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SERVUS NACHBAR! Wie geht´s, wie steht´s?
Die Evangelische Kirche H.B. in Österreich
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"Eure Gottesdienste sind aber stinklangweilig! Da gibt's ja fast nur die Predigt, und nicht
einmal Bilder kann man zur Ablenkung anschauen!" - so lautete das Urteil eines Bekannten,
der einen Gottesdienst in der Reformierten Kirche besuchte. In Österreich nennt man sie
"Evangelische Kirche H.B.", wobei das H.B. für “Helvetisches Bekenntnis" steht.
Das Urteil berührte, wenn auch verkürzt, die Grundsäulen der reformierten Tradition, die mit
den Schweizer Reformatoren, Ulrich Zwingli und Johannes Calvin, verbunden sind. Der Name
unserer Kirche hat ebenfalls etwas mit der Schweiz zu tun: eine der bedeutendsten
Bekenntnisschriften unserer Kirche ist nämlich das Zweite Helvetische Bekenntnis.
Die reformierte Tradition stellt in das Zentrum des kirchlichen Lebens die Verkündigung des
Wortes Gottes, das heißt die Predigt. Das Wort Gottes steht in der Bibel, wobei nach
reformierter Auffassung das Alte Testament denselben Stellenwert hat wie das Neue Testament
- Gesetz und Evangelium sind in den beiden Teilen der Bibel gleichermaßen zu finden. Und
weil in der Kirche alles sich nur an dem Wort Gottes orientieren kann, dürfen in der Kirche
und im Gottesdienst nur solche Elemente verwendet werden, die in der Bibel ausdrücklich
geboten werden. Da das 2. Gebot die Gottesdarstellung verbietet, darf es in einer Kirche
auch keine bildlichen Darstellungen geben. Gemäß dieser strikten Ausrichtung nach der Bibel
werden im reformierten Gottesdienst auch überwiegend die Psalmen gesungen. Hören und Tun des
Wortes Gottes bilden in den reformierten Bekenntnisschriften eine Einheit. Dieses Tun
geschieht aus Dankbarkeit für die Erlösung, und es bezieht sich nicht nur auf den Bereich
des Glaubens, sondern auch auf den Bereich des Weltlichen, z.B. als Einsatz für gerechte
wirtschaftliche und politische Verhältnisse und für die Menschenrechte. Der große
reformierte Theologe des 20. Jhdts., Karl Barth, bezeichnete das als "politischen
Gottesdienst".
Diese Einheit von Glaube und Eintreten für Gerechtigkeit wird deutlich sichtbar im Wirken
der großen österreichischen reformierten Persönlichkeit, Georg Erasmus Tschernembl, der
Anfang des 17. Jahrhunderts so etwas wie Landeshauptmann von Oberösterreich war. Aus
Glaubensgründen trat er im Sinne der Theologie Calvins für den Widerstand gegen das Haus
Habsburg ein, da es die freie Religionsausübung und die Rechte der Untertanen und der Stände
unterdrückte.
Diese reformierten Keime und mit ihnen die evangelischen Gemeinden generell wurden im Zuge
der Rekatholisierung verboten. Zur Zeit des sogenannten Geheimprotestantismus konnten die
in Wien und Umgebung lebenden Reformierten nur in der holländischen Gesandtschaftskapelle
einen reformierten Gottesdienst besuchen. Erst das Toleranzedikt Josefs II. 1781 erlaubte
die Gründung von evangelischen Gemeinden und den Bau von Bethäusern. So ist die Evangelische
Pfarrgemeinde H.B. Wien-Innere Stadt in der Dorotheergasse entstanden.
Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erfolgten neue Gemeindegründungen, die zum Teil
auf Neuzuwanderer zurückgingen. In Vorarlberg gründeten die aus Deutschland und der Schweiz
stammenden Beschäftigten in der Textilindustrie vier neue Gemeinden. Die Zuwanderung aus
Böhmen und Mähren und die Etablierung der eisenverarbeitenden Industrie durch reformierte
deutsche Industrielle führte zur Gründung von zwei weiteren Gemeinden in Wien. Flüchtlinge
aus Jugoslawien gründeten nach dem Zweiten Weltkrieg in Linz eine reformierte Gemeinde. Und
nach dem Anschluss des Burgenlands an Österreich 1921 wurde die ungarisch-sprechende
Gemeinde in Oberwart Teil der Evangelischen Kirche H.B. in Österreich. Diese Gemeinde ist
die einzige evangelische Gemeinde in Österreich, die ohne Unterbrechung seit der Reformation
existiert.
Die Entstehungsgeschichte der neuen Gemeinden zeigt, dass verschiedene Traditionen dem
Gesicht unserer Kirche eine bunte Farbe verleihen. Die Zahl der Reformierten in Österreich
beträgt zwar nur ca. 16000, aber besonders in sozialen und gesellschaftspolitischen Fragen
sind ihre Stellungnahmen oft bahnbrechend gewesen und haben heftige Diskussionen, aber auch
öffentliche Anerkennung ausgelöst. In ihren inneren Angelegenheiten ist unsere Kirche
selbständig. Großer Wert wird gelegt auf die Gemeindeautonomie und auf das Laienelement;
so ist z.B. der Vorsitzende der Gemeindevertretung und des Presbyteriums nicht der Pfarrer,
sondern der Kurator, bzw. die Kuratorin. Ihr höchstes gesetzgebendes Organ ist die Synode
H.B., sie ist sozusagen ihre Kirchenleitung. In ihren inneren Angelegenheiten ist unsere
Kirche selbständig, bestimmte gemeinsame Aufgaben, wie z.B. Diakonie, Religionsunterricht,
kirchliche Gesetzgebung, Mission, Ausbildung der Pfarrer, nimmt sie jedoch gemeinsam mit der
Evangelischen Kirche A.B. wahr; und gemeinsam bilden beide die Evangelische Kirche A. und
H.B. in Österreich.
Unsere Kirche ist Mitglied des 1875 gegründeten Reformierten Weltbundes, der die ca. 80
Millionen Reformierten in der ganzen Welt repräsentiert. Unsere Kirche ist auch Mitglied
des Ökumenischen Rates der Kirchen seit dessen Gründung 1948. Durch die Mitgliedschaft im
Ökumenischen Rat der Kirchen in Österreich und durch andere Beziehungen sind die
ökumenischen Kontakte unserer Kirche sehr lebendig, offen und fruchtbringend.
Dr. Balázs Németh
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