ZUM
WORTSCHATZ DER KÜCHE
© Heinz Dieter Pohl
(Vortrag auf der Internationalen Konferenz: "Bayerische
Dialektologie", Würzburg, 26. - 28. Februar 2002
= Nr. 273 des Schriftenverzeichnisses)
Siehe
auch im Austria-Forum AEIOU eine Zusammenfassung unter der URL
http://austria-forum.org/af/AEIOU/%C3%96sterreichische_K%C3%BCchenterminologie
sowie Die gemeinsame Grundlage des bayerisch-österreichischen
Küchenwortschatzes
ZUM
WORTSCHATZ DER KÜCHE
Der Begriff der Standardsprache oder Hochsprache
(im Falle des Deutschen: Hochdeutschen) ist in der modernen Linguistik
unumstritten (1). Daran ändert
sich sich auch durch die Varietätenlinguistik nichts (2), auf Grund derer
manche Sprachgemeinschaften regionale oder nationale Varietäten entwickelt
haben − infolge kultureller und/oder historisch-politischer Umstände,
denn auch nationale Varietäten sind Standardsprachen, zumindest auf jenem
Gebiet, das den administrativen Rahmenbedingungen entspricht (nach Staaten oder
Verwaltungseinheiten) (3).
Doch es gibt einige Bereiche in der Sprache, wo der
Wortschatz, über den die jeweilige Sprache in ihrer standardisierten Form
verfügt, nicht ausreicht. Dies ist die Sprache des Alltags, v.a. der regionalen
Alltagskultur. Im "Duden" (4) und im "Österreichischen Wörterbuch" (5) ist dieser
Wortschatz mit "landschaftlich", "umgangssprachlich",
"süddeutsch", "österreichisch" usw. gekennzeichnet; in dem
Projekt "Wörterbuch der nationalen und regionalen Varianten der deutschen
Standardsprache" (6) wird dieser Wortschatz nur mit größter Zurückhaltung als
"Grenzfall des Standards" bezeichnet (7).
Ein in dieser Hinsicht besonders "anfälliges"
Segment ist eben der Wortschatz der Küche und dies hat viele Gründe.
1.
Die Koch- und
Essgewohnheiten unterliegen modischen Strömungen und ändern sich ständig. Schon
in Kochbüchern aus dem 19. Jhdt. finden sich viele Rezepte, die man heute gar
nicht mehr oder nur schwer nachkochen kann (weniger wegen der Ingredienzien,
vielmehr durch die Änderungen der Garungsmethoden). In einem noch größeren
Ausmaß gilt dies für die Küche des Mittelalters oder des Altertums. Auch wenn
man die erste Auflage 1911 eines der Standardwerke der Wiener Küche, die
"Hess", mit der 44. des Jahres 2001 (8) vergleicht, kann
man die Veränderungen in 90 Jahren leicht feststellen.
2.
Der frühere
Unterschied zwischen der bäuerlichen und bürgerlichen Küche einerseits, also
der Küche der Grund- und Mittelschicht der Bevölkerung, und der Küche des Adels
und der Oberschicht andererseits spielt seit der ersten Hälfte des 20. Jhdts.
nur mehr eine untergeordnete Rolle. Man kann sagen: er ist historisch, relevant
für die Geschichte der Küche und für die Etymologie (9) der Bezeichnung
des betreffenden Gerichtes (wie z.B. die Malakoff-Torte (10), oder die
zahlreichen mit dem Zusatz Eszterházy [-gulyás, -torte, -rindsbraten,
-sauce] (11), der
berühmten ungarischen Magnaten-Familie, benannten Speisen).
3.
Mit der Änderung
der Ess- und Kochgewohnheiten änderten sich vielfach auch die Bezeichnungen.
Mit internationalen Speisen kamen neue Lehnwörter, früher v.a. aus dem
Französischen (z.B. Cordon bleu (12), Fricandeau (13) usw.,
aber auch eingedeutschte Bezeichnungen wie österr.dt. Faschiertes (14)) und
Italienischen (wie u.a. Pasta (15), Parmesan (16), Ravioli (17) und Ossobucco (18)), heute v.a. aus
dem Englischen (wie u.a. Toast (19) und Sandwich (20), auch
Rückentlehnungen wie Hamburger (21)), aber auch Türkischen (Döner kebap (22)) und
Griechischen (Gyros (23), Suvlaki (24)) sowie anderen Sprachen (wie u.a. das Gewürz Curry
(25),
indonesisch Nasigoreng (26) oder japanisch Sushi (27); die Ursachen dafür sind multikausal, teils Vorliebe für
das Exotische, Erinnerung an den Urlaub, Migrationen usw.). − Die Wiener
Küche hat aus allen Sprachen der Österreichisch-Ungarischen Monarchie Wörter
aufgenommen (wie u.a. die böhmischen Buchteln (28), den Powidl
‘Zwetschkenmus’ (29), auch der
beliebte Zwetschkenschnaps Sliwowitz (30) kommt aus dem
Tschechischen, aus SO-Europa wären die Ćevapčići ‘kleine,
auf dem Rost gebratene Fleischklößchen’ (31) zu nennen) − zusammen mit dem meist ein wenig
angepassten Gericht, wie etwa das Wiener Gulasch (32) oder die Gefüllten Paprika.
Auch das Wiener Schnitzel (33) soll eine Adaption des italienischen costoletta milanese ‘Mailänder
Kotelett’ sein, was allerdings wohl eine Legende ist (33a).
4.
Mit der
zunehmenden Beliebtheit bodenständiger (was man auch immer darunter verstehen
mag) Speisen steigt die Zahl von Entlehnungen aus Mundarten und regionalen
Umgangssprachen sprunghaft an. Substandardwörter wie Blunzen ‘Blutwurst’
(34), Beuschel
‘Lunge’ (35), Erdäpfelblattl
/ Reibekuchen / Reiberknödel ‘Kartoffelpuffer’ (36) in Österreich, Hendl
‘Hähnchen’ oder Eierschwammerl ‘Pfifferling’ (neben Rehling / Reherl)
in Bayern und Österreich (37) oder nur in Bayern Fleischpflanzl ‘Frikadelle,
Fleischlaibchen’ (38), Obatzter
‘eine Käsespezialität (39) (ähnlich dem österr. Liptauer (40))’ oder Reiberdatschi
‘Kartoffelpuffer’ (41); regional in Österreich u.a. das Tiroler Gröstl
‘variantenreiches Pfannengericht aus Kartoffeln und Braten bzw. Wurst’ oder der
Kärntner G’lundene ‘in der Pfanne geschmolzener reifer Topfen bzw.
Quark’ (42) steigen
so zum Standard auf.
5.
Denn wenn diese
Wörter auf Speisekarten und in Kochbüchern gebraucht werden, sind sie als
Fachausdrücke quasi stardardsprachlich. Analog, wie die sogenannten
"unspezifischen Austriazismen" (43) wie z.B. Apfelstrudel oder Vanillekipferl (es
sind nämlich die einzigen Bezeichnungen für diese Gerichte, über die die
deutsche Sprache verfügt), rücken sie oft zu den einzigen Wörtern der
Standardsprache auf, weil auch sie die einzigen Bezeichnungen für diese Speisen
sind. Vielleicht könnte man bei diesen Wörtern von "unspezifischen
Dialektismen" sprechen, denn etymologisch stammen sie aus der Mundart,
sind aber als fachsprachliche Küchenausdrücke "hochdeutsch" (44). Einige
weitere Beispiele wären die bayerischen Radieserln (samt dem Radi)
(45), die
Kärntner Strankerln ‘grüne Bohnen, Fisolen’ (46), das Wiener
Bruckfleisch (47), das Tiroler
Gröstl (48), die
Kärntner Kasnudeln (49) oder Schlickkrapferln (50), die
schwäbischen Spätzle (bajuwarisiert Spatzln) (51), die
bairischen Nockerln (52), der Kölner Halve Hahn (53), der
Berliner Hackepeter (54), der Hamburger Labskaus (55) u.v.a.m.
Somit ergibt sich für die deutsche Küchensprache ein
recht buntes Bild. Einerseits haben wir die gemäß den deutschen Großdialekten
und den Ländern bzw. selbständigen Staaten (entsprechend anderen Bereichen des
Wortschatzes) zu beobachtende Gliederung, andererseits eine kleinräumige
regionale Differenzierung.
Bei meinen Untersuchungen zum Küchenwortschatz Kärntens
habe ich festgestellt, dass es deutliche Unterschiede innerhalb des Landes gibt,
nicht nur bei den deutschen Bezeichnungen, sondern auch bei den slowenischen (56). Wie
Stichproben zeigen, ist dies nicht nur in Kärnten so, sondern auch in anderen
Bundesländern und wohl nicht nur in Österreich, sondern auch in Deutschland und
der Schweiz. Dazu kommt ein Problem: die etymologische und lexikographische
Literatur ist bei den Küchenbezeichnungen äußerst ungenau. Die wahre Bedeutung
vieler Wörter liefern eher die Kochbücher (57), wie dies hier
zum Abschluss an den drei gängigen Begriffen Krapfen, Nudel und Gugelhupf
gezeigt werden soll. Krapfen sind nicht nur ein süßes Hefegebäck (58), sondern
sind in Oberkärnten und in Tirol auch Nudelgerichte (gefüllte Nudeln, die
Kärntner Käsnudeln heißen in Oberkärnten Kaskråpfen), und Dampf-,
Rohr- und Kirchtagsnudeln erinnern eher an eine Art Krapfen, sind
es doch Hefegebäcke. Nudeln sind in Kärnten nicht nur (vor dem Genuss zu
kochende) Teigwaren verschiedener Form (Suppennudeln, Bandnudeln usw.), sondern
auch ‘gefüllte Teigtaschen’ (wie die Käsnudeln). Oder der Gugelhupf
wird als ‘Napfkuchen’ beschrieben (59), wurde auch in Wien ursprünglich mit Hefe hergestellt (60),
entsprach also nicht dem "Napfkuchen" (61). Genauere
Auskünfte geben in dieser Hinsicht nur Regionalwörterbucher wie Zehetner
(1997), Ebner (1998) oder Hornung (1998) bzw. Fachwörterbücher wie Wagner
(1996). Gerade dieses (keineswegs linguistische, aber für Sprachhistoriker
ungemein interessante) "Lexikon der Wiener Küche" führt dem Leser
deutlich vor Augen: im Küchendunst verflüchtigt sich das, was wir in der
Linguistik als "Standard" bezeichnen!
Anmerkungen
(1) Eine der
klassischen Definitionen bei Bußmann 1990, 732: "deskriptive Bezeichnung
für die historisch legitimierte, überregionale, mündliche und schriftliche
Sprachform der sozialen Mittel- bzw. Oberschicht; ... unterliegt ...
weitgehender Normierung".
(2) dazu vgl. v.a. Ammon 1995, zu Österreich u.a.
Pohl 1999a-b.
(3) daher gibt es
"nationale Varietäten" (wie z.B. Bundesdeutsch vs. österreichisches
Deutsch oder British English vs. American English) und
(von Ammon 1995 weniger beachtet) "regionale Varietäten" (wie
z.B. ost- vs. westösterreichisches Deutsch oder Nord- vs.
Süddeutsch oder Bairisches Deutsch, dazu vgl. u.a. Pohl 1999a, 88ff.
mit Lit.).
(4) benützte Ausgaben Duden DR (22. Auflage 2000)
u. DUW (4. Auflage 2001).
(5) benützte Ausgabe ÖWB (39. Auflage 2001).
(6) am Institut für Germanistik der Universität
Innsbruck, Mitarbeiter u.a. U. AMMON, J. EBNER, D. MANGOTT, H. MOSER usw.
(7) solche
"Grenzfälle" sind u.a. Blunzen (bairisch, auch
ostmitteldeutsch Plunze, für ‘Blutwurst’) und Strankerl
(kärntnerisch für ‘Fisole, grüne Bohne(nschote)’), nicht aber Gerstl und
Nockerl, die der Form nach kaum als Standard zu bezeichnen sind, aber
als Küchenfachausdrücke gelten. − Gerstl ist darüber hinaus als
Bezeichnung für ‘Geld’ ähnlich wie Knete, Moos, Marie usw.
freilich "Grenzfall des Standards".
(8) = Hess 2001.
(9) Hier sollten
ein paar Worte über die Herkunft von Speisenbezeichnungen
("Sitonymen") gesagt werden. Keine einzige Speisebezeichnung ist ein nomen
proprium im engeren Sinne des Wortes (weil ja jede Speise ad libitum
reproduziert werden kann), aber zum Zeitpunkt ihrer Entstehung waren sie dies
(in den meisten Fällen) sehr wohl, das erste Cordon bleu, die
erste Sacher-Torte und das erste Boeuf Stroganoff
waren nomina propria! Daher stehen Sitonyme irgendwie an der
Grenze zwischen dem Namen an sich und dem Appellativum. Um Sitonyme näher
erfassen zu können, bietet sich folgende Einteilung an: Namen nach den
Ingredienzien: Beuschel, Blutwurst, Fleischknödel / -nudel /
-laibchen / -laberl / -pflanzl, (Schweins- usw.) -braten, Bratwurst (von Brät
‘schieres Fleisch’, Kluge 1995, 131), Erdäpflblattl; Namen nach der
Zubereitung: Eingetropftes, Dampfnudeln / Rohrnudeln, Lundkoch / Gelundener
Käse, Schupfnudeln, Frittaten, -braten, Verhacktes, Reiberdatschi / -kuchen /
Reibeknödel; Namen nach dem Aussehen, der Form: Blunzen, Nockerl,
Krapfen, Schnitzel, Faschiertes, Graukäse, (Fleisch- usw.) -laibchen / -laberl;
Namen nach dem Kochgeschirr: Reinling / Schartel, Kesselgulasch,
Pfann(en)kuchen / Pfanzelte / Pf(l)anzl; Namen nach der Herkunft (Länder,
Städte usw.): Frankfurter (Würstl / Würstchen), Wiener (Würstel /
Schnitzel), Berliner (Pfannkuchen / Weiße), böhmische Dalken, Wiener / Pariser
/ Laibacher / Holstein- (usw. Schnitzel), Liptauer, Hamburger, Linzer (Torte); Namen
nach der Herkunft (Personen): Boeuf Stroganoff, Dobos- / Sacher- /
Malakoff- (Torte), Eszterházy-, Girardi-, Wellington-; Metaphorische Namen:
Pafesen (Arme Ritter), Gugelhupf, Leberkäse / Fleischkäse, Tiramisù, Salt’in
bocca, Einspänner, Kalbsvögerl, Spätzle / Spatzeln, Ritschert, Kartoffelpuffer;
Namen nach der Tradition: Kärntner Weltmutter, Kirchtagssuppe,
Bauernschmaus, besoffene/r Kapuziner / Lisl, -pfeffer, Kaiserschmarren /
-fleisch; Andere Namen: Cordon bleu, Bruckfleisch; v.a. Lehnwörter; Sachbezeichnungen:
Nudeln, Pasta, Radeln, Crêpes, Wurst / Würstel usw. (diese Aufstellung ist ein
erster Versuch und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit).
(10) eine aus
Norditalien stammende Biskottentorte, benannt nach einer russischen Bastion bei
Sewastopol, die im Krim-Krieg von Jean J. Pélissier (1794-1864) erstürmt wurde,
der dann den Titel eines "Herzogs von Malakoff" erhielt (vgl. Wagner
1996, 147f.).
(11) vgl. Wagner
1996, 84f. (mit der heute in Wien üblichen Schreibung Esterházy-).
(12) eigentlich
‘blaues Ordensband’, das von einer Pariser Köchinnenvereinigung verliehen
wurde, mit Schinken und Emmentaler gefüllte Variante des Wiener Schnitzels
(Wagner 1996, 72).
(13) aus franz. fricandeau
‘Schnitte von gespicktem Kalbfleisch’.
(14) ‘Hackfleisch’ (alt Gehäck, Geheck, Hepp 1970, 206),
durch die "Faschiermaschine" (den ‘Fleischwolf’) gedrehtes Fleisch;
typisch österreichisches Wort (ohne Vorarlberg). Unseren Fleischlaibchen (oder
Fleischlaberln) entsprechen in Bayern die Fleischpflanzeln (im
nördlichen Deutschland meist Frikadellen (aus niederländisch frikadel
zu franz. fricandeau ‘Pastetenfülle’ [Kluge 1995, 286f.]), in und um
Berlin Buletten (aus franz. boulette ‘Kügelchen’ [Kluge 1995,
144]) genannt, im Südwesten Fleischküchle, neben weiteren Bezeichnungen
[Seibicke 1983, 80], s. Karte bei Eichhoff 1977-2000, 2-65). Doch diesem
bayerischen Pflanzel liegt ein älteres Pfanzel zugrunde, das
selbst ein gekürztes Pfannzelte ‘Pfannkuchen, in der Pfanne Gebackenes
u.dgl.’ (Zehetner 1997, 226 u. 228) ist. In älteren Kärntner Kochbüchern kommt
dieses Wort ebenfalls vor, so z.B. Blutpfanzl (Pfannengericht aus
Blutwurstmasse) oder Hadn- bzw. Türkenpfanzl (aus Buchweizen-
oder Maismehl [Miklau 1984, 36 u. 70f.]). − Entlehnt aus franz. farce ‘Fülle
(aus fein gehackten Zutaten wie Fisch, Fleisch, Wild, Geflügel, Pilze [Birle
o.J., 142]’), ursprünglich dt.-ma. [farš], später umgeformt bzw. angepasst
(Hornung 1998, 340). − Die Bezeichnungen Fricandellen und Fricadellen
waren auch im Wien des 19. Jhdts. (neben bairisch-österreichisch Fleischpfanzl) üblich, erst später
setzte sich faschiertes Laibchen
durch. Die Nähe Österreichs zum italienischen Sprachraum lässt ital. Herkunft
vermuten: ähnlich wie im Bairisch-Österreischischen aus der alten Pfannzelte ein Pfanzl wurde, das dann zum bayerischen Fleischpflanzl mutierte, wurde ein italienisches frittatella bzw. -della (Diminutiv zu frittata ‘Eierkuchen,
Pfannkuchen’) oder auch frittella
‘Pfannengericht, Pfannkucken’ unter dem Einfluss von französisch fricandeau zu *fricandella umgeformt und gelangte so einerseits nach Wien,
andererseits nach Frankreich. Zwischen Österreich und dem Verbreitungsgebiet
der bundesdeutschen Frikadellen
werden andere Ausdrücke verwendet (alemannisch Fleischküchle, so auch Vorarlberg, und bayerisch Fleischpflanzl, ähnlich auch bis Anfang
des 20. Jhdt. auch in Österreich). Daher ist es sehr wahrscheinlich, dass die
Alt-Wiener Frica(n)dellen aus
Norditalien stammen und nicht auf dem (v.a.) nordwestdeutschen Wort Frikadellen beruhen, das über
niederländisch frikadel ins Dt.
gelangt ist und letzten Endes auf ein französisches Vorbild zurückgeht.
(15)
‘Teigware(n)’. − Ital. bzw. mittellat. pasta (Lehnwort aus dem
Griechischen) bedeutet ‘Teig’ und wurde dann für ‘Teigwaren’ ganz allgemein
verwendet. Die alte allgemeine Bedeutung lebt noch in dt. Paste ‘eine
streichfähige Masse’ fort, während man unter pasta heute Nudelgerichte
versteht (vgl. Kluge 1995, 616).
(16) ital. parmigiano
‘aus Parma’ (übers Franz. ins Dt., Kluge 1995, 614).
(17) ‘gefüllte
Teigwaren’, aus dem Ital., Plural zu raviolo ‘kleine Rübe’, wohl von der
Form her übertragen (Kluge 1995, 671).
(18) = ital. ossobucco
‘Kalbsstelze, -hachse’, also ‘Kalbssteak auf Italienisch’ (Kofranek 1975, 236).
(19) engl. toast
aus altfranz. toster ‘rösten’ zu lat. tostus ‘getrocknet’ (Kluge
1995, 826).
(20) nach dem
engl. Grafen von Sandwich, der zum Spielen gerne belegte Brote mitnahm, um
nicht durch Mahlzeiten unterbrechen zu müssen (Kluge 1995, 704).
(21) ‘Brötchen
mit Hackfleischfüllung’ bzw. süddt. ausgedrückt ‘Semmel mit faschiertem
Laibchen’. Diese Bezeichnung geht auf das "Hamburger Rundstück"
zurück, eine Scheibe Rindfleisch mit Sauce in einem aufgeschnittenen Brötchen
(vgl. Kluge 1995, 352), später offensichtlich durch das "deutsche
Beefsteak" ersetzt. Im Englischen wurde diese Speise mit ham ‘Schinken’
assoziiert, wodurch weitere Bildungen entstehen konnten (z.B. cheeseburger,
schnitzelburger usw.); heute gilt die engl. Aussprache [}hæmbɜ:gə] als Standard]).
(22) das
Grundwort Kebap ist im Orient weit verbreitet, u.a. türk. kebap
‘Röstfleisch’, vgl. şiş kebap ‘Röstfleisch am Spieß’ oder döner kebap ‘Fleisch vom sich drehenden
Spieß’, zuletzt auch bei uns bekannt geworden. Das Wort dürfte letzendlich aus
dem Persischen stammen (kebab ‘Fleisch am Spieß’).
(23) aus
neugriech. gýros
(u.a.) ‘Umdrehung’ (Pfannengericht, wobei das Fleisch beim Braten kräftig
mehrmals ‘umgedreht’ wird).
(24) zu
neugriech. súvla ‘Bratspieß’
(aus dem Lateinischen), Diminutiv suvláki
‘Spießchen’.
(25) über engl. curry
(-powder) aus der indischen Drawida-Sprache Tamil: kari ‘Soße,
Tunke’ (Kluge 1995, 158).
(26) = indones.
‘gebratener Reis’ mit Zutaten in verschiedenen Variationen (Birle o.J. 293).
(27) japanische
Spezialität, die meist am Beginn der Mahlzeit gereicht wird, meist gekochter,
marinierter Reis mit rohem Fisch, auch Fleisch, Pilzen, verschiedenen Gemüsen
(vgl. Birle o.J. 445).
(28) auch Wuchtel,
aus tschech. buchta ‘Dampfnudel, Hefeküchlein’ (vgl. Hornung 1998, 729,
Steinhauser 1978, 112f.).
(29) aus tschech.
povidla ‘Mus’, eigentlich ‘das Umgerührte’ (vgl. Steinhauser 1978, 110f.
mit weiteren Hinweisen).
(30) aus tschech.
slivovice ‘Zwetschkenbranntwein’ (Steinhauser 1978, 120). Die Nebenform Schligowitz
ist eine Dissimilation von w - w > g - w.
(31) in der
Wiener und österreichischen Küche paprizierte und gegrillte Hackfleischröllchen
(Wagner 1996, 72), also aus gemischtem Faschierten, auf dem Balkan in den
moslemischen Gegenden ohne Schweinefleisch, entweder reines Rind- oder
Hammelfleisch bzw. gemischt, gut gesalzen und gepfeffert, auf dem Rost
gebraten, mit fein gehacktem Zwiebel serviert.
(32)
‘Paprikafleisch’, genauer ‘mit Paprika gewürztes Rindsragout’. Gilt als Wiener
Spezialität mit vielen (altösterreichischen) Varianten, zunehmend auch mit
anderen Fleischsorten hergestellt; im Gegensatz zu seinem ungarischen Vorbild
nicht nur mit (grünen) Paprikaschoten zubereitet, sondern v.a. mit rotem
Paprikapulver. In der ungarischen Küche entspricht dem Wiener Gulasch ein Pörkölt
(vgl. Wagner 1996, 106f.). − Das Wort selbst kommt von ungar. gulya ‘Rinderherde’,
gulyás ‘Rinderhirt’.
(33) das echte,
originale ‘Wiener Schnitzel’ − in dieser Bezeichnung erst seit Ende des
19. Jhdts. bezeugt, davor meist ‘gebackenes Kalbsschnitzel’ (vgl. R.A.
Zahnhausen, Wiener Geschichtsblätter 56/2001, 144f.) − wird nur aus
Kalbfleisch hergestellt (bevorzugt von Frikandeau oder Nuss). − (33a) Weit verbreitet ist die Ansicht, dass das Vorbild für diese Speise das
Mailänder Costoletta milanese sei, das auf bis ins 12. Jhdt.
zurückreichenden Vorbildern beruht, wobei die in Venedig bezeugte Vorliebe für
‘vergoldete’ Speisen das im Bröselkleid goldbraun gebackene Schnitzel entstehen
ließ (so u.a. Wagner 1996, 233f., aber auch Maier-Bruck 1975, 267ff.), doch
panierte und in Fett herausgebackene Fleischspeisen sind für Wien schon seit
dem 18. Jhdt. bezeugt, worauf v.a. Zahnhausen (s.o. insbes. 144) hinweist und
die norditalienische Herkunft dieser Speise als romantischen Mythos entlarvt.
(34) laut ÖWB
"umgangssprachlich, derb", laut DUDEN "umgangssprachlich"
(ostmitteldt. Plunze; in Österreich auch übertragen als Schimpfwort für
übergewichtige Frauen und Mädchen, auch Redewendung das ist mir Blunzen ‘das
ist mir gleichgültig’). Zu mhd. blunsen ‘aufblähen’ (Hornung 1998, 168),
also nach der Form.
(35) genauer:
‘Lunge und Herz’ (als Speisenbezeichnung typisch für den österreichischen Osten
und Süden, im Westen und in Bayern sagt man eher Lüngerl), eigentlich Bäuschel,
Verkleinerungsform zu Bausch (wegen der bauschigen Beschaffenheit der
Lunge, Hornung 1998, 138)
(36) ‘Pfannkuchen
aus geriebenen Erdäpfeln und Eiern’ (Wagner 1996, 184), regional Kartoffelpuffer,
Reiberknödel (v.a. Oberösterreich), Erdäpfelblattl (v.a. Tirol),
in Bayern Reiberdatschi.
(37) Eierschwammerl
ist das Normalwort in Österreich, daneben kommt in der Steiermark auch das
bair. Rehling, in Kärnten Füchsling vor, letzteres bezeichnende
dt.-ma. - slow. semantische Übereinstimmung, die bis in die Steiermark reicht,
auch die slowenisch Form lisica, lisička hängt mit dem ‘Fuchs’ (slowenisch lisica)
zusammen.
(38) s.o. Anm.
14.
(39) eigentlich
"an- bzw. abgebatzter" zu ma. Batz ‘breiige, weiche Masse’;
bayerische Käsespezialität aus Camembert, Topfen (Quark), Butter, Gewürzen
(vgl. Zehetner 1997, 219).
(40) wurde
ursprünglich aus Brimsen, einem slowakischen Schafskäse unter Zugabe
verschiedener Gewürze, hauptsächlich Paprikapulver, hergestellt (Wagner 1996,
67), benannt nach der Stadt Liptau in der Slowakei.
(41) s.o. Anm.
36.
(42) zu linden,
meist G’lundner Kas ‘gelundener Käse (gewürzt mit Kümmel)’. Zubereitung:
Ein "reifer" (also bereits zu Käse reifender) Topfen bzw. Quark wird
in der Pfanne "gelunden" (von bair. linden ‘rösten’, Schmeller
I 1488, Lexer 1862, 180) und − mit entsprechender Würzung −
entsteht G(e)lund(e)ner [glúntnə(r)], wie ein Adjektiv flektiert, dem
"Kochkäse" anderer österreichischer Gegenden entsprechend.
(43) dazu vgl.
Ammon 1996, 171f.
(44) genauer:
"standarddeutsch".
(45) s. Zehetner
1997, 236. − Es ist bemerkenswert, dass man zwar in Österreich auch Radi
(lt. ÖWB "umgangssprachlich") gebraucht, vor allem in Salzburg
und Oberösterreich, doch Radieserl ist aber unüblich.
(46) genauer Stränggelein
[štránkele, (pl.) -lan], Phaesolus vulgaris; typisch für Kärnten,
hier allgemein üblich, auch in der geschriebenen Sprache (aus frühslowenisch *strank(a) bzw. *stronk(a) ‘(Bohnen-) Schote’, modern slowenisch
strok ‘Hülse, Schote’).
(47) ein Ragout
aus bestimmten Rindfleischresten, Altwiener Spezialität, Teil des
traditionellen (heute schon fast historischen) Wiener
"Gabelfrühstücks". − Rindfleischreste, die auf der Schlacht-
bzw. Schlagbrücke zurückblieben (daher der Name), v.a. Kronfleisch,
Stichfleisch, Milz, Bries, Leber, Herzkranzgefäße und Schlagader, werden mit
brauner Soße (Wurzelwerk, Essig, Thymian, Majoran, Pfeffer, Ochsenblut) zu
einem Ragout verarbeitet, Beilage Knödel (Wagner 19996, 67f.).
(48)
Originalaussprache [gräštl oder gröštl] (von rösten), in der
Pfanne bereitete Speise aus gerösteter Wurst bzw. fertigem Fleisch, Kartoffeln
und Ei.
(49) Teigtaschen
mit Topfen- (Quark-) -fülle in verschiedenen Varianten; die Fülle der
"typischen" Kärntner Käsnudeln (umgangssprachlich meist Kas-)
wird aus Topfen, Knödelbrot, Salz, Minze und Keferfill [= ‘Kerbel’]
hergestellt.
(50) kleine
Teigtaschen mit Fleischfülle als Suppeneinlage.
(51) das Wort
tritt seit dem 18. Jhdt. auf und ist nicht zwingend mit dem Vogel Spatz
identisch, sondern möglicherweise ein altes Wort für ‘Klumpen’ (vgl. Kluge
1995, 775 mit Lit.; nach Zehetner 1997, 274 ist bair. Spatzln eine
"Bavarisierung", doch dies ist schon bei Schmeller 1996, II 692 als
‘Klümpchen von Mehl’ angeführt; ist auch in Kärnten, z.B. Lexer 1862, 235,
sowie in Tirol verbreitet, z.B. Schatz 1956, 582 mit Hinweis auf das
Zimbrische).
(52) zu
oberdeutsch Nock ‘knolliger Berg, Bergkuppe usw.’, wohl urspr. ‘Knollen,
Klumpen’ (vgl. Kluge 1995, 590 mit Lit.). Gilt als typisch
bayerisch-österreichische Speise im Gegensatz zu den schwäbischen Spätzle (die
allerdings kleiner sind); der lautliche Anklang an italien. gnocchi
dürfte zufällig sein.
(53) wörtlich
‘halber Hahn’, ein halbes Roggenbrötchen belegt mit holländischem Käse und Senf
(Birle o.J. 186).
(54) gewürztes,
rohes Hackfleisch, eine Berliner Spezialität (so Birle o.J. 183), nach Kluge
1995, 346 erst seit dem 20. Jhdt. geläufig.
(55) ein
norddeutsches Seemannsgericht aus Hering, gepökelter Rindsbrust, Zwiebel und
Kartoffeln, mit Salzgurke oder Roter Beete und Spiegelei serviert (in
verschiedenen Varianten, vgl. Birle o.J. 246, 65), entlehnt aus engl. lobscouse
(unklarer Herkunft, vgl. Kluge 1995, 497).
(56) dazu vgl.
meine Artikelserie Pohl 1998ff. sowie Pohl 1999/2001. Diese Beiträge werden
aktualisiert in ein in Vorbereitung befindliches Buch (Informationen unter der
URL
http://members.chello.at/heinz.pohl/BuchKueche.htm)
aufgenommen werden.
(57) wie für
Österreich u.a. Maier-Bruck o.J., für Wien Kofranek 1975 und Hess 2001.
(58) in
Österreich besonders bekannt als "Faschingskrapfen" (meist mit
Marmelade gefüllt, in weiten Teilen Deutschlands "Berliner
Pfannkuchen", vgl. Seibicke 1983, 118) und "Bauernkrapfen (größer,
ohne Fülle).
(59) so Ebner
1998, 135 u. Duden UW 689.
(60)
dementsprechend die Rezepte bei Maier-Bruck o.J. 608 ("Wiener
Gugelhupf") u. Hess 2001, 439, auch "Germgugelhupf", so bei
Kofranek 1975, 400. − Hornung 1998, 437 schreibt demnach exakt
"Wiener Kuchensprezialität, Art Napfkuchen, ursprüngl. meist aus Hefeteig,
jetzt auch aus Biskuit- und anderen Teigen".
(61) diesem
entsprechen die Rezepte bei Kofranek 1975, 415f.
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Zur bairisch-österreichischen Küchensprache siehe auch unter:
http://www1.ku-eichstaett.de/SLF/EngluVglSW/OnOn7.htm
(in: Onomasiology Online (OnOn))
Zu zwei Büchern: Kärntner
Küche & Österreichische Küchensprache
Kurzfassung: Von Apfelstrudel bis Zwetschkenröster
Kleines Handbuch der österreichischen Küchensprache, 160
Seiten, € 12,95
(Wien, Ueberreuter 2008, ISBN: 978-3-8000-7369-6)
(Dieses inzwischen vergriffene
Lexikon in Kurzfassung hier)
Zu Rezepten
Herkunft des Wiener Schnitzels
Seite für Hobbyköche und -köchinnen: http://www.ichkoche.at/
Interessante Links:
(Wien) http://www.echtwien.at/home/kulinarik/kuechensprache
(allgemein,
eher gesundheitlich) http://www.lebensmittellexikon.de/
zurück: http://members.chello.at/heinz.pohl/Kueche1.htm
zu österreichischen
Lebensmittelbezeichnungen in Wörterbüchern: http://members.chello.at/heinz.pohl/Kueche_intern.htm
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