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Das Tier
Bewegungslos stand es hinter den Zweigen und Blättern der Büsche und
Sträucher am Rande der, in diffusem Licht daliegenden, Lichtung. Lianen
hingen von den beinahe Ewig zu nennenden, gewaltigen Baumriesen des
Waldes, auf den von Blätterwerk und allen Arten von Pflanzen bedeckten
Boden des Waldes. Eine Sinfonie von Kreisch-, Klopf-, Pfeif-, Schnarr -,
Gurr- und Knarrgeräuschen und eine unzähligen Menge anderer Rufe und
Schreie bildeten den Hintergrund des Szenariums.
Es war unsichtbar in den Sonnenlichtstreifen und Blätterschatten, hob
sich nicht ab vom Gewirr des überreich vorhandenen, lebendigen Grün der
Gewächse rundum. Eine tödliche Tarnung. Seine Augen leuchteten gelb. Sie
starrten auf das kleine, braunpelzige Ding am gegenüberliegenden
Wiesensaum, das mit Pfoten und Schnauze auf seinem Fell herumputzte, als
ginge es um sein Leben.
Der Lauernde im Dickicht duckte sich etwas und spannte langsam seine
tausend Muskeln zum tödlichen Sprung, als ein Luftzug aus dem Wald über
ihn hinweg in die Lichtung zog.
Das kleine Pelztier hielt inne und erstarrte. Mit erhobenem Kopf und
bebenden Nasenflügeln nahm es den, vom Windhauch gebrachten, plötzlich
wahrnehmbaren Geruch des Raubtieres auf, machte einen blitzschnellen
Satz und war verschwunden.
Der Gelbäugige entspannte sich wieder und richtete sich wieder auf. Ein
Sinnbild vollkommener Kraft und Energie. Sein tiefschwarzes, glattes
Fell spiegelte im Sonnenlicht.
Er machte lautlos kehrt und zog federnd in seiner Spur von dannen.

Es ist spät
'Heute bin ich noch
nicht müde' dachte sie, verwundert, weil sie allen Grund hatte, müde zu
sein. Der Tag war schön gewesen, sie hatte gezeichnet. Sie wusste, das
Bild war gut geworden, denn sie konnte sich recht gut einschätzen, sie
wusste das.
Im Gegensatz zu früher war sie nicht mehr so voll Unruhe, voll
Erwartung. Sie hatte ihre Linie gefunden und trotz des Gleichmasses, das
sie umgab, empfand sie jeden Tag als ein herrliches Abenteuer, der sie
immer wieder an neue Ufer brachte.
Sie hatte gelernt, mit den Dingen zu leben, das, was geschah, zu
akzeptieren und sich nicht unbedingt mit allem auseinander zu setzen.
Das Warten war nicht mehr so schwierig wie früher und Ungeduld verspürte
sie nur noch selten, oft war ihr ein stille Heiterkeit zu eigen, die
ihren Geist weit machte.
Sie fühlte, wie nie in den Jahren vorher, dass sie lebte, mit allen
Fasern, mit allen Sinnen und ihr Bewusstsein war wach.
Sie dachte viel nach und oft durchspielte sie Gespräche mit Leuten, die
sie kannte. In ihrer Phantasiewelt hatte sie viele Freunde, die ihre
Gesellschaft gerne teilten und dies auch taten, sie war nicht allein,
denn diejenigen an die sie dachte, waren bei ihr.
Sie hatte keine Angst mehr. Oft und oft hatte sie die eiserne Klammer
gefühlt, wenn sie nicht wusste, ob das, wofür sie sich entschieden
hatte, richtig gewesen war. Eine Zeitlang war es so schlimm gewesen,
dass sehr sie oft nicht, welche Teetasse sie aus dem Schrank nehmen
sollte.
Sie atmete tief ein, und fühlte die Ruhe, die sie durchströmte und die
Freude darüber, dass morgen ein neuer Tag für sie, für sie allein da
sein würde.

Einfach nur etwas schreiben..
Sie
dachte zurück, an ihre Kindheit, an die Jugend und an das, was sie so alles
erlebt hatte. Es war schön gewesen und sie fand ihr Leben noch immer
schön. Sie liebte die stillen Stunden und auch den Trubel, der sie
manchmal heimsuchte. Er bedeutete Leben, Leben mit allen Sinnen, mit
allen Gedanken und Geschehnissen. Sie dachte an ihre Kinder und an ihren
Enkel. Er war ein süßer Fratz. "Oma, darf ich das Joghurt essen?" ,
fragte er, wenn er im Eisschrank stöberte und hatte es auch schon in der
Hand. "Jö! Da ist ein Pudding! Darf ich den auch haben?" "Ja,
natürlich!", sagte sie immer auf diese Fragen, und freute sich über
seine Frische und sein Temperament, mit dem er umherwirbelte, und ihre
Welt binnen 2 Minuten auf den Kopf stellte. "Darf ich noch fernsehen?".
Wenn es ans Schlafengehen ging war das das nächste Ansinnen, das er
hatte. Am liebsten sah er Fußball, stundenlang. Das mochte sie nicht so
sehr.
Das vorletzte Mal als er da gewesen war, hatte er am Handy das Signal
geändert. Was jetzt erklang, wenn ein Anruf kam, war nicht mehr Mozart,
doch sie nahm es ihm nicht übel. Er war so einmalig in seiner
Begeisterung, etwas zu tun. Sie bewunderte ihn. Er war so schnell, nicht
nur körperlich, auch im Denken. Sie liebte ihn, wie man eben seinen
Enkel lieben kann, und freute sich auf seinen nächsten Anruf: "Du, Oma!
Oma kann ich heute bei dir schlafen?"..

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