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Pierre Teilhard de Chardin

1881 - 1955

Der französische Jesuit und Paläontologe hat als einer der ersten versucht, die christliche Religion und die Erkenntnisse der modernen Naturwissenschaft zu vereinen – zu einer lebendigen Spiritualität, die dem Lebensgefühl des heutigen Menschen entspricht. Die kirchliche Anerkennung blieb ihm sein Leben lang verwehrt. Erst durch das 2. Vatikanum wurde er rehabilitiert.

Pierre Teilhard de Chardin wird am 1. Mai 1881 als Sohn eines Landedelmannes in der Auvergne geboren. Schon als Kind ist er fasziniert von materiellen Dingen: zuerst sammelt er Metallstücke, später erfasst ihn eine Leidenschaft für Steine, die seine spätere wissenschaftliche Laufbahn bestimmen soll. Nach der Reifeprüfung beschließt er, in den Jesuitenorden einzutreten.

Nach dem philosophischen Grundstudium unterrichtet Teilhard drei Jahre am Jesuitenkolleg in Kairo. Hier unternimmt er viele Expeditionen in die Wüste, und dabei ergreift ihn von neuem die Faszination für die Natur, die leidenschaftliche Liebe zur (materiellen) Welt. Er beginnt sich auch mit Fossilien zu beschäftigen (eine fossile Fisch- und eine Seeigelart wurden nach ihm benannt). Die Evolution des Lebendigen wird zentral für sein Weltbild, auch unter dem Eindruck von Henri Bergsons Werk "L’évolution créatrice", die schöpferische Evolution (es wurde 1914 auf den Index gesetzt.)

Papst Pius IX. hatte 1864 im "Syllabus" die achtzig "hauptsächlichen Irrtümer unserer Zeit" verurteilt: Pantheismus, Rationalismus, Liberalismus, Sozialismus, Religionsfreiheit... In der Folge kam es zum Kampf gegen den "Modernismus": alle Priester und Theologen mussten den Anti-Modernismus-Eid ablegen, Bücher mit religiöser Thematik durften nur mit kirchlicher Druckerlaubnis erscheinen und Autoren, die modernistischer Irrtümer verdächtigt wurden, landeten auf dem "Index der verbotenen Schriften".

Von 1908 bis 1912 studiert Teilhard Theologie, 1911 wird er zum Priester geweiht. Danach erlaubt ihm der Orden das Studium der Paläontologie und verwandter Fächer an der Sorbonne - er soll später an kirchlichen Hochschulen unterrichten. Er ist zutiefst überzeugt, dass zwischen naturwissenschaftlicher Wahrheit und Glaubenswahrheit kein Widerspruch bestehen kann.

Teilhards Studium wird durch den 1. Weltkrieg unterbrochen, den er als Sanitätsgefreiter mitmacht. In dieser Zeit reifen seine Ideen, und er schreibt seine ersten spirituellen Aufsätze: "Das kosmische Leben", "Die schöpferische Einigung", "Der mystische Bereich". Sie sind erfüllt von einer leidenschaftlichen Liebe zur Erde, die im Glauben an einen Schöpfergott gründet. Die universale Bedeutung der Menschwerdung Christi besteht darin, dass das ganze Universum von Gott durchdrungen, zum "göttlichen Bereich" wird. Die Ordensoberen haben Bedenken - es klingt ihnen zu sehr nach Pantheismus - und erlauben keine Veröffentlichung.

1921 übernimmt Teilhard einen Lehrauftrag für Geologie am Institut Catholique in Paris. Im selben Jahr erscheint sein Aufsatz "Wie stellt sich heute die Frage des Transformismus". Er ist überzeugt, dass zwischen Evolutionismus und Schöpfungsglaube kein Widerspruch besteht: Gott, die "erste Ursache", schaltet sich nicht zwischen die natürlichen Ursachen ein (im Sinn eines naturwissenschaftlich nicht erklärbaren Eingriffs von außen), sondern wirkt durch sie: "... dass, so könnte man sagen, Gott die Dinge weniger ‚schafft‘, als dass er ‚sie sich schaffen lässt‘."

Für das kirchliche Lehramt ist die Evolutionstheorie, besonders eine evolutive Entstehung des Menschen, noch undenkbar, weil man meint, dass sie dem Erbsündendogma widerspricht. Nach kirchlicher Lehre hat der Mensch vor dem Sündenfall in einem paradiesischen Urzustand, in der direkten Erkenntnis Gottes, gelebt, aus dem er durch die Sünde des Ungehorsams herausgefallen ist. Das scheint mit der Idee einer stetigen Höherentwicklung unvereinbar. Außerdem widerspricht die Theorie, wonach es mehrere "erste Menschenpaare" gegeben hat, der Vorstellung, dass die Erbsünde durch die Zeugung auf alle Menschen übertragen wird.
1909 hatte eine Entscheidung der Bibelkommission eine allegorische oder symbolische Deutung der ersten Kapitel des Buchs Genesis ausdrücklich untersagt.

Gegen Teilhards Lehrtätigkeit regt sich immer mehr Widerstand in kirchlichen Kreisen. So bietet sich ein willkommener Ausweg, als ihn ein Ordenskollege auf eine Expedition nach Nordchina einlädt. Von 1923 bis 1946 wird sich Teilhard, bis auf einige Unterbrechungen, vor allem in China aufhalten.

Er festigt seinen Ruf als international anerkannter Paläontologe. Man überträgt ihm die Oberaufsicht über die Erforschung der Wirbeltier- und Menschenfossilien in china, und er ist an der sensationellen Entdeckung des Pekingmenschen (Sinanthropus Pekinensis) beteiligt.

Doch seine philosophischen und theologischen Ideen stoßen nach wie vor auf Unverständnis. Seine Schriften ("Das göttliche Milieu", "Der Geist der Erde" und andere) dürfen nicht gedruckt werden, werden aber in privaten Abschriften verbreitet - was wieder zu Problemen mit der Ordensleitung führt. 1937 soll ihm in Boston die Ehrendoktorwürde verliehen werden - nach den empörten Reaktionen konservativer kirchlicher Kreise auf einen Vortrag wird die Verleihung abgesagt. (Noch heute glauben 44% der US-Bürger, dass Gott die Welt in 6 Tagen erschaffen hat!)

1938-1940 arbeitet Teilhard - im Schatten des Ausbruchs des 2. Weltkriegs - an seinem Hauptwerk "Le Phénomène Humain" ("Der Mensch im Kosmos"). Es ist eine Zusammenfassung von Artikeln und Vorträgen der letzten Jahre.

Das Buch beschreibt die Entwicklung des Lebens von der Entstehung der Erde bis zum Auftreten des Menschen. Durch Zusammenschluss von Atomen zu Molekülen, von Zellen zu Organismen entsteht im freien Spiel des Zufalls immer höhere Komplexität. Mit der Evolution der Materie ist untrennbar die Evolution des Bewußtseins verbunden - der "Innenseite der Materie". Dadurch wird in der Evolution eine Richtung, eine innere Zielgerichtetheit erkennbar.
Mit dem Menschen tritt etwas ganz Neues auf: das Ichbewußtsein. Der Mensch ist für seine weitere Entwicklung selbst verantwortlich. Denn die Entwicklung geht noch weiter: Die Menschheit wird sich zu einem gemeinsamen Bewußtsein zusammenschließen, zu einem "harmonischen Bewußtseinskollektiv, das einer Art Überbewußtsein gleichkommt" (S. 244). Diese Einigung kann aber nicht durch Zwang und Gleichmacherei, sondern nur in Liebe vor sich gehen. Die Vollendung der Evolution besteht darin, dass alle Entwicklungslinien auf ein gemeinsames Ziel zulaufen - Teilhard nennt es den "Punkt Omega". Für ihn ist dieses Ziel Christus - der "kosmische Christus", die Vollendung nicht nur der Menschheit, sondern des ganzen Universums.

Das Buch erleidet dasselbe Schicksal wie alle Werke Teilhards: Es erhält keine kirchliche Druckerlaubnis. Teilhard ändert auf Anraten seines Freundes Henri de Lubac über 200 missverständliche Stellen. Er fügt eine Vorbemerkung hinzu, in der er betont, dass er nur das "Phänomen" beschreiben und sich nicht in theologische Fragestellungen einmischen will - doch Rom bleibt hart.

1950 veröffentlicht Pius XII die Enzyklika "Humani generis" - "Über einige falsche Ansichten, die die Grundlage der katholischen Lehre zu untergraben drohen". Darin werden die Ideen der "Neuen Theologie", worunter auch die Ansichten Teilhards sind, verurteilt.

Natürlich stellt sich Teilhard immer wieder die Frage, ob er aus dem Orden austreten oder mit der Kirche brechen soll. Doch er fürchtet, dadurch unglaubwürdig zu werden. Er bleibt seinem Gehorsamsgelübde treu und wartet, bis in der Kirche die Zeit für seine Ideen reif ist.

Er wird es nicht mehr erleben. Nach seiner Rückkehr aus China 1946 ist die Situation in Paris wieder unhaltbar für ihn geworden, dazu kommen noch gesundheitliche Probleme. So nimmt er 1951 eine Einladung in die USA, als "Research associate" der Wenner-Gren-Stiftung an. Am Ostersonntag des Jahres 1955 stirbt er in New York.

Im selben Jahr erscheint "Le Phénomène Humain" und wird sofort ein Bestseller. Heute sind Teilhards Ideen aus der katholischen Theologie nicht mehr wegzudenken.

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