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... NEUERE GEDICHTE
Noah
Die Sintflut ahnend
Baute er das Schiff
Die Sintflut wissend
Kamen die Tiere
Die Sintflut kam
Sie warteten
Ewig
Dann das Erschrecken
Es ist niemand mehr da
Außer dem einen anderen
Nur ich und du
Und du sagst:
Wir
MEHR? – BITTE SEHR!
nach oben
...
NEUERE KURZGESCHICHTEN
Altes Aas
Da liegst du ja wieder, altes Aas. Gleich werd ich dich fragen, wie‘s
dir geht. Gleich wirst du dich wie immer beleidigt zur Wand drehen. Wenn da
eine Wand wäre. Tja, Pech gehabt, Mutti. Links neben dir liegt eine alte
Frau, recht neben dir liegt eine alte Frau. Mit der links sprichst du nichts,
weil sie nicht dein Niveau hat. Sie ist mir nicht fein genug, sie war nie in
der Oper, die hat nie ein Buch gelesen, worüber soll ich denn mit der reden.
Dumme Kuh. Zur Strafe liegt rechts von dir Frau Mirhala. Die hat seit Jahren
kein Wort mehr gesagt. Die hustst nur ekelerregend durch die Gegend. Ich hab
immer Angst, daß sie mich ansteckt. Mit ihrer Runzel-Krankheit. Mit ihrer
Debilität. Mit ihrem Gesabber. Aber diese Augen. Als wollten sie erzählen,
alles. Von ihrem früheren, menschenwürdigen Leben. Warum bringt man
die nicht alle um. Zumindest die, die keiner mehr besucht. Und warum sollte
man die anderen nicht auch umbringen. Weil sie Menschen sind. Ach ja.
MEHR? – BITTE
SEHR!
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Forschungsassistent
Gewalt ist die Einflußnahme von Strukturen sowie von individuellen und
gruppenbezogenen Haltungen und Handlungen auf Dritte, welche durch diese Einflußnahme
in ihrer freien Willenentscheidung beeinträchtigt werden oder psychischen
und körperlichen Schädigungen ausgesetzt sind, hatte der Jurist und
Forschungsassistent an einer deutschen Universität geschrieben, der auch
journalistisch tätig ist. Jetzt aber hat er, der wenig von Feldforschung
hält, eine Autopanne. Und natürlich hat er diese Autopanne vor einer
unscheinbaren Kneipe im ehemaligen Ost-Berlin, in der sich mehrere arbeitslose
Jugendliche mit wenig Ausbildung und einschlägigen Lebensläufen den
sinnlosen Nachmittag mit Biertrinken auf Adolf Hitler vertreiben.
MEHR? – BITTE
SEHR!
... KURZSCHLÜSSE
Aus unruhigem Schlaf erwacht Markus mit dem Gedanken: ,Heute ist mein Stichtag‘,
und steht auch schon auf, leise, um Verena nicht zu wecken. Schnurstracks begibt
er sich ins Arbeitszimmer, um den Computer einzuschalten, damit er nachher gleich
loslegen kann, kehrt ins Vorzimmer zurück, betritt die Küche, schaltet
die Kaffeemaschine ein – und löst einen Kurzschluß aus.
Schon wieder. Energisch besteigt Markus den unterm Sicherungskasten bereitstehenden
Sessel und kippt einen Schalter um. Das Licht geht wieder an, und die Kaffeemaschine
beginnt ihr Werk.
Sogar der Computer startet problemlos. Ergriffen betrachtet Markus das Erscheinen
einer leeren Seite. Wenn ich heute nichts zustandebringe, hat er sich geschworen,
höre ich auf mit dem Schreiben. Und jetzt holt er sich nur noch rasch seinen
Kaffee.
MEHR?
– BITTE SEHR!
... ERWAXEN
Vom Selbstbetrug
Ich bin einer Täuschung erlegen
Man hat mich mit Täuschung erledigt
Man entledigte sich meiner
Ich war enttäuscht
Doch ich würde nicht tauschen
Niemals vertauschte ich Würde
Mit der Vertuschung einer Getäuschtheit
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Freude
Laß deinen Gefühlen ihren Lauf
Selbst unter Menschen
In den Hoffnungen
Man nähme Anteil/Man erwiderte
Sie verschanzen sich hinter Hochmut aus Neid
Sie belagern deine Festlichkeit
Sie haben scharfe Geschütze
Plastikherzen zum Beispiel
MEHR? – BITTE SEHR!
... NARR
Geschnür
Wer seid ihr, Fädenzieher
Denen ich so oft schon
Mein Gesicht
Hinter diversen Masken entdeckt
Ihr, die ihr im Dunkeln sitzt
Und Geräusche von euch gebt
Gefallen, Mißfallen
Oh, einmal mich verstecken
Und euch beleuchten!
Euch ertappen
Wie ihr euch verratet
Eben noch gewogen
In Sicherheit
Eure Angst ausstellen
Eure Hilflosigkeit bewundern
Was! Ihr selbst
Selbst ihr - an Fäden?
Und die euch führen
… ebenfalls.
Und so weiter
Ach, eine Schere, ein Schwert
Für dieses Geschnür!!
Millionen von Garderobieren
Für eure Kostüme!
Lernbegierige Lehrer
Eure Talente zu fördern.
nach oben
Herrlich
Als Marionetten kommt ihr euch vor
Und die Fädenzieher seien euch bekannt
(Es sei nicht so schlimm/Sei nun einmal so/Immer schon so gewesen)
Doch - wißt ihr was
Dessen Hände euch führen
Muß euch kennen
Läßt er euch tanzen
Tanzt er euch vor
Doch - wißt ihr was weiter
Dem ihr folgt
Folgen müßt
Bestimmt ihr
Ihr macht eure Führer zu denen
Die euch bekannt sind
Gute Puppenspieler sind eins mit ihren Puppen
Wenn sie sie spielen
Je untertäniger ihr werdet
Desto herrlicher können sie’s
MEHR? – BITTE SEHR!
... DIE POLITIK DER LIEBE
Den bösen Eltern
Euch gebe ich gerne jede Schuld
An meinen Feigheiten
Und ich finde kiloweise Bestätigung dafür
Auch Freunde sprechen mir Recht zu
Eure Form von Liebe zu verachten
Aber die Bücher, die Freunde verleben sich
Während Ihr immer noch verzichtet
Frei von Verantwortung zu sein
Euch kann ich noch brauchen
Wenn jene verstaubt, vergilbt
Und anderwärtig beschäftigt sind
Ihr verlangt bloß
So zu sein
Wie Ihr mich haben wollt
Sie aber lieben mich nur
Als einen von ihnen
nach oben
Fischeln
Bedauerst du schon
Bloß einer von den kleinen Fischen zu sein
Womöglich Süßwasser
Gar Teich
Mit deinem beschränkten Ausschwimm
Und bewunderst du heimlich jene großen
Die stehlen, morden nach Lust
Selbst ertappt noch launig und ungeschuppt
Davonplanschen
Sitzt in deinem Fischherz ein kleines Gewissen
Das sich empört
Wolltest du
Wundersam gewachsen
Redlich fischen im Trüben
Ach, wir sind ’s nicht, was ändert
Bloß froh
Lange, gesund und halbwegs fischig
Zu frischeln
MEHR? – BITTE SEHR!
... KINDERKREBSVERSAND
sonett
meine verträumten gedanken
sind heftpflaster über der schlecht
verheilenden wunde, sanken
die liebesschmerzen auch gerecht
verteilt unter das dünne netz
ausflüchtender verzweiflung, du,
deiner augen nähe, reißt jetzt
alle lüge auf; enttäuscht zu
sein bedeutet wohl hassen, meint
gleichgültig scheinen noch sehnsucht
nach verbotenen wünschen, eint
nichts als der schmerz vergangenheit
die man getrennt zu ordnen sucht
nach erstarrter gemeinsamkeit
nach oben
wie es die jungen verändern
wir die jungen jetzt
sollten dankbar erwachsen sein
aus dem unterbrochenen kriege
doch wir tragen den krieg
den vererbbaren
weiter in uns
schuldig an unserer großväter großmütter
tod und einsamkeit
schuldig an unserer eltern wohlstand
ihrem geleimten glück
wir erkennen wohl wie es steht
denn eltern bessern großeltern in uns
und wir unsere eltern in unseren kindern
den jungen dann
die es verändern
MEHR? – BITTE SEHR!
... KONZENTRISCH
Seitdem du gestorben bist, schmerzt jeder Satz mich, den ich nicht zu dir gesagt
habe. Ein Loch, trotzdem es ein Loch ist, tonnenschwer, belastet mir Atmen wie
Denken, und ich bin fest davon überzeugt, daß es mich eines Tages
verschlingen wird, nicht grausam wie ein reißendes Tier zum Beispiel,
sondern ich kann mir vorstellen , es trübt mich ein, bis ich jede Menschlichkeit
verloren habe, bis ich bereitwillig selbst zu einem Loch werde, in das man bedenkenlos
werfen kann, alles werfen kann, dem nicht einmal mehr etwas gleichgültig
sein mag, das gefühllos ist.
Mein Loch–Werden käme dem Selbstmord gleich.
MEHR? – BITTE SEHR!
... EINZELGLEITEN
und wie ist dir das
sieh nur
ich sende blumen dir von fern
die - angelangt in deinen armen
verwelkt sind
wirf sie zu dem anderen mist
dem abfall
zu verschimmeltem brot
angeschlagen-verfaulendem obst
und den dosen
doch vorher
noch
halte sie fest und
zerdrücke sie völlig
weine die tränen nicht
für abgestorben-farbige formen
bleiben wir gut uns
nach oben
krummbeinig kriechender schnartel
lebst in mein großmutters gartel
stehest vorm hause als martel
hast schon ein grüngraues bartel
wird ’s mir zu dumm
schmeiß ich dich um
großmutter stellt dich dann wieder hin
und so hat wohl alles den seinigen sinn
MEHR? – BITTE SEHR!
... FRÜHES, VERSTREUTES
erschrecken über einen volksvertreter
gefährliche, weil naive herren
deren tiefste überzeugung
beschränktheit oder blindheit ist
selbst zu beschäftigt
um macht ausüben zu können
seid ihr nicht abhängig von uns
die euch bezahlen und wählen
sondern von solchen
welche uns mit euch kaufen
und benützen
Kopfgeburten
Kopfgeburten sind wir
und entkommen den Gehirnen
der Mütter und Väter
einfach nicht
ihre Chamäleonzungen fesseln die Hälse uns
sobald wir heimlich entfliehn
und ihre Tränen
brennen unser Wünschen zu Brei
Und stehn wir
Totgeglaubten
wie plötzlich
frech lächelnd
vor ihnen
und fordern wir
schon bereuend
unser eigenes Gefängnis betreten zu dürfen
haben sie doch immer schon gewußt
daß wir
unsere Kinder
mit unseren Vorstellungen
nur zu Tode lieben können
MEHR? – BITTE SEHR!
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