Haberl, W. (1992): Olfaktorische Orientierung von Spitzmäusen (Soricidae, Insectivora) in einer simulierten Gefahrensituation. (Olfactory orientation in shrews in a simulated risky situation). 13. Ethologentreffen (Ethologische Gesellschaft e.V.), Karls Universität, Prague, 1.-7. Sept. 1992, Abstract p. 46.
Spitzmäuse besitzen eine Vielzahl von Möglichkeiten, Duftstoffe zu erzeugen und zeigen ein ausgeprägtes Markierungsverhalten. Damit gekoppelt ist ein gut entwickelter Geruchssinn. Die lateralen Hautdrüsenkomplexe ("Seitendrüsen") der Spitzmäuse produzieren artspezifische, stark riechende Sekrete, die, zusammen mit Faeces und Urinspuren, ihre Nester und Wechsel markieren. Über die kommunikative Funktion der Markierungen und den Informationswert der Geruchsstoffe ist noch wenig bekannt. Bisherige Forschungen zeigten, daß Wege, die von fremden Individuen markiert worden waren, bevorzugt verfolgt werden.
Die Fragestellung vorliegender Untersuchung war, in welcher Weise sich dieses Verhalten unter erhöhtem Risiko ändert, bzw. ob eine Orientierung unter Zeitdruck überhaupt zustandekommt. Als Versuchstiere dienten Sorex sp. und Neomys sp. Um eine akute Gefahrensituation darzustellen, wurden die Tiere durch eine Y-Rohr-Konstruktion, in deren Schenkel Duftträger eingeschoben wurden, gejagt.
Es zeigte sich, daß es auch in einer akuten Gefahrensituation zu einer gerichteten olfaktorischen Orientierung kommt, und Gerüche, selbst unter Zeitdruck, mit großer Sicherheit erkannt werden können. Während in Testsituationen, in denen es zu einer freiwilligen Kontaktaufnahme mit dem Geruchsstoff kommt, der Geruch von Artgenossen gegenüber dem Eigengeruch bevorzugt wird, kehrt sich die Reaktion unter erhöhtem Risiko und Zeitdruck in das Gegenteil um. Die flüchtende bzw. "schutzsuchende" Spitzmaus orientiert sich vorzugsweise nach dem eigenen Geruch, zieht jedoch andererseits den eines Artgenossen gegenüber dem eines artfremden Tieres und besonders stark gegenüber Wühlmausgeruch vor. Zwischen den Gerüchen zweier Arten der gleichen Gattung erfolgt die Diskriminierung weniger deutlich. Ein mit Spitzmausgeruch markierter Weg wird einem nicht markierten vorgezogen, wobei die Reaktionen mit zunehmendem Vertrautheitsgrad (arteigen - eigen) deutlicher werden.
Ein "Risiko", das unter gefahrlosen Bedingungen noch eingegangen worden wäre, wird, soweit es die zur Verfügung stehende Zeit und auch die Perzeptions- und Diskriminierungsfähigkeit zulassen, bestmöglichst vermieden. Das "Risiko" muß schnell abgeschätzt werden, und der scheinbar "sicherste" Weg wird gewählt. Eine Vertrautheit mit dem Duft ist hierfür wesentlich, und in Abwesenheit eigener Gerüche scheinen auch die von anderen Spitzmäusen markierten Wege eine gewisse "Sicherheit" zu vermitteln.