Eine neue Broschüre
zum österreichischen Deutsch für Schulen
Im Internet abrufbar unter https://www.bmbwf.gv.at/schulen/unterricht/oed.pdf?4endq2 oder hier
©
H.D. Pohl (war vorgesehen für tribüne 1/2014, s. http://members.chello.at/heinz.pohl/Tribuene_2014.pdf)
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Unter dem Titel „(Österreichisches)
Deutsch als Unterrichts- und Bildungssprache“ versucht eine vom BMUKK
herausgegebene Broschüre den österreichischen Schülerinnen und Schülern die
Eigentümlichkeiten und Verschiedenheiten der deutschen Standardsprache in den
deutschsprachigen Ländern näherzubringen. Nach dem Vorwort (von G.
Heinisch-Hosek, Bundesministerin für Bildung und Frauen) und einer Erläuterung
zum Konzept und den Zielen der Broschüre folgen einige Hinweise zur Benützung.
Dann folgt eine Einführung ins „Österreichische Deutsch aus der Sicht von
Kultur und Sprache“ (von Gerti Zhao-Heissenberger), worauf drei Beiträge als
„Teil 1: Basistexte“ folgen. Der Basistext 1 ist dem Thema „Österreichisches
Deutsch – ein Klärungsversuch“ gewidmet, worin der durch seine zahlreichen
Publikationen zum österreichischen Deutsch in Fachkreisen allgemein bekannte
Jakob Ebner dieses als gleichberechtigte Varietät beschreibt (S. 7-9). Der
Basistext 2 stellt das Forschungsprojekt „Österreichisches Deutsch als
Unterrichts- und Bildungssprache“ vor (1),
das u.a. die Einstellungen der Lehrer und Schüler zu den verschiedenen
Varietäten der deutschen Sprache untersucht (S. 10-12). Es wird also der Frage
nachgegangen, ob österreichische Ausdrucksweisen genau so „korrekt“ betrachtet
werden wie die entsprechenden deutschländischen, wobei von den Verfassern
Rudolf de Cillia, Jutta Ransmayr und Ilona Elisabeth Fink interessante
Ergebnisse geboten werden. Den Basistext 3 „Österreichisches Deutsch und
Plurizentrik“ verfasste Alexander Burka; er stellt darin die Plurizentrik unter
verschiedenen Gesichtspunkten vor (S. 13-15). Der „Teil 2: Lehr- und
Lernmaterialien“ bietet mannigfache Beispiele, Übungen für Schüler (mit Quiz),
Wörterbücher im Vergleich, Arbeit mit Wortfeldern u.dgl. sowie ergänzende
Darstellungen. Der „Teil 3“ enthält Kommentare zu den Aufgaben und die Lösungen
dazu. Die Broschüre ist ansprechend gestaltet und erweckt bei Jugendlichen das
Interesse an sprachlichen Zusammenhängen. Einige Anmerkungen folgen weiter
unten, zunächst einige Hintergründe, warum diese Broschüre sehr notwendig ist –
zumal das Echo in der Presse nicht nur positiv war (2). Vielfach wurde das österreichische
Deutsch als „Dialekt“ bezeichnet sowie als „Hochdeutsch“ nur das
deutschländische Deutsch betrachtet (3),
obwohl in der Broschüre der Begriff „Hochdeutsch“ thematisiert wird (4).
Es ist eine bekannte Tatsache, dass
sich das typisch „österreichische“ Deutsch – zusammen mit dem südlich bzw.
bairisch gefärbten Deutsch – bei der jüngeren Generation auf dem Rückzug
befindet. Das Vordringen des nördlich gefärbten deutschländischen Deutschen
(„Bundesdeutschen“) ist die Folge von Sprachkontakt; ich habe dies an anderer
Stelle einmal „Varietätenkontakt“ bezeichnet (5). Diese Entwicklung ist nicht
aufzuhalten – ebenso wenig wie die weltweite Dominanz des Englischen und das
Aussterben vieler kleinerer Sprachen (meist „Minderheiten“). Es ist eben so,
die Wissenschaft kann und soll dies beschreiben, aber nicht
beurteilen und schon gar
nicht verurteilen. Manche werden es bedauern, anderen wiederum ist
es gleichgültig – wie viel anderes auch. Doch im Bildungswesen (also im Deutschunterricht)
sollte dies thematisiert werden, was man jetzt offensichtlich tut; schließlich
ist dies ja die Aufgabe dieser Broschüre.
Eine der Ursachen, warum die
österreichische Varietät des Standarddeutschen immer weiter zurückgedrängt
wird, ist die „globalisierte Umwelt“: Der jungen Generation ist der Unterschied
zwischen „Norddeutsch“ und „Süddeutsch“ – zu letzterem zählt ja auch das österreichische
Deutsch – immer weniger bewusst. In den Massenmedien (v.a. im Fernsehen und in
der Werbung) überwiegt bekanntlich der binnendeutsche, eher nördlich geprägte
Sprachgebrauch. Dazu kommt der fortschreitende Abbau der Mundarten. Dadurch entstand eine gewisse sprachliche Unsicherheit, der
die nun vorliegende Broschüre entgegenwirken kann. Viele Menschen sind
sprachlich unsicher geworden und wählen zur Vorsicht die bundesdeutsche
Variante und blicken lieber in den DUDEN als ins Österreichische Wörterbuch
(6). Ein
„österreichisches Sprachbewusstsein“ scheint es derzeit (zumindest bei der
jüngeren Generation) nicht (mehr) zu geben – im Gegensatz zum „österreichischen
Nationalbewusstsein“. Dies zeigt sich auch an der Übernahme vieler im amtlichen
Bereich üblicher Bezeichnungen wie z.B. die
Gesundheitsakte (statt der -akt
(7)) oder beim
Telefonieren „drücken Sie die eins“
(statt kurz und bündig „drücken Sie eins“). Und vielfach fehlt auch das
sprach(wissenschaft)liche Wissen, was u.a. die EU-Liste der österreichischen
Bezeichnungen unterstreicht: 23 Begriffe wie Erdäpfel, Eierschwammerl,
Ribisel oder Powidl wurden beim EU-Beitritt Österreichs im Protokoll Nr. 10
festgehalten, die parallel zu den bundes- oder binnendeutschen Bezeichnungen
(gleichrangig) zu verwenden sind. Insgesamt gibt es aber eine weit größere
Anzahl von Austriazismen, nicht nur unter den Bezeichnungen für Lebensmittel,
sondern v.a. in der Rechts- und Verwaltungssprache, die wohl den Vorrang
gegenüber der typisch österreichischen Küchensprache hat. Übrigens sind nur 12
von den 23 Bezeichnungen in diesem Protokoll „Austriazismen“ im engeren Sinn
des Wortes, denn 9 davon sind auch bayerisch bzw. süddeutsch und zwei passen
gar nicht in diese Liste; einige dieser Austriazismen sind darüber hinaus nicht
in ganz Österreich üblich (wie u.a. der Paradeiser
(8)). Als
Austriazismen
bezeichnet man bekanntlich den Wortschatz, der im außerösterreichischen
deutschen Sprachgebiet als „typisch österreichisch“ wahrgenommen wird. Dazu kommen
auch einige Aussprachegewohnheiten (wie Chemie,
China als [k-], nicht [ç-] bzw. [ch-]
oder -ig als [-ik], nicht [-iç],
Betonung Kaffée, Mathemátik usw.). Es betreffen zwar die für Österreich
typischen Ausdrücke alle Lebensbereiche, sie häufen sich bekanntlich auf dem
Gebiet der Verwaltung und Gastronomie.
Das Verhältnis zwischen
dem Deutschen in Österreich und in Deutschland (einschließlich des Freistaates
Bayern und der Schweiz) ist allerdings ein sehr verwickeltes. Die
innerstaatlich verlaufende Kommunikation, bedingt durch die Eigenstaatlichkeit
(spätestens seit 1866/71, aber schon seit der zweiten Hälfte des 18. Jhdts.)
ließ einerseits die „staatsräumlichen Austriazismen“ der Amts- und Verwaltungs-
bzw. Küchen- und Mediensprache entstehen und lieferte andererseits den Rahmen
dazu, dass süddeutsche und bairische Besonderheiten in unserem Lande ihre
Position gegenüber binnen- und bundesdeutschen Varianten besser behaupten
konnten als etwa im Freistaat Bayern (diesen schreibt man mit y, bairisch
mit i meint aber den Dialekt).
Entscheidend war aber für Österreich die Einbindung in die einheitliche
gesamtdeutsche Standardsprache seit dem 18. Jhdt., die einerseits die räumliche
Gliederung des pluriarealen deutschen Sprachgebietes nach den dialektalen Großräumen reflektiert
(in Österreich im Kleinen, in Deutschland im Großen), andererseits die
deutschen Großdialekte überdacht und damit die Kommunikation sicherstellt. Die plurizentrische
Gliederung des deutschen Sprachgebietes nach den drei Staaten Deutschland,
Österreich und der Schweiz ist sekundär, historisch jünger und reflektiert die
neuzeitliche politische Entwicklung, hat aber bisher keine geschlossenen
Sprachräume nach den Staatsgrenzen schaffen können, zumindest nicht auf Ebene
der allgemeinen Verkehrssprache. Die grammatikalischen Abweichungen sind
marginal, es gibt auch
nicht sehr viele österreichische Wörter, die in Deutschland
nicht verstanden werden, sondern bestenfalls ein paar Dutzend, das meiste
findet sich auch in den anderen süddeutschen Regionen, v.a. in Bayern. Die
österreichische Staatsgrenze zu den anderen deutschsprachigen Regionen ist
keine Sprach- oder Mundartgrenze, sondern bloß eine politische, die sich nur
auf sprachliche Erscheinungen des öffentlichen Lebens beschränkt, also österreichisch und schweizerisch Nationalrat gegenüber „deutsch“ Bundestag, österreichisch Matura,
schweizerisch Matur gegenüber deutsch Abitur,
deutsch und österreichisch Führerschein gegenüber
schweizerisch Führerausweis usw. Sonst trinkt man seine Maß Bier in
München wie in Salzburg und sammelt Schwammerln in Bayern wie in
Österreich (usw.).
Weder das „österreichische“ noch das „deutschländische“ (noch das
schweizerische) Deutsch bildet eine Einheit. Das österreichische Deutsch ist
eine historisch durch die Eigenstaatlichkeit erwachsene nationale Varietät,
wobei weder dieses noch das bundesdeutsche homogen sind, vielmehr setzt sich
die areale Gliederung, wie sie in der BR Deutschland im Großen besteht, sich im
Kleinen in Österreich fort, wobei unbestritten bleibt, dass manche
Erscheinungen nur auf österreichischem Boden vorkommen, diese aber nicht immer
im ganzen Bundesgebiet. Denn
eine einheitliche „österreichische Sprache“ (analog zu
der seit 1945 entstandenen und heute gefestigten „(Staats-) Nation“) gibt es
nicht; der Umkehrschluss „weil es eine österreichische Nation gibt, muss es
auch eine österreichische Nationalsprache geben“ ist nicht zulässig. Es gibt also sehr wohl eine österreichische
„nationale Varietät“ des Deutschen, sie ist aber gleichzeitig eine durch die
Eigenstaatlichkeit Österreichs bedingte süddeutsche Varietät, „national“ in der
Hinsicht, dass die staatlich-kulturellen Rahmenbedingungen das Festhalten am
süddeutschen Sprachgut fördern, aber „nicht national“ hinsichtlich des
Sprachverhaltens weiter Teile der österreichischen Gesellschaft, denn in
österreichischen Zeitungen, in Rundfunk und Fernsehen sind Wörter wie Junge
für Knabe bzw. Bub und Bursche, Treppe für Stiege,
Kartoffel für Erdäpfel usw., Plurale wie Jungs, Mädels usw., Wendungen
wie er ist gut drauf, das macht keinen Sinn (9), guck mal, tschüss usw. heute gang und
gäbe; auch er/sie/es hat gestanden/gelegen/gesessen (statt
süddeutsch ist) kann man heute in
Österreich (wie auch in Bayern) oft hören. Ferner ist in der gehobenen
Gastronomie eine Zunahme binnen- und bundesdeutscher Termini zu beobachten.
Vielfach wird
österreichisches Deutsch von Entertainern und Kabarettisten als eine Art „Gaudi-Dialekt“
verkauft, womit man auch in Deutschland Lacherfolge erzielen kann (10). Dadurch
wird das Vorurteil vieler Nichtösterreicher, das österreichische Deutsch sei ein
Dialekt, bestärkt. Dies geht auf Kosten der Glaubwürdigkeit nicht nur des
österreichischen Standarddeutsch, sondern auch Österreichs in Wissenschaft,
Bildung und Wirtschaft. Diese Entwicklung hat schon 1995 eingesetzt, als
anlässlich des Österreich-Schwerpunkts auf der Frankfurter Buchmesse Astrid
Wintersbergers „Wörterbuch Österreichisch-Deutsch“ (11) mit
hauptsächlich dialektalen, vielfach derben und vulgären Ausdrücken verbreitet
wurde, wodurch der Eindruck entstehen konnte, dass dies „repräsentativ
österreichisch“ sei (12). So interessant und „kreativ“ die
unterschiedlichen Sprachschichten sein mögen, „darf nicht übersehen werden,
dass auch für eine sachliche Auseinandersetzung und einen öffentlichen Diskurs
in der Demokratie eine entsprechende Sprachform gepflegt werden muss“
(13) – und dies
ist der österreichische Standard und nicht der Dialekt oder die Sprache des
Stammtisches. Vielfach hat sich aber
auch nördlicher Substandard (oder zumindest ein solcher, der keine
bairisch-österreichischen mundartlichen Vorbilder hat) festgesetzt. So nimmt
der Gebrauch von mal zu (statt einmal, z.B. ruf mal an oder das ist mal
so (14)), insbesondere aber rein,
raus und rauf usw. für ʽherein/heraus/herauf’ bzw. ʽhinein/hinaus/hinauf’
usw. Diese gelten als umgangssprachlich, sowohl nach Duden als auch nach ÖWB
und haben darüber hinaus in Österreich keine mundartliche Deckung. Im größten Teil
des bairischen Mundartgebietes kommen die auf abhin/abher, aushin/ausher und aufhin/aufher beruhenden Formen åbi/åber,
außi/außer und aufi/aufer vor. Die deutliche Unterscheidung
zwischen ʽwoher’ und ʽwohin’ ist also durch „fremdregionale
Gepflogenheiten“ in der Umgangsssprache (fast) verloren gegangen (15).
Die
meisten Unsicherheiten zur korrekten deutschen Standardprache in Österreich
beruhen auf Uninformiertheit. Das
österreichische Deutsch ist samt seinen speziellen Ausdrücken und
grammatikalischen Eigenheiten bereits seit mehreren Jahrzehnten als korrekte
Form anerkannt. Dennoch ist nach wie vor sehr oft die Vorstellung verbreitet,
dass jene Sprachform, die in Deutschland verwendet wird, die eigentlich
richtige sei. Auch Lehrer sind sich da häufig nicht so sicher, wie die
Ergebnisse einer Studie der Universität Wien zeigen (16). Rund die
Hälfte der für eine Studie befragten Lehrer hält das deutschländische Deutsch
für korrekter. Zwar geben zunächst rund 86 % der Befragten an,
das österreichische (Standard- bzw. „Hoch-“) Deutsch für genauso richtig zu
halten wie das deutsche, aber mehr als die Hälfte der befragten Lehrer ist
dennoch der Meinung, dass die deutsche Form mehr (ca. 15 %) oder weniger (40 %)
korrekter sei als die österreichische – wohl eine Folge, dass dem
österreichischen Deutsch in der Lehrerausbildung bisher nicht allzu große
Aufmerksamkeit geschenkt wurde. 84,5 % der Befragten ist auch das Konzept der
plurizentrischen Sprachen als solches nicht bekannt. Die vorliegende Broschüre
wird in dieser Hinsicht sicher gute Dienste leisten, immerhin halten fast zwei
Drittel der befragten Lehrer dieses Thema im Deutschunterricht für wichtig
(52,1 %) bzw. sehr wichtig (13,5 %).
Diese
Broschüre will nun vermitteln, dass das Österreichische Deutsch eine
nationale Varietät der gemeinsamen „hochdeutschen“ Schriftsprache ist, die
sich von dieser durch einige sprachliche Besonderheiten abhebt und in
Österreich als Standardsprache zu
betrachten ist, wie sie im „Österreichischen Wörterbuch“ festgehalten sind –
dieses ist also eine Art DUDEN für Österreich. Daher ist die Kritik an der
Broschüre, wie sie im „Standard“ (17)
von Rudolf Muhr und Leo Heinz Kretzenbacher geübt wurde, überzogen. Wenn auch
behauptet wird, der Begriff „Österreichisches
Deutsch“ sei ein Eigenname
und daher mit großen Anfangsbuchstaben zu
schreiben, ändert dies nichts an der Tatsache, dass Deutsch eine
plurizentrische Sprache ist, deren standardsprachliche Varietäten prinzipiell
gleichwertig sind. Die Standardsprache, die in Österreich verwendet wird, heißt
richtig „österreichisches Deutsch“, wobei es in der Diskussion um das
österreichische Deutsch von zentraler Bedeutung ist, zwischen Standardsprache
und Umgangssprache bzw. Dialekt zu unterscheiden. Vor allem aber sollte man den
nördlich gefärbten Substandard nicht durch unseren südlichen ersetzen, indem
man der „Normalsprache/Alltagssprache“ (also dem Substandard bzw. der
Umgangssprache) zu viel Gewicht beimisst. Ganz abgesehen davon, dass diese in
Österreich recht verschieden ist. Ich kann auch keine „Fehler“ (18) in der Broschüre finden, nur einige
Ungenauigkeiten. Hier nun einige Bemerkungen.
Bei
den Bildbeispielen auf S. 20 wird Karotte,
Gelse und Sessel als österreichisches Normalwort dargestellt, was so nicht
stimmt. Neben Karotte ist auch gelbe Rübe (v.a. im Westen) und Möhre (v.a. im Süden) üblich, neben Gelse auch Mücke (Aussprache meist Mucke),
und Sessel wird in Österreich nur
für den Stuhl (nicht Fauteuil wie v.a. in Deutschland)
verwendet, wobei auch Stuhl durchaus
üblich ist. Bei der Uhrzeit (z.B. 16.45) hätte man sich nicht auf „drei
viertel“ beschränken sollen, was tatsächlich (mit Ausnahmen im Westen)
gemeinösterreichisch (und süddeutsch) ist, auch „viertel“ ist interessant, denn
16.15 Uhr ist nur im Osten und Süden „viertel 5“, im Westen meist „viertel nach
4“ (wie u.a. auch in Bayern), auch „viertel über 4“ (19). Zu den Fragen, welche Wörter man eher
verwendet (A 10, S. 19 u. 49): miesepetrig
ist nicht das einzige deutschländische Wort für grantig, das eigentlich oberdeutsch ist und ʻübellaunigʼ
bedeutet (20);
Metzger ist auch im Westen
Österreichs üblich; ratschen ist
genau so österreichisches Deutsch wie tratschen
(21).
Doch diese Ungenauigkeiten haben auch etwas Gutes: sie zeigen, dass das
österreichische Deutsch keine absolut abgrenzbare Einheit darstellt. Dies wird
auch mit dem Text auf S. 40 32 (A 32/33) deutlich, in dem es um schauen und gucken geht. Der Text ist gut getroffen, die vorgeschlagene Lösung
korrekt, aber doch ist die Realität eine etwas andere, denn gucken ist dem Südosten des deutschen
Sprachgebietes zwar fremd, aber schauen
hat eine weitere Verbreitung und bedeutet eigentlich ʽhinsehen’, steht
also oft in Konkurrenz zu sehen.
Eindeutig ist es aber bei der Frage (z.B.) nach dem Wetter: guck/kuck mal, ob es regnet (Westen und
Norden) gegenüber schau (ein)mal, ob es regnet (Südosten und Süden); bloß der
Südwesten (Schweiz) hat lug bzw. lueg…(22) Die Redewendung Du hast keinen Tau (S. 26) ist zwar österreichisch („Grenzfall des
Standards“ (23)),
aber Das macht das Kraut nicht fett!
ist süd- und ostmitteldeutsch und keineswegs auf Österreich beschränkt (wo man Kohl statt Kraut sagt heißt es Das macht
den Kohl nicht fett! (24)).
Auch ich bin gestanden (neben ich habe gestanden) ist eindeutig
süddeutsch (25),
wenn auch in den bundesdeutschen Fernsehsendungen fast nur haben zu hören ist, selbst in Sendungen aus Bayern, in denen
mundartnah gesprochen wird.
Insgesamt
ist die Broschüre also gut gelungen und ihr ist zu wünschen, dass sie bei der
Jugend das Interesse an der Muttersprache mit ihren vielfältigen Ausprägungen
erweckt. Dazu tragen auch die vielen Übungen, Übersichten, Hinweise (auch auf
die Nachbar- und Minderheitensprachen) bei; alles ist pädagogisch gut
durchdacht und stellt ein zeitgemäßes Lehrmittel dar. Die
Broschüre ist im Internet abrufbar unter (Zugriff am 11.7.2014):
https://www.bmbf.gv.at/schulen/unterricht/oed.pdf?4endq2.
Zitierte
Literatur:
Ammon, Ulrich et alii: Variantenwörterbuch des Deutschen. Die
Standardsprache in Österreich, der Schweiz und Deutschland sowie in
Liechtenstein, Luxemburg, Ostbelgien und Südtirol. Berlin – New York
2004.
Eichhoff, Jürgen: Wortatlas
der deutschen Umgangssprachen. 4 Bde., Bern – München 1977-2000.
Muhr,
Rudolf: Stirbt das Österreichische Deutsch aus? Gegenwärtige Tendenzen des
Sprachwandels in Österreich. In: Academia (Wien) 2:2003. S. 10-13
ÖWB = Österreichisches Wörterbuch. Hg. im Auftrag des Bundesministeriums für
Unterricht, Kunst und Kultur. Wien 2012 (42. Auflage; 1. Auflage 1951).
Pohl, Heinz-Dieter: Zur Diskussion um das österreichische
Deutsch. Einige Bemerkungen aus Sicht der allgemeinen Sprachwissenschaft. In:
Tribüne 4/2013, 11-31.
Pohl, Heinz-Dieter: Österreichisches Deutsch.
Überlegungen zur Diskussion um die deutsche Sprache in Österreich. In:
Klagenfurter Beiträge zur Sprachwissenschaft 37-38 (2011-2012 [2014]) 63-123.
Wiesinger, Peter: Das österreichische Deutsch in Gegenwart und
Geschichte. 3., aktualisierte und neuerlich erweiterte Auflage. Wien-Berlin
2014. [Rezension in diesem Heft].
Wintersberger
Astrid, Wörterbuch Österreichisch-Deutsch. Salzburg-Wien 1995, 19. Auflage
2013.
Zehetner, Ludwig: Bairisches
Deutsch. Lexikon der deutschen Sprache in Altbayern. Regensburg 2005.
Anmerkungen:
Anm. 1: Universität Wien. Institut für
Sprachwissenschaft. Ziel des Projektes ist es, die Rolle des österreichischen
Standarddeutsch in seiner Funktion als Bildungs- und Unterrichtssprache an
Schulen unter Berücksichtigung des für Österreich kennzeichnenden
Standard-Dialekt-Kontinuums zu untersuchen. Neben Datenerhebungen an Schulen,
Analysen von Lehrplänen, von Lehrbüchern und Unterrichtsmaterialien für den
Deutsch-als-Muttersprache-Unterricht sowie für den
Deutsch-als-Zweitsprache-Unterricht und von Lehr- und Studienplänen an
Universitäten und Pädagogischen Hochschulen. Projektleitung: Rudolf de Cillia,
Projektmitarbeiterinnen: Jutta Ransmayr, Elisabeth Fink.
Anm. 2: z.B.
„Kleine Zeitung“ 1.6.2014, „Die Welt“ 5.6.2014, „Der Spiegel“ 5.6.2014 (s. Anm.
3), „Tages Anzeiger Zürich“ 10.6.2014, „Die Zeit“, 5.6.2014, zuletzt „Der
Standard“, 1.7.2014 (von L.H. Kretzenbacher und R. Muhr unter dem Titel
„Deutsch für Inländer. Zwischen Österreichisch und Ösisch: Die unlängst
aufgelegte Broschüre über Österreichisches Deutsch ist kein Lehrstück. Dafür
enthält sie zu viele Fehler und Fehleinschätzungen“). – Eine weitere sehr
kritische Beurteilung der Broschüre findet man auf der Homepage der Gesellschaft für
Österreichisches Deutsch (http://www.gsoed.at/), s.u. Anm. 16. – Positive Berichte
u.a. „Kleine Zeitung“ 31.5.2014, „Die Presse“
31.5.2014 und 4.6.2014 sowie „Wiener Zeitung“ 4.6.2014 und 9.7.2014
(beide von Robert Sedlaczek, am 9.7. kritisch zu L.H. Kretzenbachers und R.
Muhrs Beitrag im „Standard“, s.o.).
Anm. 3: So heißt es im „Spiegel“ (s.o. Anm.
2), dass „…insbesondere Kinder und
Jugendliche sich vermehrt vom hochdeutschen Sprachgebrauch
in den Medien beeinflussen lassen“, als ob der österreichische Standard nicht
auch „Hochdeutsch“ wäre. Außerdem: nicht alles, was aus den Medien kommt, ist
hochdeutscher Standard, sondern vielfach nördlich gefärbter Substandard (dazu
im Haupttext bei Anm. 12, 13 u. 14).
Anm. 4: u.a. S. 33.
Anm. 5: zuletzt Pohl 2014, S. 78ff.
Anm. 6: Viel diskutiert waren
immer schon die bundesdeutschen Einflüsse auf den Sprachgebrauch in
Österreich, worauf auch der österreichische Germanist P. Wiesinger im
Sammelband „Das österreichische Deutsch in Geschichte und Gegenwart“ Bezug
nimmt: „Zur Frage aktueller bundesdeutscher Spracheinflüsse in Österreich“
(Wiesinger 2014, S. 197ff.). Die Frage, wie lange noch das österreichische
Deutsch sein Eigengepräge bewahren wird, sah der Verfasser bereits 1988 sehr
realistisch: sie hänge vom „Sprachwollen der österreichischen Bevölkerung“ ab,
wobei den Journalisten und Moderatoren von Hörfunk- und Fernsehsendungen, den
Schriftstellern und den Lehrern „eine besondere Verantwortung“ zukomme (S.
215). Heute, 26 Jahre später, hat sich in dieser Hinsicht einiges geändert,
doch als einigermaßen beständig erweisen sich vor allem die österreichischen
Lebensmittelbezeichnungen.
Anm. 7: "Der Akt" kommt leider in der Broschüre
nicht vor, nur Rechtsakt im
Zusammenhang mit dem Protokoll Nr. 10 des EU-Beitrittsvertrages (S. 28), doch
der Rechtsakt ist auch laut Duden nur
maskulin. Die oft angesprochene Verwechslungsgefahr mit Akt als künstlerische Darstellung des nackten menschlichen Körpers
scheint mir weit hergeholt.
Anm. 8: Diese werden auch in der Broschüre auf
S. 15 erwähnt. – Meine linguistische Beurteilung u.a. im Internet unter http://members.chello.at/heinz.pohl/EU-Liste.htm).
Anm. 9: eigentlich ein Anglizismus (that makes no sense).
Anm.
10: so
treffend Ebner in seiner Einleitung S. 9 (als eine mit Recht als
„verhängnisvolle Entwicklung“ bezeichnet).
Anm.
11: = Wintersberger 2013.
Anm.
12: worauf
auch J. Ebner in seinem einleitenden Beitrag hinweist (S. 9). Noch immer werde dieses Büchlein auch
von offiziellen Stellen im Ausland verschenkt.
Anm.
13: So
Ebner a.a.O.
Anm.
14: vgl. Zehetner 113, Muhr 2003, 11.
Anm.
15: Ähnlich Zehetner 35.
Anm.
16: so R. De Cillia, J. Ransmayr u. I.E. Fink in ihrem
einleitenden Beitrag.
Anm. 17: am 2. Juli 2014 (im Internet unter http://derstandard.at/2000002553151/Deutsch-fuer-Inlaender?seite=1#forumstart); auch auf der Homepage der Gesellschaft für Österreichisches
Deutsch (http://www.gsoed.at/ unter Die Broschüre
des UM).
Anm.
18: Der einzige „echte“ Fehler ist die genannte Anzahl der
EU-Mitgliedstaaten mit 27 statt 28 bzw. der Amtssprachen mit 23 statt 24. Dies
ist leicht zu erklären: Kroatien ist erst seit 1.7.2013 das 28. Mitglied der
EU, die Ausarbeitung der Broschüre hat aber schon davor begonnen, somit hat man
dann dies dann bedauerlicherweise übersehen. Die meisten anderen „Mängel“
beruhen auf verschiedenen Sichtweisen des Kritikers R. Muhr und der um
Objektivität bemühten Autoren der Broschüre. – Wenn schon von „Mängeln“ die
Rede ist: ein Wermutstropfen
bleibt, denn der Text ist "gegendert" und ziemlich konsequent mit dem
sogenannten Binnen-I versehen, das in der derzeit gültigen amtlichen Rechtschreibung
nicht vorgesehen ist. Dies verwundert, denn Schulbücher sollten sich an Duden
und Österreichischem Wörterbuch orientieren (und nicht nach
irgendwelchen „graphostilistischen“ Vorstellungen,
s. "Zur
Diskussion um das Binnen-I und zum
"feministischen Sprachgebrauch").
Anm.
19: s. Karten bei Eichhoff 1-39 u. 40.
Anm.
20: Im Duden ist nur
das Hauptwort Grant als bayerisch-österreichisch markiert, grantig
ist unmarkiert. Laut Variantenwörterbuch (Ammon 2004, 305: „Grenzfall des
Standards“, nach ÖWB „umgangssprachlich“) gilt Grant als
südostdeutsch-österreichisch, grantig hingegen als süddeutsch, doch
zunehmend auch mittel- und norddeutsch.
Anm.
21: ratschen kommt eher im Westen und Süden vor, tratschen im Osten, Karte bei Eichhoff
3-9 (in Teilen Österreichs bunt gemischt).
Anm.
22: Eichhoff 1-8.
Anm.
23: Laut Variantenwörterbuch (Ammon 2004, 784).
Anm.
24: Laut
Variantenwörterbuch (Ammon 2004, 241 u. 423 bzw. 439).
Anm.
25: Karte bei Eichhoff 2-125.
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