"(...) Hinreichend Stringenz besitzt dieser Abend im Wiener Jugendstiltheater: Wenn die Tänzerin Anna in Kurt Weills Ballet chanté "Die sieben Todsünden" auf Reisen geht, um ihrer Familie ein Häuschen am Mississippi zu finanzieren, wird sie ebenso zum Gastarbeiter wie der Grieche Jorgos im Deutschland von Kurt Schwertsiks "Katzelmacher". Und beide opfern sie sich einer kapitalistischen Gesellschaft, die den Raubbau am Individuum zur Conditio sine qua non des Wirtschaftswachstums erhebt. Eine Drastik, die Regisseur Leo Krischke im Fall der Häuslbauer-Tragödie - die letzte Kooperation von Brecht und Weill übrigens - ebenso klug wie kreativ vor Augen führt: Er hat nicht nur jenen virilen Absatzmarkt im Visier, der eine derangierte Künstlerin hier förmlich zerfleischt. Auch die stolze, nicht von ungefähr rein männliche Familie ist bei einer Massenvergewaltigung zugegen, dreht zur Erinnerung ein schnuckeliges Homevideo. Oder torkelt andernorts in fratzenhaften Kostümen über die karge, grelle Bühne (Ausstattung: Sofia Mazzoni), um mit niedlichen Wunderkerzen für die "Erleuchtung" der eigenen Tochter zu beten. Eine Todsünde, das ist hier in ironischer Verkehrung just eine Untat wider jenen Sündenpfuhl, der einzig die unprofitable Natürlichkeit sanktioniert - was Anna zwangsläufig in die Persönlichkeitsspaltung treibt. Die muss von einem fleischgewordenen Über-Ich immer wieder auf Kurs gesungen werden, bevor sie als zerbrochene Tänzerin ihr Ziel erreicht. (...) Nahezu schnörkellos danach die österreichische Erstaufführung von Schwertsiks "Katzelmacher": Einer Vertonung von Rainer Werner Fassbinders gleichnamigem Stück, hier ebenso praktikabel wie schmeichelhaft eingerichtet. Ersteres, weil Krischkes konsequent kahler Bühnenraum jedwede Umbaupause obsolet macht, mithin eine beklemmende "Huit Clos"-Atmosphäre ermöglicht. Zweiteres, weil man dergestalt umso mehr auf die Wirkung der Musik baut. (...) Durchaus bezeichnend, dass ein Werk von solch anklagendem Gestus sein Publikum aufrüttelt - wenn Krischke verfremdete Pornoszenen einspielt, um im Anschluss an die "Sieben Todsünden" den auch hier präsenten Nexus von Sex und Gewalt anzuprangern. (...)"
Wiener Zeitung 22. 01.2005
"(...) eine unterhaltsame Deutung (...) Die beiden Annas - zwischen Faulheit, Zorn, Stolz, Völlerei, Unzucht, Habsucht, Neid - wirken plastisch. Sie stehen im Brennpunkt der klugen Inszenierung von Leo Krischke, die vom Lichtdesign Norbert Chmels und von der Ausstattung Sofia Mazzonis unterstützt wird. (...) Ahnungslosigkeit über Herkunft und Kultur der Fremden, Misstrauen, Hass und Aggression kennzeichnen Fassbinders Stück "Katzelmacher", das von Kurt Schwertsik als Oper gestaltet wurde. (...) Krischke ist es gelungen, die Brisanz darzustellen. (...)"
Kronenzeitung 23. 01. 2005
"(...) Leo Krischke versucht in seiner Regie nicht ohne Erfolg, die Ausweglosigkeit der zwischenmenschlichen Beziehungen in einem allseits hermetisch abgeschlossenen Bühnenraum zu symbolisieren; Sofia Mazzoni hat ihn ebenso geschaffen wie die scharf karikierenden Kostüme (...) die ingeniös gelöste Kirchenszene (...)"
Tiroler Landeszeitung 24. 01. 2005
"(...) Die österreichische Erstaufführung des Einakters "Katzelmacher" war Höhepunkt des dramaturgisch mit Brecht/Weills "Sieben Todsünden" erstaunlich gut verschränkten Abends. Niedertracht, sexuelle und finanzielle Ausbeutung und Kleingeistigkeit werden in beiden Stücken zwischen animierende, vordergründige Heiterkeit gesetzt. Wobei die Neue Oper Wien unter Walter Kobéra und Regisseur Leo Krischke sich strikter im "Katzelmacher" zeigten. (...) Textdeutlicher hätte Krischke im "Katzelmacher" nicht sein können, in dem sich die Fremdenfeindlichkeit "Hiesiger" gegenüber dem Griechen Jorgos nicht zuletzt wegen der Vermutung unübertreffbarer Potenz entzündet. Zusammengeschlagen und fertiggemacht wird auch Anna II in den sieben Todsünden. (...) Die Kluft zwischen drastischer Realität und Schein-Oberfläche tut sich auch hier auf. (...)"
Kurier 22. 01. 2005
"Die innovative Neue Oper Wien hat sich zweier thematisch ähnlicher Musikstücke angenommen: "Die sieben Todsünden" von Kurt Weill und "Katzelmacher" von Kurt Schwertsik, letzteres ein Werk aus dem Jahr 2003 und nunmehr erstmals in Österreich zu sehen. Beide erzählen sie von männlicher Dominanz, von verunstalteten Individuen in der kapitalistischen Wunderwelt, von Außenseitern und alltäglicher Brutalität. Durch beide Werke dreht sich in einem einheitlich grellgelben klaustrophobisch sich verjüngenden Bühnenkubus die Spirale der Gelddiktatur und der Gewalt immer weiter. (...) Scharf und grell inszeniert Regisseur Leo Krischke eine brutale Männergesellschaft, in der jeder, der zahlt, auch vergewaltigen darf. Und zeigt genüsslich die Doppelmoral der gläubig lieben Familie in passend fratzenhaften Kostümen, die die Massenvergewaltigung gleich auf Video festhält. Um in einer solchen kapitalistischen Gesellschaft zu überleben, muss ein Alter Ego, ein zweiter Persönlichkeitsteil her, nämlich die Sängerin Anna I, die jede Menschlichkeit abwürgt und so schlussendlich doch noch genug Geld für das Heim und die besorgte Familie scheffelt. (...) Seine schrille Inszenierung setzt Leo Krischke auch im zweiten Teil, der Oper "Katzelmacher" fort. Ein bunter Haufen komischer hölzerner Figuren begegnet dem griechischen Gastarbeiter Jorgos, einem weiteren geschundenen Individuum auf dem Weg in den goldenen Kapitalismus, voller Vorurteile, latenter Aggressionen, aber auch verdrängter Sehnsüchte. (...)"
cycamp.at 25. 01. 2005