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Die Zykloide in Geschichte, Technik und Literatur

Die Geschichte der Zykloide

Der griechische Astronom Ptolemaios nahm an, dass sich ein Planet auf einem Kreis (dem Epizykel) bewegt, der seinerseits auf einem größeren Kreis (dem Deferenten) um die Erde rotiert. Dabei beschreibt der Planet eine schleifenförmige Bahn, die sich als verlängerte Epizykloide entpuppt.
Auf der Homepage von Klaus Nagel gibt es dazu ein schönes Applet (Modell "Ptolemaios" auswählen!).

Die Zykloide im eigentlichen Sinne wurde zuerst von Nikolaus von Kues studiert. Ihren Namen hat sie von Galilei, der sie 1599 untersuchte.
Im 17. Jahrhundert beschäftigten sich fast alle bedeutenden Mathematiker mit ihr, unter anderem Fermat, Descartes, Leibniz, Newton, die Brüder Bernoulli und de L'Hospital.

1634 bestimmte Roberval den Inhalt des Flächenstücks unter einem Zykloidenbogen.

Desargues schlug vor, den Zähnen von Zahnrädern die Form von Zykloidenabschnitten zu geben. Diese Konstruktion wird noch heute für qualitativ hochwertige Zahnräder verwendet.

Blaise Pascal forderte 1658 die Mathematiker Europas zu einem Wettbewerb heraus, in dem es um einige ungelöste Probleme der Zykloide (auch roulette genannt) ging. Wren gelang es, die Bogenlänge zu berechnen. Diese Untersuchungen waren sehr fruchtbar für die Entstehung der Differential- und Integralrechnung.

In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts entwickelten Leibniz und Newton ihren Differentialkalkül. Damit stand nun eine allgemeine Methode zur Lösung solcher Probleme zur Verfügung. Johann Bernoulli wendete den neuen Kalkül unter anderem auf das Problem der Brachistochrone an (von griech. brachistos, am kürzesten, und chronos, Zeit): Auf welchem Weg gelangt ein Körper am schnellsten, nur unter dem Einfluss der Schwerkraft, von einem Punkt A zu einem schräg darunterliegenden Punkt B? (Die Gerade ist zwar die kürzeste Verbindung, aber nicht die schnellste, weil der Körper am Anfang zu langsam beschleunigt wird.) Bernoulli konnte zeigen, dass die gesuchte Kurve eine (umgedrehte) Zykloide ist. (Auch Jakob Bernoulli, Newton, Leibniz und de L'Hospital konnten die Frage beantworten.)

Die Zykloide ist auch die Lösung eines anderen Problems, der Tautochrone (von griech. tautos, gleich, und chronos, Zeit): Ein Körper, der sich entlang dieser Kurve bewegt, gelangt immer in derselben Zeit zum tiefsten Punkt, egal, an welcher Stelle er startet. Huygens schlug vor, diese Eigenschaft zur Konstruktion eines Zykloidenpendels zu nutzen, das für jede Schwingung exakt gleich lang brauchen sollte.

Bild: mathworld.wolfram.com

Die Zykloide in der Technik

Beim Zykloidenpendel von Huygens waren die Reibungsverluste so groß, dass der Vorteil der größeren Genauigkeit nicht zur Geltung kam. Offenbar hat man das Problem später in den Griff bekommen, denn 1839 konstruierte der österreichische Ingenieur Stampfer für den Rathausturm in Lemberg eine Uhr mit Zykloidenpendel. "Diese Uhr zeichnete sich bis zu ihrer Zerstörung durch Blitzschlag durch eine sehr große Genauigkeit aus." (W.Greiner, Theoretische Physik, Mechanik I)

Wie erwähnt, sind bei qualitativ hochwertigen Zahnrädern die Zahnflanken Zykloidenbogen. Dadurch rollen die Räder ohne Schlupf ab, und es gibt weniger Reibungsverluste und Abnützungserscheinungen. Vor allem bei Uhrwerken wird diese Technik angewendet. Eine schöne Animation dazu gibt es auf der Seite SchmuckundUhren.de.

Der Kolben eines Wankelmotors hat im Inneren ein Hohlrad mit Innenverzahnung, das um ein halb so großes Zahnrad rollt. Dabei beschreiben die Ecken des Kolbens eine Epizykloide (genauer gesagt, eine verkürzte Nephroide). Alle drei Ecken laufen auf der selben Kurve, so dass immer drei Arbeitstakte gleichzeitig ablaufen können.

Wenn ein Magnetfeld und ein elektrisches Feld normal aufeinander stehen, bewegt sich ein Proton in diesen gekreuzten Feldern auf einer Zykloidenbahn.

Die Zykloide taucht auch in der Kosmologie auf. Auf der Homepage von Franz Embacher habe ich dazu einen interessanten Text gefunden: Stellt man - nach einem gängigen Weltmodell - den Zusammenhang zwischen Zeit und Radius des Universums dar, so erhät man die Gleichung einer Zykloide.

Die Zykloide in der Literatur

Der Tautochroneneigenschaft der Zykloide hat Hermann Melville ein literarisches Denkmal gesetzt. Im 96. Kapitel von "Moby Dick" beschreibt der Erzähler die Kessel zum Trankochen:

Auch für tiefsinnige mathematische Überlegungen ist dies der rechte Platz. Es war im linken Trankessel der "Pequod", wo mir, während ich emsig mit dem Seifenstein im Kreise herumfuhr, die bemerkenswerte Tatsache zum Bewußtsein kam, daß in der Geometrie alle Körper, die an einer Zykloide entlanggleiten, wie zum Beispiel mein Seifenstein, von jedem Punkt aus in der gleichen Zeit unten ankommen.

Ob der Trankessel wohl die Form einer Zykloide hatte? Auf jeden Fall muss Ismael ein mathematisch sehr gebildeter Matrose gewesen sein :-)

Auch in Umberto Ecos Roman "Die Insel des vorigen Tages" wird die Zykloide erwähnt. Die Handlung spielt im Jahr 1643; der Jesuitenpater Caspar Wanderdrossel versucht Roberto, einen jungen italienischen Edelmann, zu überzeugen, wie absurd doch die Idee sei, die Erde drehe sich um die Sonne:

Das aber war der Moment, da Pater Caspar seinen Triumph erzielte. Also gut, sagte er, wenn die Erde sich um die Sonne drehe, aber die Sonne sich ihrerseits um etwas anderes drehe (und lassen wir hier beiseite, ob dieses andere sich wiederumb umb etwas anderes drehet), dann ergebe sich das Problem der roulette - von der Roberto doch sicherlich in Paris gehört habe, da sie von dort nach Italien zu den Anhängern Galileis gelangt sei, die wirklich alles aufgriffen und sich zunutze machten, solange es nur die Welt in Unordnung bringe.

"Was ist die roulette?" fragte Roberto.

"Eine Kurve, du kannst sie auch Trochoide oder Zykloide nennen, das ändert nit viel. Stell dir ein Rad vor."

"Dasselbe wie vorhin?"

"Nein, dißmal ein Wagenrad. Und stell dir vor, auf diesem Wagenrad sey ein Nagel. Nun stell dir vor, das Rad stehe stille, und der Nagel sey dicht über dem Boden. Nun stell dir vor, der Wagen fahre und das Rad drehe sich. Was, meinst du, geschieht mit dem Nagel?"

"Nun ja, wenn das Rad sich dreht, wird er nach einer Weile oben sein, und wenn das Rad seine Umdrehung beendet hat, ist er wieder dicht überm Boden."

"So meinstu also, dieser Nagel hat eine Bewegung in Form eines Kreyses gemacht."

"Na klar. Bestimmt nicht in Form eines Quadrats."

"Itzo paß einmal auff, du Witzbold. Sagst du, daß der Nagel sich an derselben Stelle überm Boden befindet, wo er zuvor gewesen?"

"Moment ... Nein, wenn der Wagen vorwärtsgefahren ist, befindet sich der Nagel ein Stück weiter vorn am Boden."

"Also hat er keine kreisförmige Bewegung gemacht."

"Nein, bei allen Heiligen des Paradieses."

"Du sollst nit sagen Beiallenheyligendesparadieses!"

"Verzeihung. Aber was für eine Bewegung hat er denn gemacht?"

"Er hat eine Trochoide vollführt, und damit du begreiffst, was das ist, sage ich dir, das ist, wie wenn du einen Ball vor dich hin wirffst: ein Stück weiter vorn berührt er den Boden, dann springt er ab und macht einen weiteren Bogen, dann noch einen und so weiter - nur mit dem Unterschied, daß, während der Ball immer kleinere Bögen macht, die Bögen des Nagels immer gleich gross bleiben, wann das Rad mit gleichbleibender Geschwindigkeit fahrt."

"Und was heißt das?" fragte Roberto, der seine Niederlage ahnte.

"Das heisset, du wilst so viele Wirbel und zahllose Welten beweisen und daß die Erde sich um die Sonnen drehe, und darbey dreht deine Erde sich gar nicht würcklich, sondern hüpft durch den endlosen Himmel wie ein Ball, tumpf tumpf tumpf - hach, welch schöne Bewegung für diesen hochedlen Planeten! Und wann deine Theoria der Wirbel gut ist, machen alle Himmelskörper tumpf tumpf tumpf - haha, itzo lass mich lachen, das ist würcklich der größte Witz meines Lebens!"

(S. 322-323)

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