Heinz-Dieter Pohl

 

 

Zweisprachige Ortstafeln als Zeugen gemeinsamer

Geschichte und Kultur

 

Mein Beitrag aus dem Sammelband Ein Kärnten. Die Lösung.

© H.D. Pohl 2012 & Verlag Heyn, Klagenfurt 2012. – Amt der Kärntner Landesregierung (Volksgruppenbüro). – ISBN 978-3-7084-0475-2. – Geringfügig überarbeitet. – Fußnoten in eckigen Klammern in kleinerer Schrift blau eingefügt.

 

 

Jede Region hat ihre landschaftlichen und kulturhistorischen Besonderheiten. Während die Naturschönheiten im Allgemeinen nicht im Zentrum politischer Diskussion stehen – sofern  nicht wirtschaftliche Interessen wie extensiver Tourismus, Energiegewinnung oder Bau von Verkehrswegen dagegen stehen – ist dies bei Kultur und Geschichte ganz anders. Zwar nehmen in unserem Bewusstsein antike Ausgrabungen, mittelalterliche Burgen oder neuzeitliche Kunstdenkmäler als kulturelles Erbe aus der Vergangenheit den ersten Platz ein, doch in der Regel wird vergessen, dass das älteste Erbe unsere Sprache ist und in der Sprache selbst das Namengut. Denn wenn man (wie in Kärnten) Namen wie Achomitz, slow. Zahomec (bzw. Zahołmec, etwa mit  ‘Hinter­bichl’ zu übersetzen) hört, denkt man sofort an einen der zahlreichen Ortsnamen slawischer Herkunft, die den ganzen Süden und Osten Österreichs prägen. Bei Namen wie Žihpolje, der slowenischen Bezeichnung für Maria Rain südlich von Klagenfurt, wird man zunächst überrascht sein, doch ein Blick in alte Urkunden lehrt uns, dass dieser Ort früher Sichpuchl (1200) bzw. Seichbichl (1552) hieß, was soviel wie ‘feuchter Bühel, Bichl’ bedeutet, die slowenische Namensform ist also aus dem Deutschen entlehnt und -bichl wurde erst sekundär zu -polje umgeformt [bei žihpolje handelt es sich um den Einwohnernamen des Ortes, der slow. als *Žihpol (< dt. Sichpuchl) anzusetzen ist (der Anklang an slow. polje ‘Feld’ ist also rein zufällig)]. Beide Namen, Achomitz und Žihpolje, legen also Zeugnis von der sprachlichen Durchmischung Kärntens auf Ebene der Toponomastik ab. Beide Sprachen, Deutsch [genauer: Bairisch (in Kärnten werden nämlich südbairische Mundarten gesprochen)] und Slowenisch, sind konstitutiv in Namengebung und Dialektologie, im deutschen Sprachgut Kärntens findet sich viel Slowenisches, im slowenischen Sprachgut viel Deutsches. Die jahrhundertelange Koexistenz beider Sprachen bzw. die Kohabitation der Sprecher im Lande ist an ihnen nicht spurlos vorübergegangen und beide Sprachen gehören zum historischen Erbe Kärntens bzw. zum „immateriellen Kulturerbe“ (wie auch der gegenseitige Lehnwortschatz beider Sprachen) [dazu s. im Internet unter http://members.chello.at/heinz.pohl/Sprachkontakt_K.htm].

Dieses „immaterielle Kulturerbe“ ist in unserem Bundesland auf Schritt und Tritt feststellbar. Die Ursprünge Kärntens reichen bis in die älteste Zeit zurück, in der Antike war das Gebiet des heutigen österreichischen Bundeslandes Kärnten Bestandteil des keltischen Königreichs Regnum Noricum, das später in der römischen Provinz Noricum aufging. Zunächst auf dem Magdalensberg, dann in Virunum auf dem Zollfeld sowie in Teurnia auf dem Lurnfeld befanden sich damals die Zentren des Gebietes. Nach dem Zusammenbruch des Weströmischen Reiches wanderten ab dem 6. Jhdt. Slawen (und Awaren) ein; in der Folge kam es zur Gründung des slawischen Fürstentums Karantanien, das nach und nach unter bairische bzw. fränkische Vorherrschaft kam. Von 743 bis 907 herrschten fränkische Könige und Kaiser über das Gebiet, anschließend wurde Kärnten ein Teil des Herzogtums Baiern. 976 beginnt die Eigenständigkeit mit der Errichtung des Herzogtums Kärnten, die bis 1335 andauern sollte; anschließend wurde Kärnten habsburgisch und somit gemeinsam mit Österreich, Steiermark und Krain verwaltet [zum Namen Kärnten s.u.; der Name der Steiermark leitet sich vom Namen der oberösterreichischen Stadt Steyr her, von wo aus das Geschlecht der Traungauer bzw. der Grafen von Steyr über seine Besitzungen in der späteren Steiermark herrschte und so dem Lande den Namen vermittelte (der Name Steyr selbst beruht auf einem Gewässernamen). Der Name Krain (slow. usprünglich Kranj, heute Kranjska) kommt nicht – wie immer wieder behauptet – von slaw. krajina ‘Grenzland’, sondern von kelt.-latein. Carnium (wie auch die benachbarte, zu Italien gehörige Landschaft Carnia) mit einer ähnlichen Lautentwicklung wie slow. kras ‘Karst’ (< italien. carso) oder slaw. kralj ‘König’ (zum Namen Karl des Großen). Urkundlich erscheint die Namen gebende Stadt Kranj (dt. Krainburg) 670 als Carnium und 973 in der Bezeichnung via Chreinariorum, ab 1050 finden wir Kreine, Chreina usw., 1291 Chrainburch; der Name beruht auf kelt. *karno- ‘Spitze, Anhöhe, Hügel, Steinhaufen’. Das Land Kranjska (Krain) selbst ist 670 als Carniola, 973 als Chreina marcha (‘Mark Krain’) belegt. Näheres s. Snoj 2009, 210f.].

Historisch gesehen ist Kärnten ein zweisprachiges Gebiet, denn seit seiner Begründung als Herzogtum im Jahre 976 gibt es im Lande zwei Sprachen, damals Althochdeutsch und Karantanisch, der alpenslawische Dialekt des Altslowenischen, wie er uns auch in den „Freisinger Denkmälern“ entgegentritt, dem ältesten slawischen Sprachdenkmal in lateinischer Schrift überhaupt. Spätere Sprachdenkmäler stehen der heutigen slowenischen Sprache näher als etwa mittel­hochdeutsche Texte dem modernen Standarddeutsch, wie z.B. die „Klagenfurter Handschrift“ [Diese besteht aus einem beidseitig beschriebenen Blatt (Pergament), darin ein siebenzeiliges „Vaterunser“ (Text I), dann das damals noch dreizeilige „Ave Maria“ (Text II) sowie abschließend ein zwölfzeiliges „Glaubensbekenntnis“ (Text III) in recht altertümlicher slowenischer Sprache mit deutscher Orthografie. Das 1880 in den Beständen des Geschichtsvereines für Kärnten entdeckte Blatt wurde früh durch Edition und Faksimile einem breiteren Interessentenkreis vorgestellt. Neben den in München verwahrten „Freisinger Denkmälern“ aus dem 10. Jahrhundert und der „Sitticher Handschrift“ (Stiški rokopis, auch „Laibacher Handschrift“ nach dem Aufbewahrungsort) mit Beicht- und Eidesformeln gilt dieses Blatt als eine der ältesten erhaltenen schriftlichen Quellen der slowenischen Sprache. Näheres s. Pohl 2010, 116ff. (Text und Kommentar mit Foto)]. Früher nannte man im deutschen Sprachgebrauch die slowenische Sprache „windisch“, diese Bezeichnung – sie ist heute obsolet geworden – ist sowohl in den Beschreibungen der Herzogseinsetzung beim Fürstenstein in Karnburg bezeugt als auch im Namen „Windisches Herzogtum“ des 16. Jhdts., im Zeitalter der Reformation, dem nicht nur die deutsche Sprache einen Martin Luther zu verdanken hat, sondern auch die slowenische Sprache einen Primož Trubar – beide waren Wegbereiter einer „reformierten“ Sprache – beide Sprachen wurden zu europäischen Kultursprachen und beide sind seit damals Kärntner Landessprachen.

Kärnten war also immer schon zweisprachig, allerdings ist der Personenkreis der zweisprachigen Einwohner im Laufe der Zeit kontinuierlich, seit rund 100 Jahren sprunghaft kleiner geworden. Schon vor 400 Jahren stellte im Zeitalter des Humanismus M.G. Christalnick fest: „es haben sich die die windischen Khärndter mit den deutschen Khärndtern also gewaltiglich vereinigt, das aus ihnen beyden einerley volck ist worden“. Dieses „einerlei Volk“ hörte in der zweiten Hälfte des 19. Jhdts. auf zu existieren und man könnte in Anlehnung an Genesis 3,7 (nachdem Adam und Eva vom Baum die verbotene Frucht gegessen hatten: „dann wurde ihnen beiden die Augen aufgetan und sie wurden gewahr, dass sie nackt waren“) feststellen: im 19. Jhdt. wurde den neuzeitlichen Karantanen plötzlich klar, dass sie zwei Sprachen sprechen, womit auch in Kärnten der sprachorientierte Nationalismus mit allen seinen unangenehmen Begleiterscheinungen Einzug hielt und schließlich den Rahmen zum (deutschen) „Kärntner Abwehrkampf“ bzw. zum (slowenischen) „Kampf um die Nordgrenze“ lieferte. Eine Spätfolge davon – allerdings in abgeschwächter Form – war der „Kärntner Ortstafelkonflikt“, der mit dem „Ortstafelsturm“ von 1972 seinen Höhepunkt erlebt hat und schließlich im Jahre 2011 durch die „Ortstafellösung“ [BGBl. 46/2011] im Rahmen des „Volksgruppengesetzes 1976“ [BGBl. Nr. 396/1976 in der Fassung von BGBl. I Nr. 52/2009] eine Lösung gefunden hat. Ähnlich, wie schon in der Öster­reichisch-Ungarischen Monarchie die Bahnstationen im gemischt­sprachigen Gebiet zweisprachig beschriftet waren, gibt es in Kärnten (wiederum seit 1976) zweisprachige Namens­aufschriften; seit 2011 beträgt die Anzahl der mit zweisprachigen Ortstafeln zu versehenden Ortschaften 164, was sich auf Ortstafeln und Wegweisern sowie bei einigen Bus- und Bahnstationen niederschlägt.

Wir haben also in den deutschen wie in den slowenischen Namen altes und auch gemeinsames Erbe vor uns, sie sind Teil unserer Geschichte. Sie zu vergessen würde einen schweren Verlust bedeuten, beide Namensformen, die deutsche und die slowenische, sind eng miteinander verbunden und deren Geschichte ist unteilbar. In gemischtsprachigen Gebieten hat jedes geografische Objekt zwei Namen, wie sie eben in der jeweiligen Sprache üblich sind.

Zur historisch gewachsenen Kärntner Namenlandschaft sind zunächst ganz allgemein folgende Tatsachen festzustellen:

(1) einen Teil der Namen haben Baiern und Slawen von der keltisch-romanischen Vorbevölkerung übernommen; so reichen Ortsnamen wie Federaun [Federaun (slow. Vetrov oder Betrov) bedeutet etwa ‘Brachland’ und ist zu roman. *veter-one zu stellen, zu latein. vetus, veteris ‘alt’ (woraus furlan. vieri ‘Brachland, unkultiviertes Land’ in Namen wie Vieri bzw. Vieris) + augmentatives -one (wie auch im furlan. Namen Vedronza)] oder Bergnamen wie Spitz-egel [Egel zu latein. aculeus ‘Stachel’ im Sinne von ‘spitzer Berggipfel’ (wie französ. aiguille)] in die romanische Zeit zurück, Bergnamen wie Koschuta [Teil der Karawanken, slow. Schreibung Košuta, eigentlich ‘Hirschkuh’ (von den Kelten wurde der von ihnen übernommene Name der Karawanken später mit kelt. karvos ‘Hirsch’ volksetymologisch in Zusammenhang gebracht, was offensichtlich nachgewirkt hat)] oder der Name Kärnten selbst [Der Name Kärnten geht auf ein kelt. Wort für ‘Stein, Fels’, etwa *karant-, zurück und ist vom Mons carentanus (983 in monte Carentano, heute) ‘Ulrichsberg’ ausgegangen, der mit seinem markanten felsigen Gipfel als ‘Steinberg’ zu interpretieren ist; an seinem Fuße (am Rande des Zollfeldes) auf einem kleinen felsigen Plateau lag die (althochdeutsche) *Charantapurch ‘Kärntenburg’, belegt 1201 als Chaerenpurch, heute Karnbúrg (slow. mundartlich Karempúrg, schrift­sprachlich Krnski Grad, alt Koroški Grad), nicht zu verwechseln mit dem kleinen Weiler Karnbérg nördlich des Ulrichsberges. In seinem Umfeld lag der Sitz des slaw.-karantanischen Fürsten] stellen eine Verbindung zum keltoromanischen Substrat her, schließlich reichen Gewässernamen wie Drau und Lavant in eine noch frühere (also vorkeltische und vorromanische) Zeit zurück und sind Zeugen der Indogermanisierung des alpinen Raumes – für unsere ältesten Vorfahren war die Drau der ‘Flusslauf’ schlechthin und die Lavant ein ‘weißglänzender’ Fluss [Drau < indogerman. * drowos ‘Flusslauf’ (latein. Dravus, dt. alt/mundartlich Traa, Trage usw., slow. Drava); Lavant < indogerman. *albhant- ‘weißer Fluss’ (über altslow. *labant- > dt. [láfant], slow. Labotnica, mundartlich łábota)]. Zu diesen Namen gehören also v.a. die Gewässernamen, die überhaupt das älteste onomastische Material repräsentieren; alle großen Flüsse Kärntens gehören hierher, aber auch die Tauern [Tauern ‘Gebirge; Pass, für den Viehtrieb geeigneter Gebirgsübergang’, Sammelbegriff für einen Teil der Zentralalpen, ursprüngliche Bedeutung ‘Berg’ (Substratwort, vorröm. bzw. roman. *taur- ‘Berg’), erst später ‘Pass’. Ein zweites Tauern beruht auf dem gemein­slaw. Wort tur- ‘Bodenschwellung, ableitiger Hügel’ (neben anderen Bedeutungen), das im Slow. in Namen wie turje mit der Bedeutung ‘stark ableitiger Hügel’ erscheint. Dieses liegt u.a. dem Namen (Ossiacher) Tauern, slow. (Osojske) Turje, und dem Turia-Wald, slow. Turje zu Grunde; dazu kommt noch die einen abgekommenen Berg­namen enthaltende slow. Benennung Pod Turjo (wörtlich ‘unter dem Tauern’) für Neuhaus an der Gail] oder das Jaun- und Gitschtal [Jauntal (slow. Podjuna), Teil des Flusslaufes der Drau, der Name beruht auf der kelt.-röm. Siedlung *Iuenna auf dem Hemmaberg; dieser Ort ist entweder nach einer kelt. Gottheit benannt, etwa Jounat, er kann aber auch auf einem indogerman. *juwenā (‘mit Sand, Kies usw. durchmischtes Wasser’, zur Wurzel *jew- ‘vermengen’ ähnlich wie bei Iuvavum, dem lateinischen Namen von Salz­burg) beruhen. – Gitschtal, urkundlich erstmals 1267-68 als Gutschtal belegt, enthält eine palatalisierte Form von keltoroman. kukka ‘Bergkopf, Gipfel’ (vgl. in Salzburg Gitzen, urkundlich 1169 Guts) und bedeutet etwa ‘Tal zwischen den Berggipfeln’ (am oberen Ende des Tales liegt die Ortschaft Weißbriach, Einwohnername zu slaw. vysprь ‘auf der Anhöhe’)] und einige Siedlungsnamen (z.B. Villach) [Nach traditioneller Ansicht war ein Praedium (‘Landgut’) Namen gebend, etwa keltoroman. *Biliacum, zum kelt. Personennamen *Bilios o.ä. Inschriftlich ist aber nur Bilachinium belegt, Name einer Zollstation im Kanaltal bei Camporosso (dt. Saifnitz, slow. žabnice), rund 25 km südwestlich von Villach. Daher wird neuerdings wieder erwogen, den Namen mit latein. villa zu verknüpfen; die italien. Namensform lautet Villàco, die furlan. Vilàc. Beide Deutungen stimmen lautgeschichtlich mit der slow. Bezeichnung Belják, 1789 Bilak, mundartlich Bljak überein].

(2) die übrigen Namen (der größte Teil) sind bairischer, also deutscher, und slawischer, also slowenischer Herkunft (wobei der prozentuale Anteil von Namen deutscher und slawischer Herkunft recht verschieden ist). Die ersten Kärntner im engeren Sinn des Wortes benannten beispielsweise (slow.) Gorje bzw. Goriče / (dt.) Göriach bzw. Goritschach und Görtschach nach deren Lage ‘die auf dem Berg bzw. Bichl wohnen’ und Bistrica/Feistritz nach einem reißenden Bach. Slowenische Namensformen wie Pliberk (= Bleiburg) oder Bekštanj (= Finkenstein) [beide „höfische Burgennamen“, Bleiburg (urkundlich 1228 Pliburch) entweder < *Blī(de)burg ‘die liebliche Burg’ oder nach dem ehemaligen Blei-Bergbau, Finkenstein nach dem Wappentier] sind aus dem Deutschen bezogen. Die Ortsnamen gewähren somit Einblick in die Siedlungsgeschichte, einmal waren bei der Namengebung Deutsche, ein anderes Mal Slowenen aktiv [Die Bezeichnungen deutsch bzw. Deutsche werden hier ausschließlich im Sinne von ‘Angehörige der deutschen Sprachgemeinschaft’ verwendet, analog steht slowenisch/slawisch bzw. Slowenen/Slawen hier ausschließlich im Sinne von ‘Angehörige der slow. Sprachgemeinschaft’ bzw. ‘eine slaw. Sprache sprechend’], die Namen gingen von Mund zu Mund, d.h. von einer Sprache zur anderen, und oft wurden Objekte auch übersetzt, z.B. dt. Aich = slow. Dob (‘Eiche’) oder Moos ~ Blato (‘Moor, Morast usw.’). Die Motive zur Namengebung waren in beiden Sprachen stets die gleichen, auch wenn manche Ört­lichkeiten unabhängig voneinander verschieden benannt worden sind wie z.B. dt. Hart ‘Sumpfwald’ ~ slow. Breg ‘Ufer, Abhang, Rain’ oder Maria Elend (nach der Marien­kirche) ~ Podgorje (‘Unterbergen’). Solche Fälle widerspiegeln bloß verschiedene Gesichtspunkte, aber keine im Prinzip abweichenden Benennungsmotive, so entsprechen zwei weitere Hart semantisch slow. Dobrava (‘Au-, Sumpfwald’) bzw. slow. Ločilo (= mundartlich ło- bzw. Vočilo, umgeformt aus *močilo ‘feuchter Ort, Sumpfwiese’). Slow. Breg hat auch gleichbedeutende deutsche „Partner“ namens Rain, einmal ist es auch direkt ins Deutsche entlehnt worden: Frög. Verschiedene Namen können sich auch aus abweichenden Funktionen von Ortschaften ergeben, so heißt dt. Feldkirchen (urkundlich 11./12. Jhdt. Ueldchiricha ‘Kirche im Feld’) auf Slow. Trg ‘Markt’ – die heutige Stadt und frühere Marktgemeinde war eben der Marktplatz für die slowenischen Bauern der südlichen Nachbarschaft.

Auch in seit Jahrhunderten rein deutschsprachigen Gebieten finden wir solche Namenpaare: sowohl in der Gem. Großkirchheim als auch in der Gem. Bad Kleinkirchheim ist in den Ortsteilen Zirknitz bzw. Zirkitzen das slowenische Wort für ‘Kirche’ (alt cirkev, heute cerkev) enthalten. Manchmal ist die slowenische Übersetzung früher überliefert als die heutige Namensform wie z.B. 993 Podinauuiz (entspräche Spodnja vas) für heutiges Niederdorf (Bezirk St. Veit an der Glan).

Es ist allerdings konsequent zu unterscheiden zwischen:

(I)        (a) etymologisch deutschen Namen:

                Aich, Bleiburg, Feldkirchen, Finkenstein, Hart, Ludmannsdorf, Maria Elend, Neuhaus an der Gail, Rain

            (b) etymologisch slowenischen Namen:

Achomitz, Feistritz, Ferlach, Frög, Globasnitz, Goritschach, Göriach, Görtschach,       Gösselsdorf, Wellersdorf

(c) Übersetzungsnamen, also Namen, die sowohl zu (a) als auch zu (b) zu zäh­len sind:

                Aich ~ Dob, Moos ~ Blato, Müllnern ~  Mlinare/Mlinče | -dorf ~ vas/-vs

            (d) verschieden benannten Objekten:

                Hart ~ Breg, Maria Elend ~ Podgorje, Maria Rain ~ žihpolje

(e) etymologisch weder slawischen noch deutschen Namen (die aber dennoch   meist übers Slowenische ins Deutsche gelangt sind):

                Villach, Jauntal, Drau, Lavant  [s.o.]

(II)       (f) im Deutschen gebrauchten Namensformen,

            (g) im Slowenischen gebrauchten Namenformen,

wobei sich zwischen I und II kaum eine klare und eindeutige Beziehung herstellen lässt. Betrachten wir zunächst einige Beispiele [sofern die betreffende Ortschaft als zweisprachig gilt (gemäß  BGBl. wie Anmerkungen 6 und 7), ist sie durch Fettdruck hervorgehoben]:     

(II) (f)                         (II) (g)

Achomitz                        Zahomec     

Aich                                 Dob

Bleiburg                          Pliberk
Drau                                 Drava
Feistritz                           Bistrica

Feldkirchen                     Trg

Ferlach                             Borovlje

Finkenstein                     Bekštanj

Frög                                 Breg

Globasnitz                      Globas­nica

Göriach                            Gorje

Goritschach                   Goriče

Görtschach                      Goriče

Gösselsdorf                   Goselna vas

Hart                                  Breg, Ločilo, Dobrava

Jauntal                             Podjuna

Lavant                              Labotnica

Ludmannsdorf              Bilčovs

Maria Elend                    Podgorje

Maria Rain                       žihpolje

Moos                                Blato

Müllnern                          Mlinare, Mlinče

Neuhaus a.d.G.              Pod Turjo

Rain                                  Breg

Villach                              Beljak

Wellersdorf                    Velinja vas

 

Diese Aufstellung zeigt deutlich, dass es – unbeschadet der Etymologie – im Deutschen und Slowenischen jeweils eigene Bezeichnungen bzw. verschiedene Namensformen für ein und dasselbe geografische Objekt gibt, wobei die seman­tischen Hintergründe bei der Orts­namengebung weitestgehend übereinstimmen.

Einander entsprechende Typen lassen sich jedoch auch morphologisch, also in der Wortbildung, feststellen, so wurde der auf Einwohnernamen (meist von topo­grafischen Bezeich­nungen) beruhende slow. Namentypus auf -je in der Form des Lokativs (slow. -jah) in Deutsche mit -ach entlehnt [Dieser Typus umfasst gekürzte gemein­sla­w. Bildungen auf -jane bzw. -’ane. Im Lokativ ist -an- schon früh ausge­fallen und diese Namen wurden fast immer in dieser Form (also mit -ach) ins Deutsche entlehnt], wie z.B. Borovlje ‘Ferlach’ = ‘Leute am Föhren­wald’, Gorje ‘Göriach’, Goriče ‘Goritschach bzw. Görtschach’ = ‘die auf dem Berg bzw. Bichl wohnen’ [wobei die dt. Namensform Görtschach früher (spätestens um 1300) entlehnt wurde als Goritschach]. Diesem Typus entsprechen (hinsichtlich der Wortbildung) im Deutschen die Ortsnamen auf -ern [Dieser Typus entspricht Einwohner­namen wie z.B. Wiener, Kärntner, Villacher, wozu der Dativ Plural -ern (den Wienern usw.) lautet]. Dieser geht auf den Dativ Plural zurück, so bedeutet z.B. Müllnern eigentlich ‘bei den Müllnern = die bei der Mühle wohnen’ (slow. Mlinare und Mlinče) oder Pichlern ‘bei denen, die am Bichl = Bühel wohnen’ [die slow. Übersetzung des Namens Pichlern wäre Goriče, doch ein solches Namenpaar kommt nicht vor (denn Goriče wurde entlehnt, s. o.].

Auch die (dt.) -dorf-/(slow.) -vas-Namen [slow. mundartlich meist ves (so früher auch amtlich; die schrift­sprachliche Form vas gilt jetzt auch für die amtlichen Namensformen)] entsprechen einander, bei diesen handelt es sich meist um Ableitungen von Per­sonennamen, also dem Namen jener Person, die mit der Gründung des Dorfes in irgendeiner Weise verbunden ist; sie liegen in der mittelalterlichen Großkolonisation (vor 1100) begründet und stellen einen althochdeutschen Benennungstyp mit seiner slow. Entsprechung dar. Die sind alle nach demselben Muster gebildet: im Deutschen sind sie Komposita, im Slow. bestehen sie aus dem Personennamen + Possessivsuffix (meist -ja, Femininum zu maskulinen Bildungen auf -ji) + vas~ves ‘Dorf’ (Femininum) wie z.B. slow. Velinja vas, dt. Wellersdorf, ohne erhaltenes -j- z.B. Žitara vas, dt. Sittersdorf. In einigen slow. Namen ist das zweite Glied ves mit dem ersten zu einem Wort verbunden, z.B. Bilčovs ‘Ludmannsdorf’ [in beiden Sprachen von zwei verschiedenen Personennamen auszugehen, die dt. Namensform ist urkundlich 1142 erstmals als Ludwigestorff ‘Ludwigsdorf’ (später umgeformt) belegt, die slow. 1446 als Wulendorf, dem ein slaw. *bylь bzw. *bylьcь ‘Herr, Edelmann, Besitzer’ zugrunde liegt]. Gelegentlich ist slow. ves auch urkundlich fassbar, z.B. in Gösselsdorf, 1050 Goslauuis, d.i. altslow. *Goslja vьsь ‘Dorf des *Gos-l-[wahrscheinlich Kurzform zu einem dt. Personennamen (eventuell auch zu einem mit slaw. Gosti- ‘Gast’ beginnenden Personennamen)]. Heute heißt dieser Ort slow. Goselna vas; ein weiterer früher Beleg ist das bereits genannte Podinauuiz ‘Niederdorf’.

Als besonderes Charakteristikum Kärntens werden auch die zahlreichen Hof- und Familien­namen (ursprünglich Lagenamen) auf -nig(g) < slow. -nik (< slaw. -ьnikъ) gesehen, die in den dem zusammen­hängenden slowenischen Sprachraum vorgelagerten (heute) deutsch­sprachigen Gebieten Kärntens, Osttirols, des Salzburger Lungaus und der Steiermark weitaus häufiger sind als im slowenischen Kerngebiet selbst; sie können als „nordslowenisch“ bezeichnet werden. Dieses Wortbildungselement ist auch heute noch produktiv, in der slow. Toponymie begegnet es vor allem in Hofnamen und (häufig davon abgeleiteten) Familiennamen sowie in Bergnamen [z.B. Auernig ‘Ahornberg’ (zu slow. javor ‘Ahorn’), O(i)sternig ‘Spitzberg’ (zu slow. oster ‘spitz’), Sadnig ‘der hintere (Berg)’ (zu slow. zadnji ‘hinterer’) usw.]. Dass dieses Suffix gerade im dt-slow. Durchdringungsgebiet in Österreich besonders häufig ist, spricht für die gegenseitige Beeinflussung beider Sprachen, wobei die slow. -nik-Namen semantisch genau den dt. Namen auf -er entsprechen, z.B.:

Moser ~ Blatnik (zu Moos ‘Moor, Sumpf’, slow. blato) > Blatnig, Wlattnig usw.

Ebner ~ Ravnik (zu Ebene, slow. raven) > Raunig usw.

Wald(n)er ~ Lesnik (zu Wald, slow. les) > Lesnig, Liesnig usw.

Gasteiger ~ Klančnik (zu mittelhochdeutsch gāsteig ‘steiler bzw. jäher [= mundartlich gacher] Weg, Anstieg’, slow. klanec ‘Steile; steiler Weg, Hohlweg’) > Glantschnig(g), Glanznig, Quantschnig usw.

Bacher ~ Potočnik (zu Bach, slow. potok) > Pototschnig, Petutschnig(g) usw.

Rauter ~ Laznik (zu Raut, slow. laz ‘Rodung’) > Laßnig, Lassnig usw.

Die meisten dieser slow. Namen auf -nik verfügen also über ein bedeutungsgleiches dt. Pendant auf -er. Dies kann man als Ergebnis einer Parallelentwicklung unter den Bedingungen weit verbreiteter Zweisprachigkeit sehen, indem beide Sprach­gemeinschaften einen gemeinsamen korrespon­dierenden semantischen Typus mit jeweils eigenem Sprach­material geschaffen haben. Später konnte das slow. -nik-Suffix auch mit dt. Wörtern kombiniert werden, wodurch es zu dt.-slaw. Mischbildungen (v.a.) im Bereich der Hofnamen gekommen ist, z.B. Kogelnig (zu Kogel) oder Freithofnig (zu alt Freithof ‘Friedhof’). Umgekehrt konnte auch dt. -er an slow. Namen auf -nik treten, so entstand z.B. slow. Ravnikar ‘Ebner’, dt. Raunikar, Raunegger usw.

 

*

Jede Kulturlandschaft – nicht nur die österreichische, alpine, uns vertraute, sondern wohl weltweit – widerspiegelt also in ihrem Namengut Geschichte und Gegenwart, diese in der Hinsicht, dass das Namengut in der (den) jeweiligen dominanten Sprache(n) festgehalten ist, jene in der Weise, dass im Namengut ältere sprachliche Zustände erhalten sind. Dies gilt in gleicher Weise für einsprachige und zwei- bzw. mehrsprachige Gesellschaften.

Die Pflege dieses Namenguts sollte keine volkstumspolitische, sondern eine kulturpolitische sein, die – auf Kärnten in Österreich bezogen – das Ortsnamengut slowenischer bzw. alpenslawischer Herkunft in Österreich ganz allgemein ins öffentliche Bewusstsein bringt. Zu diesem Zweck könnte ich mir neben den zahlreichen Naturlehrpfaden, Kultur­wanderwegen und Eisen- oder Barockstraßen auch ein vergleichbares allgemein bildendes namenkundliches Objekt vorstellen. Dies habe ich in meinem Vortrag Namen und Tourismus schon vor einiger Zeit vorgeschlagen [Auf dem Symposion „Weiße Berge, blaue Seen und eine Rose“ – 100 Jahre Tourismus in Kärnten  (27./28. Juni 2002, veranstaltet vom Geschichtsverein für Kärnten, publiziert in Carinthia I 193 (2003) 605-612] und ich sehe in der Ortstafellösung von 2011, der dieser Sammelband gewidmet ist, einen entscheidenden Schritt in diese Richtung.

 

Benützte und weiterführende Literatur

 

Altdeutsches Namenbuch (ANB), bearbeitet von Isolde HAUSNER und Elisabeth SCHUS­TER. Die Überlieferung der Ortsnamen in Österreich und Südtirol von den Anfängen bis 1200. Wien 1989ff.

KRANZMAYER, Eberhard, Ortsnamenbuch von Kärnten I-II. Klagenfurt 1956-1958.

Pohl, Heinz-Dieter: Unsere slowenischen Ortsnamen Naša slovenska krajevna imena. Klagenfurt/Celovec, Hermagoras/Mohorjeva 2010.

Pohl, Heinz-Dieter: 164 Kärntner Ortschaften. Kommentiertes deutsch-sloweni­sches Ortsver­zeichnis der zur Aufstellung von zweisprachigen Ortsfafeln vorgesehenen Ortschaften. In: Kärntner Jahrbuch für Politik 2011, 121-141.

SNOJ, Marko, Etimološki slovar slovenskih zemljepisnih imen. Ljubljana 2009.

ZDOVC, Pavel, Slovenska krajevna imena na avstrijskem Koroškem / Die slowenischen Ortsnamen in Kärnten. Wien-Klagenfurt 1993 (Razširjena izdaja / Erweiterte Auflage Ljubljana 2010).

 

Zum Kärntner Namengut s. unter Namengut und ON_Start

 

 

Abkürzungen

(ohne Sprachbezeichnungen, bei denen nur …isch fehlt)

 

BGBl.             Bundesgesetzblatt

dt., Dt.            deutsch, Deutsch

s.                    siehe

s.o.                 siehe oben

s.u.                 siehe unten

slow., Slow.    slowenisch, Slowenisch

 

Auf einige indogermanische Sonderzeichen wurde verzichtet (die entsprechenden Beispiele sind vereinfacht dargestellt).

 

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