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Carl Aigner
Komplexität als Strategie gegenwärtiger Kunstdiskurse im sogenannten Mitteleuropa
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Soziale sowie kulturelle und künstlerische, aber keine politisch-ideologischen Geografien bilden den Bezugsraum und –rahmen der Ausstellung „Central – artlab: Neue Kunst aus Mitteleuropa“, die im Wesentlichen auf der seit Mitte der neunziger Jahre entstandene KunstSammlung Siemens basiert und die zur Zeit fast zweihundert Arbeiten von sechzig KünstlerInnen umfasst. Der Anspruch der bislang umfangreichsten Präsentation der Sammlung gilt der Komplexität und Offenheit der Werke und nicht dem Versuch eines generösen oder gar anmaßenden Überblicks über einen sozialen, kulturellen und politischen Raum, der noch immer höchst unscharf als „Mittel- beziehungsweise Zentraleuropa“ bezeichnet wird. Der Begriff „neu“ meint dabei nicht Novität als „dernier cri“ von Kunstdiskursen, sondern eine Auswahl aus der aktuellen Produktion der letzten zwei Jahre, konzentriert auf die Länder Bosnien-Herzogovina, Kroatien, Österreich, Serbien, Slowakei und Slowenien, mit wenigen Ausnahmen die Generation der Dreißig- bis Vierzigjährigen fokussiert.
Jetzt, nach über zehn Jahren des Mauerfalls und bitteren politischen Erfahrungen im östlichen Europa, ist die Möglichkeit zu einem freieren Blick hoffentlich größer und damit auch unsere Wahrnehmungsarbeit jenseits jahrzehntelanger Annahmen, Einbildungen, Vermutungen und ideologischer Oberflächlichkeiten. Weder falsche Homogenisierungen oder Exotismen noch gut gemeinte avanciert-kritische Rekuperationen des „westlichen“ Kunstbetriebes können Orientierungspunkte sein, sondern die Bereitschaft zum Fragmentarischen, zum work in progress als Grundlage rezeptiver Haltungen.
Diversitäten, Inkongruenzen, aber auch Kongruenzen und bemerkenswerte Parallelitäten markieren den in den letzten Jahren stark veränderten mitteleuropäischen Kunstraum, vor allem durch eine zunehmende Mobilität, auch wenn die politischen Situationen noch immer definitive Restrukturierungen verhindern, verzögern, oder verzerren. Neue Selbstverständnisse, aber auch neue elaborierte Haltungen kennzeichnen auf Grund neuer Erfahrungen neue Identitätsmöglichkeiten, die nicht mehr in einem gängigen antiquierten West-Ost-Schema vermessen werden können und dürfen.
Die KunstSammlung Siemens – und damit auch die Ausstellung – widmet sich vorwiegend bildkünstlerischen Arbeiten und nur bedingt Installationen, Skulpturen, Plastiken und den Neuen Medien wie Video, Computer- und Netzkunst.
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Räume, Orte, deren Verschiebungen und daraus resultierende reale und fiktive Bezüglichkeiten sind Themen einer neuen Fotoserie von Sieglind Gabriel. Vertraute Orte als Fremde und fremde Orte als Vertraute in ihren urbanen Verschränkungen verweisen auf das Phänomen der Alokalität, des Nichtortes sowie der Ubiquität und Mobilität von Orten. Die konzeptiven Bilder agieren auf semiologischer Ebene mit der lokalen Austauschbarkeit von globalen Örtlichkeiten und thematisieren damit die Frage nach lokaler und globaler Identität und Singularität.
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Zwischen extrem nationalistischen Strömungen einerseits, und elaborierten digitalen Medienräumen andererseits, den Erfahrungen der „Emigration“, der Immobiliät und neuen Mobilität sind die künstlerischen Diskurse Wegmarken des Eigenen im Anderen als Fremdes und des Anderen als Fremdes im Eigenen.
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