Akupunktur

   

 

 

 

 

 
 
 
 
 
 
 

 

 
Dieser Artikel wurde der Ausgabe DAO 3/99 entnommen.
Nicht jeder Stich wirkt Wunder

Akupunktur sollte nur auf Basis einer klaren Diagnostik von Qi und Blut erfolgen. Von Ralf Luthardt

Die Anwendung von Akupunktur hat sich in Deutschland in den vergangenen Jahren stark verbreitet. Denn die chinesische Nadel-Therapie ist eine sanfte und wirkungsvolle Alternative zur Schulmedizin. Dies gilt vor allem für funktionelle Störungen, chronische Schmerzzustände und eine Vielzahl psychosomatischer Erkrankungen. Mit Akupunktur können hier deutliche Besserungen, oft sogar vollständige Heilungen erzielt werden - vorausgesetzt, die Behandlung wird fachgemäß und von gut ausgebildeten Therapeuten durchgeführt.

 



Diagnose falsch gestellt.

Das allerdings ist ein heikles Thema. Denn vielen schulmedizinisch ausgebildeten Therapeuten fällt es schwer, sich auf ein so völlig anderes Diagnose- und Therapie-System wie das der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) einzulassen. Daher wird oft westliche Diagnostik mit östlicher Behandlung - vor allem Akupunktur - kombiniert. Legitim mag eine solche „Behandlungs-Mixtur“ dadurch scheinen, dass auch in einigen Ausbildungen die Indikation von Akupunkturpunkten hauptsächlich aus Sicht der westlichen Medizin erklärt wird - also quasi nach dem Kochbuch-Schema: „Hier ist Punkt x, da muss man reinstechen, wenn es da und da weh tut“. Völlig außer acht gelassen wird in solchen „Ausbildungen“ die Bedeutung einer umfassenden Diagnostik und der energetischen Wirkung der einzelnen Akupunkturpunkte. Die direkte Folge ist, dass sich Fälle häufen, in denen eine Akupunkturbehandlung kontraindiziert war oder falsch ausgeführt wurde. Dazu zwei Beispiele:
- Bernd K., 45 Jahre alt, seit einigen Jahren Schlafstörungen und Unruhezustände, kam in meine Praxis, nachdem er bereits sechs Monate regelmäßig mit Akupunktur behandelt worden war und die Beschwerden sich immer weiter verschlimmert hatten. Nach etwa vier Wochen, in denen er Ernährung und Lebensgewohnheiten umstellte und mit Kräutern therapiert wurde, konnte er wieder durchschlafen. Hier lag eine Erschöpfung des Blutes und der Substanz zu Grunde. Die Behandlung mit Akupunktur hat diesen Zustand noch verschlimmert.
- Katrin S., 30 Jahre, hat gerade ein Kind entbunden. Sie litt schon einige Jahre an starken Kopfschmerzen. Gegen Ende der Stillzeit ließ sie sich gegen diese Schmerzen akupunktieren. Dabei wurden nach ihrer Aussage pro Sitzung zirka 30 Nadeln eingesetzt. Bei der dritten Sitzung bekam sie leichte Krämpfe in den Händen und zu Hause dann einen Krampfanfall. Sie fühlte sich unruhig und getrieben, litt an Schlaflosigkeit und Haarausfall. Auch hier wurden Blut und Substanz durch massive Akupunkturbehandlung geschwächt und das bei einer Frau, deren Gesamtzustand durch Schwangerschaft und Stillzeit bereits angegriffen war. Nach einer gezielten Kräuterbehandlung in Verbindung mit Ruhe, um Blut und Substanz aufzubauen, beruhigten sich die Krämpfe wieder.

Fazit: Mit Akupunktur lässt sich vieles erfolgreich behandeln. Dennoch macht sie nur einen kleinen Teil (etwa 20 Prozent) am ganzheitlichen Behandlungskonzept der TCM aus und sollte nur auf Grundlage einer klaren Diagnostik von Qi und Blut angewandt werden. Diese wiederum muss deutlich getrennt werden von Diagnostik und Vorgehen aus schulmedizinischer Sicht.

Was ist Qi?

Qi wird bei uns oft mit dem Begriff Energie gleichgesetzt. In der TCM wird Qi als ein Energienebel oder Energiedampf beschrieben. Das heißt als eine substantielle Energie, welche den Körper wärmt, bewegt, aber auch nährt. Unterschieden wird zwischen vorgeburtlichem und nachgeburtlichen Qi. Ersteres entspricht dem Potential an verdichtetem, essentiellen Qi, das jeder Mensch von seinen Eltern mitbekommt. Diese „vorgeburtliche“ Essenz macht unsere Konstitution und Persönlichkeit aus. Sie kann nicht aufgefüllt werden, aber lässt sich durch Übungen wie zum Beispiel Atemübungen, Qigong, Taiji und Yoga beeinflussen. Mit dem ersten Atemzug und der ersten Nahrungsaufnahme werden daraus „nachgeburtliches“ Qi, Blut und Substanz entwickelt.

Qi wird eingelagert.

Im Laufe jeden Tages verbrauchen wir einen Teil unseres Qi. Der Rest wird verdichtet und im Schlaf vor 24 Uhr als Substanz oder Essenz eingelagert. Die Vereinigung von vorgeburtlicher und nachgeburtlicher Essenz wird Nierenessenz genannt. Die Sammlung dieser Nierenessenz kann man sich wie einen See vorstellen, der räumlich zwischen den Nieren lokalisiert wird. Dieser See mit Nierenessenz wird im Normalfall durch das Qi, das aus der Ernährung, Atmung und Lebensweise gewonnen wird, immer wieder aufgefüllt.

Die „Körper-Flamme“ verbrennt Substanz.

Vergleichbar ist dieses Bild mit einer Kerze. Das Wachs der Kerze entspricht der Essenz und Substanz, dem „Yin“; die Flamme hingegen dem Qi und der Wärme des Körpers, dem „Yang“. Diese „Körper-Flamme“ verbrennt ständig Wachs. Je stärker sie angeregt wird - etwa durch Stress, Alkohol, Drogen, exzessive Lebensweise, Schlafmangel oder Akupunktur - desto mehr Substanz wird verbraucht. Ist die Kerze heruntergebrannt, gibt es für die Lebensflamme keinen Brennstoff mehr und wir sterben.

Das Versorgungssystem: die Meridiane.

Mit Qi versorgt wird der Körper durch ein Kanalsystem, dessen Leitbahnen man Meridiane nennt. Auf diesen Meridianen liegen Akupunkturpunkte, an denen das Qi gesammelt und weitergeschleust wird. Gesundheit und Wohlbefinden eines Menschen hängen von Menge, Bewegung und Fließgeschwindigkeit des Qi ab. Beschwerden hingegen sind immer der Ausdruck eines Ungleichgewichts zwischen Qi, Blut, Meridianen und Organen.

Genaue Diagnostik ist die Grundlage.

Ein einfaches Beispiel ist ein lokaler Schmerz, der durch einen Stoß ausgelöst wird. Dabei wird ein Meridian zusammengequetscht. Es staut sich Qi, und hinter dem Stau fließt wenig oder kein Qi. Das verursacht den Schmerz.
Die Behandlungsmethode, die jeder dann instinktiv und spontan ausführt, ist, den Bereich zu reiben, auszustreichen oder einfach die Hand draufzulegen. Das regt den Qi-Fluß wieder an und lindert die Schmerzen. Im Prinzip macht Akupunktur dasselbe, dank der fein abgestimmten TCM-Diagnostik nur gezielter - und vor allem frühzeitiger.
Denn der Körper ist wie ein empfindliches Messinstrument, das lange bevor Beschwerden auftreten Veränderungen anzeigt - man muss sie nur erkennen und verstehen. So entstehen Stagnationen zum Beispiel nicht nur durch mechanische Beeinflussung. Auch Energieformen wie Kälte, Hitze, Wind und Feuchtigkeit können bewirken, daß das Qi falsch fließt oder stockt, ebenso Stress, falsche Ernährung oder körperliche Fehl- oder Überbelastungen.

Bei Wut steigt das Qi nach oben.

Dabei erzeugt jede dieser krankhaften Veränderungen des Qi- und Blut-Flusses bestimmte körperliche und psychische Muster. Eingedrungene Kälte zum Beispiel äußert sich durch Frösteln und die ersten Anzeichen einer Erkältung wie eine laufende Nase mit klarem Sekret, leichten Kopfschmerzen bis hin zu Gliederschmerzen. Ein anderes Muster zeigt sich bei psychischen Ursachen: Entladen sich etwa lang angestaute Emotionen in einem Wutanfall, steigt das Qi nach oben und macht einen roten Kopf bis hin zu Kopfschmerzen.
In der Behandlung bestimmt der TCM-Therapeut mit verschiedenen Diagnosetechniken die Ursachen der Beschwerden, um dann gezielt eingreifen zu können - ob mit Kräutern oder mit Akupunktur. Ziel der Behandlung ist in jedem Fall, das körperliche Gleichgewicht und das Fließen von Qi und Blut wiederherzustellen.

Jeden Menschen individuell erfassen.

Auch wenn eine Anzahl von Menschen gleiche Schmerzen oder Beschwerden haben, wird das diagnostische Bild auf Grundlage der TCM bei jedem anders sein. Deshalb rate ich in meinen Ausbildungskursen, immer jeden Menschen neu und individuell zu erfassen und sich nicht durch westliche beschriebene Krankheitsbilder festlegen zu lassen. Ich sehe die Behandlung nach der TCM als eine klar strukturierte und zielorientierte Methode, nicht nur die Symptome, sondern auch den Ursprung einer Erkrankung zu behandeln.


 

Der Autor

Ralf Luthardt ist Heilpraktiker. Seine erste Ausbildung in TCM mit dem Schwerpunkt Ernährung erhielt er 1975 bei Ihor Maygutiak, weitere Ausbildungen beim Kebayoran College of Traditional Acupuncture Jakarta, dem Avicenna Institut mit Claude Diolosa und an der Chengdu University of Traditional Chinese Medicine in der Volksrepublik China. Seit 1990 unterrichtet Ralf Luthardt Traditionelle Chinesische Medizin: Ernährung, Akupunktur, spezielle Kurse für Hebammen, Taiji und Qigong in Freiburg, Köln und Zürich


Schnellsuche
Suchbegriff

 

AKUPUNKTUR IN DER PRAXIS

Was passiert im Körper?
Mit Akupunktur wird durch Stechen in die Akupunkturpunkte und die Manipulation der Nadel (zum Beispiel Drehen) das Qi aktiviert, sein Fluss reguliert und harmonisiert. Je nach Beschwerden werden dabei Energiestagnationen zerstreut, bestimmte Schleusen geöffnet und der Qi-Fluss beschleunigt oder beruhigt.

Was fühlt man?
Optimal ist es, wenn man beim Einstich ein leichtes Kribbeln fühlt - das „Dequi“-Gefühl, welches zeigt, dass der Akupunkteur das Qi getroffen hat. Auch dumpfes Ziehen oder leichtes bis starkes Elektrisieren können ein Zeichen von „Deqi“ sein. Manche Patienten spüren sogar, wie sich dieses Gefühl im Körper ausbreitet. Dabei beschreiben sie oft den genauen Verlauf des Meridians, auf dem der entsprechende Punkt liegt.

Wie lange müssen die Nadeln „wirken“?
Die Wirkung von Akupunktur beruht ausschließlich auf der Stichtechnik und der Manipulation der Nadeln. Ein Belassen der Nadeln in den Akupunkturpunkten für 20 Minuten, wie es sehr häufig angewandt wird, ist daher eigentlich nicht notwendig. Andererseits hat das Liegen für einen bestimmten Zeitraum in unserer bewegten Zeit auch einen harmonisierenden Einfluss auf den Fluss des Qi.

Wie schnell ist eine Besserung spürbar?
Da der Fluss des Qi gezielt beeinflusst wird, sollte direkt nach der Nadelung eine Veränderung spürbar sein. Meist stellt sich spontan das Gefühl von Erleichterung und Verbesserung der Beschwerden ein. Manchmal ist eine Veränderung nicht klar spürbar, dann aber sollte zumindest von Behandlung zu Behandlung eine Verbesserung feststellbar sein. Haben sich die Beschwerden nicht innerhalb der ersten drei bis fünf Behandlungen verbessert oder womöglich verschlimmert, sollte die Therapie neu überdacht werden.

Können sich die Beschwerden „erst- verschlimmern“?
Erstverschlimmerungen wie in der Homöopathie gibt es eigentlich nicht in der Akupunktur-Therapie, die ausgleichend und harmonisierend wirken soll. Bestimmte Behandlungtechniken allerdings können große „Qi-Stasen“ auflösen, so dass das freigesetzte Qi für eine bestimmte Zeit Beschwerden verursacht. Diese treten nur über einen begrenzten Zeitraum von Stunden auf, und ein erfahrener Therapeut sollte im Vorfeld darauf hinweisen.

Wie viele Nadeln werden gesetzt?
Für eine gezielte Akupunkturtherapie reichen normalerweise weniger als zehn Nadeln aus. Mit jeder Nadel, die gesetzt wird, wird auch etwas Qi und Substanz verbraucht. Wenn wir auf das Bild der Kerze zurückkommen, ist jeder Nadelstich wie das Blasen in die Flamme (Bewegung des Qi) der Kerze und dadurch wird auch immer etwas vom Wachs (Substanz) verbrannt.

Ist Akupunktur für jeden empfehlenswert?
Menschen mit geschwächter Konstitution sollten nur mit großer Vorsicht und Aufmerksamkeit genadelt werden. Hierunter fallen vor allem Frauen während oder direkt nach der Schwangerschaft, aber auch alte Menschen und Menschen nach einer langen erschöpfenden Krankheit. Auch wenn Qi gebunden ist - etwa durch die Verdauung oder starke emotionale Krisen - oder wenn der Qi- Fluss stark beschleunigt ist wie durch körperliche Belastungen oder Alkohol und Drogen, sollte nicht akupunktiert werden.

Kurzdiagnose vor jeder Sitzung
Faktoren wie das Wetter, die Jahreszeit, Stress, die emotionale Situationen, Anspannung und Entspannung haben einen Einfluss auf das Fließen von Qi und Blut. Deshalb ist es wichtig, vor jeder Akupunkturbehandlung einen aktuellen Eindruck vom Stand von Qi und Blut zu bekommen, um die Therapie daraufhin abzustimmen. Meist reichen hierfür einige Fragen zum aktuellen Befinden und das Tasten der Pulse aus.

weiterführende Literatur