Zum englischen Einfluss aufs Deutsche
oder
Englisch ist wichtig, doch eine solide
Ausbildung in der Muttersprache ebenso!
© Heinz-Dieter POHL
(zum Begriff Muttersprache
hier, zurück zum Österr.
Deutsch, zum „Fremden in der Sprache“)
Es gibt so gut wie keine Sprache auf dieser
Welt, die Lehnwörter nicht kennt. „Lehnwort“ – dies ist der
sprachwissenschaftliche Ausdruck für das, was man volkstümlich, aber auch
populärwissenschaftlich meist „Fremdwort“ nennt. Oft wird behauptet ein
Lehnwort sei ein „deutsch klingendes“, also in unsere Sprache integriertes Wort
fremder Herkunft, wie zum Beispiel Fenster und Kiste (aus lateinisch fenestra und cista < griechisch kístē), ein Fremdwort
hingegen ein „fremd“ anmutendes Wort wie zum Beispiel Portal und
Person (aus lateinisch portale und persona) mit fürs Deutsche
eher ungewöhnlicher Endbetonung – eine linguistisch nicht haltbare
Unterscheidung, denn Integration ist etwas Relatives. So ist zum Beispiel das
Lehnwort Person grammatikalisch voll integriert, wie die Ableitung persönlich
(mit „germanischem“ Umlaut trotz lateinischer Herkunft) zeigt. Ferner
impliziert der Begriff „Fremdwort“, dass es sich um etwas „Fremdes“
handle. Doch was ist am schottischen Whisky, polnischen und
russischen Wodka oder französischen Cognac „fremd“ – außer
dass das Wort selbst „fremder“ Herkunft ist? Die italienischen Spaghetti,
das französische Cordon bleu und das englische Steak gehören zur
europäischen Esskultur und sind somit Wörter wie englisch Computer, französisch
Chance, italienisch Girokonto und norwegisch Ski wie auch
arabisch Tarif und persisch Schach, die zu unserem Alltagswortschatz gehören. Sie sind
entlehnt im wahrsten Sinn des Wortes, gleichzeitig mit der Sache, denn hätte es
diese im deutschen Sprachraum gegeben oder wäre sie dort entstanden, dann gäbe
es wohl ein Wort deutscher Herkunft dafür.
„Reine“ Sprachen gibt es also nicht, wie es auch
keine „reinrassigen“ Völker gibt, denn neue Völker sind immer aus mehreren
Komponenten entstanden und eine von ihnen hat die Sprache und somit die
Zugehörigkeit zu einer Sprachfamilie geliefert, doch auch die anderen haben
ihre Spuren hinterlassen. Kontakte haben sowohl in der Sprach- als auch in der
Kulturgeschichte stets eine große Rolle gespielt: „Eigenes“ kam mit „Fremdem“
in Kontakt und wurde dadurch verändert. Daher ist Entlehnung von Wortgut
aus einer Sprache in eine andere der Ausdruck des Lebendigen schlechthin, der
sprachlichen Kommunikation über Sprachgrenzen hinweg, wobei das „Fremde“ in den
Hintergrund tritt. Auf der Ebene der Sprache des Alltags hat es so etwas wie
„Fremdenfeindlichkeit“ nie gegeben, denn Sprachberührungen und Austausch von
Sprachmaterial waren immer etwas Natürliches und Ungezwungenes, hingegen
sprachliche Abgrenzung zum anderssprachigen Nachbarn hin oder gar dessen
Ausgrenzung immer unnatürlich und abnormal. Letzteres war nur unter besonderen
Bedingungen möglich, die außerhalb des Sprachlichen liegen.
Es hat zwar immer wieder Bestrebungen gegeben,
die Lehnwörterflut, die die Folge einer sich stetig ändernden Welt ist, zu
begrenzen; für kleine Sprachgemeinschaften übrigens eine Überlebensstrategie.
Man versuchte, Lehnwörter zu übersetzen oder passende Wörter in der eigenen
Sprache zu finden, wodurch sich an den Grundtatsachen nichts ändert, ob Telefon
oder Fernsprecher, brandnew oder brandneu – diese
Begriffe kommen nicht aus dem deutschen Sprachraum, wobei es auch durchaus
geglückte Neuschöpfungen gibt, wie zum Beispiel Fahrrad für älteres
Veloziped.
Allerdings gibt es Modetrends – derzeit ist es
im Deutschen „in“, englische Wörter und Wendungen in die Sprache einfließen zu
lassen, früher waren es französische Wörter – Ausdruck der Wertschätzung
anglo-amerikanischer bzw. französischer Kultur und Wissenschaft. In Osteuropa
waren es übrigens deutsche Wörter bis in die erste Hälfte des vorigen
Jahrhunderts, dann musste das
Deutsche dem Englischen den ersten Platz überlassen, was in den historischen
Ereignissen des 20. Jahrhunderts begründet ist.
Allerdings macht sich heute (nicht
nur) in den deutsch sprechenden Ländern die Tendenz breit, in
wissenschaftlichen Publikationen und auch bei Tagungen und Konferenzen immer
mehr das Englische zu verwenden. Dies ist ein schleichendes Aufgeben der Rolle
der deutschen Sprache, die sie bis vor kurzen innehatte, aber trotzdem immer
noch in der internationalen Wissenschaft spielt. Es läuft auf eine sprachliche
„Sich-Entäußerung“ hinaus, was derzeit geschieht, zumal auch in Österreich in
manchen Gymnasien Englisch als Unterrichtssprache verwendet wird, auch an
einigen Universitäten und anderen Bildungseinrichtungen. Nichts gegen einen
guten Englisch-Unterricht, nichts gegen einen teilweisen Gebrauch des Englischen
in den höheren Schulklassen und an den Universitäten, aber erst dann, wenn die
deutsche Standardsprache einwandfrei beherrscht wird. Und dieses Ziel erreichen
heute bekanntlich viele Pflichtschulabsoventen und sogar Maturanten heute nicht
mehr. So war aus der Presse zu erfahren, dass nur 49 Prozent von insgesamt 73.000 Schülern der achten Schulstufe die vorgegebenen Standards beim Lesen erreicht und nur 45
Prozent in allen vier Testbereichen (Lesen, Schreiben,
Sprachbewusstsein, Zuhören). Somit lesen 12.700 Jugendliche
schlecht. Daraus kann man den Schluss ziehen, dass auch die Englischkenntnisse
sich bestenfalls in diesem Rahmen bewegen.
Als Linguist weiß ich, dass Sprachkontakte und Lehnbeziehungen etwas
Natürliches sind, dass sie die Sprache bereichern (können) und dass Lehnwörter
zur Kommunikation nötig sind. Viele Kultursprachen verdanken ihre Anfänge dem
Sprachkontakt und sie wurden oft nach dem Vorbild anderer Sprachen zu dem, was
sie heute sind. Wie sollte z.B. die internationale Wissenschaft ohne
Fachausdrücke aus anderen Sprachen auskommen? Doch darum geht es nicht und die
Devise „Fremdwörter raus!“ (richtig „...
hinaus!“ [s.u.]) darf freilich nicht zum Ziel einer Sprachpolitik werden. Doch
gegen die Modetorheit aufzutreten, um jeden Preis englische Wörter zu verwenden
– auch wo gar kein Bedarf besteht – ist legitim. News statt
„Nachrichten“, Snack statt „Imbiss“ und Event statt
„Veranstaltung“ oder „Ereignis“ wären solche Beispiele und manches ist
überhaupt nicht englisch (z.B. Handy) oder hat eine andere Bedeutung
(z.B. Public Viewing). Warum gibt’s
nur mehr Tickets und keine Fahr- bzw. Eintrittskarten? Warum sagt man immer mehr sorry statt des (eingebürgerten französischen) Pardon? Man kann eben alles übertreiben, wir übertreiben mit der
kritiklosen Übernahme völlig überflüssiger Wörter wie Kids, Song und
Lover, und auch Vulgäres wird nicht nicht weniger vulgär, wenn es auf
Englisch gesagt wird (z.B. fucking). Und ein Master ist auch
nicht mehr als ein Magister. Ebensowenig ist es notwendig, nach
nördlichem Vorbild von Jungs und Mädels zu sprechen oder beim
Telefonieren die Zwei, Drei usw. zu wählen. Oder warum übernehmen wir
immer mehr nördlich gefärbtes Umgangssprachliches wie schönʼ Tag noch, tschüss
oder rein und raus statt hinein/herein und hinaus/heraus?
„Sprachpolizeiliche“ Maßnahmen (Ansätze dazu gibt es bekanntlich in
Frankreich und einigen anderen Ländern) werden kaum helfen und sind darüber
hinaus aus vielen Gründen abzulehnen, aber mit der Devise „so viel englisch
wie nötig, so viel deutsch wie möglich“ wird man wohl leben können, ohne
gleich der „Deutschtümelei“ geziehen zu werden. Österreich ist in dieser
Hinsicht bis zu einem gewissen Grad gespalten, es gibt Gruppen, die das
Eindringen „binnen- bzw. bundesdeutscher“ Ausdrucksweisen monieren, die
Vermehrung der Anglizismen und Amerikanismen aber kritiklos hinnehmen, und es
gibt Gruppen, denen zwar die englischen Lehnwörter ein Dorn im Auge sind, aber
das andere Deutsch aus dem Norden akzeptieren, weil es eben „auch“ deutsch ist.
Eine aktive österreichische Sprach- und Sprecherziehung müsste sich aber gegen
beides richten. Hätten im vorigen Jahrhundert beispielsweise Tschechen und
Slowenen kein eigenes Sprachbewusstsein entwickelt und sich gegenüber der
(damals allmächtigen) deutschen Sprache so verhalten, wie wir es heute
gegenüber dem Englischen tun, gäbe es deren Sprachen längst nicht mehr. Dies
gilt (z.T. mit anderem Hintergrund) für Dutzende weiterer Sprachen.
Für Europa ist die Sprachenvielfalt typisch, Englisch ist europäisch
gesehen – trotz seiner Geltung als Weltverkehrssprache, nicht nur geographisch,
sondern auch nach der Sprecheranzahl – bloß Nr. 3 (nach Russisch und Deutsch).
Die übertriebene Förderung des Englischen in der EU ist bereits zu Lasten der
„kleineren“ Sprachen gegangen. Daher ist es erfreulich, dass sich schon vor dem
„Brexit“ in der EU immer wieder Widerstand gegen die Allmacht des Englischen
geregt hat, das jetzt sicher nicht mehr „die zweite Muttersprache jeden
Europäers“ wird, doch es ist unbestrittene erste Bildungssprache, sollte aber
nicht die einzige sein bzw. bleiben. In Osteuropa ist das Deutsche als
Bildungssprache immer noch weit verbreitet, die Osterweiterung der EU hätte das
Deutsche stärken können, dazu kam es aber mangels Interesse in Deutschland (und
Österreich) nicht. Neben Englisch sollte auch das Erlernen mindestens einer
zweiten europäischen Sprache in der Schule verpflichtend sein. Jetzt nach dem
„Brexit“ erst recht!
Mehr sprachliches Selbstbewusstsein sollte zur „neuen Mode“ werden, um
die Rollen beider Sprachen richtig zu verteilen: Englisch als
„Weltsprache“, Deutsch als eine der „Europa-Sprachen“ und als eine der
alten europäischen Kultur- und Wissenschaftssprachen. Rund 70 Sprachen hat
dieses Europa, davon 16 mit über 10 Mill., 35 mit mehr als einer Million
Sprechern (s. Sprachen Europas). Einige
kleinere Sprachen sind schon ausgestorben, einige sind im Aussterben. Jede
dieser Sprachen ist ein Stück Menschheitsgeschichte, Zeuge der Artenvielfalt
auf Ebene der Sprache. Wie Monokulturen das natürliche Gleichgewicht stören,
bringt auch eine Anglo-Monoglottie das sprachliche Gleichgewicht durcheinander.
Beispiele aus der jüngeren Geschichte haben wir genug, die Bevorzugung des
Deutschen im Bildungswesen des alten Österreich-Ungarn, des Russischen in der
ehemaligen Sowjet-Union und schließlich des Englischen in Irland haben nur den
Nationalismus gefördert. English only könnte eine Gefahr für Europa werden, denn nicht die englische
Monoglottie kann das Ziel sein, sondern eine europäische Polyglottie.
Was der „Brexit“ an der Rolle des Englischen in der EU ändern wird,
lässt sich heute noch nicht absehen.
Christian MEIER (Hg.): Sprache in Not? Zur Lage des heutigen Deutsch. Göttingen,
Wallstein Verlag 1999 (ISBN 3-89244-341-6). – Zusammenfassung einer Tagung der
Darmstädter Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung.
MUHR, Rudolf / KETTEMANN, Bernhard (Hgg.): Eurospeak – Der Einfluss des
Englischen auf europäische Sprachen zur Jahrtausendwende. Frankfurt/Main –
Berlin - Bruxelles - New York - Oxford - London - Wien: Peter Lang 2002. 236
S., zahlr. Tab. (= Österreichisches Deutsch – Sprache der Gegenwart, Bd. 1, Hg.
von R. MUHR und R. SCHRODT) ISBN 3-631-39694-5. – Meine Rezension dazu: Eurospeak –
Zum Einfluss des Englischen auf die europäischen Sprachen. Gedanken zu einem
neuen Buch. In: Genius 3/2003, 166-174.