© H.D. Pohl (2007)
Auffassungsunterschiede bei der Schreibung und den
Namensformen von slowenischen Ortsnamen in Kärnten
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Vorwort: Schon vor dem Ortstafelkonflikt 1972 gab es Auffassungsunterschiede bei slowenischen Ortsnamen in Kärnten. Diese gingen aber damals im „Sturm“ unter und blieben von der Öffentlichkeit meist unbemerkt. Jetzt, wo man wiederum eine Lösung sucht, gibt es neuerlich derartige Auseinandersetzungen um die „richtigen“ Namensformen. Dem Kulturgut Ortsname täte es gut, wenn sich beide Seiten, die zuständigen Kärntner Landesstellen und die Vertreter der slowenischen Volksgruppe, möglichst bald auf eine Schreibform einigen, denn viel Zeit steht nicht mehr zur Verfügung. Um 1900 gab es in Kärnten ca. 75 000 Slowenen, laut Volkszählung 2001 nur mehr ca. 13 000 (das sind um ca. 83 % weniger als 1900!). Die immer wieder befürchtete „Slowenisierung Südkärntens“ hat also nie stattgefunden, wenn sie auch unlängst in der Aussendung des „Kärntner Abwehrkämpferbundes“ am 15. März 2006 aufs Neue beschworen wurde: sollten die von der „Konsenskonferenz“ vorgeschlagenen „158 Ortschaften in 18 Gemeinden“ mit Ortstafeln versehen werden, „würde Südkärnten zum slowenischen Territorium“ (S. 2). Die Verwirklichung der Vorgaben der „Konsenskonferenz“ würde kein slowenisches Territorium schaffen, sondern bloß die historisch gewachsene Namenlandschaft des südlichen Unterkärnten unterstreichen, wo zwei Sprachgemeinschaften in einer gemeinsamen Heimat / skupna domovina leben.
Übersicht:
Das Slowenische in Österreich in Zahlen
In absoluten Zahlen, umgerechnet auf das heutige Kärntner Gebiet (also ohne Mießtal, Tarvis und Seeland) gab es 1880 u. 1890 ca. 85 000, 1900 ca. 75 000, 1910 ca. 66.500 Slowenen; 1923 waren es nur mehr ca. 34.500. Danach erreichten sie im Jahre 1939 noch einmal einen höheren Wert, indem ca. 43 000 Personen mit slowenischer Muttersprache erhoben wurden; dazu eine Tabelle (Literatur dazu siehe unter http://members.chello.at/heinz.pohl/Volksabstimmung.htm):
Jahr |
Kärnten |
Österreich gesamt |
1910 |
66 463 |
74 210 |
1939 |
43 179 (inkl. „Windisch“) |
47 639 |
1951 |
19 658 (bzw. 42 095 a) |
19 976 |
1961 |
24 911 |
f |
1971 |
20 972 b |
23 579 |
1981 |
16 552 c |
18 640 |
1991 |
14 850 (inkl. „Windisch“) |
17 379 |
2001 |
12 586 (ohne „Windisch“ d) |
17 953 e (bzw. 24 855 g) |
Anmerkungen zur Tabelle:
a) in allen Kombinationen (z.B. „deutsch-slowenisch“, „deutsch-windisch“ usw.)
b) davon 3961 „Windisch“
c) davon 2348 „Windisch“
d) deren Zahl wird mit 567 Personen angegeben (davon in Österreich geboren: 547)
e) österreichische Staatsbürger (davon in Österreich geboren: 13 225)
f) in den von mir benützten Unterlagen keine gesamtösterreichischen Angaben
g) davon 6891 Ausländer (zuzüglich eine Person „Windisch“)
Dialekte (Mundarten): Narečja:
Gailtaler Dialekt Ziljsko narečje
Rosentaler Dialekt Rožansko narečje
(einschließlich Köstenberg / Kostanje, Sattnitz / Gure, Pischeldorf / Škofji Dvor, Poggersdorf / Pokrče, Zell / Sele)
Jauntaler Dialekt Podjunsko narečje
Obir- (Remschenig-) Dialekt Obirsko (Remšeniško) narečje
Während bei den deutschen Ortsnamen im allgemeinen ein stillschweigender Kompromiss zwischen deren volkstümlicher (auf der lokalen Mundart beruhenden) und „hochdeutschen“ (schriftsprachlichen) Lautung vorliegt, was in der langen Tradition der Verwendung des Deutschen als Amtssprache begründet ist, gibt es im Slowenischen sehr oft voneinander erheblich abweichende hochsprachliche und volkstümliche Namensformen. Erst im Zuge der Begründung eines slowenischen Schrifttums sind viele Toponyme verschriftsprachlicht worden, wobei es oft Irrtümer gegeben hat, wie z.B. beim Ortsnamen Krnski grad ‘Karnburg’: die volkstümliche slowenische Form lautet Karempurg (Kranzmayer 1958, 116), die ein älteres deutsches Chaerenpurch (1201) reflektiert, daher wäre ein slowenisches Koroški Grad (so bei Jarnik) zu erwarten, das wäre ‘Kärntenburg’ wie auch das der alten Bezeichnung Chaerenburg zugrundeliegende *Charantapurch, lateinisch civitas Charantana (9./10. Jhdt.).
Konflikte
um Namensformen sind meines Erachtens (nicht nur, s.u.) Scheingefechte
— ob „Kärntner
amtliche“ oder „slowenische schriftsprachliche“ Namensformen: beide sind
gleich gut „slowenisch“, die einen eben mundartlich (wie deutsch Bruck oder
Brunn, Brünn, Born sowie Bronn), die anderen
schriftsprachlich (wie deutsch Brücke in Möllbrücke oder
Brunnen in Siebenbrunnen, Tirol). In jedem Fall ist ein
Kompromiss zwischen schriftlicher Tradition, mundartlicher Aussprache und
standardsprachlicher Orthographie zu finden. „Überstandardisierungen“ nach dem
Muster „Brücke an der Mur“ sind auf jeden Fall zu vermeiden.
Seinerzeit, 1972, gab es u.a. Streitigkeiten um die
Namensformen der Ortschaften Št. Vid (v Podjuni) / St. Veit
(im Jauntal) und Vočilo / Hart (Arnoldstein). Das
Kärntner Landesarchiv hat zunächst die Schreibungen Št. Fid v Podjuni bzw.
Vočilo vorgeschlagen (vgl. Zdovc 1974, 294 f.), die grundsätzliche
Probleme aufwerfen. Št. Fid ist zwar die beste Wiedergabe eines
mundartlichen [šumfət], ist aber
hinsichtlich der Schreibung isoliert wie z.B. auch deutsch mundartlich Fostion
für St. Sebastian (bei Hochosterwitz). Daher ist es angebracht, nach
den zahlreichen Št. Vid geschriebenen Ortsnamen auch den im Jauntal so
zu schreiben, wie auch der bei den Einheimischen Fostión genannte Ort
besser als St. Sebastian wiederzugeben ist.
Anders verhält es sich bei Hart, Kärntner
Landesarchiv Vočilo, Zdovc Ločilo. Etymologisch beruht
der Name auf slow. *močilo „feuchter Ort, Sumpfwald“ (was auch
deutsch Hart bedeutet, vgl. Kranzmayer 1958, 99). Die slowenische
Schreibung Ločilo (genauer
Łočilo [w-]) ist willkürlich und kann sich auf
keine Vorbilder im alten Österreich berufen, die Ortsverzeichnisse von 1900 und
1910 schreiben Vacil (Kranzmayer
a.a.O. mundartlich Voči(d)lo), als Nebenform Hrast
(d. i. „Eiche“). Daher hat sich das Kärntner Landesarchiv in der Wahl der
Schreibung nach der mundartlichen Aussprache orientiert und mit Recht Vočilo
vorgeschlagen. Eine Schreibung Ločilo evoziert darüber hinaus eine Lesung [lo-].
Eine
gewisse Berühmtheit erlangte Tutzach / Tuce neben amtlich Tulce
(Gem. Ebenthal); letztere Form wird durch urkundlich
1317 Tultz gestützt. Der Ort selbst hieß früher (1900, 1910) slowenisch Tuče
(vgl. 1788 Tutschacher Gemeinberg), was seiner Herkunft aus dem
Personennamen *Tъlčanъ entspricht
(vgl. Pohl 2002, 49 u. 111 mit Lit.).
In letzter Zeit sind v.a. die beiden Namen Ebersdorf / Drbeša ves (gegenüber Drveša vas) und Windisch Bleiberg / Slovenji Plajberg (gegenüber -berk) in slowenischsprachigen Printmedien diskutiert worden (Novice, štev./Nr. 2 vom 20.1.2006). Bei Drbeša ves spielt der alte Streit um die „richtige“ Schreibung für „Dorf“ mit; Zdovc (1993, 43f.) hat als Haupteintrag Drveša vas, vermerkt aber ausdrücklich „tudi [auch] Drbeša vas“, was der Etymologie (vom Personennamen Dobreh(a)) eher entgegen kommt. Was Slovenji Plajberg betrifft: es hat mit der Stadt Bleiburg / Pliberk nichts zu tun, außer dass es etymologisch gleichen Ursprungs ist, aber die Einwohner von Pliberk heißen Pliberčani, die von Slovenji Plajberg (umgangssprachlich und mundartlich) Plajberžani; im Slowenischen wechselt bekanntlich k mit č bzw. g mit ž — die historisch zu begründende und sprachwissenschaftlich korrekte Form ist daher schriftlich Slovenji Plajberg bzw. Pliberk, phonetisch mag Slovenji Plajberk sicher „richtig“ sein (s. zu diesem Problem Pohl 2002, 111ff.). Auch Zdovc (1993, 87), der Plajberk bevorzugt, gibt als Einwohnernamen zwar Plajberčani an, räumt aber als lokale Nebenform Plajberžani ein. Übrigens werden auch viele deutsche Ortsnamen nicht hochsprachlich „korrekt“ geschrieben (wie z.B. Brunn/-brunn/-born und Bruck) oder ausgesprochen (wie die Bundeshauptstadt Wien, die eigentlich Wi-ën heißen müsste, auf Grund von mundartlich Wean usw., man vergleiche Dienten, mundartlich Deanten in Salzburg). Oder man denke an das Osttiroler Virgental mit seinem Firschnitzbach — beide gehen trotz verschiedener Schreibung des Anlautes auf alpenslawisch bzw. karantanisch *bergъ ‘Abhang’ zurück.
Literatur
(weitere namenkundlich-linguistische Details in Pohl 2000 u.
2005a-b)
KATTNIG-KULNIK-ZERZER
2004/2005: F.K. - M.K. - J.Z., Zweisprachiges Kärnten / Dvojezična
Koroška. Zweisprachiges Ortsnamenverzeichnis von Südkärnten / Seznam
dvojezičnih krajevnih imen južne Koroške. Klagenfurt / Celovec.
KRANZMAYER
1958: E.K., Ortsnamenbuch von Kärnten, Band II. Klagenfurt.
OGRIS 1976: A.O., Zur Geschichte der
Kärntner Ortsnamenforschung. In: Österreich
in Geschichte und Literatur 20, 81-92.
OGRIS 1986: A.O., Der amtliche Gebrauch
zweisprachiger Ortsnamen in Kärnten aus historischer und gegenwärtiger Sicht.
In: Carinthia I 176, 361-370.
OGRIS 1991: A.O., Zweisprachige Namen in
Kärnten im Wandel. In: Österreichische
Namenforschung 19/1991, 39-49
POHL
2000: H.D.P., Kärnten — deutsche und slowenische Namen / Koroška — nemška in
slovenska imena. Wien-Klagenfurt (= Studia Carinthiaca XIX und Österreichische
Namenforschung 28/2000, Heft 2-3).
POHL
2002: H.D.P., Die ethnisch-sprachlichen Voraussetzungen der Volksabstimmung.
Die Kärntner Volksabstimmung 1920 und die Geschichtsforschung, Leistungen,
Defizite, Perspektiven, hg. von H. Valentin – S. Haiden – B. Maier. Klagenfurt,
S. 181ff.
POHL
2005a: H.D.P., Slowenisches Erbe in Kärnten und Österreich: ein Überblick. In: Kärntner
Jahrbuch für Politik 2005, S. 127-160.
POHL
2005b: H.D.P., Die Slavia submersa in Österreich: ein Überblick und
Versuch einer Neubewertung. In:
Linguistica XLV – Ioanni Orešnik septuagenario in honorem oblata I, Ljubljana,
S. 129-150.
POHL
2005c: H.D.P., Toponyme in gemischtsprachigen Gebieten als verbindendes Element
und gemeinsames Kulturgut. In: Namenforschung morgen: Ideen, Perspektiven,
Visionen, ed. A. u. S. Brendler. Hamburg, S. 153-160.
ZDOVC
1974: P.Z., Einige Aspekte zu Ortsnamenfragen in Kärnten. In: Carinthia I 164, S. 289-303.
ZDOVC
1993: P.Z., Slovenska krajevna imena na avstrijskem Koroškem / Die slowenischen
Ortsnamen in Kärnten. Wien-Klagenfurt.
BGBl = Bundesgesetzblatt VfGH = Verfassungsgerichtshof