5.12 Konklusion: Zurück in die Zukunft

In dieser Arbeit wurde ein realistisches elektronisches Wahlsystem entwickelt, das auf lokaler, regionaler, nationaler und internationaler Ebene eingesetzt werden kann und alle wünschenswerten Sicherheitsanforderungen erfüllt (verifizierbare Echtheit der Stimmen, Identifikation- und Authentifikation der Teilnehmer, Wahrung des Wahl- und Stimmgeheimnis, etc.). Das erzielbare Sicherheitsniveau der Transmission der codierten elektronischen Stimmen entspricht zumindest dem der derzeit sichersten elektronischen Zahlungssysteme. Selbst wenn ein Angreifer den Beglaubigungsprozeß bei Abstimmungen durch das Brechen einer kryptographischen Annahme bzw. durch das Herausfinden des geheimen Schlüssels des Zertifizierungs-Servers kompromittiert, kann dieser keine unzulässige Stimmenvermehrung durchführen. Darüber hinaus erreicht der Ansatz durch Datensicherheits- und Schutzmethoden ein Sicherheitsniveau, welches eine durch die Wahlordnung legitimierte traditionelle Wahl im Wahllokal in der Praxis nicht zu erreichen vermag:

Damit wird dem Anspruch, daß kein Abstimmungs- und Wahlergebnis anerkannt wird, welches nicht den freien Willen der Wahlberechtigten zuverlässig und unverfälscht zum Ausdruck bringt, Folge geleistet.

Es wurde wiederholt betont, daß die Welt nicht vor einer vorausbestimmten Form der elektronischen Demokratie steht, sondern daß sich mehrere Entwicklungsmöglichkeiten ergeben: 

  1. Kompetitive         E-Demokratie,
  2. Pluralistische        E-Demokratie,
  3. Plebiszitäre          E-Demokratie,
  4. Republikanische   E-Demokratie,
  5. Partizipatorische   E-Demokratie,
  6. Mischformen aus den Modellen 1-5.

Über die langfristige Form der E-Demokratie können keine präzisen Prognosen vorgenommen werden. 

Eine Methode zur Definition der Entwicklungsrahmen besteht in der Kombination möglicher Zukunftsszenarien mit Demokratiemodellen. Der Politikwissenschaftler Jim Dator klassifizierte die Literatur der Zukunftsforschung über künftige soziale Entwicklungen in vier Kategorien (Becker/Scarce, 1986, Dator, 1999):

Diese vier Hauptentwicklungsvarianten erlauben eine lineare Progression der Möglichkeiten elektronischer Demokratie, die auf unserer Werteskala von "Null" im Szenario 1 (Niedergang und Kollaps) bis zur Evaluation "exzellent" (Transformationsgesellschaft) reichen. Diese Entwicklungsvarianten dienen des weiteren als Analyserahmen für die Zukunft der elektronischen Demokratie unter Berücksichtigung der Grenzen des Wachstums.

Es sei an dieser Stelle nochmals bemerkt, daß nicht die Zukunftsszenarien, sondern die Entwicklungsmöglichkeiten elektronischer Demokratie bewertet wurden (vgl. dazu auch Becker/Scarce, 1986). Jim Dator präferiert weder ein dominantes Zukunftsbild gegenüber einem anderen noch nimmt dieser eine Einteilung in Best- bzw. Worst-Case-Szenarien vor. 

 


5.12.1 Niedergang und Kollaps

Im ersten Szenario nehmen Becker und Scarce (Becker/Scarce, 1986) an, daß in der Kollapsphase keine Anstrengungen zur Etablierung einer elektronischen Beteiligungsdemokratie vorgenommen werden. Entsprechend gering sind sowohl die Anforderungen an als auch die Hoffnungen auf die Chancen der neuen IKT. 

"We assume that, in what Dator calls the "Decline and Collapse" scenario, there would be no participatory democracy efforts. This seems clear-cut to us, for the collapse calls for an abrupt halt in society-as-we-know-it..." (Becker/Scarce, 1986, S. 284).

Durch das Eintreten eines Kollaps tritt im Gesellschaftssystem der Zusammenbruch als Folge einer oder mehrerer (globaler) Katastrophen oder einer Reihe vernichtender Ereignisse ein. Der Kollaps kann beispielsweise durch (1) globalen Krieg, (2) Degradierung der Umwelt und/oder Erschöpfung von Ressourcen, (3) ökonomische Instabilität, (4) höhere Gewalt (z.B. Meteoreinschlag),  hervorgerufen werden.

Die Hochrechnungen der Systemanalyse von Donella und Dennis Meadows et al. simulieren beispielsweise Szenarien der Grenzüberziehung des globalen Systems (Meadows/Meadows/Randers, 1995). Es handelt sich bei World3 um eine modellhafte Beschreibung der Welt als ein nicht-lineares Rückkopplungssystem, eine systemanalytische Computersimulation von primär fünf Trends, nämlich

1. der beschleunigten Industrialisierung,
2. des rapiden Bevölkerungswachstums,
3. der weltweiten Unterernährung,
4. der Ausbeutung der Rohstoffreserven,
5. der Zerstörung des Lebensraumes.
Das Meadows-Team versucht mit Hilfe von World3, die Ursachen dieser Entwicklungsrichtungen, ihre Wechselwirkungen und die sich ergebenden Folgen für den Zeitraum eines Jahrhunderts zu erfassen. Diese Trends stellen exponentielle Wachstumsprozesse dar, denen die Funktion von positiv-rückgekoppelten Regelkreisen zugrunde liegt. In einem positiv rückgekoppelten Regelkreis ist die Kette von Ursache und Wirkung in sich selbst kurzgeschlossen. Wenn ein Element im Regelkreis zunimmt, verursacht dies Veränderungen der anderen Faktoren, die wiederum auf das ursprünglich verändernde Element zurückwirken, so daß dieses noch weiter anwächst.

Der Zusammenbruch ist ein unkontrollierbar verlaufender Rückgang von Bevölkerung und/oder Wirtschaft, der dann eintritt, wenn bestimmte physikalisch nicht erweiterbare Grenzen überschritten worden sind und angesammelte Vorräte nicht mehr ausreichen. 

Die Nutzungen von vielen natürlichen Ressourcen und die Emission schlecht abbaubarer Schadstoffe überschreiten über längere Zeitspannen die Grenze des physikalisch Möglichen. Der Einsatz dieser Materialien und der Energieflüsse kann nicht entscheidend reduziert werden. Mithin kommt es zu einem unkontrollierbaren Rückgang der Nahrungsmittelproduktion, der Energieverfügbarkeit sowie der Industrieproduktion. Die politischen Praktiken und Handlungsmethoden, die den Anstieg des Verbrauchs und der Bevölkerungszahlen fördern, werden zu spät umfassend revidiert. Daneben können die Wirkungsgrade des Energieeinsatzes und der Nutzeffekt materieller Ressourcen nicht zeitgemäß drastisch angehoben werden. Es bleibt nicht mehr genügend Zeit zur Verfügung, um die Wachstumstrends zu ändern und einen ökologischen und wirtschaftlichen Gleichgewichtszustand herbeizuführen, der auch langfristig in der Zukunft aufrechterhalten werden kann. Bei den meisten Computerläufen des von den Meadows benutzten Wachstumsmodells World3/2000 gehen nicht die Landflächen, die Nahrung, die Ressourcen zu Ende, die Menschheit erstickt auch nicht an Schadstoffen, sondern gerät an den Rand ihrer Handlungsfähigkeit. Die simulierten Wachstumsvorgänge (besonders exponentielles Wachstum) können daher gefährlich werden, da sie die für wirksame Aktionen verfügbare Zeit immer mehr verkürzen. Die Systembelastung wächst immer rascher an, bis schließlich die Fähigkeit zum Handeln nicht mehr ausreicht, um den Kollaps abzuwenden.

Die Ökonomen des wirtschaftlichen und politischen Establishments rechnen fest mit weiterem Wachstum. Nach diesem Modell zu leben, wird uns World3/2000 zufolge noch weit über die Limits hinaustreiben und wird, wie Meadows et al. aus den Computerläufen folgern, innerhalb der nächsten 50 Jahre den Kollaps herbeiführen (Meadows/Meadows/ Randers, 1995). Das Worst-Case Szenario kann einen Rückfall auf das Wohlstandsniveau von etwa 1950 bedeuten. World3/2000 liefert aber keinen Grund zur Hypothese, dass die menschliche Spezies aussterben wird.

Nach den 1972 und 1992 präsentierten Hochrechnungen haben Meadows et al. eine dritte World3/2000-Forschungsphase abgeschlossen bzw. vorbereitet. Auf Basis dieser Arbeiten kommt Meadows zur Schlußfolgerung, daß sich angesichts der gegenwärtig vorherrschenden politischen, ökonomischen, und kulturellen Wertvorstellungen der Kollaps nicht mehr vermeiden läßt. Dennis Meadows zufolge ist es daher für eine dauerhaft aufrechterhaltbare Entwicklung zu spät (Meadows, 2001).


5.12.2 Disziplinierte Gesellschaft

„Disciplined Society (in which society in the future is seen as organized around some set of overarching values or another -  usually considered to be ancient, traditional, natural, ideologically-correct, or God-given.)” (Dator, 1999, S. 8).

"The Disciplined Society scenario (Bezold, 1982) anticipates a super-strong, centralized federal government created during a time of extreme crises" (Becker/Scarce, 1986, S. 284).  

Um die ökologische Krise (vielleicht noch) bewältigen zu können, muß der politische Prozeß in der disziplinierten Gesellschaft Handlungsfähigkeit sicherstellen (Becker/Scarce, 1986, etc.), was typischerweise eine "Verwesentlichung" der Demokratie (mehr Kompetenzen für die staatlichen Organe) bedingt. Darüber hinaus muß das Entscheidungssystem derart gestaltet werden, daß auch unpopuläre Maßnahmen und Gesetze ergriffen bzw. implementiert werden können.  

In der repräsentativen Demokratie besteht die Möglichkeit, die Regierung in Krisenzeiten auf eine kleine Expertenelite zu reduzieren. Wenn die Bevölkerung und die Wirtschaft die materiellen Grenzen der Umwelt überzogen haben, gibt es nur noch zwei Wahlmöglichkeiten: entweder Zusammenbruch als Konsequenz nicht mehr beherrschbarer Krisen und Mangellagen (keine Beschränkung des Wachstums) oder bewußte Reduzierung der Durchsatzmengen als Gesellschaftsaufgabe. Die notwendigen Veränderungen erfordern hier eine Disziplinierung (d.h. im Worst-Case die Etablierung einer Ökodiktatur), wenn das System gegen Umstrukturierung Widerstand mobilisiert. Mit der Forderung nach Schranken für die Ökonomie können wieder Ängste ausgelöst werden, nämlich die vor einer autoritären staatlichen Macht, die der Freiheit Fesseln anlegt und im Totalitarismus münden kann (Weizsäcker/Lovins/Lovins, 1996). 

Die daraus entstehenden Zwänge und Folgeprobleme bedingen im Worst-Case die Verstärkung der Instrumente der Exekutive, so daß eine lückenlose Überwachung (e.g. der bürgerlichen Privatsphäre, Überwachung des freien Unternehmertums, etc.) realisiert werden müßte. Die drohende Instabilitätsgefahr wird im Worst-Case den Entscheidungsträgern erlauben, Grundrechte für ungültig zu erklären oder einzuschränken. Hier besteht für den Staat die große Versuchung, die Wirtschaftsaktivitäten zu lenken, die Ressourcen zu rationieren, das Verhalten der Bürger durch Regelsysteme und auferlegte Wertesysteme festzulegen, und von oben durch Experten zu definieren, welche Bedürfnisse befriedigt werden dürfen. Politische Eliten und Experten müssen angesichts des möglichen Zusammenbruchs eine Myriade wechselseitig verknüpfter ökologischer und sozialer Probleme zu lösen versuchen, die schnelle und auch autoritative Entscheidungen erfordern. Wenn Probleme exponentiell zunehmen und mehrere gleichzeitig auftreten, können sie auch die handlungsfähigsten Eliten und Experten überfordern. 

Im Best-Case bleiben die demokratische Gesellschaft und repräsentative Regierungssysteme erhalten, Demokratisierung wird aber abgelehnt (Becker/Scarce, 1986). Diejenigen sozialen Bewegungen, die für den Ausbau des bürgerlichen Engagements in politischen Entscheidungsprozessen eintreten (d.h. Volk hat u.a. die Möglichkeit, kollektiv bindende Entscheidungen gegen den Nachhaltigkeitskurs durch Einführung direktdemokratischer Institutionen zu treffen), würden als politische Gefahr für die nationale Sicherheit angesehen und mit dem Hinweis auf Diskontinuität zurückgewiesen, da sie den staatlichen Interessen entgegenstehen.


5.12.3 Dauerhaftes Wachstum [Continuation (usually "continued economic growth")]

Das Wachstums-Szenario stellt eine Extrapolation der vorherrschenden sozialen Trends der letzten dreißig bis hundert Jahre dar (Becker/Scarce, 1986), die auf die meisten westlichen Demokratien zutreffen kann. In dieser Gesellschaftsform ist kontinuierliches (ggf. exponentielles) Wachstum die primäre Zielvorstellung. Die Technologie und der Markt reagieren entsprechend dem Wertesystem in der Gesellschaft bzw. deren führender Schicht. Wenn das vorherrschende Ziel Wachstum ist, wird so lange wie möglich das Wachstum gefördert. Diese Gesellschaft kann mit den Attributen "wachstums-orientiert, technologisch-progressiv, chancen-erfüllt, reich, global, mobil, wissenschaftlich-gesteuert, redundant, freizeit-erfüllt, liberal, freiheitlich" beschrieben werden. Die Erwartung von Innovationen im Bereich der Technik (vgl. z.B. Kahn/Siman, 1984; Maddox, 1972), insbesondere solche, die es erlauben, dieselben Güter und Dienstleistungen mit geringeren Umweltbelastungen und Ressourcenanforderungen (Faktor 4/Faktor 10/Faktor X) herzustellen, stellt eine Hauptprämisse dieser Gesellschaftsform dar. Dazu muß allerdings bemerkt werden, daß nach allen geschichtlichen Erfahrungen die Annahme, daß technischer Fortschritt in Gestalt einer zunehmenden Dematerialisierung (d.h. z.B. weitere Reduktion der Umweltbelastungen pro Wertschöpfungseinheit) die Probleme lösen wird, bis heute unbestätigt blieb (Radermacher, 1999, 2000). Dies ist u.a. eine Konsequenz des "Rebound-Effekts" (Bumerang-Effekt), der im Kern dazu führt, daß Einsparungen pro Wertschöpfungseinheit, die aus dem technischen Fortschritt resultieren können, sofort in vermehrte menschliche Aktivität - d.h. mehr Menschen und mehr Aktivität pro Person - umgesetzt werden (Radermacher, 1999, 2000). Solche zunehmenden globalen Aktivitäten führen zu einer wachsenden globalen Bevölkerung, mehr Konsum, mehr Mobilität und einer steigenden Umweltbelastung. Die rasche Beschleunigung der Innovationsprozesse kann außerdem zur Unregierbarkeit der Gesellschaft führen (Radermacher, 1999). Als direkte Konsequenz der Globalisierung entstehen kurzfristig zusätzliche Umweltbelastungen durch das hohe Wachstum in den Schwellenländern und ein Abfluß der Arbeit aus den reichen Industrieländern mit Arbeitslosigkeit und der Bedrohung der Sozialsysteme. Die Menschheit hat - auch in Europa - noch keinen einzigen der wirklich existentiellen Belastungstrends in den Griff bekommen: Der Energiebedarf, die CO2-Emissionen, der Materialverbrauch, das Abfall- und Verkehrsaufkommen und die Flächenversiegelung nehmen weiter zu. Bei der Fortsetzung der bisherigen Trends drohen einerseits erhebliche soziale Konflikte, andererseits ein Klimakollaps (Radermacher, 2000).


Optimistische Thesen für die Diskussion über eine nachhaltige und zukunftsfähige Wirtschaft beinhaltet die Analyse "Wachstum ohne Grenzen" von Becker-Boost und Fiala, die primär auf Basis einer Empirie der Industrialisierung und der Marktwirtschaft argumentieren. Daraus leiten sie die folgenden Thesen ab:

  1. "Alle Bevölkerungsgruppen verhalten sich bei gleichem
    Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf ähnlich. Auf dieser Grundlage sind
    Prognosen möglich.
  2. Die Zunahme der Bevölkerungszahl wird sich bei steigendem BIP pro
    Kopf verlangsamen.
  3. Die Ressourcen reichen für weiteres Wirtschaftswachstum und für alle
    kommenden Generationen, vorausgesetzt dass für jeden Rohstoff ein
    Ersatz akzeptiert und der solare Energiestrom genutzt wird. Dann sind
    die Ressourcen unerschöpflich.
  4. Die Nahrungsproduktion kann auch eine weiter zunehmende
    Bevölkerung erhalten, wenn die technisch verfügbaren Möglichkeiten
    ausgeschöpft werden. Auch Wasser ist ausreichend vorhanden.
  5. Die Landfläche reicht bis zum wahrscheinlichen Ende dieses
    Bevölkerungsschubs für Nahrungsproduktion, Energiegewinnung, Arbeits-,
    Wohn- und Freizeitnutzung, Verkehr sowie für alle anderen biologischen
    Arten. 
  6. Die Belastung der Sphären durch Abfall jeder Art (Müll, Abwässer und
    Emissionen) kann auf einem von der Natur nachhaltig verkraftbaren Maß
    gehalten werden.
  7. Die menschliche Erfindungskraft ermöglicht die Rückkehr in den
    Material- und Energiekreislauf der Natur und schafft dabei neue
    Arbeitsplätze, die Vollbeschäftigung ermöglichen (sozialer Friede, kleine
    Unterschiede zwischen Arm und Reich).
  8. Drastische Störungen des Weltfinanzsystems und somit der realen
    Wirtschaft können durch bessere internationale Kooperation verhindert
    werden.
  9. Die Marktwirtschaft in ihrer heute ausgeprägten, sozial und ökologisch
    verträglichen Form ist das für nachhaltiges Wachstum erfolgreichste
    System. Nicht die Marktwirtschaft ist unsozial, aber die Regeln können
    es sein und vor allem deren Nichteinhaltung.
  10. Die Wirtschaft wird und kann weiter wachsen; sie muss weiter
    wachsen, um die Voraussetzungen für die Erfüllung dieser Thesen zu
    sichern." (Becker-Boost/Fiala, 2000, S. 13-14)


Auch in dieser Zukunft wird eine elektronische Demokratie - nach der Hypothese von Becker und Scarce - keine grundsätzliche Transformation bewirken (vgl. Becker/Scarce, 1986). Beispielsweise hat Arterton diese These anhand von vielen empirischen Fallstudien belegt (z.B. Arterton, 1987).

Die Vorrangstellung der Sphären der Wirtschaft und Freizeit gegenüber der Sphäre der Politik, die starke Stellung der Parteien, die Untertantenkultur, die partielle Abschottung der Politik von der Öffentlichkeit, Unwille gegenüber der Umsetzung von transformationellen Politiken machen die Realisierung von partizipatorischer E-Demokratie sehr unwahrscheinlich.

Die wenigen Basisdemokraten, die versuchen, grundsätzlich alternative Modelle zur bestehenden Gesellschaftsform zu realisieren oder auch nur ansatzweise zu thematisieren, haben angesichts der Übermacht der politischen und wirtschaftlichen Eliten, geringe Chancen.

E-Demokratieprojekte werden zu bestimmten Zeitpunkten durchgeführt. Die Strukturen des Netzes werden jedoch die politischen Machtverhältnisse der "Realwelt" fortsetzen. Die in der politischen Praxis eingesetzten Anwendungen der IKT werden gegenüber dem Status quo keine wesentliche Veränderung bringen (continuation). Starkdemokratische Transformationsideen, die die Kompetenzen der Repräsentanten beschneiden und die Entwicklung einer sich selbst regierenden Bürgergesellschaft begünstigen, werden politisch undurchsetzbar sein.

"Electronic democracy in such a society would probably not grow much beyond its present, pre-pubescent stage. Projects such as Alternatives for Washington, Reading's BCTV, the Alaska Legislative Teleconferencing Network, and the Honolulu Electronic Town Meeting would occasionally be created, but their impact nationally would be minimal. This would be due largely to the staying power of representative government and its ambivalent tendencies toward direct democracy. For most part, pro-participatory democracy organizations would serve as something like measuring tools of the strength of public sentiment about what the government perceives as important future problems and/or as a relatively innocuous way of venting citizen frustration over specific government actions or lack thereof" (Becker/Scarce, 1986, S. 285).


In dieser Gesellschaft wird das Individuum aber nicht genug Zeit für eine Beteiligungsdemokratie aufbringen können, um sich primär mit öffentlichen Angelegenheiten zu beschäftigen, da u.a. der Zwang zur Lohnarbeit besteht.
Dies bedeutet aber nicht, daß in der Wachstumsgesellschaft im Best-Case keine E-Initiativen und E-Referenden stattfinden werden. E-Abstimmungen, E-Initiativen und E-Referenden werden jedoch nur den politischen Bereich im engeren Sinn betreffen - die eigentlichen Kernbereiche gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Macht werden unberührt bleiben. Der engere Politikbereich ist nur ein Segment gesellschaftlicher Macht. Wegen der Regeln der liberalen Demokratie werden E-Plebiszite im allgemeinen keine direkte Auswirkung auf die ökonomische, massenmediale, oder sonstwie vermittelte Macht haben. Durch die steigende Anzahl der Volksentscheide - beispielsweise in Kalifornien - läßt sich zeigen, daß diese Variante der Anwendung der IKT keine Systemtransformation darstellt. 

Benjamin Barber ist - angesichts der Entwicklung, die das Kabelfernsehen genommen hat, nämlich nicht in Richtung mehr politische Beteiligung, sondern in Richtung Kommerzialisierung und Trivialisierung - skeptisch gegenüber den Möglichkeiten einer Beteiligungsdemokratie unter der Prämisse der Fortsetzung einer auf Privatisierung und Deregulierung gerichteten Politik eingestellt (Barber, 1997b, Barber, 1999). 

Nicht die Demokratisierung und die Entwicklung von partizipationsfördernden politischen Institutionen, sondern die Werbung und der Vertrieb von Gütern und Dienstleistungen prägen die Dynamik, mit der kommerzielle Interessen die Entwicklung der Rechnernetze voranbringen (wirtschaftliche Kontrolle). Zudem ist zu bemerken, daß weder Radio, noch Fernsehen, noch Satellitenfernsehen die politische Beteiligung gestärkt haben (oder zu mehr direkter Demokratie führten).

Für diverse E-Medien (z.B. Fernsehen) ist seit Jahren eine Verlagerung in der Publikumszuwendung von politischen Informationsangeboten hin zu Infotainment- und Boulevardprogrammen aufzuweisen. Wenn diese Verschiebung bei allen Medien nachvollziehbar ist, gibt es wenig Indizien für die Annahme, Rechnernetze könnten sich dieser Konstante des medienevolutionären Prozesses entziehen. Empirische Ergebnisse zur Nutzung des Netzes können dies auch bestätigen (z.B. Kamps, 1999).      

Da die Praktikabilität der repräsentativen Demokratieform durch historische Beispiele nachgewiesen und nachhaltige Modernisierungen im ökonomischen Subsystem zeitgemäß eingeführt werden, hat das System auch seine zukünftige Stabilität und Existenzfähigkeit sichergestellt. Daher sind geringe Impulse zur Transformation zu erwarten. Die Weiterentwicklungen der IKT dienen vorrangig wirtschaftlichen und militärischen Interessen.

 

5.12.4 Transformationsgesellschaft

„Transformational Society (usually either of a „high tech“ or a „high spirit“ variety, which sees the end of current forms, and the emergence of new (rather than the return to older traditional) forms of beliefs, behavior, organization and – perhaps – intelligent lifeforms.)“ (Dator, 1999, S. 8).

„It will be a de-massified, individualized society wherein information is a key commodity and is available to all. Just about everyone in a community has the right to participate in the decision-making process guiding that society...  By definition, the Transformational Society is deliberately dynamic, forever in the state of change. In many respects, much the same can be said for today´s society. However, in the Transformational Society, change is expected and anticipated; unlike today, it does not fill most citizens with dread, uncertainty, and a chronic case of ´future shock´” (Becker/Scarce, 1986, S. 285).

In einer Transformationsgesellschaft gewinnt der Technologieeinsatz zur Demokratisierung herrschaftsstrategische Bedeutung. Die Frage der Zukunftsfähigkeit der menschlichen Spezies wird hier in der Frage entschieden, ob es gelingt, das Potential der Meinungs- und Willensbildung sowie Entscheidungsfindung einer Beteiligungsdemokratie (unter Einsatz der zur Verfügung stehenden Anwendungen der IKT und/oder auf konventionellem Wege (ohne IKT)) - zur Erreichung des Ziels einer nachhaltigen Entwicklung auf allen Ebenen zu erschließen - siehe dazu auch: "Teledemocracy to the Rescue" (Becker, 1985). 

Transnationale Regelsysteme, die Überwindung der Übernutzung der Ressourcen, eine Demilitarisierung und Pazifizierung in geregelten Bahnen, globale soziale Gerechtigkeit, etc. müssen im 21. Jahrhundert auf der globalen Agenda stehen. Diese Konzepte und Visionen der Wissenschaft werden aber erst dann akzeptiert, wenn in der Bevölkerung dafür Wurzeln ausgebildet sind, d.h. die Wertvorstellungen wurden von ihr internalisiert. Die Gefahr einer disziplinierten Gesellschaft entgeht man dadurch, daß man die Regeln der Freiheit und der demokratischen Mitbestimmung hochhält. Nachhaltige  Entwicklung erfordert in der Transformationsgesellschaft vom Bürger die Übernahme konkreter, persönlicher Verantwortung im ökologischen und sozialen Bereich. Diese Verantwortung kann der Bürger doch nur dann wahrnehmen, wenn direktdemokratische Entscheidungsfreiräume und Mitsprachemöglichkeiten geschaffen werden. Partizipation ist daher nicht nur eine Strategie zur strategischen Zukunftsplanung, sondern primär ein unverzichtbares Element nachhaltiger Entwicklung. Das Gesellschaftsmodell einer engagierten Bürgergesellschaft ist für Ulrich Beck die einzige Chance, Sozialstaat und Demokratie im 21. Jahrhundert zu sichern (vgl. Beck, 1999b, 1999a).

Die Transformationsgesellschaft wird Regeln, Gesetze und einen sozialen Konsens brauchen. Auf Nachhaltigkeit abzielende Regeln werden nicht eingeführt, um Freiheiten abzuschaffen, sondern um Freiheiten neu zu schaffen oder sie vor jenen zu schützen, die sie zerstören wollen. Wegen dieser Regeln sind durchaus mehr Freiheiten möglich, als in einer Welt, die ständig über ihre Verhältnisse lebt. 

Vielfalt ist sowohl Ursache als auch Folge von Nachhaltigkeit in der Natur. Daher wird eine nachhaltige Transformationsgesellschaft von Wesen und Kultur her vielfältig sein.

Die entwickelten partizipatorischen Technologien (einschließlich der nötigen Hardware zur Partizipation an Entscheidungsprozessen) werden in der Transformationsgesellschaft als persönlicher Standard angesehen. In dieser Gesellschaft ist Entscheidungsinformation ein Schlüsselfaktor, der allen Bürgern bedingungslos zugänglich ist. Jede Person verfügt über das Recht zur Partizipation an gesellschaftsführenden Entscheidungsprozessen (Dator, 1983; Becker/Scarce, 1986) . In der Transformationsgesellschaft besteht auch die Möglichkeit zur Demokratisierung der Lebensbereiche.  Diese dynamische Transformationsgesellschaft befindet sich permanent in einem Prozeß der (sozialen) Veränderung, der selbstbestimmte Individuen hervorbringt. Die aktive Bürgergesellschaft wird dann nicht nur eine postulierte, abstrakte Größe, sondern ein Handlungsmodus sein. 

Hier wird erwartet, daß die IKT unter der Prämisse der Erleichterung der bürgerlichen Partizipation an Entscheidungsakten kontinuierlich weiterentwickelt werden. Gleichfalls ist die Struktur des Regierens von dynamischen Veränderungen geprägt. Jeder Bürger hat unabhängig vom sozialen Status einen unbegrenzten persönlichen Zugang zu allen Ressourcen der Demokratie. 

Die gegenwärtige Informationsgesellschaft weist zwar eine Reihe von Berührungspunkten mit der Transformationsgesellschaft auf. Doch besteht die Differenz darin, daß letztere eine spielregelverändernde Politik umsetzt (Systemtransformation). Sie konfrontiert viele Bürger im Gegensatz zum gegenwärtigen Gesellschaftssystem nicht mit Ängsten vor dem nächsten Tag, mit der Ungewißheit, den Zwängen, der Frustration sowie mit einem chronischen "Zukunftsschock" (Toffler, 1970). Darunter versteht Toffler die Desorientierung und Hilflosigkeit der Menschen, die in kurzer Zeit zu viele Veränderungen durchmachen müssen. 

Nachhaltige Entwicklungsformen - und nicht leistungsfähigere Waffen, Machtkämpfe und Ansammlung materiellen Reichtums - sind die Determinanten dieser Gesellschaft. In der Transformationsgesellschaft besteht daher großes Interesse an qualitativer Entwicklung und an immateriellen Befriedigungen, aber nicht an materieller Expansion. Nachhaltigkeit bedeutet nicht Nullwachstum (Meadows/Meadows/Randers, 1995) . Nullwachstum ist ebenso eine primitive Vorstellung wie unendliches Wachstum. Diese Transformationsgesellschaft wird vielmehr zwischen den Typen und den Zwecken des Wachstums differenzieren. Sie wird analysieren, wozu das Wachstum dient, wer davon profitiert, was es kosten wird und wie lange es aufrechterhalten werden kann, ohne die Quellen und Endlager des Planeten Erde zu überlasten. Man wird entsprechend allen Kenntnissen über die begrenzte Umwelt nur Wachstum zulassen, das bestimmten sozialen Zielen dient und die Stabilität fördert. Wenn der jeweilige Zweck des Wachstums erreicht ist, würde es wieder gestoppt werden. 

Der Nachdruck wird auf ausreichende Versorgung, gerechte Verteilung und Lebensqualität und weniger auf den Produktionsausstoß gelegt. Dazu ist mehr notwendig als nur Produktivität und Technologie; gefragt sind primär Reife, partnerschaftliches Teilen und Weisheit. 

In der Transformationsgesellschaft deckt sich das Wohl der Individuen weitgehend mit dem Gesamtwohl, da neue soziale Institutionen dies sicherstellen. Die Transformationsgesellschaft wird die Armen nicht in ihrer Armut lassen, das ist aus zwei Gründen unnachhaltig: (1) Die Armen würden (und dürften) sich diesen Zustand auf Dauer nicht gefallen lassen. (2) Falls ein Teil der Bevölkerung in Armut festgehalten wird, läßt sich - außer durch strenge Zwangsmaßnahmen - keine Stabilisierung der Bevölkerungszahl erzielen. Aus praktischen und moralischen Gründen wird eine Transformationsgesellschaft gerecht und fair sein müssen.

Einer nachhaltigen Transformationsgesellschaft blieben die krisenhaften Einbrüche und Stagnationen, Arbeitslosigkeit und Zahlungsunfähigkeit erspart, die gegenwärtige Marktsysteme heimsuchen. Ein Übergang zur Transformationsgesellschaft vollzieht sich langsam genug, so daß Menschen und Organisationen Zeit haben, ihren Platz in der neuen Gesellschaft zu finden. Befreit von materieller Sorge wie auch materieller Habgier, stehen den Menschen enorme Möglichkeiten zur kreativen Entfaltung offen.

Die Transformationsgesellschaft setzt ihre Kreativität im Rahmen einer antizipatorischen E-Demokratie für das langfristige Überleben der Menschheit ein (siehe dazu Bewusstseinsbildungsprozesse wie Syncon, Planungszelle, etc.) und nicht für die kurzfristigen Interessen von Unternehmen. 

Die Automatisierung wird soweit vorangeschritten sein, daß sie unter modifizierten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen (z.B. Arbeitszeitreduzierungen) einen für politische Beteiligung notwendigen Freiraum von der Lohnarbeit sicherstellen wird. Durch die Weiterentwicklung der technischen Produktivkraft kann der Faktor menschliche Arbeit in der Transformationsgesellschaft derart entlastet werden, daß jedes Individuum hinreichend Zeit hat, sich mit öffentlichen Angelegenheiten und Politik zu beschäftigen.

Durch erfolgreiche Bewusstseinsveränderungsprozesse sowie durch einen offenen und anhaltenden Diskurs, in dem der Weg einer freien und demokratisierten Wirtschaft durch die Bürgergesellschaft unter ständiger Betrachtung möglicher Wachstumsgrenzen festgelegt wird, wird das Gesellschaftssystem zunehmend Akzeptanz für nachhaltige Lebensstile entwickeln, die von den Normen und Konventionen des gegenwärtigen sozialen Verhaltens abweichen.

 

Die Emanzipation in der Transformationsgesellschaft wird zusätzlich erschwert, wenn die herrschenden Eliten ihren Machtvorsprung zuweilen bewußt zur Erhaltung der bestehenden Machtverhältnisse einsetzen, sei es einerseits weil sie ihre persönlichen Privilegien nicht aufgeben wollen, andererseits aber auch weil sie überzeugt sind, für die effiziente Führung der Gesellschaft unabdingbar zu sein. Die Eliten-Massenstruktur verschließt die Gesellschaft bzw. verhindert deren Öffnung für grundsätzlich neue Ideen. Ihre Beseitigung - u.a. durch Einführung der E-Repräsentantenwahl nach dem Zufallsprinzip  - fördert das Entstehen einer demokratischen, freien Transformationsgesellschaft.

Nach der ersten Phase der Transformation der Regierungsstruktur (z.B. 15-30 Jahre) ist es in der fortschrittlichsten Entwicklungsstufe wegen der einsetzenden Lernprozesse durchführbar, professionelle Politiker auf allen Ebenen des Regierens durch zufällig gewählte Repräsentanten (Random Selection) aus der Menge interessierter Bürger zu ersetzen (Toffler, 1980, Burnheim, 1989, Becker/Scarce, 1986, Slaton, 1992, McGrew, 1998, Carson/Martin, 1999, Becker/Slaton, 2000, etc.). Die mündigen Bürger werden gemäß einer partizipatorischen E-Demokratie für eine fixe Zeitperiode gewählt, um u.a. Gesetze (unter Mitwirkung von Experten) zu formulieren. Diese lassen sich wiederum den Bürgern zur Abstimmung in Form eines elektronischen Referendums vorlegen. Die Möglichkeit der Einleitung von E-Initiativen zur direktdemokratischen Selbstgesetzgebung und Selbstverfassungsgebung kann gemäß partizipatorischer E-Demokratie u.a. auch in den ESVen, EBVen und ENVen bestehen. In der Transformationsgesellschaft sind die Informationen von Regierenden und Regierten identisch, wobei die Bürger von Zuhause oder über öffentliche Rechner diese Informationen und Daten beziehen. Bürgerkontrollierte, alternative und öffentliche Medien, Diskussionsgruppen werden es den Bürgern erlauben, Optionen und Positionen über Gesetze und Politiken zu formulieren und massenmedial zu vermitteln. Daraus können konsensfähige Lösungen sowie entscheidungsfähige Vorlagen entwickelt werden.

Wenn die Transformationsgesellschaft kommt, wird sie organisch und evolutionär sein (d.h. prozesshaft). Sie wird erwachsen aus den neuen Visionen, Paradigmen, Einsichten, Konzepten, Experimenten von zunächst wenigen, dann Millionen bis zu Milliarden Menschen. Sie wird aller menschlichen Qualitäten und Fähigkeiten bedürfen, die es gibt: von technischem Erfindergeist, wirtschaftlichem Unternehmergeist und elektronischer Beteiligungsdemokratie bis zu Aufrichtigkeit, Mitgefühl und Liebe.

Im letzten Szenario stimmt die Transformationsgesellschaft mit einer substantiellen Beteiligungsdemokratie überein. 

 

5.12.5 Ausblick

Schlußfolgerungen von Becker und Scarce: “But whatever its future, teledemocracy is emergent…It has been born. It has survived its first years… Although still very young,  it has excellent prospects for viability in the United States and throughout the Western democratic world” (Becker/Scarce, 1986, S. 286).

 

In der folgenden Darstellung 5.9 werden Entwicklungsphasen auf dem Weg zu einer beteiligungsorientierten Demokratie aufgezeigt. Eine komplexe E-Demokratie würde aus einem Bündel von demokratietheoretischen Ansätzen bestehen (siehe Abbildung 5.9). Dabei ist der Unterschied zwischen Reform und Transisition entscheidend. Eine Reform bedeutet, daß durch Einführung eines E-Wahlsystems die politischen Prozeduren modernisiert werden, während die Machstrukturen unverändert bleiben. Dagegen bedeutet Transisition eine Neuverteilung gesellschaftlicher Entscheidungsmacht, so daß der Kreis politikfähiger Individuen erweitert wird. Die Synergien zwischen aktiver Gesellschaft, einem E-Wahlsystem, ESVen, E-Nachbarschaftsversammlungen, E-Kommunikationsbäumen, deliberativen Umfragen sind wichtige Größen einer Demokratietransformation. In dieser neuen Variante der Informationsgesellschaft bestimmt der Bürger, welche Richtung die zukünftige Gesellschaft einschlagen soll. Die Gestalt einer transformierten Demokratie ist derzeit noch nicht vorhersehbar. Auch Probleme und Fehler sind bei der Transformation zu erwarten. Deswegen müssen umfassende Forschungsprojekte, Untersuchungen und präzise Evaluationen auf dem Weg von der Zuschauerdemokratie zur Beteiligungsdemokratie den negativen Konsequenzen entgegenwirken.

Abbildung 5.9: Langfristige Transformation repräsentativer Demokratien.
 
 
 

Der politische Entwicklungsprozeß ist jedoch keine lineare Sequenz, die für die sozio-politische Entwicklung eine bestimmte Form ökonomischer Entwicklung voraussetzt. Deshalb ist die elektronische Demokratie nicht nur ein Luxus, der ausschließlich den reichen Industrieländern offensteht. Der Anschluß an Rechnernetze erfordert keine starke Industrialisierung der Entwicklungsländer. Anstelle einer fortgesetzten starken Industrialisierung kann größtenteils Informatisierung, Demokratisierung und Bildung treten.

In den westlichen Demokratien ist die Dimension der "Kontrolle politischer Kommunikationssysteme" gleichermaßen kritisch wie die Dimension der "Verfügungsgewalt und Entscheidung über Produktionsmittel" (vgl. Arnopoulos/Valaskakis, 1982, Slaton, 1992). Die dritte Dimension ist die Kontrolle politischer Entscheidungssysteme auf gesellschaftlicher Ebene. Es kommt aber auch auf die Verteilung der Macht in den einzelnen Lebensbereichen und -verhältnissen an. Der Demokratisierungsgrad der Informationsgesellschaft wird in hohem Maße dadurch bestimmt, welche Individuuen und Gruppen diese Dimensionen bestimmen und wie breit ihre Macht verteilt ist. Das Maximum der elektronischen Demokratisierung ist eine Gleichverteilung der Macht in allen genannten Bereichen. Auch sei in diesem Zusammenhang noch einmal betont, daß  Machtgleichheit als ein Ideal auszusehen ist, an das es sich anzunähern gilt, das aber angesichts des Ausmaßes der Arbeitsteilung nie in reiner Form erreicht werden kann. 

Eine E-Demokratie ist permanent bedroht. Die Ursache ihrer Gefährdung ist nicht zuviel, sondern zuwenig E-Demokratie. Wer insbesondere Freiheit durch mehr E-Demokratie bedroht sieht, dem kann es nur um die Erhaltung jener Freiheit gehen, die die Wenigen in nicht-demokratisierten Sozialstrukturen auf Kosten der Mehrheit bisher überwiegend genossen haben. Wäre es anders, so hätten sie die elektronische Demokratisierung nicht zu befürchten. Für die Herrschenden ist "mehr elektronische Beteiligungsdemokratie" und "mehr Freiheit" ein Nullsummen-Spiel, da für sie das eine auf Kosten des anderen geht. Für die in der bisherigen Geschichte Beherrschten, für die sozialen Unterschichten, die Jüngeren, die Alten, die Frauen sowie die Machtlosen westlicher Demokratien aber ist "mehr Freiheit" mit "mehr elektronischer Beteiligungsdemokratie" identisch.

"So wurde in der griechischen Sprache isegoria - das allgemeine Recht, in der Versammlung zu sprechen - gleichbedeutend nicht nur mit demokratischer Partizipation, sondern mit der Demokratie selbst. Daher wird Demokratie, wenn sie eine immer kleiner werdende Welt und die Attacken einer feindlichen Moderne überleben soll, ihre vielfältigen Stimmen wiederentdecken und ihren Bürgern die Macht zu sprechen, zu entscheiden und zu handeln noch einmal geben müssen; denn am Ende werden wir Freiheit nicht in den abgeschiedenen Höhlen privater Einsamkeit finden, sondern in den geräuschvollen Versammlungshallen, wo sich Tag für Tag Männer und Frauen als Bürger treffen und im Sprechen miteinander den Trost gemeinsamen Menschseins entdecken" (Barber, 1994, S. 296).