hinaus ist das Slowenische auch im Schulwesen präsent (zweisprachiger Unterricht in der Volksschule, slowenisches Gymnasium usw.) und 164 Ortschaften führen je einen deutschen und slowenischen amtlichen Namen (s. http://members.chello.at/heinz.pohl/Ortsverzeichnis.htm); dazu kommen noch einige hundert weitere geographische Objekte, die neben einem deutschen auch einen slowenischen Namen haben (dazu s. http://www.volksgruppenbuero.at/services/C32 sowie http://members.chello.at/heinz.pohl/ON_Start.htm).   

Daraus folgt, dass dem Slowenischen in Kärnten der Charakter einer zweiten offiziellen Sprache — als zusätzliche Amts- und Unterrichtssprache neben dem Deutschen — zukommt, wenn dies auch nur für einen (relativ großen) Teil des Bundeslandes zutrifft. Wenn man nun Deutsch als „Landessprache“ bezeichnet, ist es die „erste Landessprache“ und das Slowenische eine weitere, also „zweite Landessprache“. Diese beiden Bezeichnungen sind aber — wie eingangs erwähnt — keine Rechtstermini, sie treffen aber aus sprachwissenschaftlicher Sicht zu, zumal die Kärntner Sprachlandschaft in ihrer Gesamtheit deutsch und slowenisch geprägt ist, was übrigens auch für andere Bundesländer bzw. Teile von diesen zutrifft, ohne dass es dort heute noch einen slowenischsprechenden bzw. gemischtsprachigen Bevölkerungsanteil gibt. Aus staats- und verfassungsrechtlicher Sicht ist aber „Landessprache“ synonym mit „Staatssprache“ (s.o.) und sollte daher in juristisch relevanten Dokumenten und Texten vermieden werden. In der neuen Kärntner Landesverfassung (2017) ist demnach im Artikel 5 festgehalten:

(1) Die deutsche Sprache ist die Landessprache, das heißt die Sprache der Gesetzgebung und — unbeschadet der der Minderheit bundesgesetzlich eingeräumten Rechte — die Sprache der Vollziehung des Landes Kärnten.

(2) Das Land Kärnten bekennt sich gemäß Artikel 8 Abs. 2 des Bundes-Verfassungsgesetzes zu seiner gewachsenen sprachlichen und kulturellen Vielfalt, wie sie in Kärnten in der slowenischen Volksgruppe zum Ausdruck kommt. Sprache und Kultur, Traditionen und kulturelles Erbe sind zu achten, zu sichern und zu fördern. Die Fürsorge des Landes gilt allen Landsleuten gleichermaßen.

Somit ist die slowenische Minderheit bzw. Volksgruppe in der Kärntner Landesverfassung ausdrücklich genannt. Näheres s. KLM_2017.

 

Slowenisch als Mutter- und Familiensprache

 

Muttersprache, auch Erstsprache, ist die Bezeichnung für jene Sprache, die ein Kind als erste erwirbt. Beide Begriffe sind synonym, der Begriff Erstsprache wird gewählt, wenn man deutlich machen will, dass ein Kind auch in einem frühen Lebensalter mehr als eine Sprache erwerben kann, der Begriff Muttersprache wird bevorzugt, wenn man betonen möchte, dass der eigentliche Spracherwerb bereits im Mutterleib beginnt. So geht man heute davon aus, dass Kinder bereits drei Monate vor ihrer Geburt mit dem Erwerb ihrer Muttersprache beginnen. Im Mutterleib ist das Kind bereits im sechsten Monat in der Lage, auf Laute zu reagieren und es registriert die Stimmlage seiner Mutter.

Die Linguistik bevorzugt heute den Begriff Erstsprache, eben die erste Sprache, die ein Kind erwirbt, demnach spricht man von „Erstspracherwerb“. Mit dem Gebrauch des Begriffs Erstsprache will man die (nicht nur wissenschafts-) geschichtlich bedingten Konnotationen des Begriffs „Muttersprache“ vermeiden (1), doch im alltäglichen Sprachgebrauch sollte man beim Begriff Muttersprache bleiben. Ein Kind, das gleich nach der Geburt etwa bis zum dritten Lebensjahr mit zwei (oder mehreren) Sprachen parallel konfrontiert wird, kann beide als Erstsprache erwerben. Man spricht dann von „bilingualem Erstspracherwerb“, der vom Zweitspracherwerb abzugrenzen ist, bei dem Kinder erst nach dem dritten Lebensjahr mit dem Erwerb beginnen. Gerade Sprachminderheiten leben der Mehrheit die Vorteile der Zwei- oder Mehrsprachigkeit vor. Bekanntlich steigen in Kärnten zwar die Anmeldungen zum zweisprachigen (deutsch und slowenischen) Unterricht, doch auf die tatsächliche Verwendung des Slowenischen im öffentlichen Leben Kärntens wirkt sich dies kaum aus. Auch die (slowenische) Sprachkompetenz der Schüler ist abnehmend. Meines Erachtens ist dies — neben anderen Ursachen — ein Reflex der Tatsache, dass in der heutigen Gesellschaft seitens vieler Eltern die Tendenz besteht, die Erziehung der Kinder immer stärker zunächst an den Kindergarten und dann an die Schule zu  delegieren.

Ein solcher bilingualer Erstspracherwerb ist nur dann möglich, wenn in der Familie (oder zumindest im familiären Umfeld) beide Sprachen gesprochen werden, also wenn Slowenisch Familiensprache ist. Zweisprachige Kindergärten und Schulen allein können den bilingualen Erstspracherwerb zwar unterstützen (und tun dies auch!), aber nicht die umfassende sprachfördernde Wirkung des alltäglichen Sprachgebrauchs in der Familie und im familiären Umfeld ersetzen, denn nur der ständige natürliche, zwanglose Sprachgebrauch in allen Situationen festigt den Spracherwerb. Auf diesem aufbauend erfolgt dann in der Schule das Erlernen der Kulturtechnik des Lesens und Schreibens sowie der gehobenen Sprachformen. Auf Kärnten bezogen: ein Kind, das zu diesem Zeitpunkt noch über keine muttersprachlichen Slowenisch-Kenntnisse verfügt, erlernt dann Slowenisch als Zweitsprache und von einem bilingualem Erstspracherwerb kann man dann nicht sprechen. Mit anderen Worten: wenn Eltern bilingualen Erstspracherwerb ihrer Kinder anstreben, müssen sie auch mit ihren Kindern von Geburt an täglich slowenisch sprechen und es als Familiensprache benützen (2). Daran führt kein Weg vorbei.

Im Jahre 2000 hat die UNESCO den 21. Februar zum „Internationalen Tag der Muttersprachen“ erklärt; damit sollte und soll auch weiterhin weltweit die sprachliche und kulturelle Vielfalt und die Mehrsprachigkeit unterstützt und gefördert werden (3). Im Jahr 2001 wurde auf Anregung des Europarates der „Europäische Tag der Sprachen“, eingeführt, womit die intensive Förderung der Mehrsprachigkeit unterstützt werden soll. Dieser Tag ist der 26. September.

 

(1)    Zu sehr legte man „Muttersprache“ vor allem zur Verteidigung der eigenen Sprache gegenüber anderen Sprachen und Muttersprachen aus, woraus sich bekanntlich im alten Österreich-Ungarn eine ziemlich aggressiv geführte Sprachenpolitik entwickelte, indem man diesen Begriff hauptsächlich als nationalpolitisches Werkzeug sah.

(2)    So ist es in Großbritannien gelungen, die bereits als ausgestorben betrachteten keltischen Sprachen Kornisch (oder Cornisch) und Manx wieder zu beleben. Derzeit hat Kornisch mindestens 250 Sprecher und es gibt Schulunterricht auf freiwilliger Basis (in 13 Familien sollen Kinder mit kornischer Muttersprache aufwachsen). Für Manx gibt es eine nicht genau bekannte Anzahl von Sprechern, doch es ist Unterrichtssprache in 5 Kindergärten und zwei Volksschulen. Eine wichtige Voraussetzung zu diesem (eher bescheidenen) Erfolg war der Gebrauch der Sprache in der Familie. — Siehe die Übersicht über die Sprachen Europas unter http://members.chello.at/heinz.pohl/Sprachen_Europas.htm.

(3)    Zum 3. Internationalen Tag der Muttersprachen 2003 gab es eine Aussendung der Kärntner Slowenen  — die einzige in Österreich mir bekannte — zum zweisprachigen Schulunterricht, der sowohl der Pflege der Muttersprache als auch der Förderung der Mehrsprachigkeit dient.

 

Slowenisches im Kärntnerischen

 

Die Koexistenz zweier Sprachen in Kärnten, der bäuerlichen südbairischen Mundart und städtisch-österreichischen Verkehrssprache einerseits und der slowenischen Mundarten andererseits haben zu einer starken gegenseitigen Beeinflussung geführt. Mitte des 19. Jhdts. sprach fast  ein Drittel der Kärntner Bevölkerung slowenisch, Mitte des 20. Jhdts. waren es nur mehr ca. 10%; heute sprechen nach den Volkszäh­lungsergebnissen noch rund 3% slowenisch und einige weitere Prozent beherrschen die Sprache. Im gemischtsprachigen Gebiet Kärntens sind viele Kinder zum zweisprachigen Schulunterricht angemeldet; eine (mehr oder weniger) rein slowenische Gemeinde ist Zell / Sele, größere Anteile von Slowenen haben u.a. Globasnitz / Globasnica, Ludmannsdorf / Bilčovs, Feistritz ob Bleiburg / Bistrica nad Pliberkom und Eisenkappel-Vellach / Železna Kapla-Bela und einige andere Gemeinden im Jaun-, Rosen- und Gailtal.

 

Einige slowenische Lehnwörter im Kärntner Deutsch

 

Hudítsch Teufel (> slowenisch hudič), als Fluch

Jaukh  Föhn (< slowenisch jug Süden)

Jausn Jause, (im Lesachtal) Mittagessen (< slowenisch južina Mittagessen; das slowenische mala južina Zwischenmahlzeit ergab in der Mundart [máužna] und wurde so zu einer slowenischen Parallele zum AustriazismusJause)

Kaišn Keusche (< slowenisch hiša, germanisches Lehnwort)

Koper Dille (< slowenisch koper)

Kopriz ein Almkraut (Futterpflanze) (Mölltal, Lesachtal, auch Osttirol, < slowenisch koperc Fenchel)

Maischl Netzlaibchen (rückentlehnt aus slowenisch majželj <  bairisch *Maiselein kleine Schnitte; eine ähnliche Speise heißt im Lavanttal und Nordkärnten lēbǝlan [Plural])

moidū´sch meiner Seel’“ (< slowenisch (pri) moji duši)

Munkn einfache bäuerliche Speise aus geschrotetem Getreide (< altslowenisch *mo(n)ka Mehl, heute slowenisch moka)

Paier Quecke (ein Ackerunkraut, < slowenisch pirje)

Patsche / Påtsche Eber (< slowenisch pačej aus dem Deutschen, zu Bock)

Plēschn (alt) großer Acker (< slowenisch pleša  kahle Stelle, vgl. Ortsnamen wie Plöschenberg)

Polsn Heuschlitten (< slowenisch polza Tragbaum, Pflugschleipfe)

Potíze Potitze, Rollkucken (< slowenisch potica)

Puaklat (alt)  vorderer Teil des Heufuders (Mölltal, < slowenisch mundartlich pod unter + klet Haufen)

Sāsaka Verhacktes, ausgelassener geräucherter Speck (< slowenisch zaseka)

Schwachta / Schwåchta Sippschaft (abwertend) (< slowenisch mundartlich žłahta Geschlecht aus dem Deutschen)

Strankele Fisole, grüne Bohne (< altslowenisch stro(n)k- Schote, Hülse, heute slowenisch strok)

Wābm altes Weib (< slowenisch baba alte Frau)

zwīln klagen, jammern (< slowenisch cviliti)

 

Bemerkenswert sind die semantischen Gleichungen nach romanischen Vorbildern wie (der/das) Unterdå´ch Dachboden (wörtlich Unterdach wie slowenisch podstrešje und furlanisch sotèt < romanisch subtum tectum) oder Auswart Frühling (wörtlich auswärts, vgl. slowenisch vigred [wörtlich Ausgang] und furlanisch insude < romanisch *in-exitus).

 

Slowenischer Einfluss im Satzbau: Ein eindeutig slowenischer Einfluss ist die Ellipse (der Wegfall) des Pronomens es bei unpersönlichen Verben, z.B. hait rēgnet heute regnet es, gestern wår åber khålt gestern war es aber kalt. Diese Konstruktion ist v.a. in Unterkärnten verbreitet, aber auch Klagenfurt und Villach nicht fremd. Ob die präpositionslose Richtungskodierung slowenischer Herkunft ist oder bloß ein Sprachkontaktphänomen, kann nicht entschieden werden (Beispiel: i får Khlågnfurt ich fahre nach Klagenfurt; in echter bäuerlicher Mundart würde hier auf stehen). Im gemischtsprachigen Gebiet ist nach slowenischem Vorbild aber (slowenisch pa) recht häufig, wo man es in anderen Gegenden und in der Umgangssprache nicht hört, z.B. frai i mi åber, dås i di sīg ich freue mich, dass ich dich sehe. Dazu kommt noch eine eigenartige Satzintonation, die jeden Unterkärntner verrät. Unsicher ist slowenischer Ursprung für Konstruktionen wie i pin gschlåfn ich habe geschlafen (mit bin statt habe wie im Slowenischen bei allen Verba; da aber schlafen ursprünglich schlaff liegen bedeutet  hat, kann das Hilfszeitwort sein hier auch alt sein wie bei liegen, stehen usw.).

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