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Sligo, Rosses Point
10. Juni 1999

Es ist bewölkt und bleibt leider auch so den ganzen Tag.
Ich hole mir die Zeitungen in Sligo und fahre danach zum Lough Gill. Am Felsen von Dooney raste ich und denke an das Gedicht von Yeats. Den Felsen selbst zu besteigen, ein besserer Hügel, zahlt sich nicht aus, man hat keine Aussicht heutzutage, denn die verstellen Bäume. Zu Yeats Zeiten muß das anders gewesen sein. Ganz allgemein, der gute Mann war zwar Nobelpreisträger für Literatur, hat aber für den Fremdenverkehr Wichtiges getan, denn er hat sehr schön reale Wasserfälle, Inseln, Naturgebilde, den Felsen von Dooney etwa, aber auch Lissadell House bildhaft beschrieben. Das hat den Fremdenverkehrsmanagern ermöglicht, alle diese Orte den Fremden schmackhaft zu machen. Gerade aus den Vereinigten Staaten, in denen der gute Mann eine beträchtliche Anhängerschaft haben muß, kommen zahlreiche Touristen nach Irland, um auf Yeats Spuren zu wandeln. Nebenbei - für manche Unternehmen aber glücklicher Weise - geben sie dabei viel Geld aus. Übrigens hat Yeats den Nobelpreis nicht so sehr deshalb erhalten, weil dieses oder jenes Gedicht so hervorragend ist, sondern seiner Verdienste um die Förderung der irischen Sprache und der irischen Kultur willen, wie man der Verleihungsurkunde entnehmen kann. Das soll nicht heißen, daß der Mann als Dichter uninteressant wäre, nein, durchaus nicht. Aber noch heute rätseln die Fachleute über manche Stellen in seinen Gedichten, die man nicht recht versteht. Man braucht bloß das gängige Gedicht zu nehmen, das auszugsweise auf seinem Grabstein auf dem Friedhof von Drumcliff eingemeißelt ist, und dessen letzte Zeile lautet: Horseman, pass by. Die Horsemen kommen in seinen Gedichten öfters vor, man meint, es seien sozusagen Nachtgespenster, die Yeats geplagt haben. Da er sich dazu nicht geäußert hat, weiß man aber nichts Genaues.

Irische Dichter sind ohnehin nicht ohne. Der nach allgemeiner Ansicht größte von ihnen, James Joyce, war mit einem Dienstmädchen verheiratet und das hat er geheiratet, nachdem ihm ein Freund den Laufpaß gegeben hat. Man kann im übrigen in Galdway das Haus der Barnacles (mit kleiner Ausstellung) besichtigen. Wenn ich schreibe, er war verheiratet, so ist das mit einem sprichwörtlichem Körnchen Salz zu verstehen. 1904 ist Joyce mit Zimmermädchen Nora Barnacle aus Finn´s Hotel in der Nassau Street in Dublin auf den Kontinent gereist. Sein Vater hatte in Nora ein zweifelhaftes Vertrauen: Gefragt, ob diese Verbindung zwischen Dichter und Dienstmädchen denn halten werde, meinte er bloß: Also wenn eine Frau Barnacle heißt, dann wird sie meinen Sohn sicher nicht verlassen. So war es auch; sie blieb bei ihm. Erst 25 Jahre später heirateten die beiden auf dem Standesamt von Kensington in London. Im übrigen ist die gute Nora nicht das typische Dienstmädchen gewesen. Als junges Mädchen in Galway machte es ihr besonderen Spaß, sich als Mann zu verkleiden und ins Hafenviertel zu spazieren, neugierig, welche besonderen Angebote ihr die Ladies of the Night dort wohl machen würden. Insoferne paßte sie auch in dieser Hinsicht recht gut zu James Joyce, der in seiner Jugend gerne Frauenkleider anzog und sich so seinen Freunden präsentierte.

So wie bei Yeats ist auch bei Joyce in den letzten Jahren in neuen Biographien manches ans Licht gekommen, was zwar ihre Leistung und ihre Bedeutung nicht schmälert, im katholischen Irland aber nicht recht angekommen wäre. Dieses hat im übrigen weder Yeats sehr geschätzt, er war ja auch kein Katholik, und Joyce erst recht nicht, der es schon in der Jugend verlassen und in Italien und Frankreich recht kümmerlich gelebt hat, während der Ulysses in Irland verboten war und nicht nur in Irland, sondern auch im prüden Amerika. Heute noch streiten die Fachleute über Joyce´s abenteuerliche Beistrichsetzung, von der man nicht weiß, konnte der Mann Beistriche nicht richtig setzen, oder aber sind sie beim Erstdruck nicht richtig eingefügt worden. Das heute wohl bedeutendste Werk der Literatur des 20. Jahrhunderts ist nämlich erstmals in Frankreich erschienen, gesetzt von Setzern, die nicht Englisch konnten.

Mein nächster Rastplatz ist im Slish Wood, siehe oben.

Vor Dromahair biege ich sodann links ab zur Creevylee Friary, schön anzusehen noch als Ruine und berühmt als das letzte Kloster, das vor Cromwell errichtet wurde, dessen Truppen es dann auch zerstört haben. Zerstören heißt in Irland in der Regel nicht, dem Erdboden gleichmachen, sondern niederbrennen. Alles, was brennbar ist, wird dadurch vernichtet, die Mauern bleiben stehen. Mit der Zeit fallen dann auch die Mauern zusammen, oder auch nicht. Auf diese Weise erklären sich die vielen Ruinen bedeutender Bauwerke aus der Geschichte des Landes, aber auch die vielen Hausruinen, die man gleichsam überall sieht. Schaut man sich diese Ruinen an, Bauteile aus Holz findet man keine mehr, nur Stein. Klar, Feldsteine, die man als Fachmann mit ein paar wenigen Hammerschlägen in entsprechende Form bringen kann, finden sich in Irland überall, man braucht bloß ein Loch in den Boden zu graben. Warum sollte man sich die Mühe machen, alte Mauern abzutragen. Ganz anders ist es mit den sorgfältig gemeißelten Tür- und Fenstereinfassungen etc. der alten Klöster und Burgen: die finden sich nicht mehr, oder doch, aber in Neubauten.
Jedenfalls schaffe ich es nach mehreren Anläufen in den letzten Jahren, die Abtei bei einigermaßen schönem Wetter zu besichtigen und zu fotografieren.

Von Dromahair fahre ich auf einer Seitenstraße über Newtownmanor Richtung Colgagh, habe ich doch auf Aine´s Homepage, die es leider nicht mehr gibt, ein hübsches Foto des Colgagh Lake gesehen. Der freilich entzieht sich sozusagen meinem Blick, um nicht zu sagen, ich finde ihn nicht. Statt dessen finde ich einen Wegweiser, der zu einem Giant´s Grave weist, bleibe stehen und gehe in die angezeigte Richtung. Ich finde noch einen zweiten Wegweiser, der in den Wald hinein zeigt, wandere auf immer schmaleren Wegen durch dichten, ungepflegten Nadelwald bergauf, bergab, kein Giant´s Grave, nichts. Nach einem Kilometer frage ich mich, ob nicht ein Witzbold die Wegweiser verdreht hat, aber bin ich schon so weit gegangen, gehe ich auch weiter. Nach insgesamt 25 Minuten Fußmarsch im wesentlichen einen Berg hinauf, gelange ich auf eine Lichtung und zum Magheraghanrush Cairn, dem wahrscheinlich eindrucksvollsten Ganggrab Irlands. Der Cairn besteht aus einer etwa 15 Meter langen ovalen Steinsetzung mit einem zentralen Hof, von dem aus im Westen eine, und im Osten zwei Grabkammern ausgehen. Deren Eingänge waren noch im 19. Jahrhundert mit mächtigen Decksteinen überwuchtet. Heute ist nur mehr einer vorhanden, in der Mitte gespalten, doch durch die Schwerkraft zusammengehalten. Das Ganze ist ca. 3.000 Jahre alt und im wahrsten Sinn des Wortes eine der vornehmsten Anlagen aus der Frühzeit Irlands. Im übrigen ist dieser Cairn, als Ausnahme von der Regel, an einer beherrschenden Stelle errichtet worden. Wäre nicht der Jungwald ringsum, man hätte eine wunderschöne Aussicht vom Lough Gill im Osten bis weit auf den Atlantik hinaus im Westen.

Ich merke das, als ich den Weg weitergehe und aus dem Wald herauskomme. Da endlich sehe ich auch in der Ferne den Colgagh Lake und auf der ummauerten Wiese unter mir einen Steinhaufen mit dem weißen Betonklops des OPW. An passender Stelle klettere ich über die Mauer, vermeide nach Möglichkeit die Hinterlassenschaften der zahlreichen Schafe auf der Weide und gehe zum Steinhaufen, der sich als Steinkreis mit Ganggrab erweist.

Manchmal wundert man sich über die Häufigkeit frühzeitlicher Monumente: schaut man sich die Karten im Maßstab 1:50.000 an, ist die Gegend um Sligo, und nicht nur diese, gesprenkelt mit roten Punkten, die meist ein frühzeitliches Monument, gelegentlich aber auch ein mittelalterliches Kloster bzw. seine Ruine bezeichnen. Gewiß sind diese Monumente "häufig", selbst wenn man berücksichtigt, daß viele davon in der Vergangenheit zerstört worden sind. Man muß aber auch bedenken, daß "frühzeitlich", wie ich das vereinfacht nenne, einen Zeitraum von mehreren tausend Jahren bezeichnet. Die ältesten Monumente sind etwa 4.000 vor Christus geschaffen worden, von jungsteinzeitlichen Menschen, wie wir aus Beigaben wissen, die datiert worden sind. Nun sind 200 Monumente in Carrowmore "viel", auf 4.000 Jahre verteilt, aber wieder wenig. Es müssen daher schon besondere Ereignisse oder Anlässe gewesen sein, welche die Menschen damals bewogen haben, einen Cairn zu errichten. Was man so gar nicht weiß, ist, wer diese Menschen waren, woran sie glaubten, welche Sprache sie redeten. Kelten, wie gesagt, waren es nicht, die kamen erst einige hundert Jahre vor Christus nach Irland und haben dort eine einheimische Bevölkerung vorgefunden, die sie assimilierten. Die irischen Feensagen und die Kämpfer in den zahlreichen Heldensagen sind ein ferner Wiederhall der Ereignisse von damals. Daß damals die klimatischen Verhältnisse günstiger waren als heute, weiß man aus Pollen- und Samenuntersuchungen. Man hat ausgerechnet, daß das Wetter nur 1 oder 2 Grad Celsius wärmer war im Jahresdurchschnitt; das reichte aber aus für eine ganzjährige Vegetationsperiode. Der kahle Westen Irlands war damals mit einem Eichenmischwald mit einem hohen Anteil von Nadelbäumen bewachsen. Wer Äcker anlegen wollte, mußte zuerst einmal diesen Wald roden. Wie man von den Untersuchungen der Ceide Fields weiß, änderte sich damals allmählich das Klima. Es reichte aus, daß die von der Landwirtschaft lebende Gesellschaft der heutigen Ceide Fields aufgab und die Felder allmählich in den sich bildenden Mooren versanken, die stellenweise mehrere Meter dick geworden sind. Eines der Märchen, die man zumindest mir in der Schule erzählt hat, ist, daß sich die Moore immer wieder bilden, wenn man den Torf abgebaut hat. Mag schon sein, falls die klimatischen Bedingungen die gleichen bleiben, bloß der Vorgang dauert tausende von Jahren. In Irland heißt das, daß durch die industrielle Nutzung der Moore, durch den maschinellen Torfabbau, die Landschaft unwiederbringlich verändert wird und damit auch die klimatischen Verhältnisse.
Manchmal kommt man schon ins Nachdenken in einem fremden Land. Da habe nicht einmal ich mehr Lust zu sarkastischen Bemerkungen, ich gehe nachdenklich zum Auto zurück und fahre, (beinahe hätte ich gesagt, heim,) nach Rosses Point ins Hotel zurück. Mehr als dass ich am Abend noch vom Strand aus auf Coney Island und zum Metal Men hinüberschaue, tue ich nicht mehr.

 

 
 

 

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 ©Peter Lausch/Zuletzt bearbeitet: 20.11.2001