„Mit der Kommerzialisierung und der Verdichtung des Kommunikationsnetzes, mit dem wachsenden Kapitalaufwand für und dem steigenden Organisationsgrad von publizistischen Einrichtungen wurden die Kommunikationswege stärker kanalisiert und die Zugangschancen zur öffentlichen Kommunikation immer stärkerem Selektionsdruck ausgesetzt. Damit entstand eine neue Kategorie von Einfluss, nämlich eine Medienmacht, die, manipulativ eingesetzt, dem Prinzip der Publizität seine Unschuld raubte. Die durch Massenmedien zugleich vorstrukturierte und beherrschte Öffentlichkeit wuchs sich zu einer vermachteten Armee aus, in der mit Themen und Beiträgen nicht nur um Einfluss, sondern um eine in ihren strategischen Intentionen möglichst verborgene Steuerung verhaltenswirksamer Kommunikationsflüsse gerungen wird" (Habermas 1990, S. 28).
Die Konzeption der telekommunitären Demokratie ist
eine Reaktion auf die sozialwissenschaftliche Erkenntnis, daß in
den heutigen westlichen Demokratien die wichtigsten sozialen, politischen
und wirtschaftlichen Entscheidungen von elitären Minoritäten
getroffen werden. Das Scheitern der Umsetzung der klassischen partizipatorischen
Demokratievorstellung im Rahmen einer Informationsgesellschaft (insbesondere
des implizierten Machtgleichheitsprinzips) wird nicht darauf zurückgeführt,
daß diese auf realitätsfremden und fehlerhaften Annahmen beruht,
sondern lediglich darauf, daß diese ihre begründeten normativen
Annahmen wegen dem Konflikt mit der sozialen Wirklichkeit (d.h. besonderes
der Macht existierender Eliten) bis heute noch nicht durchsetzen konnte.
Die telekommunitäre Demokratie weigert sich daher die allgegenwärtige
Eliten-Massenstruktur als unüberwindlich oder als notwendig für
das Funktionieren einer Demokratie zu sehen, sondern sie sieht in ihrer
Existenz gerade den Grund dafür, daß es bis heute nicht zu einer
erfolgreichen gesamtgesellschaftlichen elektronischen Demokratisierung
gekommen ist.
Dagegen definieren Arnopoulos und Valaskakis politische Entwicklung:
"The first step in this task is to make quite explicit what we mean by "political development" which we can define as: the process of improving the capability of a social system to attain its goals by increasing collective decision-making" (Arnopoulos/Valaskakis, 1982, S. 4).
Ein hochentwickeltes politisches System würde daher die Kriterien der rechten Spalte der Tabelle 5.1 erfüllen.
Tabelle 5.1: Indikatoren politischer Unterentwicklung und Gegenstrategien.
Politische Unterentwicklung | Politische Entwicklung |
Elitismus | Machtgleichheit |
Verantwortungslosigkeit | Verantwortung |
Vermachtung | Repräsentative Öffentlichkeit |
Anomie | Spielregelsystem-Modifikation |
Entfremdung | Legitimität |
Apathie | Beteiligung |
Atomismus | Aktive Bürgergesellschaft |
Geheimhaltung | Wissen |
"At the core of these traits are the rights and duties of all citizens to be concerned and become involved in the public affairs of their community. This notion of citizenship as active role playing in the political arena is the essence of classical politics which has unfortunately been downgraded in modern times" (Arnopoulos/ Valaskakis, 1982, S. 5).
Die vorgeschlagene Lösung der Gamma Group basiert auf der Förderung der Verantwortungsgesellschaft. Eine zentrale Prämisse der Gamma Group besagt, daß eine erhöhte Politisierung der Bevölkerung Entfremdungseffekte reduziert und dem verantwortungsvollen wie legitimen Regieren dient. Anstelle der Kontrolle und Lenkung der Bevölkerung durch IKT Vorschub zu leisten, wird IKT eingesetzt, um die Bürger mit substantiellen Einflußmöglichkeiten im politischen Prozeß auszustatten, d.h. telekommunitäre Demokratie = politische Entwicklung + IKT. Die Frage, ob die telekommunitäre Demokratie eine utopische Vision oder eine wahrscheinliche Zukunftsentwicklung darstellt, beantwortet die Gamma-Group mit der Schlußfolgerung, daß diese sowohl möglich als auch wünschenswert ist.
„Das Internet wird nicht automatisch zu einer Politisierung
seiner Bewohner führen. Die Möglichkeiten, die bestehenden Kommunikationsverhältnisse
auszuweiten und einen großen Informationsfluß zu gewähren,
stellen aber Chancen dar, die nicht ungenutzt bleiben dürfen. Eine
weite Vernetzung, eine aktive Einbindung der Möglichkeiten in das
institutionalisierte und nicht-institutionalisierte politische System und
so die Aufhebung zwischen realer Politik und virtuellem Übungsplatz
können das Potential des Internet weiter fördern und ausbauen“
(Neymanns, 1996, S. 83).