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Fragt man zehn am Kochen interessierte Österreicher über
die Herkunft des Wiener Schnitzels, wird mindestens die Hälfte antworten: „Aus Mailand, wo es als Costoletta alla Milanese bekannt
war“.
Diese auf eine
Biographie über den österreichischen Feldmarschall Graf Radetzky zurückgehende
und inzwischen zur Legende gewordene Ansicht ist – zum Kummer kulinarischer
Märchenerzähler sei es gesagt – falsch.
Angeblich habe
Radetzky, der 1848 über die
politisch-militärische Lage in der Lombardei an den Wiener Hof berichtete,
nebenbei erwähnt, er habe ein „Kalbskotelett in Ei gewälzt, paniert und in
Butter gebacken“ kennen gelernt. Dieser Bericht soll die Geburtsstunde des
Wiener Schnitzels gewesen sein. Die hübsche und mit einem bekannten Namen
garnierte Geschichte wurde in der Folge immer wieder abgeschrieben und verbreitet.
Das Costoletta alla Milanese als mit Ei und Bröseln paniertes
Kalbskotlett ist weder mit dem Wiener Schnitzel ident, noch kann es als dessen
Vorfahre angesehen werden. Es gehört vielmehr zu den zahlreichen im
kochbuchschreibenden Europa seit langer Zeit beschriebenen, mit Ei und Brösel
panierten und aus Fett herausgebackenen Speisen, die allesamt längst zu den
gängigen Kochtechniken gehörten. Ein Beispiel: im hochberühmten Salzburgischen
Kochbuch des Conrad Hagger (1719) findet
sich unter dem Titel Presolen oder Carbonaden
„ ..... dann netze sie noch einmal wohl mit
zerklopften Eyern und besprenge sie geschwind mit angemachten geriebenem Brod,
lass liegen bis es Zeit zum Anrichten ist, dann backs schnell aus heissem
Schmalz“ (Originaltext hier).
Die richtige
Fragestellung müsste daher lauten, wann und wo aus den vielfachen
Überlieferungen des Panierens und Backens die präzise Rezeptur des Wiener Schnitzels,
wie wir es kennen und schätzen und wie es zu einem kulinarischen Begriff wurde,
entstanden und, wenn es schon nicht in Wien geboren, so doch, wie es dorthin gekommen
ist.
Die älteste, mir
bekannte präzise gedruckte Rezeptur des Schnitzels, das später „Wiener“ genannt
wurde, findet sich in einem in München erschienen Kochbuch des Mr. Jean
Neubauer (Imprimatur 1774, gedruckt
in mehreren Auflagen), welches nachweislich
auch in Wien verbreitet war. Der Autor bezeichnet sein Rezept
als „Gebachenes auf flamändisch“. Eine Kopie dieses Rezeptes hier. Vergleicht man es mit späteren
Rezepten (v.a. Fleisch vom Kalbsschlegel, siehe hier meinen allgemeinen Beitrag),
ist nicht mehr zu zweifeln, dass das „Gebachene“ Neubauers mit dem später so
bezeichneten Wiener Schnitzel vollkommen ident ist. Bereits nach der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert war daher das
gebackene Schnitzel – wenn auch nicht mit der Bezeichnung „Wiener“ versehen –
in Wien bekannt und so geschätzt, dass es bald zum kulinarischen Begriff wurde.
Versuchen wir uns
in diese Zeit zu versetzen. Aus der ganzen Monarchie zog Wien als Kaiserstadt
Besucher an sich, die nach ihrer Heimkehr von dem berichteten, was sie
besonders beeindruckte. Schon 1831,
also 17 Jahre vor dem angeblichen Radetzkybericht findet sich im Kochbuch der
Anna Maria Neudecker (zum Buch),
gedruckt in Prag, auf Seite 48 das Rezept mit der Bezeichnung „Wiener Schnitzel
vom Kalbfleisch“ (zum Rezept). 1835 rezeptierte Josepha Kraft in ihrem
Kochbuch „Die wirthschaftliche Wiener Köchin“ (Bild) das „Gebackene Kalbfleisch“ wie
folgt:
„Das Kalbfleisch wird in dünne Schnitzel geschnitten,
gewaschen, gesalzen und in Mehl getaucht, in abgeschlagenes Ey getunkt, in
Semmelbrösel einbanniert und aus Schmalz gebacken“ (zum Rezept)
Bereits im Jahr 1845 erfuhren die Breslauer aus dem
dort gedruckten Kochbuch der Caroline Baumann unter Nr. 192, dass das „Wiener
Schnitzel ein in neuerer Zeit sehr beliebtes Gericht“ sei (Buchtitel: „Die Köchin aus eigener Erfahrung oder
allgemeines Kochbuch für bürgerliche Haushaltungen“, 2. Auflage 1845, 3.
Aufl. 1850).
Der 1766 geborene
Radetzky war, als Neubauer (s.o.) sein Rezept veröffentlichte, ein 8-jähriger
Bub. In den späteren Jahren weilte er auf Grund seiner militärischen Stellung
überwiegend fern der Haupt- und Residenzstadt Wien, sodass ihm die dortigen
Tafelfreuden nicht geläufig waren und er um 1848 ein in Mailand gebackenes Kotelett (mit Rippe) als besondere
Gaumenfreude erwähnte. Doch die oben angeführten Kochbuchzitate erweisen mit
Gewissheit, dass die so zählebige Radetzky-Legende und die mit ihr verbundene
Berufung auf das Costoletta alla Milanese als Ahn des Wiener
Schnitzels falsch ist. Natürlich ist nicht auszuschließen, dass noch ältere
Texte auftauchen, sie würden jedoch nur das bestätigen, was hier gesagt wurde.
Die Münchner
allerdings sollten nun nicht meinen, das Wiener Schnitzel sei ein Münchner
Kind. Neubauer bezeichnet sein Rezept als „flamändisch“, daher „flandrisch“. Er
hat es offenbar von dort bezogen. Nun waren aber bekanntlich sowohl Mailand als
auch Flandern seit 1714 habsburgisch-österreichisch,
daher erscheint im Namen des „Wiener Schnitzels“ der Bezug auf die Haupt- und
Residenzstadt Wien als durchaus legitim.
Zusammengestellt nach mehreren
mir zugegangenen Informationen.