Allgemeines
Bekanntlich reichen die Ursprünge Kärntens bis in die älteste Zeit
zurück, in der Antike war das Gebiet des heutigen österreichischen Bundeslandes
Bestandteil des keltischen Königreichs Regnum Noricum, das später in der römischen Provinz Noricum aufging. Zunächst auf dem Magdalensberg,
dann in Virunum auf dem Zollfeld sowie in Teurnia auf dem Lurnfeld befanden
sich damals die Zentren des Gebietes. Nach dem Zusammenbruch des Weströmischen
Reiches wanderten ab dem 6. Jhdt. Slawen (und Awaren) ein; in der Folge
kam es zur Gründung des slawischen Fürstentums Karantanien, das nach und nach unter bairische bzw. fränkische
Vorherrschaft kam. Von 743 bis 907 herrschten fränkische Könige und Kaiser über
das Gebiet, anschließend wurde Kärnten ein Teil des Herzogtums Baiern. 976
begann die Eigenständigkeit mit der Errichtung des Herzogtums Kärnten, die bis 1335 andauerte; anschließend wurde
Kärnten habsburgisch und somit gemeinsam mit Österreich, Steiermark und Krain
verwaltet.
Seit seiner Begründung als Herzogtum im Jahre 976
gibt es in Kärnten zwei Sprachen, damals Althochdeutsch
und Karantanisch, der alpenslawische
Dialekt des Altslowenischen, wie er uns auch in den „Freisinger Denkmälern“
entgegentritt, dem ältesten slawischen Sprachdenkmal in lateinischer Schrift
überhaupt. Sprachformen, wie wir sie in den „Freisinger Denkmälern“ finden,
sind auch in den ältesten urkundlichen Belegen für Ortsnamen slawischer
Herkunft in Kärnten (und Osttirol, der Steiermark und einigen anderen Regionen)
bezeugt. Daraus kann man schließen, dass die den Freisinger Denkmälern
zugrundeliegende Sprache die gleiche war, wie sie auch in den urkundlichen
Belegen der Kärntner Ortsnamen aufscheint. [Dies wurde erstmals 1924 vom
slowenischen Linguisten und Dialektologen Fran Ramovš beobachtet, aber eher als
ein lokales dialektales Merkmal interpretiert. Mir ist es aber gelungen, einen
direkten Zusammenhang zwischen der Lautung der Freisinger Denkmäler und den
urkundlichen Belegen der Ortsnamen slawischer bzw. slowenischer Herkunft
herzustellen, s. http://www.namenkundliche-informationen.de/pdf/99_100/articles/NI_99-100_2011_Pohl_1.pdf
sowie aktualisiert hier].
Zwei typische Lautentwicklungen zeigen u.a.
folgende Beispiele:
urslaw. *tj
> frühslow. k’ oder t’ > heute slow. č
Freising: choku (< *chotjǫ)
‘will/hočem’, imoki (< *imǫtj-) ‘habend/
-oč’ [ʽhabend’ wäre
im heutigen Slowenischen imajoč (so
u.a. bei Gutsmann 1789, 157/127 in der Bedeutung ʽHabhaft’ belegt)]
urk. 1136 Radewik, 1136-37 Radwich (heute Radweg/Radoviče, zum
slaw. PersN Radъ); 1238-61 Pecc(h)ach (heute Pöckau (mda. Peckach) / Peče, EinwN zu slow. peč
‘Fels, Ofen’ < urslaw. *pekti-
bzw. *petj-).
urslaw.
Nasalvokale ę / ǫ > heute slow. e / o
Freising: vuensih ‘größer/več’, sunt ‘sind/so’
urk. 1171 Venx, 12. Jhdt. auch Uentsce (heute Fentsch, Steiermark, zum PersN *Vętjeslavъ wie u.a.
altčech. Váceslav ‘Wenzel’);
1455 ze Lonche (heute Lang, Ferndorf) und 1140 Lunka (heute Lang, bei Leibnitz, Steiermark, beide zu urslaw. lǫka, slow. loka ‘Au, (feuchte) Wiese’). – Die Metnitz (< slaw. *Mǫtьnica)
hat in Osttirol einen altertümlichen Partner mit erhaltenem Nasalvokal: Muntanitz.
Beides in einem Namen: Suetschach / Sveče (Gem. Feistritz i.R.), um 1168 als Zwakach, 1258 als Zwenkach bezeugt (zu einem slaw. PersN mit svętъ‘heilig’, etwa *Svętikʼe)
Spätere Sprachdenkmäler stehen der heutigen slowenischen
Sprache näher als etwa mittelhochdeutsche Texte dem modernen Standarddeutsch,
wie z. B. die „Klagenfurter Handschrift“. Früher nannte man im deutschen
Sprachgebrauch die slowenische Sprache „windisch“, diese Bezeichnung – sie ist
heute obsolet geworden [siehe hier] – ist sowohl in den Beschreibungen
der Herzogseinsetzung beim Fürstenstein in Karnburg bezeugt als auch im Namen
„Windisches Herzogtum“ des 16. Jhdts., im Zeitalter der Reformation, dem nicht
nur die deutsche Sprache einen Martin
Luther zu verdanken hat, sondern auch
die slowenische Sprache einen Primož Trubar – beide waren Wegbereiter einer
„reformierten“ Sprache – beide Sprachen wurden zu europäischen Kultursprachen,
beide sind seit damals Kärntner Landessprachen und es gab auch eine gemeinsame
Geschichte, die sich in einem gemeinsamen Namengut widerspiegelt, wo es von
Anbeginn deutsche und slowenische Namen bzw. Namen deutscher bzw.
slawischer/slowenischer Herkunft gab. Beide Sprachen lebten in Koexistenz und
beeinflussten einander; in den Deutschkärntner Mundarten findet sich viel
Slowenisches und umgekehrt auch in den slowenischen Mundarten Kärntens (und
nicht nur dort) viel Deutsches. Jahrhundertelang haben beide Sprachen in
Kärnten koexistiert, auf Ebene der Volkssprache durchaus auf „gleicher
Augenhöhe“, auf Ebene der geschriebenen Sprache hatte aber das Deutsche einen
Vorsprung, zumal es schon früh als Sprache der Oberschicht eine literarische
Blüte erlebte (Minnesang, Nibelungenlied usw.) und auch zunehmend im amtlichen
Bereich (v.a. als Urkundensprache) Verwendung fand. Allerdings: der Ausbau zur
modernen Schrift- und Kultursprache verlief in beiden Sprachen parallel –
untrennbar mit der Reformation verbunden (s.o.). Dies möge folgende chronologische
Darstellung veranschaulichen:
Chronologie
der deutschen und slowenischen Sprache im Vergleich
↓Zeit /
Sprache→ |
Slowenisch |
Deutsch |
bis ca. 1050 |
Alpenslawisch
> Altslowenisch Freisinger
Denkmäler („Karantanisch“) Alpenslawische >
Altslowenische („karantanische“) Ortsnamen und Personennamen Namen aus Krain
usw. |
Althochdeutsch Merseburger
Zaubersprüche („Ostfränkisch“) Abrogans, Notker
(„Alemannisch“) Muspilli
(„Bairisch“) usw. |
Hoch- u.
Spätmittelalter (mit fließenden
Übergängen) |
Frühslowenisch Klagenfurter
Handschrift Stiški rokopis /
Sitticher Handschrift Starogorski rokopis
usw. |
Mittelhochdeutsch Nibelungenlied Walter von der
Vogelweide usw. (etwa bis 1350) |
seit ca. 1500 |
Slowenisch Trubar, Dalmatin,
Kopitar usw. |
Neuhochdeutsch Luther, Gottsched
usw. |
Die ersten Kärntner im engeren Sinn des Wortes
benannten beispielsweise (slowenisch) Gorje
/ (deutsch) Göriach nach seiner Lage ‘die auf dem Berg wohnen’ (zu slow. gora ʽBerg’) und Bistrica / Feistritz
nach einem reißenden Bach (slow. bistrica
ʽWild-, Gießbach’ zu bister ʽschnell
(sich bewegend, fließend), munter’). Slowenische Namensformen wie Pliberk
(= Bleiburg) oder Bekštanj (= Finkenstein) sind aus dem Deutschen
bezogen. Die Ortsnamen gewähren somit Einblick in die Siedlungsgeschichte,
einmal waren bei der Namengebung Deutsche, ein anderes Mal Slowenen aktiv, die
Namen gingen von Mund zu Mund, d. h. von einer Sprache zu anderen, und oft
wurden Objekte unabhängig voneinander verschieden benannt wie z. B.
deutsch Hart ‘Wald’ = slowenisch Breg ‘Ufer, Böschung’ oder übersetzt,
z. B. deutsch Aich = slowenisch Dob (‘Eiche’). Auch in seit
Jahrhunderten rein deutschsprachigen Gebieten finden wir solche Namenpaare
(„Doppelnamen“): Sowohl in der Gem. Großkirchheim als auch in der Gem. Bad Kleinkirchheim
ist in den Ortsteilen Zirknitz bzw. Zirkitzen das slowenische Wort für
‘Kirche’ (alt cirkev, heute cerkev) enthalten. Im Raum Friesach
finden wir zwei solche Übersetzungspaare: Dörfl
und Gwerz sowie urk. 1139 Gnesindorf für Grafendorf. Manchmal ist die slowenische Übersetzung früher
überliefert als die heutige deutsche Form wie z. B. 993 Podinauuiz (zu lesen etwa [pódińa vẹs])
für Niederdorf – dies entspräche
heute einem Spodnja vas (Bezirk
St. Veit an der Glan).
Wir haben also
in den deutschen wie in den slowenischen Namen altes und auch gemeinsames
Erbgut vor uns, sie sind Teil unserer Geschichte.
Entsprechungen einiger
slawischer/slowenischer Laute im Deutschen – chronologisch gesehen
(einige ausgewählte
Beispiele – auf Details kann hier nicht näher eingegangen werden)
slawisch |
frühslowenisch |
slowenisch |
althochdeutsch/frühmittelhochdeutsch |
mittelhochdeutsch/frühneuhochdeutsch |
neuhochdeutsch |
Diese Laute erscheinen im Deutschen als → |
abhängig
von Zeitpunkt der Übernahme bzw. Entlehnung |
||||
ă |
ă
> o |
o |
o
(kein Umlaut) |
o
(mit Umlaut) ö |
o,
ö, e |
č |
č |
č |
s |
tsch |
tsch |
š |
š |
š |
s
(im Inlaut z.T. auch chs) |
sch
(tsch-) |
sch |
ž |
ž |
ž |
s
|
sch
(tsch-) |
sch |
z |
z |
z |
z
[ts] |
z
[ts], s |
s |
s |
s |
s |
z
[ts] |
z
[ts], s |
s |
tj |
t’
> k’ |
č |
k
(selten t) |
k,
tsch |
tsch |
stj
skj skei |
št’
> šk’ |
šč
(mundartlich > š) |
sk,
schk |
sk,
schk, st |
sch |
b |
b |
b |
teils p-, meist v |
v,
f |
w,
b |
Zeittafel
zum Ortstafelstreit 1955 bis
zu seiner Lösung 2011
15. Mai 1955: Unterzeichnung des
„Staatsvertrages“; lt. Artikel 7 sind den Verwaltungs- und Gerichtsbezirken Kärntens
mit slowenischer oder gemischter Bevölkerung „Aufschriften topograhischer
Natur“ auch in slowenischer Sprache zu verfassen (BGBl. 1955, 39. Stück, Nr.
152).
20. September 1972: Die ersten
zweisprachigen Ortstafeln werden aufgestellt (insgesamt waren dazu 205
Ortschaften vorgesehen – lt. Verzeichnis BGBl. 1972, 82. Stück, Nr. 270). In
der Folge kam es zum sogenannten „Ortstafelsturm“ und
zur Gründung der sogenannten Ortstafelkommission.
7. Juli 1976: Der Nationalrat beschließt das „Volksgruppengesetz 1976“ (BGBl. 1976, 118. Stück,
Nr. 396).
14. Juni 1977: „Topographieverordnung“
(BGBl. 1977, 69. Stück, Nr. 308), auf deren Grundlage in 91 Ortschaften
(mit mindestens 25% slowenischem Bevölkerungsanteil in 10 Gemeinden)
zweisprachige Ortstafeln anzubringen sind, von denen im Laufe der Zeit 77 mit
solchen versehen wurden.
13. Dezember 2001: Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) fällt ein Grundsatzurteil,
wonach auch in Gemeinden mit 10% slowenischem Bevölkerungsanteil binnen
Jahresfrist zweisprachige Ortstafeln aufzustellen sind.
2002/2006: sogenannte „Konsenskonferenzen“
(münden im „Karner-Papier“, s.u.).
12. Mai 2005: Erstmals werden
wieder zweisprachige Ortstafeln in Kärnten aufgestellt.
2005/2006: Stefan
Karner erarbeitet im Auftrag von Bundeskanzler Wolfgang Schüssel das sogenannte
„Karner-Papier“, das – 50 Jahre
nach Unterzeichnung des Österreichischen
Staatsvertrages (s.o.) – die etappenweise Anbringung von zweisprachigen
Aufschriften in insgesamt 158 Orten Kärntens bis 2010 vorsah.
29. Juni 2006:
Landeshauptmann Haider spricht von einer Einigung der Regierungsparteien BZÖ
und ÖVP in der Ortstafelfrage; bis 2009 sollen zweisprachige Ortstafeln in
Ortschaften mit mehr als 10% slowenischsprachiger Bevölkerung angebracht
werden, wenn diese in Gemeinden mit mehr als 15% slowenischsprachiger
Bevölkerung liegen (insgesamt 141 Ortstafeln). Dazu kommt es allerdings nicht.
30. Juni/17. Juli 2006: „Topographieverordnung-Kärnten“
(BGBl. 2006, Teil II, Nr. 245 u. 263) mit gegenüber der „Topographie-Verordnung“
1977 (s.o.) erweiterter Namensliste.
1. April 2011: Staatssekretär Josef Ostermayer und Landeshauptmann Gerhard Dörfler
geben bekannt, dass man sich auf die Aufstellung zweisprachiger Ortstafeln in
allen Orten mit mindestens 17,5 Prozent slowenischsprachiger Bevölkerung
auf Basis der Volkszählung von 2001 geeinigt habe.
26. April 2011: Alle Beteiligten stimmen bei einer
Verhandlungsrunde einem Memorandum zu, in dem 164 Orte in 24 Gemeinden
festgeschrieben sind. In jenen Orten, in denen zweisprachige
Ortstafeln aufgestellt werden sollen, soll auch Slowenisch als zweite
Amtssprache anerkannt werden.
6. – 17. Juni: (Juristisch umstrittene)
Volksbefragung; 68 % der teilnehmenden Wahlberechtigten stimmten für die
Lösung, 32 % lehnten sie ab.
6. Juli 2011: Die „Ortstafellösung“ (im Rahmen
des neuen
Volksgruppengesetzes, BGBl. 2011, Teil I, Nr. 46) wird im Nationalrat fast
einstimmig von allen fünf Parlamentsparteien im Verfassungsrang beschlossen und
am
26. Juli 2011 von Bundespräsident Heinz Fischer im Rahmen eines
Festaktes unterzeichnet.
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