Gedanken zum
„Fremden“ in der Sprache
© H.D. Pohl
(s.u.)
Auf der Ebene der Sprache hat es „Fremdenfeindlichkeit“
nie gegeben. Sprachberührungen und Austausch von Sprachmaterial waren immer etwas
Natürliches und Ungezwungenes. Daher gibt es so gut wie keine Sprache auf
dieser Welt, die Lehnwörter nicht kennt. „Lehnwort“ – dies ist der
sprachwissenschaftliche Ausdruck für das, was man volkstümlich, aber auch
populärwissenschaftlich meist „Fremdwort“ nennt. Oft wird behauptet ein
Lehnwort sei ein „deutsch klingendes“, also in unsere Sprache integriertes Wort
fremder Herkunft, wie zum Beispiel Pforte, Zeller (aus lateinisch porta,
norditalienisch sellero), ein Fremdwort hingegen ein „fremd“
anmutendes Wort wie zum Beispiel Portal und Sellerie (aus
mittellateinisch portale, norditalienisch selleri, der Mehrzahl
von sellero) – eine linguistisch nicht haltbare Unterscheidung,
denn Integration ist etwas Relatives. So weist zum Beispiel das Lehnwort Person
(wie auch Portal) „undeutsche“ Endbetonung auf, ist aber
grammatikalisch voll integriert, zum Beispiel persönlich (mit „germanischem“
Umlaut trotz lateinischer Herkunft). Ferner impliziert der Begriff „Fremdwort“,
dass es sich um etwas „Fremdes“ handle. Doch was ist am englischen
Whisky, polnischen und russischen Wodka oder französischen Cognac
„fremd“ – außer dass das Wort selbst „fremder“ Herkunft ist? Die
italienischen Spaghetti, das französische Cordon bleu und das
englische Steak gehören zur europäischen Esskultur und somit Wörter wie
englisch Computer, französisch Chance, italienisch
Girokonto und norwegisch Ski wie auch arabisch Tarif und
persisch Schach zu unserem Alltagswortschatz. Sie sind entlehnt
im wahrsten Sinn des Wortes, gleichzeitig mit der Sache, denn hätte es diese im
deutschen Sprachraum gegeben oder wäre sie dort entstanden, dann gäbe es wohl
ein Wort deutscher Herkunft dafür.
Daher ist Entlehnung von Wortgut aus einer Sprache
in eine andere der Ausdruck des Lebendigen schlechthin, der sprachlichen
Kommunikation über Sprachgrenzen hinweg, wobei das „Fremde“ in den Hintergrund tritt.
Auf der Ebene der Sprache hat es „Fremdenfeindlichkeit“ nie gegeben. Da die
Sprache die erlebte Welt reflektiert, speichert sie nicht nur objektive
Erfahrungen, sondern auch subjektive Einschätzungen. Doch Sprachberührungen und
Austausch von Sprachmaterial waren immer etwas Natürliches, Ungezwungenes,
hingegen sprachliche Abgrenzung zum anderssprachigen Nachbarn hin oder gar
dessen Ausgrenzung immer unnatürlich und abnormal. Letzteres war nur unter
besonderen Bedingungen möglich, die außerhalb des Sprachlichen liegen – v.a. im
Zeitalter des sprachorientierten Nationalismus.
Es hat immer wieder Bestrebungen gegeben, die
Lehnwörterflut, die die Folge einer sich stetig ändernden Welt ist, zu begrenzen;
für kleine Sprachgemeinschaften übrigens eine Überlebensstrategie. Man
versuchte, Lehnwörter zu übersetzen oder passende Wörter in der eigenen Sprache
zu finden, wodurch sich an den Grundtatsachen nichts ändert, ob Telefon oder
Fernsprecher, brandnew oder brandneu – diese Begriffe
kommen nicht aus dem deutschen Sprachraum, wobei es auch durchaus geglückte
Neuschöpfungen gibt, wie zum Beispiel Fahrrad für älter
Veloziped.
Allerdings gibt es Modetrends – derzeit ist es im
Deutschen „in“, englische Wörter und Wendungen in die Sprache einfließen zu
lassen, früher waren es französische Wörter (wie pardon, Rendez-vous und Billet zeigen, heute verwendet man meist englich sorry, Date und Ticket), in
Osteuropa waren bis in die erste Hälfte des vorigen Jahrhunderts auch deutsche
– Ausdruck der Wertschätzung anglo-amerikanischer, französischer und deutscher
Kultur und Wissenschaft. In Osteuropa musste das Deutsche dem Englischen
den ersten Platz überlassen, was in den historischen Ereignissen des 20.
Jahrhunderts begründet ist. Dazu s.a. http://members.chello.at/heinz.pohl/Englisch.htm.
In unserem südlichsten Bundesland, in Kärnten, hat es
wohl den intensivsten Sprachkontakt in Österreich gegeben. So hat die deutsche
Umgangssprache Unterkärntens einen slowenischen Touch (auch im Satzbau und in
der Satzmelodie) bekommen, und die Kärntner Mundarten sind reich an
slowenischem Lehngut, selbst die Kärntner Alltagssprache ist reich an
slowenischen Lehnwörtern, zum Beispiel Potitze ‘eine Mehlspeise’, Strankerl
‘grüne Fisole’ (< frühslowenisch *strănk-,
heute strok ‘Hülse, Schote’), zwillen
‘jammern, schreien (von Kindern)’ (zu slowenisch cvilja ‘Klage’ wie auch in Celovec
‘Klagenfurt’, mundartlich Cvilowc
neben Clowc). Auffallend ist die
Tatsache, dass viele Lehnwörter aus dem emotionalen Bereich kommen, wie Huditsch
‘Teufel’ (< slowenisch hudič),
Waben ‘altes Weib’ (< slowenisch baba).
Auch deutsche Lehnwörter im Slowenischen konnten
wieder rückentlehnt werden, zum Beispiel Meischel (< slowenisch majželj
< bairisch Maisel,
Verkleinerung zu (Sau-) Maise) ‘Netzlaibchen’ oder Schwachta ‘Sippschaft
(abwertend)’ (< slowenisch žłahta, mundartlich žwahta, zu
deutsch Geschlecht). Ein
slowenisches Lehnwort ist sogar „gemeinösterreichisch“ geworden: Jause (<
slowenisch južina,
eigentlich ‘Mittagessen’, was Jause altmundartlich im Lesachtal auch
heute noch bedeuten kann; unter dem deutschen Vorbild wurde für Jause
‘Zwischenmahlzeit’ slowenisch mala južina gebildet, das zu
umgangssprachlich/mundartlich mawžna führte). Ein Beispiel aus
dem deutschen mundartlichen Satzbau: heut’
regnet ‘heute regnet es
’, heut’ werd kålt ‘heute wird es kalt’ (also nach slowenischem
Muster kein Pronomen „es“).
Trotz des zeitweise erbittert geführten Sprachenstreites
in Kärnten ist im alltäglichen Zusammenleben der Deutschen und Slowenen nie so
heiß gegessen worden, wie die Scharfmacher auf beiden Seiten gekocht haben. Die
sprachliche Kommunikation und der sprachliche Austausch haben auch in
Krisenzeiten funktioniert. Parallelen dazu gibt es auch in anderen Regionen. Da
unsere Sprache die erlebte Welt reflektiert, sind in ihr nicht nur objektive
Erfahrungen, sondern auch subjektive Einschätzungen „gespeichert“. Viele
Redewendungen und Wortgebräuche zeugen von weit verbreiteten Vorurteilen,
bedauerlicherweise ist des Öfteren der Ausspruch „da geht’s zu wie in einer
Judenschul’“ in aller Öffentlichkeit gefallen. Mit solchen Redewendungen hat
der Antisemitismus im Sprachgebrauch seinen Niederschlag gefunden. Aber auch
andere Völker müssen für pejorative Bedeutungen herhalten, was für uns die „französische
Krankheit“ ist für die Franzosen die „spanische“, für die Polen die „deutsche“
und für die Russen die „polnische Krankheit“. Wer kennt nicht „getürkte“
Schadensmeldungen bei Versicherungen, die „polnische“ Wirtschaft und
„Wandalen“-Akte? In Kärnten nennt man schlechtes (fehlerhaftes) Deutsch oft
„windisch“. Doch solche Metaphern finden sich auch im positiven Sinne: „amerikanischer“
Lebensstil, „wie der Herrgott in Frankreich“, „deutsche Gründlichkeit“ und so
weiter.
Besonders mundartliche Bezeichnungen neigen dazu,
abwertend (pejorativ) gebraucht zu werden, zum Beispiel Böhme
(gesprochen Bemm) für Tscheche, Krawå´t für Kroate und Polák für
Pole. Auch in anderen Sprachen, zum Beispiel serbisch und kroatisch Švaba für
Deutsche (eigentlich ‘Schwabe’, im Slowenischen sogar für ‘Nazi’!). Bei den
alten Römern kamen vor allem die Griechen in Redewendungen zu zweifelhaften
Ehren, und für die Griechen selbst waren alle Nichtgriechen einfach „Barbaren“,
was ursprünglich auf die unverständliche Sprache der Fremden bezogen war. In
der Sprache zeigt sich, dass das „Fremde“ in einer großen Vielfalt erscheinen
kann, vor allem aber als Bereicherung des Wortschatzes auf verschiedenen
Ebenen.
„Reine“ Sprachen gibt es also nicht, es gibt auch keine
„reinrassigen“ Völker, neue Völker sind immer aus mehreren Komponenten
entstanden, eine von ihnen hat die Sprache und somit die Zugehörigkeit zu einer
Sprachfamilie geliefert, doch auch die anderen haben ihre Spuren hinterlassen.
Der Kontakt hat sowohl in der Sprach- als auch in der Kulturgeschichte stets
eine große Rolle gespielt. „Eigenes“ kam mit „Fremdem“ in Kontakt und wurde
dadurch verändert. Ist so gesehen nicht die „Angst vor dem Fremden“ eigentlich
die Angst vor dem Neuen, dem Unbekannten, vor Veränderung?
Überarbeite Version von Zeugen
gängiger Vorurteile. Gedanken zum "Fremden" in der Sprache in
Juridikum 1/1992, 23-24 (Schriftenverzeichnis Nr. 102) und von Gedanken zum "Fremden"
in der Sprache in Tribüne. Zeitschrift für
Sprache und Schreibung 3/2002, 15-17 (Nr. 235).
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