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Ein Vortrag von Mag. rer. nat. Dr. iur. Pierantonio Rismondo

 

WIE LOGISCH IST DAS RECHT ?

EIN WISSENSCHAFTSTHEORETISCHER AUFSATZ,

vorgetragen an der Universität Innsbruck und im Juristenverband.

Jedes Rechtssystem ist ein theoretisches Modell fuer Sachverhalte der Wirklichkeit, des Lebens. Was soll dieses Modell können, was erwarten wir?

Intuitiv soll es verständlich, nachvollziehbar sein, wir kennen die Floskel des Verfassungsgerichtshof: "entspricht den Denkgesetzen und den Erfahrungen des täglichen Lebens."

Es gibt intuitive Denkregeln, wie es auch intuitive Begriffe gibt. Wenn ich argumentiere, so werden Sie meinen Ausfuehrungen folgen können, werden Sie Ihnen logisch erscheinen, weil der Mensch, zumindest im selben Kulturkreis, dieselben Denkmuster hat.

Zu den intuitiven Begriffen: was ist ein Punkt, was ist eine Gerade, was ist eine Zahl?

Jeder von uns rechnet, auch der Jurist. Ich bin sicher, dass Sie in der Schule nie die Definition, wissenschafts- theoretisch haltbar, von der Zahl oder eines Punktes gehört haben. Nicht nur bei den Rechtswissenschaften, sondern sogar bei einer formalen Wissenschaft wie die Mathematik gibt es das Problem, intuitive Begriffe in ein formales Modell zu bringen

Werkzeug für die Formalisierung von Wissenschaften ist die Aussagenlogik. Sie ist brauchbar etwa für die Mathematik, um unsere intuitiven Begriffe wie Punkt oder Zahl in den Griff zu bekommen, das heißt eine solide Basis für die Wissenschaft der Mathematik zu liefern.

Wieweit kann Aussagenlogik, oder allgemeiner, formale Logik ein brauchbares Instrument für die Rechtswissenschaften sein?

Die Darstellung der Formalismen des Aussagenkalküls spare ich aus, es sprengt den Rahmen dieses Aufsatzes. Doch möchte ich die Kriterien eines solchen Kalküls herausarbeiten um zu überlegen, wieweit sie für Jus brauchbar oder sogar gefordert sind.

Es geht hier um Begriffe wie Vollständigkeit, Widerspruchsfreiheit, Metaebene, Hierarchie, System und Interpretation.

Ein Kalkül oder ein System der Aussagenlogik besteht im Wesentlichen aus einer Menge von Axiomen. Prämissen, aus denen sich aufgrund von zulässigen Ableitungsregeln Aussagen ableiten lassen. Zusätzlich gibt es eine Entscheidungsfunktion, die jeder so gebildeten Aussage einen Wert zuordnet, nämlich 0 für falsch und 1 für wahr.

Zumindest im einfachen Fall der klassischen Logik, denn diese Zuordnungsfunktion auf nur 2 Werte, interpretiert als falsch oder wahr, ist ja eine rein willkürliche, geprägt vom intuitiven Verständnis, entweder es ist etwas falsch oder wahr.

Für die formale Konstruktion könnte auch jeder Wert zwischen 0 und 1 gewählt werden. Etwa 0,7 das kennen wir von den statistischen Methoden, die dann interpretiert, in 70 Prozent der Fälle ist das wahr.

Beginnen wir mit den Begriffen System und Axiom, aus dem alles andere, die Aussagen, ableitbar sind und auf ihren Wahrheitsgehalt geprüft werden können.

Wir erkennen, es gibt Elemente, die verschiedenen Naturen haben wie Ableitungsregeln einerseits und Axiome und Aussagen andrerseits, wobei es auch Hierarchiestufen gibt. Das Axiom steht über der Aussage, weil sich ja die Aussage aus dem Axiom ableitet.

Hier fällt uns die Ähnlichkeit zu unserem Rechtssystem auf. Axiome sind hier die Bestimmungen des Verfassungsrecht, aus diesem ergibt sich das einfache Gesetz, in dem Tatbestände beschrieben sind aus dem konkreten Sachverhalt kann mittels Zuordnungsregeln erkannt werden, oder eben auch nicht, welche Entscheidung als die richtige vom Rechtsanwender zu treffen ist.

Unsere Aussagen sind Urteil oder Bescheid, denen der Wert richtig oder falsch zugeordnet wird. Diese Zuordnung trifft das Gericht oder die Behörde, wobei der Betroffene fuer sich selbst auch eine Zuordnung trifft, die, wenn sie mit der Entscheidung der zuständigen staatlichen Entscheidungsträgers übereinstimmt als logisch empfunden wird.

Zurück zum Verfassungsrecht. Artikel 1 der Bundesverfassung lautet: "Österreich ist eine demokratische Republik, ihr Recht geht vom Volke aus". Aus der Formulierung Ihr Recht geht vom Volke aus und nicht das Recht geht vom Volke aus entstand der bekannte Streit, ob es neben dem positiven, in der Verfassung normierten Recht noch ein anderes gibt, etwa ein Naturrecht, ein göttliches oder sonstiges Recht gibt.

Der alte Streit also zwischen den Positivisten und den Naturrechtlern. Bauen wir unser Recht gemäß formaler Logik als einem Aussagenkalkül möglichst ähnlichem System auf, müssen wir uns auf die Seite der Positivisten schlagen.

Zumindest hat das Kelsen offensichtlich gemacht. Dazu schreiben Walter/Mayer in ihrer Einführung zum Verfassungsrecht: "Da oberste Normen von Menschen letztlich nicht erkannt werden können, Werturteilsproblem, muss eine auf Erkenntnis ausgerichtete Wissenschaft von einer Annahme ausgehen: Sie muss festlegen, dass die Anordnungen des betrachteten Systems Normen sind, d.h. Geltung aufweisen, verbindlich sind. Diese unbeweisbare Annahme nennt Kelsen die Grundnorm.

Ich nenne sie Axiom, eines von vielen unserer Rechtsordnung. Das ist ein Indiz, dass die Väter unserer Verfassung bemüht waren, das System des Rechts nach Regeln der formalen Logik aufzubauen.

Nochmals zu Artikel 1 und den Naturrechtlern zum Trost:

Wir können uns immer noch auf den Standpunkt stellen, das Naturrecht liefert einfach weitere Axiome für unser Rechtssystem, wir nehmen sie einfach in die Menge der Axiome, die unserem Rechtssystem zugrunde liegen, dazu.

Wollen wir aber ein System gemäss der Aussagenlogik errichten, ist dabei zu beachten, und da sind wir beim nächsten Kriterium, dass keine Widersprüchlichkeit schon aufgrund der Axiome entsteht.

Nichtzuletzt ist Axiomatik deswegen eine so schwierige Wissenschaft, weil Widersprüche zwischen den Axiomen nicht sofort erkennbar werden. Mit diesem Problem kämpfte schon Euklid, der 5 Postulate für die Fundamente seiner Geometrie festlegte, wobei er beim 5. nicht sicher war, ob es sich aus den ersten 4 ableiten lässt, und wenn nicht, ob er es als 5. dazunehmen kann, ohne die Widerspruchsfreiheit zu zerstören.

Übrigens, uns Juristen kann ich insofern beruhigen, weil wir Widersprüchlichkeiten, falls sie auftreten, meistens elegant mit Vorrangsregeln lösen: Bei Widerspruch lässt das neuere Gesetz das alte ausser Kraft treten.

Zurück zu den Axiomen oder Bausteinen der Verfassung. Artikel 44 Absatz 3 des B-VG bestimmt, dass jede Gesamtänderung der Verfassung nur nach Durchführung einer Volksabstimmung, also unter erschwerten Voraussetzungen erfolgen kann. Die leitenden Prinzipien der Verfassung stellen die höchstrangigen Rechtsvorschriften da, bilden die verfassungsrechtliche Grundordnung, oder, in meiner vorgeschlagenen Sprache, eben die Axiome unseres Rechtssystems.

Es gibt also eine Axiomatik, zu deren Axiome unbestritten zählen das demokratische, das republikanische, das bundesstaatliche, das gewaltentrennende Prinzip und andere mehr.

Problematisch ist aber, welche Axiome noch dazu gehören, etwa die Neutralität, was von manchen bejaht und anderen verneint wird.

Rein formal betrachtet gehören als Axiome folgendes nicht dazu :
wie bereits erwähnt das Naturrecht,

aber auch die Sittenwidrigkeit, die zwar im ABGB, also auf einfachgesetzlicher Ebene unbestritten ist, aber nicht im Verfassungsrang steht.

So ist etwa das Prinzip der Mehrfachversicherung im ASVG, wo einer z.B. in der Krankenversicherung aus freiberuflicher und Angestelltentätigkeit 2 mal Beiträge zahlen muss, aber im Versicherungsfall natürlich nur einmal lukrieren kann, laut Erkenntnis des Verfassungsgerichtshof zulässig. Der Verfassungsgerichtshof argumentiert, dass der Begriff der Sittenwidrigkeit hier keinen Sinn macht, weil es diesen eben nur im bürgerlichen Recht gibt, aber weder auf Verfassungsebene noch im Verwaltungsrecht.

Nicht entscheidbar ist, laut Lehre, ob das Gewohnheitsrecht verfassungsrechtlich ein Prinzip ist, also in meiner Sprache zur Menge der Axiome gehört.

Problematisch ist auch die Möglichkeit, via EU-Recht neü Axiome hinzuzufügen oder bereits vorhandene zu unterlaufen.

So gehörte bisher zu einem der Prinzipien, dass ein Verdächtiger nicht verpflichtet ist, sich selbst zu belasten. Das EU-Recht durchbricht dieses Prinzip, etwa bei Verdacht auf Kartellbildung. Spektakulärer Fall war 1998 der Verdacht eines Bankenkartell, wo die Beschuldigten sehr wohl verpflichtet wurden, zur Beschaffung von sie selbst belastendes Beweismaterial beizutragen.

Offensichtlich gilt das auch im USA/Recht, sonst könnte Starr ja Clinton nicht vorwerfen, er habe Geschenke als Beweismaterial unterdrückt.

Sie sehen, unser Axiomen-System ist de facto beliebig erweiterbar. Dadurch kann es zu Widersprüchlichkeiten kommen, das ist also eine logische Falle schon im Aufbau des Rechtssystems bedingt.

Eine weitere Falle ist die Selbstbezüglichkeit, das heisst, wenn das System Aussagen über sich selbst trifft, also die Metaebene, die das System beschreiben soll, mit dem System verwischt ist.

Ein Problem, das auch andere Wissenschaften haben, etwa die Germanistik, wenn sie in deutscher Sprache Aussagen über die deutsche Sprache trifft.

Interessantes Beispiel ist wieder Artikel 44 Absatz 3 der ja selbst nur einfach verfassungsrechtliche Ebene ist, dass heisst mit 2/3 Mehrheit abgeschafft werden kann ohne Volksabstimmung und damit ein Hintertürl der Verfassung darstellt. Das heisst, wenn ich die Bausteine der Verfassung grundlegend ändern will, brauche ich nur diesen Artikel abschaffen und erspare mir die Stolpersteine, die dieser dafür vorsieht.

Während unser System das beliebige Hinzufügen von Axiomen bis zur Widersprüchlichkeit zulässt, stellt sich die Frage, ob es vollständig ist.

Das heisst, kann jeder konkrete Sachverhalt unseres Zusammenlebens mit dem Rechtssystem gelöst werden, ist er entscheidbar.

Im Zivilrecht ist der Richter angewiesen, notfalls durch Analogie seinen Fall zu entscheiden. Im Verwaltungsrecht gilt gemäss dem rechtsstaatlichen Prinzip, wenn mit einer Norm ein Fall nicht entscheidbar ist , entweder gar nicht oder mehrdeutig, so ist dies Norm verfassungswidrig. Das heisst, unser Rechtssystem ist doch so aufgebaut, dass Vollständigkeit gegeben sein soll. Notfalls muss eben eine Regel per Erkenntnis vom Verfassungsgerichtshof verworfen werden.

Zusammenfassend macht die Prüfung unseres Rechtssystems, ob es den Kriterien der Aussagenlogik entspricht, einen Sinn. Auf die Frage, wie logisch ist unser Recht, meine ich persönlich aber, dass es den Betroffenen nicht so sehr um die Logik, sondern um die Rechtssicherheit geht, das heisst, das gleichgelagerte Fälle auch gleich entschieden sind, selbst wenn die Ableitungsregeln, die zu der Entscheidung führen, nicht logisch erscheinen.