Das Wiener Schnitzel stammt doch nicht aus Mailand

 

(Quelle: Von Apfelstrudel bis Zwetschkenröster. Kleines Handbuch der österreichischen Küchensprache. Wien Verlag Ueberreuter 2008, S. 133. — ISBN 978-3-8000-7369-6

(http://www.ueberreuter.at/index.php?usr=&isbn=3800073692&phd=3&content=3&value)

Überall können wir lesen, dass das Wiener Schnitzel aus Mailand stammt — auf den Gourmetseiten der Tageszeitungen und Magazine, in Werbespots, ja sogar in kulturgeschichtlichen Beiträgen mit einem hohen wissenschaftlichen Anspruch.

Die Legende geht so: In den Jahren 1848/49 hat Feldmarschall Radetzky als General­kommandant der österreichischen Armee in Lombardo-Venetien die italienische Revolution niedergeschlagen. Damals habe es in Mailand eine vergleichbare Speise gegeben, das Costoletta Milanese. Radetzky sei von dieser Speise so begeistert gewesen, dass er den Kaiser am Rande eines militärischen Berichts davon in Kenntnis gesetzt habe. Zurückgekehrt nach Wien, sei er sofort an den Hof gerufen worden, um dem kaiserlichen Chefkoch das Rezept zu verraten: Das Wiener Schnitzel war geboren.

Urheber der Legende war der italienische Journalist Felice Cùnsolo. Irgendwann in den 1960er Jahren, als die Beziehungen zwischen Österreich und Italien wegen der Südtirolfrage extrem angespannt waren, kam er auf die Idee: Jetzt schreiben wir: Das Wiener Schnitzel ist eine italienische Erfindung! Und die österreichischen Gourmetjournalisten haben es geglaubt.

Ein Blick in alte Kochbücher zeigt jedoch, dass die Wiener schon vor 1848 das „Wiener Schnitzel vom Kalbfleisch“ gekannt haben. Unter dieser Überschrift finden wir es beispielsweise in dem „Allerneuesten allgemeinen Kochbuch“ der Maria Anna Neudecker — es ist 1831 erschienen. Das Rezept ist ident mit unserer heutigen Zubereitungsart. Vorläufergerichte finden sich schon in Kochbüchern des 18. Jahrhunderts, so in Salzburg 1719 und München 1774.

Außerdem: Nach dem Muster anderer Speisen wäre zu erwarten, dass das „Wiener Schnitzel“ den Namen „Radetzky-Schnitzel“ erhalten hätte, wie z.B. „Eszterházy- oder Giradi-Rostbraten“ oder die „Sacher- bzw. Dobostorte“. Die meisten aus dem nichtdeutschsprachigen Raum nach Wien gekommenen Speisen sind Lehnwörter ­ wie z.B. Risotto, Pafesen, Letscho, Gulasch und Palatschinken.

 

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